Skip to main content

G 20 Hamburg: Überwachen, Kriminalisieren, Abschrecken

Anna Luczak
Einleitung

Zum staatlichen Umgang mit den Protesten gegen den G20-Gipfel kann erst ein vorläufiges Fazit gezogen werden. Noch sitzen mehrere Personen in Untersuch­ungshaft, in ersten Strafprozessen wurden hohe Strafen ausgesprochen und es gab bundesweit Durchsuchungen. Nach Angaben der Innenbehörden in Hamburg soll es — Stand Dezember 2017 — über 3.000 laufende Ermittlungsverfahren geben. Fünf Monate nach dem Gipfel ist bereits zu sagen, dass das Ausmaß der Repression deutlich massiver ist, als es im Nachgang des G8-Gipfels in Heiligendamm vor zehn Jahren war. Aber auch die staatlichen Interventionen vor und während des Gipfels waren massiv, insbesondere die Überwachung war exzessiv.

Verschärfung des Strafrechts

Bereits im Vorfeld des Gipfels wurden auf Bundesebene die Möglichkeiten einer straf­rechtlichen Verfolgung ausgeweitet, indem unter anderem der so genannte „tätliche Angriff“ auf Polizeibeamte in einem neuen § 114 StGB mit einer hohen Strafandrohung belegt wurde. Das ist im Verhältnis zu dem, was in Hamburg geschehen ist und noch geschieht, nur eine Nebenerscheinung. Sie passt aber ins Bild. Denn damit waren Polizeibeamte ermächtigt, schon dann Anzeige zu erstatten, wenn zum Beispiel jemand ohne Verletzungsabsicht gegenüber einem Polizeibeamten agierte, ihn zum Beispiel schubste oder an ihm zog.

Verbote und Angriffe vor und während des Gipfels

Einen ersten Vorgeschmack auf das, was geschehen würde, gab es bereits im Vorfeld des Gipfels, als nicht nur eine Allgemeinverfügung erlassen wurde, die eine 38km² große Demoverbotszone festlegte, sondern auch wegen Protestcamps juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesverfassungsgericht geführt werden mussten. Der Polizeiangriff gegen die „Welcome to Hell“-Demonstration am Vorabend des ersten Gipfeltages zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht einmal losgelaufen war, zeigte dann endgültig, dass es der Polizei nicht um die Gewährleistung des Demonstrationsrechts ging. Die Polizei hatte noch während laufender Verhandlungen mit der Versammlungsleitung wegen angeblich angelegter Vermummung die gesamten ersten Blöcke der Demonstration eingekesselt und dann Wasserwerfer und Reizgas gegen die zusammen gedrängten Versammlungsteilnehmer_innen eingesetzt, denen nur der Ausweg blieb, über eine Mauer eine Erhöhung hoch zu klettern, von wo sie teilweise wieder herunter geschubst wurden — dabei hätte eine Massenpanik entstehen können.

Als es dann am Freitagabend im Schanzen­viertel zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, wurden zunächst — medienwirksam — Feuer brennen gelassen, dann aber mit Maschinenpistolen bewaffnete SEKs eingesetzt und Bürgerkriegsrhetorik bemüht. Auch der Einsatz gegen die „Block G20“-Aktionen am Freitagmorgen war unter anderem im Bereich „Rondenbarg“ sehr brutal; es gab eine Vielzahl von Festnahmen und Verletzten, teilweise mit offenen Knochenbrüchen. Nach Presseberichten wurde der Angriff auf die Demonstrierenden am „Rondenbarg“ von den Polizisten mit den Worten eingeleitet: „Antifa-Schweine: Das ist euer Frühstück!

Gefangenensammelstelle in Hamburg-­Harburg

Abschreckungswirkung hatte auch die Gefangenensammelstelle in Containern in Hamburg-Harburg, die extra für Personen eingerichtet worden war, denen während der Gipfelproteste in Hamburg die Freiheit entzogen werden sollte. Fern ab vom Geschehen in der Stadt wurden hier insgesamt über 400 Personen festgehalten. Nach Angaben des Anwaltlichen Notdienstes, der trotz starker Behinderung seiner Arbeit durch die Polizei vor Ort 250 dieser Personen beraten und vertreten konnte, wurden dort systematisch die Rechte von in Gewahrsam Genommenen verletzt. So mussten sich festgehaltene Personen nach Gesprächen mit ihren Anwält_innen vollständig entkleiden und durchsuchen lassen. Zum Teil schwer verletzt in Gewahrsam genommenen Personen wurde das Recht auf angemessene medizinische Behandlung verweigert.

Überwachung

Es gibt keine Zahlen darüber, von wie vielen Personen außer den Gefangengenommenen während der Proteste gegen den Gipfel Bilder angefertigt und/oder die Personalien festgestellt wurden. Noch auf dem Rückweg von Hamburg am Sonntag nach der Großdemonstration wurden meh­­rere Busse, auch solche kommerzieller Anbieter wie Flix-Busse, von der Autobahn gelotst und fast alle Insass_innen Kontrollen unterzogen. Mit Bussen anreisende Personen wurden gezwungen, Polizisten ihre mitgeführten Handys zu übergeben, die dann die IMEI-Nummern überprüften, was die Polizei selbst über Twitter bestätigte. Hostel-Betreiber_innen sollten der Polizei die Daten ihrer italienischen Gäste nennen. Nach einer Antwort auf eine Kleine Anfrage (Bürgerschaft, Drs. 21/9862) wurden während des Gipfels von der Polizei Hamburg Überwachungsmethoden wie Observation, Telekommunikationsüberwachung sowie Peilsender, IMSI-Catcher, GSM-oder GPS-Sender verwendet. Der Verfassungsschutz Hamburg setzte neben solchen Methoden auch die Methode der Versendung von so genannten „stillen SMS“ ein, über die unerkannt der Standort eines Geräts (und damit dessen Nutzer) festgestellt werden kann.

Nach Aussagen der Hamburger Polizei wurden außerdem während der Gipfel-­Proteste 25.000 Videodateien mit dem Mittel der Gesichtserkennung gefertigt. Die Polizei hat — so ebenfalls die Angaben aus der Kleinen Anfrage — unter anderem Videoaufnahmen aus Polizeihubschraubern, aus Verkehrskameras sowie über mobile Videokameras im Bereich der Veranstaltungsorte gemacht. Der RAV und der Anwaltliche Notdienst (AND) haben bereits während der Gipfeltage insbesondere das exzessive polizeiliche Abfotografieren und Videografieren ganzer Demonstrationszüge kritisiert und auf das so genannte Volkszählungsurteil (BVerfGE 65,1 ff.) hingewiesen: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teil­nahme an einer Versammlung […] behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicher­weise auf eine Ausübung seiner […] Grundrechte verzichten.“

Teilweise führt die „behördliche Registrierung“, also die datenmäßige Erfassung, auch dazu, dass schon gar keine Teilnahme am Protest möglich ist. Beispiel dafür sind Einreiseverbote, die auf Eintragungen in Polizei-Dateien gestützt werden. Während des G20-Gipfels in Hamburg wurde zudem über dreißig Journalisten und Journalistinnen ihre Akkreditierung entzogen — ebenfalls gestützt auf „Erkenntnisse“ aus polizeilichen Datenbanken. Hintergrund ist die polizeiliche Praxis, bei Einleitung von Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit politischen Aktionen ohne weiteres Eintragungen in den Dateien zu speichern, zum Beispiel so genannte personengebundene Hinweise wie „Straftäter linksmotiviert“ oder „gewalttätig“. Ohne dass die von der Speicherung betroffene Person darüber informiert wird, werden solche Eintragungen unabhängig davon gespeichert, ob es in der Sache jemals eine Verurteilung gibt, sie werden auch nach einem Freispruch nicht automatisch gelöscht.

Im Rahmen der laufenden Strafverfahren kommt es zu vielzähligen weiteren Daten­erhebungen. So wurden Anfang Dezember 2017 bundesweit Durchsuchungen durchgeführt, bei denen vor allem Telefone und Computer mitgenommen wurden. Dass es der Polizei dabei nicht nur um einzelne Beschuldigte geht, sondern um Strukturen, zeigte der Polizeipräsident bei der Pressekonferenz zu diesen Durchsuchungen, als er davon sprach, „ein bisschen näher an den Kern der autonomen Szene heranzukommen“.

Gesamtkonzept

Maßnahmen im Vorfeld, exzessive Überwachung und unverhältnismäßiges polizeiliches Vorgehen vor Ort sowie strafrechtliche Verfolgung im Nachgang wirken zusammen gegen das Demonstrationsrecht. Dabei gehen Überwachung und Repression Hand in Hand, indem Daten aus früheren Ermittlungsverfahren genutzt werden, um zum Beispiel die Anreise zu erschweren und Journalist_innen vom Gipfel ganz auszuschließen. Es ist davon auszugehen, dass die in Hamburg exzessiv gesammelten Daten nicht nur für die Strafverfolgung in Hamburg genutzt, sondern auch beim nächsten Anlass gegen Protestierende gewendet werden, die dann etwa nicht einreisen dürfen oder präventiv in Gewahrsam genommen werden.