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EU-Asylrechtspolitik

Marei Pelzer
Einleitung

Neue Dublin-Verordnung: Kein Systemwechsel in Sicht

Im Juni 2013 wurden verschiedene Rechtsakte vom Europäischen Rat (7. Juni) und Parlament (12. Juni) beschlossen, darunter die neue Dublin-Verordnung. Sie ersetzt die bestehende Dublin-II-Verordnung. Wie ihre Vorgängerin regelt sie die Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten für Asylverfahren. Statt eines Systemwechsels bleibt es hier beim Alten: Zuständig sind primär die EU-Randstaaten, wo Asylsuchende erstmals EU-Territorium erreichen. In Details konnten Verbesserungen erreicht werden.
 

Foto: Libertinus (CC BY-SA 2.0)

Im Zentrum der Auseinandersetzung stand der Vorschlag der Kommission, eine Aussetzungsklausel für Überstellungen in die neue Verordnung aufzunehmen. Mit dieser Klausel wollte die Kommission ein Instrument einführen, mit dem auf Krisensituationen, wie sie seit 2007 für Griechenland offensichtlich sind, reagiert werden kann. Die Klausel sollte erlauben, Überstellungen in einen Mitgliedstaat für — zunächst — ein halbes Jahr auszusetzen, wenn dort das Asylsystem zusammengebrochen und für Asylsuchende kein ausreichender Schutz zu finden ist. Dieser Vorschlag wurde im Lauf der Verhandlungen sehr intensiv diskutiert. Allerdings wurde er im Rat dermaßen von mächtigen Mitgliedstaaten bekämpft, dass er schließlich zurückgezogen worden ist. Stattdessen hat man sich auf ein eher unverbindliches sogenanntes Frühwarnsystem geeinigt.

Anwendungsbereich (Artikel 1)

Der Anwendungsbereich der Verordnung ist deutlich ausgeweitet worden. Bisher war sie nur anwendbar, wenn ein Antrag auf Asyl gestellt worden war. Künftig wird sie auch dann anwendbar sein, wenn ein Antrag auf subsidiären Schutz gestellt wird. (Anm. d. Red.: Subsidiärer Schutz gilt in Fällen schwerwiegender Gefahren für Freiheit, Leib oder Leben, bei denen das Asylrecht nicht greift.) Die Möglichkeit, der Anwendung des Dublin-Verfahrens zu entgehen, indem der Antrag auf subsidiären Schutz reduziert wird, ist damit künftig ausgeschlossen.

Überstellungsverbot bei systemischen Mängeln (Absatz 2)

In Umsetzung der Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) in Luxemburg vom 21. Dezember 2011 wird ausdrücklich geregelt, dass keine Überstellung in einen Mitgliedstaat erfolgen darf, wenn den Asylsuchenden dort Menschenrechtsverletzungen drohen. Vorausgesetzt wird konkret, dass in einem anderen Mitgliedstaat das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufweisen, die eine Gefahr der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.

Recht auf Information (Artikel 4)

Neu geregelt werden bestimmte Verfahrensrechte, deren Nichtbeachtung in der Vergangenheit zu großen Problemen in der Praxis geführt hat. Zum Beispiel werden Asylsuchende regelmäßig nur unzureichend informiert. In der Neufassung der Verordnung ist vorgesehen, dass der Asylsuchende einen Anspruch auf Information hat, sobald der Antrag auf Schutz gestellt worden ist. Dabei soll umfassend über das Dublin-Verfahren, dessen Kriterien und weitere Aspekte informiert werden.

Persönliches Gespräch (Artikel 5)

Garantiert ist ebenso die Durchführung eines persönlichen Gesprächs — also eine Anhörung zu Aspekten des Dublin-Verfahrens. Diese Anhörung hat zeitnah zu erfolgen. Für Deutschland stellt diese Regelung eine Verbesserung dar. Bisher entfiel eine solche Anhörung vollständig, wenn sich Asylsuchende in Haft befanden. Fand eine Anhörung statt, so in der Regel nicht mit dem Ziel, einer umfassenden Aufklärung zu möglichen Gründen, warum eine andere Zuständigkeit, etwa aus humanitären Gründen, als die des Einreisestaates vorliegen könnte.

Garantien für Minderjährige (Artikel 6)

Ein wichtiges Ziel der Kommission war es, den Schutz von Minderjährigen zu stärken. In den Erwägungsgründen wird hervorgehoben, dass bei der Anwendung der Verordnung durch die Mitgliedstaaten das Wohl des Kindes im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention und mit der Grundrechte-Charta zu gewährleisten ist (Erwägungsgrund 13). Dementsprechend legt Artikel 6 der Verordnung fest, dass das Kindeswohl in allen Verfahren nach dieser Verordnung vorrangig sein soll. Weiter ist geregelt, dass unbegleitete Minderjährige von einer/m Vertreter_in vertreten oder unterstützt werden. Die/der Vertreter_in muss dabei über eine entsprechende Qualifikation und Fachkenntnisse verfügen. Zugleich wird das Recht der Vertreter_in auf Akteneinsicht garantiert. Die neue Verordnung greift auf, dass allein in der Europäischen Union umherirrende Minderjährige oft zu wenig dabei unterstützt werden, in anderen Mitgliedstaaten befindliche Verwandte zu erreichen. Um die Minderjährigen besser zu unterstützen, schreibt die Verordnung vor, dass die Mitgliedstaaten eng miteinander kooperieren und der Möglichkeit der Familienzusammenführung gebührend Rechnung tragen. Der Mitgliedstaat soll zu diesem Zwecke Ermittlungen anstellen. Ausdrücklich ermuntert die Verordnung dazu, auch die Suchdienste von internationalen Organisationen in Anspruch zu nehmen.

Zustellung des Zuständigkeitsbescheides (Artikel 26)

Die Zuständigkeitsentscheidung muss den Betroffenen künftig verpflichtend zugestellt werden. Auch dies war in Deutschland nicht immer der Fall. In der Regel wurde der Bescheid erst am Tag der Abschiebung überreicht, sodass Rechtsmittel kaum noch möglich waren. Handelte es sich um Fälle, in denen Asylsuchende im grenznahen Raum aufgegriffen worden waren, so wurde ihnen bei Abschiebungen in der Regel, abgesehen von der sofortigen Zurückweisung, kein eigener Zuständigkeitsbescheid ausgehändigt. Diese Praxis wird in Zukunft nicht mehr zulässig sein.

Rechtsmittel (Artikel 27)

Die neue Verordnung regelt erstmals die Garantie für einen einstweiligen Rechtsschutz. Jede_r Asylbewerber_in hat das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel. Dabei wird es den Mitgliedstaaten überlassen, zwischen drei Varianten von unterschiedlich stark ausgestalteten Rechtsmitteln zu wählen. Die beste Option wäre eine automatische Aussetzung der Überstellung, solange noch nicht rechtskräftig über alle Rechtsmittel entschieden worden ist. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich bereits im Vorgriff auf die neue Verordnung für die schwächste Variante des Rechtsschutzes entschieden: Innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Dublin-Bescheides muss die/der Asylbewerber_in einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen, um zu erreichen, dass das Gericht prüft, ob die Abschiebung einstweilig auszusetzen ist. Dies stellt für die deutsche Situation einen großen Fortschritt dar, der erst unter dem Zwang des neuen Unionsrechtes in Deutschland durchgesetzt werden konnte.

Inhaftierung (Artikel 28)

Es wird ein neuer Haftgrund für Dublin-Verfahren eingeführt für den Fall, dass eine „erhebliche Fluchtgefahr“ besteht. Es muss allerdings eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden und die Haft muss verhältnismäßig und so kurz wie möglich sein. Wird während des Dublin-Verfahrens inhaftiert, so verkürzen sich die Fristen zur Durchführung des Dublin-Verfahrens. Der ersuchende Staat muss innerhalb eines Monats das Übernahmeersuchen stellen, der ersuchte Staat muss innerhalb von zwei Wochen antworten, sonst gilt, „Wer schweigt, stimmt zu“. PRO ASYL befürchtet, dass die Mitgliedstaaten im Zentrum der EU das beschleunigte Verfahren für inhaftierte „Dubliners“ als Einladung ansehen, noch schneller und häufiger zu inhaftieren.

Der gläserne Flüchtling

Grundlage für die Wirksamkeit der Dublin-Verordnung ist die zentrale Fingerabdruckdatei Eurodac. In ihr sollen alle neu einreisenden Flüchtlinge erfasst werden. Auch diese Verordnung wurde neu geregelt. Mit der Neufassung sollen nun auch Polizei und andere Sicherheitsbehörden Zugriff auf diese Datenbank haben. So werden Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt. Datenschutzrechtlich ein Skandal.

ÜBER DIE AUTORIN:
Marei Pelzer ist juristische Referentin bei PRO ASYL, Frankfurt/Main. Gekürzte Fassung aus: Der Schlepper Nr. 65/66 — Gemein­sames Heft der Flüchtlingsräte — August 2013, S. 38ff.