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Ernst Nolte und der Holocaust

Dr. Gerd Wiegel
Einleitung

Im Zentrum des 1986 geführten Historikerstreits stand mit dem Historiker Ernst Nolte eine schillernde Figur der bundesdeutschen Historiographie. Als Quereinsteiger und Außenseiter des Faches war es Nolte mit seinen Arbeiten zum deutschen Faschismus mehrfach gelungen, neue und unkonventionelle Blicke auf den Gegenstand seiner Forschung zu werfen. Dabei bekam er zunächst Applaus aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Für die Verwendung des Faschismusbegriffs in seinem ersten großen Werk »Der Faschismus in seiner Epoche« von 1963 wurde er von der Linken geschätzt, seine am Totalitarismusmodell orientierte Relativierung deutscher Verbrechen brachte ihm Applaus von rechts. Politisch war Nolte immer eindeutig auf der Rechten zu verorten, was sich schon in seinen frühen politischen Aktivitäten gegen die marxistisch orientierte so genannte Marburger Schule an der Universität in Marburg zeigte. Unverkennbar ist jedoch eine Radikalisierung seiner eigenen Position, die ihn in den neunziger Jahren schließlich in die Nähe der Holocaustleugnung führte.

Foto: juelich/ip–photo.com

Die FAZ veröffentlichte 1986 Noltes Neuinterpretation der nationalsozialistischen Judenvernichtung

Mit dieser Radikalisierung katapultierte er sich aus dem Zentrum eines konservativen geschichtspolitischen Vorstoßes, als der der Historikerstreit begriffen werden muss, in eine randständige Position. Anders als bei vielen Adepten Noltes, die einer in den neunziger Jahren zeitweilig aufstrebenden »Neuen Rechten« zuzurechnen sind, handelt es sich bei Nolte um einen rechtskonservativen Intellektuellen von unbestreitbarem intellektuellen Format, an dessen Thesen sich die aufgeklärte Linke immer gerieben hat.

Mit seinen Büchern »Der Faschismus in seiner Epoche« (1963), »Deutschland und der Kalte Krieg« (1974) und »Marxismus und industrielle Revolution« (1983), beansprucht Nolte eine Trilogie der modernen Ideologien geschrieben zu haben. Die dem Historikerstreit folgenden Bücher »Der Europäische Bürgerkrieg 1917–1945«, »Streitpunkte« (1993) und »Historische Existenz« (1998) behandeln alle den Vergleich von Faschismus und Bolschewismus und führen damit die Kontroversen des Historikerstreits fort.

Nolte beansprucht für sich, eine konsistente wissenschaftliche Position von Anfang an vertreten zu haben, die Kontroversen um seine Arbeiten seien Ausdruck einer Linksverschiebung der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik. Ein genauer Blick auf seine Arbeiten zeigt jedoch, dass sich hier deutliche Radikalisierungen und Akzentverschiebungen ausmachen lassen, die im Folgenden an wenigen, vor allem auf seine Wertung des Holocaust bezogenen Punkten illustriert werden sollen.

Noltes bekanntes und im Historikerstreit geäußertes Verdikt, der Holocaust habe sein logisches und faktisches Prius im stalinschen Gulag, sei also ein sekundäres, abgeleitetes Phänomen, erscheint in seinem Werk nicht voraussetzungslos, wenngleich es eine deutliche Umwertung früherer Ansichten ist. In »Der Faschismus in seiner Epoche« betont Nolte die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenmorde, die er hier noch für unvergleichlich hält. Hitlers Rassenantisemitismus wird auf Gobineau, Lapouge und H.S. Chamberlain zurückgeführt, womit der Holocaust in eine eigenständige historische Tradition gestellt wird.

Eine erste Umwertung dieser Sichtweise nimmt Nolte in »Deutschland und der Kalte Krieg« vor. Dem kommunistischen Feindbild »Kapitalismus« wird auf nationalsozialistischer Seite der Antisemitismus gegenübergestellt. Nicht mehr die Unterschiede, sondern die Gleichartigkeiten werden betont. Nolte spricht hier davon, dass Antisemitismus und Holocaust »in der richtigen Perspektive gesehen - nichts anderes war als der zweite und ohne den ersten nicht verständliche, dabei um vieles irrationalere und gleichwohl auf entsetzliche Weise modernere Versuch, Probleme, die mit der Industrialisierung zusammenhängen, durch die Beseitigung einer großen Menschengruppe zu lösen.« Gekappt wird hier die spezifische deutsche Tradition des Antisemitismus, und an ihre Stelle rücken die allgemeinen Probleme der Industrialisierung. Warum diese »Probleme« gerade in Deutschland zum Holocaust führten, wird nicht begründet.

Ein weiterer Schritt zur Relativierung deutscher Schuld am Holocaust findet sich in einem 1980 vor der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung gehaltenen Vortrag. Neben dem eingeschränkt positiven Bezug Noltes auf A.J.P. Taylor und David Hoggan, die sich in den sechziger Jahren mit der Leugnung deutscher Kriegsschuld hervortaten, bezieht er sich hier auf eine These David Irvings – der damals noch kein bekennender Neofaschist war –, die er sich zu eigen macht: Die Äußerung Chaim Weizmanns, des damaligen Vorsitzenden des Jüdischer Weltkongresses, von 1939, die Juden würden an der Seite Englands kämpfen, käme es zum Krieg, habe Hitler dazu berechtigt, die deutschen Juden als Kriegsgefangene zu betrachten und sie zu internieren. Diese von Nolte übernommene Sichtweise, die er auch im Historikerstreit 1986 vertrat, erinnert in fataler Art und Weise an klassische Formen der Schuldumkehrung, wie sie von neofaschistischer Seite vorgebracht werden.

Mit dem dem Historikerstreit folgenden Buch »Der europäische Bürgerkrieg« verabschiedete sich Nolte endgültig von Bewertungen, wie sie noch im »Faschismus in seiner Epoche« vorlagen. Die Eigenständigkeit des Holocaust geht nun völlig im Schreck- und Vorbild des Bolschewismus auf, die Gaskammern werden zur technischen Innovation. Der auf den Holocaust bezogene Begriff »Genozid« wird von Nolte in einer Weise ausgeweitet, die Hans Mommsen zu der Vermutung kommen lässt, Nolte wolle »die fundamentale Bedeutung der mit dem Begriff Auschwitz verknüpften systematischen Vernichtung des europäischen Judentums herunterspielen.« So erscheint der alliierte Bombenkrieg als »unverhüllt genozidal«, der so genannte Bromberger »Blutsonntag« als »tendenzieller Genozid«. Funktion dieser Begriffsausweitung ist die relativierende Einebnung des faschistischen Genozids, der so nur noch als einer unter vielen erscheint.

Im »Europäischen Bürgerkrieg« bezieht sich Nolte erstmals positiv auf bekannte Holocaustleugner und Neofaschisten, deren Schriften und Arbeiten er durchaus ehrenwerte Motive unterstellt und mit denen sich die Wissenschaft befassen müsse: so will er ernsthaft über die These, die z.B. die Existenz der Wannsee-Konferenz bestreitet, diskutieren, womit Nolte sich den zweifelhaften Verdienst erworben hat, als erster anerkannter Wissenschaftler die Holocaustleugnung in den Rang diskutierbarer Ansichten gehoben zu haben.

Dieser letzte Punkt wird in den »Streitpunkten« von 1993 weiter zugespitzt. Die Position, das neofaschistische Schrifttum könne als unwissenschaftlich ignoriert werden, verwirft er und fordert die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Holocaustleugnern, denen er im Gegensatz zu den etablierten Forschern eine größere Beherrschung und Kritik des Quellenmaterials unterstellt. Im Verbot der Holocaustleugnung sieht er einen Anschlag auf die Wissenschaft, womit er sich auf ein Urteil gegen den NPD-Vorsitzenden Deckert bezog, der für die mehrfach wiederholte öffentliche Leugnung des Holocausts zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Nolte sieht also im Vorgehen gegen aktive Neofaschisten eine Behinderung der Wissenschaft.

Ohne selbst zur aktiven Leugnung überzugehen, versucht Nolte mittels Fragen, gesicherte Ergebnisse der Wissenschaft in Zweifel zu ziehen und so eine Relativierung dieses wichtigen faschistischen Verbrechens zu betreiben. Für ihn typisch, antwortet er auf die Frage im Spiegel-Interview von 1994, ob er Zweifel an der gezielten Massenvernichtung der Juden durch Gas habe: »Das ist ein besonders heikler Punkt. Ich kann nicht ausschließen, daß die meisten Opfer nicht in den Gaskammern gestorben sind, sondern die Zahl derer vergleichsweise größer ist, die durch Seuchen zugrunde gingen oder durch schlechte Behandlung und Massenerschießung. Ich kann nicht ausschließen, daß die Untersuchung der Gaskammern auf Blausäurespuren, die der amerikanische Ingenieur Fred Leuchter als erster vorgenommen hat, wichtig ist.«

Nun könnte man die hier aufgezeigten Entwicklungen im Werk Ernst Noltes als Ausdruck des Abdriftens eines Einzelnen in die Nähe der neofaschistischen Holocaustleugnung ansehen, doch ganz so isoliert scheint mir der Fall Nolte nicht zu liegen. Sieht man sich die Bruch- und Umschlagpunkte die ich skizziert habe an, dann lassen sie sich mit politischen Entwicklungen verbinden, die für Noltes Werk und dessen Veränderungen generell, nicht nur in Bezug auf den Holocaust, wichtig sind. Die erste deutliche Akzentuierung nach rechts erfolgt 1974 und sie kann als Reaktion auf die Linksverschiebung innerhalb der Faschismusforschung, aber auch auf Noltes persönliche Erfahrung im Zuge der Studentenbewegung 1968 in Marburg zurückgeführt werden. Der marxistischen Faschismustheorie wird eine »genetische« Totalitarismustheorie entgegengesetzt, die beide Totalitarismen nicht mehr auf eine Stufe stellt, sondern in ein historisches Abhängigkeitsverhältnis setzt.

Die weiteren Zuspitzungen dieser Sichtweise in den achtziger Jahren fallen mit zwei Momenten zusammen: Einerseits erscheint die Politik der Stärke des Westens gegenüber den realsozialistischen Staaten nicht mehr ohne weiteres konsensfähig, verwiesen sei hier nur auf die breiten Proteste der Friedensbewegung. Andererseits bedurfte die von der konservativen Regierung vorangetriebene Renationalisierung einer Entlastung auch des historischen Bewusstseins, d.h. einer Relativierung der herausgehobenen Bedeutung des Faschismus. Für beide Bedürfnisse, deutlicher jedoch für die Untermauerung des Feindbildes im Osten, ließ sich Nolte gut gebrauchen, weshalb seine Position im Historikerstreit auch von Fest bis Hildebrandt verteidigt wurde.

Der nationalistische Schub von 1989/90 hat jedoch, wenn man so will, auch zu einer Übersteigerung der Nolteschen Zuspitzungen geführt. Seine weiter betriebene Annäherung an die neofaschistische Holocaustleugnung hat ihn beim etablierten Konservatismus in Ungnade fallen lassen. Gerade seine Position und Darstellung zum Holocaust brachte ihm scharfe Kritik auch durch die FAZ ein, und Positionen, die nicht weit von denen von 1986/87 entfernt sind und damals viel Lob fanden, werden nun verworfen. Nolte selbst reflektiert diese Veränderungen im Nachwort seines 1995 erschienenen Buches »Die Deutschen und ihre Vergangenheit« auf seine Art. Einen scharf gegen ihn gerichteten FAZ-Kommentar anläßlich seines Fernsehauftritts zur Diskussion um den Film »Schindlers Liste« wertet er als Bruch und Ausdruck der political correctness der FAZ.

Einen weiteren Grund vermutet er in »Einflußnahmen im Hintergrund« und kommt dann unweigerlich auf Ignatz Bubis und dessen Aussagen gegen ihn zu sprechen. Eine andere Erklärung, als dass »der Jude« ihn aus der FAZ gedrängt haben könnte kommt ihm offensichtlich nicht.
Mit der in den neunziger Jahren durchgesetzten Anerkennung des Holocaust als negativer Staatsraison und der gleichzeitigen Etablierung einer »Parallelerzählung«, in der es vor allem um eine deutsche Opfergeschichte im Zusammenhang mit dem alliierten Bombenkrieg und den Vertreibungen im Osten geht, hat sich die Noltesche Art des Revisionismus als nicht mehr funktional erwiesen. Dennoch wird ihm aus konservativen Kreisen nach wie vor Referenz erwiesen. Mit der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises der konservativen Deutschlandstiftung im Jahr 2000 hat auch der etablierte Konservatismus seinen stillen Frieden mit Nolte geschlossen.