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Flucht in die Illegalität

Einleitung

Das Einwanderungsgesetz ist erst einmal auf Eis gelegt. Doch einzelne Elemente des Gesetzentwurfes, die gegen Flüchtlinge gerichtet sind, sind schon jetzt vielfach Praxis. Dazu gehört die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Errichtung von sogenannten »Ausreisezentren« für Flüchtlinge.
Hinter dem Begriff »Ausreisezentrum« verbergen sich keineswegs freundliche Hotelzimmer mit Blick auf den Schwarzwald oder andere touristische Sehenswürdigkeiten. Es sind vielmehr Sammellager für Flüchtlinge, in denen Trostlosigkeit, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit bewußt kalkulierte Bausteine des staatlichen Abschreckungsprogramms darstellen. »Ausreisezentren« existieren derzeit u.a. in Ingelheim in Rheinland-Pfalz,in Braunschweig und Bramsche in Niedersachsen, im bayerischen Fürth und in Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Die Betroffenen sollen durch sozialen und psychischen Druck zur Mithilfe an ihrer eigenen Abschiebung oder zur sogenannten »freiwilligen Ausreise« gezwungen werden.

Bild: attenzione-photo.com

Soziale Isolation

Die Lage der Ausreisezentren ist von vornherein durch ein Maximum an sozialer Isolation gekennzeichnet: Außerhalb der Städte, in Wäldern gelegen, existiert meistens kaum eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, dessen Fahrkarten sich die Betroffenen ohnehin nicht leisten können. Lange Fußmärsche in die nächstgelegene Stadt gehören so zum Lageralltag. Die Residenzpflicht, die für alle Asylsuchenden gilt, ist für BewohnerInnen der Ausreisezentren weiter verschärft worden. Teilweise müssen sie sich täglich melden; in Halberstadt dürfen sie das Stadtgebiet nicht verlassen. Auch die minimalen Leistungsansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind für die Betroffenen außer Kraft gesetzt. Sie erhalten nicht einmal mehr das minimale Taschengeld von 40 Euro monatlich, sondern werden »vollverpflegt«. Das heißt, dass sie drei Mal am Tag Fertignahrung aus einer zentralen Lagerküche erhalten, die sie mangels eigenem Geld nicht durch Einkäufe ergänzen können. Der Geldmangel hat noch eine weitere gravierende Folge: Die Flüchtlinge können ihre RechtsanwältInnen nicht mehr bezahlen. Sie sind damit entweder von jeglicher rechtlichen Vertretung gegenüber den deutschen Behörden ausgeschlossen oder auf kostenlose Rechtsberatung angewiesen. Die Aufnahme einer Arbeit und der Besuch von Deutschkursen ist verboten. In Niedersachsen berichteten Flüchtlinge, dass ihre letzten Habseligkeiten wie Handys oder Bargeld beschlagnahmt wurden.

Betroffen sind alle Flüchtlinge

Der Kreis derjenigen, die von den kommunalen Ausländerbehörden in die Ausreisezentren eingewiesen werden, erweitert sich ständig. Eine große Gruppe stellen Flüchtlinge aus afrikanischen Bürgerkriegsstaaten wie Sierra Leone oder Liberia, in die wegen der Kriege niemand abgeschoben werden kann. Den Betroffenen unterstellen die Behörden, sie würden ihre wahre Identität verschleiern und die Herkunftsländer Sierra Leone oder Liberia nur deshalb angeben, weil sie wüssten, dass Abschiebungen dorthin ausgesetzt seien. Wer im Ausreisezentrum Halberstadt landet, muss deshalb immer wieder Zwangsvorführungen und Sprachtests über sich ergehen lassen: Botschaftsangehörige verschiedener afrikanischer Staaten reisen nach Halberstadt und sollen dann erklären, ob die Flüchtlinge aus ihren Staaten kommen. Sogenannte »Experten« beim Bundesamt für Ausländische Flüchtlinge prüfen derweil die Muttersprache der Flüchtlinge. Bleibt das ergebnislos, sollen scheinbar neutrale Personen wie SozialarbeiterInnen oder ÜbersetzerInnen sich das Vertrauen der Flüchtlinge erschleichen und sie über ihre »wahre« Herkunft ausfragen. Zimmerdurchsuchungen oder das Lesen persönlicher Briefe – alles unter dem Vorwand, die »Identitätsverschleierung« aufzuklären – sorgen für knastähnliche Zustände. Das ist auch ausdrücklich erwünscht: So erklärte der Leiter der »Clearingstelle Rheinland-Pfalz für Flugabschiebungen und Passbeschaffung« ganz offen, dass »Ausreisepflichtige damit in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt werden sollen«. Ausländerbehörden in Sachsen-Anhalt nutzen die Einweisung ins »Ausreisezentrum« Halberstadt – eine Etage mit 100 Plätzen innerhalb des umzäunten Kasernenkomplexes, der als »Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber« (ZAST) des Landes dient – auch, um politisch aktive und daher missliebige Störer aus den kleineren Heimen loszuwerden. In Niedersachsen werden auch Familien und Frauen mit Kleinkindern sowie kranke Flüchtlinge ins Abschiebelager geschickt. Hier begründen die Behörden dabei die Einweisung in einem Standardbrief mit den Sätzen: »... dass Sie Ihren Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln bestreiten und dadurch über Ihren unrechtmäßigen Aufenthalt hinaus eine besondere Belastung für das Land darstellen.«(Taz vom 30.9.2002, »Letzter Stopp vor der Ausreise«) Die Behörden nutzen dabei den Umstand aus, dass zur Einweisung ins Ausreisezentrum keinerlei gerichtliche Entscheidung notwendig ist. Denn die Ausreiselager sind keine Abschiebeknäste. Der vollständige Entzug der Bewegungsfreiheit durch Abschiebehaft darf nur durch einen Richter angeordnet werden, und die Behörden müssen nachweisen, dass sich die Betroffenen einer Ausreise entziehen wollen. Ausdrücklich nicht verhängt werden darf Abschiebehaft als »Beugehaft« – also, um die Betroffenen zur Preisgabe ihrer Identität oder zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu zwingen. Auch wenn das in der Praxis häufig genug geschieht und die Einzelrichter, die Abschiebehaft verhängen, Haftbefehle am Fließband ausstellen. Doch während Abschiebehaft auch durch Richter wieder aufgehoben werden kann, ist der Aufenthalt im Ausreisezentrum nicht zeitlich begrenzt. Auch das ist Methode: Die Flüchtlinge wissen, dass sich ihre Lebenssituation nicht mehr verbessern wird und am Ende ihres Aufenthalts in diesen Lagern eben die erzwungene »Ausreise« steht. Selbst wenn sie ausreisen »wollen«, weil sie die Situation nicht länger ertragen, sind sie mit Botschaften von Staaten wie Indien oder Vietnam konfrontiert, die sich zur Ausstellung von sogenannten Passersatzpapieren oder Pässen häufig länger als ein Jahr Zeit lassen.

Letzer Ausweg: Flucht in die Illegalität

In der Öffentlichkeit erklären Politiker gerne, mithilfe der Ausreisezentren solle die Rückkehrbereitschaft, Ausreise oder Abschiebung »gefördert« werden. Die Zahlen sprechen allerdings eine andere Sprache. In Sachsen-Anhalt, wo das »erfolgreiche Modellprojekt« seit Anfang 2002 eingeführt und zum Jahreswechsel 2002/2003 um ein weiteres Jahr verlängert wurde, wurden gerade einmal drei von derzeit 58 Insassen des »Ausreisezentrums« zur unfreiwilligen Ausreise bewegt. In Ingelheim sind von den insgesamt 174 Menschen, die in die dortige »Landesunterkunft für Ausreisepflichtige« verlegt wurden, fünf Menschen »freiwillig« ausgereist, fünf weitere wurden abgeschoben, darunter ein schwer kranker Mann aus Indien, der wenige Wochen nach der Abschiebung in Indien starb. Pro Asyl schätzt, dass bundesweit – je nach Lager – zwischen fünf und 17 Prozent der Betroffenen »freiwillig« ausreist oder abgeschoben wurde. Rund die Hälfte der Betroffenen entzieht sich den menschenunwürdigen Lebensbedingungen durch die Flucht in die komplette Illegalität. Ein von den Behörden durchaus gewünschter Effekt. Denn in die Illegalität getriebene Flüchtlinge »beantragen zumindest keine Leistungen beim Sozialamt«, so das niedersächsische Innenministerium im September 2001. Sollte das Zuwanderungsgesetz irgendwann im Laufe dieses Jahres doch noch verabschiedet werden, droht die Einrichtung weiterer »Ausreisezentren« für tausende von Menschen. Ein Aspekt, der nicht mehr länger ignoriert werden darf.