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Frontex, Mauern und Screening Centres

Aida Ibrahim Bernd Kasparek
Einleitung

Die Entwicklung des euro-griechischen Migrationsregimes

Mehrere hundert Flüchtlinge und deutsche Unterstützerinnen und Unterstützer demonstrierten im Juni 2011 in Berlin gegen die Flüchtlingsgesetze

Irreguläre Migration nach Europa ist und bleibt ein Dauerbrenner in den Medien, wenngleich auch immer unter einer problematisierenden, bestenfalls viktimisierenden Perspektive. Mitte Februar 2011 beherrschte die Ankunft zumeist tunesischer Migrant_innen in Lampedusa die europäischen Schlagzeilen. Im Zuge der beginnenden Revolution hatte sich ein kleines Zeitfenster geöffnet, in dem die tunesischen Sicherheitskräfte ihrer Rolle im Externalisierungsprojekt1 des europäischen Grenzregimes nicht mehr nachkamen und eine Ausreise nach Lampedusa möglich war. Diese von der italienischen Regierung zu einem »Migrationsstrom biblischen Ausmaßes« hochstilisierte Situation löste damit die den ganzen Winter anhaltende Berichterstattung über die border crossing-Aktivitäten an der türkisch-griechischen Landgrenze am Fluß Evros/Meriç ab.

Schon das ganze Jahr 2010 kam es dort in Griechenland zu vielfachen irregulären Überschreitungen der europäischen Außengrenze. Seit Oktober 2010 wagten nochmals mehr Migrant_innen den Sprung in den Schengenraum. Für Januar bis Oktober 2010 sind 44.000 Festnahmen nach der Grenzüberschreitung dokumentiert (Frontex 2010). Doch auch schon in den Jahren zuvor war dieser Teil der europäischen Außengrenze der durchlässigste, wenn auch immer wieder an verschiedenen Stellen. Zentraler Grund für diese Entwicklung war das Stocken des Externalisierungsprozesses in Richtung Türkei, und dies mit gutem Grund. Die türkische Regierung verfolgt mit großer Aufmerksamkeit, wie die Staaten im geographischen Zentrum der EU die politische Verantwortung für die ›Bekämpfung‹ (Angela Merkel) der irregulären Migration und die Folgen dieses unerklärten Krieges an die Länder der EU-Außengrenze delegiert hatten.

Angesichts dieser Konstellation, eingebettet in den größeren Rahmen der Krise der griechischen Staatsfinanzen, kam es 2010 zu einer de facto Kapitulation des griechischen Staates vor der Bewegung der Migration. Dass die Lage der Migrant_innen in Griechenland nichtsdestotrotz immer prekärer wurde, steht dem keineswegs entgegen. Über den Sommer 2010 ist es zu einem Reboot des Migrationsregimes in Griechenland gekommen, dessen erste Folgen nun absehbar werden.

Schon im Frühjahr 2010 hatten sich die Migrationsrouten weg von den Inseln der Ägais und hin zur Landesgrenze im Norden verlagert. Am 26. August 2010 erging aus Athen die Anordnung, die gesetzlich maximal mögliche Internierungsdauer für irreguläre Migrant_innen anzuwenden, welche über das griechisch-türkische Rückübernahmeprotokoll abgeschoben werden können. Dies resultierte in vielfach überbelegten Knästen, eine fabrizierte humanitäre Katastrophe bahnte sich an. Diese lieferte im Oktober 2010 den perfekten Bühnenhintergrund für eine Premiere: Am 24. Oktober 2010 aktivierte die griechische Regierung den Mechanismus der Schnelleingreiftruppen RABITs der europäischen Grenzschutzagentur Frontex (Vgl. AIB 79) und europäisierte damit effektiv die griechisch-türkische Grenze. Binnen eines Monats fanden sich rund 200 Grenzschützer aus den unterschiedlichsten EU-Mitgliedsstaaten ein, um im Rahmen der Frontex-Operation Poseidon den griechischen Grenzschutz zu verstärken.

Der rhetorische Höhepunkt der Mobilisierung des griechischen Staates gegen die Migration war die Ankündigung des griechischen Polizeiministers vom 1. Januar 2011, einen Zaun an der Grenze errichten zu wollen. Nach vielfältiger Kritik wurde der Plan zwar nicht komplett aufgegeben, aber auf ein kleines, jedoch relevantes Teilstück im Norden der über 200 km langen Grenze beschränkt. Die EU-Kommission kommentierte das Vorhaben damit, dass Zäune und Mauern lediglich eine kurzfristige Maßnahme seien, die keinen wirklichen Beitrag dazu leisteten, die Herausforderung der Migration in einer allgemeinen und struktierten Art und Weise anzugehen.2

Genau dies soll jedoch das neue Asylgesetz leisten, welches am 12. Januar 2011 verabschiedet wurde.3 Bis dahin lag das Asylsystem brach und war zeitweise außer Kraft gesetzt. Eine Asylantragstellung war praktisch unmöglich, und es stauten sich rund 50.000 Fälle, welche seit Jahren nicht bearbeitet wurden. Auch verschiedene Versuche, das System über Präsidialerlasse zu flicken, sind gescheitert. In einem aufsehenerregenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 21. Januar 2011 festgestellt4 , dass das griechische Asylsystem faktisch nicht-existent ist und hat damit Dublin II-Abschiebungen nach Griechenland geächtet. Das gesamte Dublin II-System5 steht zur Disposition.

Nach dem neuen Gesetz soll nun eine eigenständige griechische Asylbehörde, vergleichbar mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland aufgebaut werden. Bisher lag diese »Kompetenz« bei der Polizei. Schwerer wiegt jedoch nach der Einschätzung von NoBorder-Aktivist_innen, dass der Bau von so genannten Screening Centres vorgesehen ist. Diese sollen im Wesentlichen eine Sortierung zwischen »legitimen« Asylantragsteller_innen, »illegalen« Migrant_innen und besonders schutzbedürftigen Gruppen vornehmen. Diese Screening Centres in Verbindung mit einem im Aufbau befindlichen Abschiebesystem sollen Druck erzeugen und dazu führen, dass irreguläre Migrant_innen sich dem Asylsystem unterordnen müssen und so zu Asylbewerber_innen werden. Damit soll die staatliche Souveränität über die Bewegung der Migration wiederhergestellt werden (Welcome To Europe 2010). Denn diese hat bisher kaum existiert, mit den dokumentierten Folgen für Griechenland und in der Tat das gesamte europäische Asylsystem.

Diese Entwicklungen sind bisher nur im Ansatz erkennbar. Entscheidend wird sein, welche Praxis sich am Ende tatsächlich ergeben wird. Am 25. Januar 2011 sind in Griechenland 300 Migrant_innen – größtenteils aus Ländern des Maghreb – in einen Hungerstreik getreten, um die Legalisierung und rechtliche Gleichstellung aller Arbeitsmigrant_innen und Flüchtlinge in Griechenland zu erkämpfen.6 Der Kampf der 300 Hungerstreikenden führte zum Erfolg. Die Migrant_innen haben die Vorschläge der Regierung akzeptiert und den Hungerstreik beendet. Für die 300 Streikenden gelten mittlerweile folgende Regelungen:
- zeitlich unbegrenzter Duldungsstatus
- alle 6 Monate werden die Aufenthaltsgenehmigungsanträge neu bearbeitet.
Für alle undokumentierten Migrant_innen in Griechenland gelten nun folgende Regelungen:
- Aufenthaltsgenehmigung für alle, die beweisen können, dass sie die letzten 8 Jahren (bisher waren es 12 Jahre) in Griechenland gewohnt haben. Sie haben damit einen neuen Kampfzyklus eröffnet, welcher nicht mehr die Frage nach Asyl und Schutz aufwirft, sondern grundlegende politische und soziale Rechte für die Bürger_innen Europas ohne europäische Staatsangehörigkeit einfordert.7