Skip to main content

Franceska Mann: Der vergessene Aufstand von Auschwitz

Einleitung

Oktober 1943: Bereits seit über 18 Monaten werden in Auschwitz Jüdinnen und Juden mit Giftgas ermordet. Fast eine Million Juden, Sinti und Roma und sowjetische Kriegsgefangene überlebten die deutschen Gaskammern von Auschwitz nicht.

Im Oktober 1943 erreicht ein Transport aus Bergen-Belsen das Vernichtungslager. Unter den Deportierten befindet sich die 26-jährige Franceska Mann (bzw. Franciszca Mannówna) – auch bekannt als Lola Horowitz. Die Warschauer Ballet-Tänzerin, Platz vier bei den internationalen Tanz-Wettbewerben in Brüssel 1939, hatte die letzten Jahre im Warschauer Ghetto, wahrscheinlich aber auch im „arischen“ Teil Warschaus, außerhalb des Ghettos, überlebt.

Während des Jahres 1943 verbreitete sich das Gerücht, dass es möglich war, mit falschen Pässen aus neutralen Ländern zu überleben und sogar das Land zu verlassen – im Austausch gegen deutsche Kriegsgefangene. Schaltstelle für die falschen Pässe und die Ausreise-­Arrangements war das Warschauer Hotel Polski. Auch Franceska Mann glaubte an dieses Gerücht. Für eine hohe Summe organisierte sie sich dort ein Visum nach Südamerika. Doch das Hotel Polski entpuppte sich als eine Falle der Deutschen, um untergetauchte Jüdinnen und Juden außerhalb des Ghettos zu fangen und noch vorher von ihnen viel Geld für die angeblich nötigen Pässe zu erhalten.

Von Warschau aus wurden 1700 Juden und Jüdinnen, welche sich vermeintliche Visa gekauft hatten, nach Bergen-Belsen transportiert. Von dort aus ging es jedoch zurück nach Osten, nach Auschwitz-Birkenau. Die Insassen hatten bis zuletzt geglaubt, sie würden in die Schweiz gebracht, und von dort nach Paraguay. So waren die Zugwaggons auch normale Passagierwaggons, um den wahren Ankunftsort zu verschleiern. Gleichzeitig gab es in Bergen-Belsen schon zahlreiche Gerüchte über die Vernichtungslager im Osten. In Auschwitz-­Birkenau angekommen, wurden die Frauen des Transports zur Gaskammer geführt und aufgefordert, sich für die anstehende Desinfektion auszuziehen. Anschließend würde die Reise weitergehen.

Doch Franceska Mann glaubte den Deutschen nicht. Was genau geschah, ist heute nicht mehr im Detail zu entschlüsseln. Aus Berichten überlebender jüdischer Sonderkommandohäftlinge ist aber die folgende Geschichte am wahrscheinlichsten: Franceska Mann begann sich auszuziehen, wie die anderen Frau auch. Sie tat dies aber so langsam, dass sie den bewachenden SS-Männern auffiel. In einem Überraschungsangriff gelang es der fast völlig entkleideten Frau, den SS-Oberscharführer Walter Quakernack mit ihrem Schuh anzugreifen und ihm die Pistole zu entreißen. Durch drei Schüsse aus dieser Pistole verletzte sie den SS-Oberscharführer Wilhelm Emmerich am Bein und den wegen seiner Brutalität und Unmenschlichkeit gehassten SS-Oberscharführer Josef Schillinger im Bauch. Andere Frauen schlossen sich der Revolte gegen die Vernichtung an und griffen SS-Wachen mit bloßen Händen an. Diese flohen panisch und verschlossen von außen die Türen. Schillinger starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Der Aufstand wurde schnell niedergeschlagen. Die SS holte Verstärkung und trieb die Frauen mit Maschinengewehren und Handgranaten von dem Auskleidesaal in die Gaskammer, wo keine von ihnen überlebte.

Auch wenn der Aufstand heute hoffnungslos erscheint, so gab er doch den anderen Gefangenen von Auschwitz Hoffnung. Der Auschwitz-Überlebende Wieslaw Kielar schrieb nach dem Krieg: „Das Ereignis sprach sich im Lager schnell herum und wurde eine Legende. Ohne Zweifel bewirkte diese heroische Tat einer schwachen Frau im Angesicht des sicheren Todes eine moralische Unterstützung von jedem Gefangenen. Plötzlich realisierten wir alle: Sie [die Deutschen] waren auch sterblich!

Zu Ehren Manns wurde 2019 in Jerusalem eine neue Ballettaufführung inszeniert: „Franceska Manns letzter Tanz in Auschwitz“. Diese Aufführung und die begleitende Berichterstattung machten den heroischen Widerstand von Franceska Mann wieder einem breiteren Publikum bekannt. Im Februar 2020 wäre Franceska Mann 103 Jahre alt geworden.