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Frankreich: Machtkämpfe im "Front National"

Einleitung

Die verschiedenen Wahlen seit September haben ihre guten und ihre schlechten Neuigkeiten mit sich gebracht. Die gute Neuigkeit ist die Niederlage von Cendrine Le Chevallier in Toulon mit diesmal weit über 700 Stimmen, die somit den "Front National" an seiner letzten Möglichkeit, einen Abgeordnetensitz zu erlangen, hinderten. Es ist das dritte Mal, daß diese Wahl statt fand.

Bild: Barbier22; wikimedia.org

Bruno Mégret kämpft um den ersten Platz im "Front National".

Im Mai 1997 wurde Jean-Marie Le Chevallier in Toulon mit 53% der Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Das passive Wahlrecht wurde ihm aber aberkannt, und so konnte er nicht erneut kandidieren. Am 3. Mai 1998 wurde seine Frau von der sozialistischen Kandidatin um genau 33 Stimmen geschlagen, sie erhielt 49,93% der Stimmen. Im September unterlag sie erneut mit 48,5%. Der FN hatte fünf Prozentpunkte in dem Wahlkreis verloren, also 500 Stimmen. Nur ein Teil der rechten Wählerschaft hat die FN-KandidatInnen gewählt, ein anderer hat sozialistisch gewählt oder sich enthalten, während der Parteivorstand keine Stimmempfehlung abgegeben hatte. Mitte Oktober hat der Bürgermeister der FN von Toulon eine neue Niederlage einstecken müssen, dieses Mal persönlich: Er ließ sich als Kandidat für einen Sitz im »Generalrat« (parlamentarisches Beschlußgremium auf Ebene von Departements), der das Departement Var verwaltet, aufstellen. Es war aber ein linker Kandidat, der mit fast 52% der Stimmen gegen Jean Marie Le Chevallier gewählt wurde. Der linke Kandidat profitierte von der größeren Mobilisierung der Nichtwähler sowie derer, die noch in der ersten Runde den FN gewählt hatten. Es scheint, daß die Toulonerinnen zunehmend des FN und vor allem des Bildes ihrer Stadt in Frankreich und im Ausland überdrüssig sind.

Die schlechten Neuigkeiten: Zwei andere Wahlen verliefen besorgniserregender. In Aubagne (im Departement Bouches du Rhone) hat der kommunistische Kandidat seinen Sitz nur knapp behalten (etwa 30 Stimmen Vorsprung), der rechte Kandidat ist Mitglied der "Démocratie Libérale" (bürgerlich-liberale Partei), der Partei von Alain Madelin, die Partei, die dem FN am nächsten steht. Der rechte Kandidat konnte seine Stimmen von der ersten zur zweiten Runde verdoppeln, dabei erhielt er fast alle FN-Stimmen (22% in der ersten Runde). Dies nicht zuletzt, weil der FN-Kandidat dazu aufgerufen hatte, »den kommunistischen Kandidaten zu schlagen«. Der Abstand war so eng,
daß eine Annulierung der Wahl wahrscheinlich ist. Der liberaldemokratische Kandidat in Dunkerque hat ebenfalls von der Umschichtung der FN-Stimmen profitiert (15% der Stimmen im ersten Wahlgang), um den sozialistischen Kandidaten eines seit 1997 linken Wahlkreises zu schlagen. In Anbetracht dieser Ergebnisse wird der ehemalige Neonazi Alain Madelin1 Argumente finden, um seine Strategie des Entgegenkommens gegenüber den extremen Rechten aufrechtzuerhalten. Die Wahlen zum Senat (zweite französische Kammer, ländlicher und konservativer als die Nationalversammlung) waren ebenso überraschend. Es ist eine indirekte Wahl, die Wählenden sind BürgermeisterInnen, Räte, städtische VertreterInnen, regionale Räte... In neun Departements war der FN im Vergleich zu 1989 erfolgreich. Einige AnalytikerInnen meinen, daß die zusätzlichen Stimmen von den Nicht-Parteimitgliedern kommen, die die Strategie der bürgerlichen Rechten, nicht mit dem FN zusammenzugehen, ablehnen.

Erinnern wir uns, daß vier französische Regionen (Burgund, Languedoc, Roussilon, Picardie und die Region Rhone-Alpes) von führenden Rechten verwaltet werden, die vom FN bezahlt werden. Die Grenze zwischen der bürgerlichen und der extremen Rechten wird zusehends durchlässiger. Ein kleinerer Teil der Rechten will mit der extremen Rechten zusammengehen. Ein anderer weigert sich, diejenigen auszuschließen, die mit der extremen Rechten bereits verbunden sind. Das politische Haupthindernis bleibt Jean Marie Le Pen selbst. Für einen Teil der Rechten ist ein Bündnis nur mit einem von Bruno Megret geleiteten FN denkbar.

Die Schlacht um die Nachfolge von Le Pen beginnt erneut

Nachdem Bruno Mégret seine Gegner innerhalb des Parteiapparates entfernt hat, versucht er, Le Pen zum Rücktritt zu veranlassen. Er möchte für die Europawahlen im Juni 1999 an der Spitze der FN-Liste stehen. Andererseits muß Le Pen noch abwarten, ob er sein passives Wahlrecht verliert. Für den Fall, daß er nicht kandidieren kann, soll seine Frau, Jany Paschos, seine Kandidatur übernehmen. Diese Form der politischen "Vetternwirtschaft" ist in FN-Kreisen offenbar populär: Catherine Mégret wurde FN-Bürgermeister-Kandidatin in Vitrollesso, nachdem ihr Ehemann Bruno Mégret nach dem Verlust des passiven Wahlrechts hier nicht mehr kandidieren konnte. Cendrine Le Chevallier, die geschlagene FN-Kandidatin in Toulon, ist Ehefrau des FN-Politikers Jean-Marie Le Chevallier.

Bruno Mégret hat sich gegen Jany Le Pen ausgesprochen und eine »Abstimmung der Parteiinstanzen« gefordert. Le Pen hat dies sehr übelgenommen. Sein Gegenschlag vollzog sich in drei Schritten. Zunächst der Angriff gegen Megret Ende August 1998 bei der Sommeruniversität des FN. Dann ein Kommunique des Politbüros, das das »Vertrauen« der Parteispitze in Le Pen erneuerte. Schließlich die offizielle Bekanntgabe der Kandidatur von Jany Le Pen. Da sie vollkommen unbekannt war, erhielt sie in einer Umfrage von Mitte September nur 13% der Stimmen (14% für Megret und 15% für Jean Marie Le Pen). Es war bei dem achtzehnten "Blau-weiß-rot-Fest", an dem Le Pen vor einigen tausend Parteimitgliedern die Kandidatur seiner Frau offiziell bekanntgab, »falls Bedarf besteht«. Zugleich hat er den Megret-Anhängern ein Zugeständnis gemacht, indem er die »Regeln der nationalen Disziplin« predigte: Gemeinsam mit den bürgerlich rechten Parteien sei »die Macht der Sozialisten und Kommunisten zu vertreiben, die das Land tagtäglich ein wenig mehr sozialisieren und kommunisieren.« Für die extreme Rechte bedeutet nationale Disziplin, bei einem zweiten Wahlgang rechts zu wählen, falls der FN-Kandidat ausgeschieden ist. Im selben Atemzug attackierte Le Pen »die falsche Rechte ohne Ideen, ohne Ideal, ohne Glauben oder Gesetz« und untersagte dem FN, an »der Neubildung der parlamentarischen Rechten mitzuwirken« und den bürgerlich-rechten Parteien »RPR oder der UDF zu Hilfe zu kommen«. Es gelang ihm damit, die beiden sich widersprechenden Strategien darzustellen, ohne daß es sein Publikum abgeschreckt hätte.

Aber hinter der Kampagne für die Europawahlen zeichnet sich bereits die Präsidentschaftskampagne ab. Le Pen ist angesichts der Offensive von Megret beunruhigt, der seine Kandidatur für die Wahl im Jahr 2002 bereits angekündigt hat! Anfang Oktober 1998 hat Le Pen Megret anläßlich seiner Präsentation der »Mannschaft Le Pen« für die »Vorkampagne« für die Europawahlen bestraft: Er ist nicht mit dabei. Unter den acht Politbüromitgliedern, die durch das Land touren werden, um gegen die Verträge von Amsterdam zu protestieren, finden sich weder Megret noch einer seiner Anhänger, sondern nur Getreue Le Pens. Der Vorsitzende der Kampagne des FN ist Jean-Claude Martinez, ein Intimfeind von Megret.

Nachdem er Megret verdrängt hatte, versuchte Le Pen, sich zweier Getreuer von Megret zu entledigen. Aus Anlaß eines Politbürotreffens hat Le Pen gedroht, die beiden engsten Mitarbeiter von Megret auszuschließen, Damien Bariller, sein Kabinettsdirektor, und Philippe Olivier, der Stellvertreter Megrets beim Parteivorstand. Die Geschichte begann, als Martinez in der konservativen Tageszeitung Le Figaro äußerte: »die jungen Leute«, die Megret umgeben, »haben ein wenig schnell von Bledine (einer Babynahrung) und der Jicence (erster universitärer Abschluß) zum Bedürfnis, Kabinettsminister zu sein« gewechselt. Die beiden Angesprochenen, Damien Bariller (31) und Philippe Olivier (37), überreichten der Partei einen Brief, in dem sie Martinez angriffen. Dies rief den Zorn des Chefs hervor. Dazu kam, daß in der Tageszeitung der extremen Rechten, "Présent", im Oktober ein Interview mit Megret erschien, in dem er Le Pen in kaum verhüllten Worten angriff. Megret wies darauf hin, daß »niemand das Eigentum des FN ist, da unsere Bewegung den Wählern [...], den Franzosen, Frankreich [...] gehört. Was auch immer unsere Stellung in der Hierarchie sein mag, wir müssen uns einer einzigen Regel unterwerfen: zu dienen. Nicht Individuen oder Interessen, sondern einer Sache, einem Ideal.« Daß dieses Interview einer Tageszeitung gegeben wurde, die als anti-megretistisch bekannt ist, zeigt, daß der Einfluß von Megret im FN steigt und der Wunsch Le Pens, seine Frau aufzustellen, selbst unter seinen Mitstreitern nicht sehr positiv aufgenommen wurde.

Die Stimmung im FN ist derart schlecht, daß Martin Peltier, ein Kindheitsfreund von Megret und Getreuer von Le Pen, im FN-Blatt "National-Hebdo", deren Herausgeber er ist, zur Ruhe aufgerufen hat. Er nannte sein Editorial vom 22. Oktober »Das reicht!« und schrieb, daß »die Streitigkeiten einer Nachfolge, die noch nicht ansteht, mich nicht interessieren. Was zählt, das ist, bei den Europawahlen die kritische Marke von 20% zu überwinden, die uns erlauben wird, den Weg der Macht zu nehmen. Diejenigen, die durch ihre Kindereien den FN darin behindern würden, werden zu Kriminellen.« Er wandte sich an die »militanten Le-Pen-Anhänger der ersten Stunde«, die »sich in ihrem Kummer vergraben«, weil sie »die Kandidatur von Jany als schlecht beurteilen, die Benennung von Bruno Megret verweigern und den Abstieg von Jean Marie beklagen«.

Es ist das erste Mal, daß ein Konflikt auf höchster Ebene öffentlich in Zeitschriften und in der Presse des FN ausggebreitet wird. Jüngstes Beispiel ist das Interview, das Le Pen der populären bürgerlich-rechten Zeitschrift "France-Soir" (5/11/1998) gegeben hat, in dem er Megret angreift und ihm öffentlich droht, ihn seines Postens als Generalvertreter zu entheben. Er bestätigt auch, daß er »ein demokratischer Monarch« sei und legt damit fest, daß er derjenige ist, der befiehlt.

Der Konflikt trifft auch die Jugendorganisationen des FN: Die "Front national de la jeunesse" (FNJ) wird vom Schwiegersohn Le Pens, Samuel Maréchal, geleitet, während die "Renouveau étudiant" von dem Megret-Anhänger Nicolas Evrard geführt wird. Samuel Maréchal hat "Renouveau étudiant" kritisiert und ihm vorgeworfen, den »Syndikalismus mit der politischen Betätigung zu verschmelzen« und eine »ideologische Logik [zu bevorzugen], die nicht die tagtäglichen Sorgen der Studenten in Rechnung stellt«. "Renouveau étudiant" wiederum vereint mittlerweile u.a. rechte Aktivisten, "militante nationalistische Revolutionäre" und Neonazis aus den Kreisen des "Groupe Union Défense" (GUD), dessen Magazin "Offensive" mittlerweile den Ideen der "Neuen Rechten" nahe steht und das beispielsweise Schwerpunktausgaben der "Wiedergeburt der Kelten" oder der »deutschen Revolution« widmet. Der frühere GUD-Anführer Frederic Chatillon wurde zu einer Art "strategischen Berater" von Marie Le Pen und ein "Wahlkampfmanager" des "Front National". Die GUD hatte sich zwischenzeitlich sogar bereits aufgelöst, um sich nun wieder neu zu gründen und auf die Seite von Bruno Mégret zu schlagen.

Im Oktober 1998 hat der FN die Verantwortlichen der Kampagne für die Europawahlen vorgestellt. Unter den 40 Mitgliedern befanden sich sämtliche Megret-Gegner: Jean Claude Martinez, Samuel Maréchal, Marie-France Stirbois, Martine Lehideux und Jean-Yves Le Gallou. Jedem Megret-Anhänger wurde somit ein Parteifreund Le
Pens vorgesetzt. Ein Megret-Anhänger kritisierte daraufhin »einen angeblichen Organisationsplan, der vier Fünftel der lebendigen Kräfte der Bewegung beiseite läßt«. So wurde z.B. der »Verantwortliche für die Kontakte mit den europäischen Parteien«, der Le Pen-Anhänger Dominique Chaboche, von einem Megret-Anhänger Yvan Blot, gedoppelt, der »der Verantwortliche der Europareisen von Le Pen« sein sollte. Das Gremium ist so überfüllt, daß sogar ein "Verantwortlicher für die Plakatwerbung" und einer für die "Postwurfsendungen" ernannt wurde.

Megret hat gerade Anfang November 1998 seine Kandidatur für die Bürgermeisterwahl von Marseiile angekündigt, die 2001 stattfinden wird. Er hat seine AnhängerInnen dorthin mobilisiert, eine Zeitschrift gegründet - "Marseille Liberte"- die von Damien Bariller geleitet wird und will sich ein neues Domizil kaufen, das sich genau gegenüber vom Rathaus von Marseiile befindet. Auch hier hat ihm Le Pen hat ihm Steine in den Weg gelegt, indem er als FN-Parteichef für die Region Bouches-du-Rhöne Jean-Jacques Susini benannt hat, einer der früheren Anführer der ehemaligen militanten Organisation "Organisation de l'armée secrète" (OAS). Er gilt offenbar als geeignet, Megrets Einfluß in seiner Hochburg verringern.

  • 1Als Jugendlicher schloss er sich der neonazistischen "Fédération des étudiants nationalistes" (FEN) an. 1964 gehörte er zu den Gründern der extrem rechten Organisation "Occident". Nach einem Überfall auf kommunistische Studenten an der Universität Rouen (1967) wurde Madelin neben zwölf anderen "Occident"-Aktivisten wegen „geplanter und bewaffneter Tätlichkeit“ verurteilt.