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Ermittlungen gegen Antifaschist_innen in Sachsen

Einleitung

Ende Mai 2021 war es offiziell: Im „Fall Lina“ klagt die Bundesanwaltschaft vier Beschuldigte vor dem Oberlandesgericht Dresden an. In den Wochen zuvor wurden Medien aus der Springer-Verlagsgruppe und ein rechtes Magazin mit Ermittlungs-­Details unter anderem zu der vermeintlichen „kriminellen Vereinigung“ aus Leipzig gefüttert.

Im Kern geht es um den Vorwurf, deren Mitglieder hätten eine gleiche politische Ideologie geteilt und aus dieser heraus gemeinsam Straftaten gegen Neonazis geplant oder umgesetzt. Lina befindet sich seit November 2020 in Untersuchungshaft, drei Mitangeklagte sind auf freiem Fuß. Im Zwischenverfahren muss das OLG Dresden nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt und die Hauptverhandlung eröffnen wird. Die Verteidigung von Lina geht davon aus, dass sich ein erheblicher Teil der Vorwürfe nicht belegen lassen wird. Dennoch wurden Details zu den Vorwürfen, Fotos aus den Ermittlungsakten und exklusive „Hintergrundinformationen“ vorab mit entsprechendem Gruselfaktor und Clickbaiting-Teasern an eine rechte Leser_innenschaft verkauft. Eingebettet war die Berichterstattung in die Ankündigung, eine „linkes Netzwerk“ hinter den Vorfällen aufzudecken.

LKA und Neonazis ermitteln gemeinsam?

Das Landeskriminalamt (LKA) aus Sachsen – bekannt für Munitionsverlust und scheinbar mangelnde Distanz zur rechten Szene – verwendete in mehreren Ermittlungsverfahren Recherchematerial über vermeintliche Linksextreme, das ihnen aus dem Umfeld lokaler Neonazis übergeben wurde. Diese Verfahren standen mit den „helfenden“ Neonazis in keinerlei Bezug. Die Zeitschrift „Kreuzer Leipzig“ berichtete Mitte Mai 2021 über die fragwürdigen Arbeitsmethoden der umstrittenen „Soko LinX“1 .

Dazu passt: Bereits Anfang Mai 2021 wurde dem extrem rechten Magazin „Compact“ vom Landgericht Leipzig untersagt, öffentlich falsche Darstellungen über im Verfahren Unbeteiligte unter dem Titel: „EXKLUSIV: Antifas im Knast: Wie Medien aus linken Terroristen Justizopfer machen wollen“ zu verbreiten2 . Um das zu verhindern hatten die Herausgeber die teils vorbestraften Neonazis Felix F. und Enrico Böhm als Zeugen ins Verfahren eingeführt. Erfolglos: Die vage gehaltenen eher pauschalen Erinnerungen, die ihnen über Dritte „vom Hörensagen“ zu Ohren gekommen sein sollen, überzeugten das Gericht nicht. Der Szene-Anwalt Frank Hannig aus Dresden brachte dazu einen Informationsaustausch zwischen einem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Regis-Breitingen (in der Felix F. eine Haftstrafe verbüßte), einem sächsischen LKA-Ermittler (der mit dem NPD-Mann Enrico Böhm befasst war) und den Neonazis ins Spiel.

Dass „passende“ Ermittlungsergebnisse im „Fall Lina“ von Ermittlern gezielt und strategisch an bestimmte „Hofjournalisten“ („Die Welt“) durchgestochen wurden, war bereits offensichtlich. Dass nun auch noch solche Kontakte zu Neonazis eidesstattlich bezeugt wurden, war hingegen erstaunlich. Gegen den  dadurch belasteten LKA-­Beamten musste ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Die Journalisten Aiko Kempen und Edgar Lopez berichten bei „Kreuzer Leipzig“ dazu weiter: „Seit 2018 verwendet das LKA Sachsen in mehreren Ermittlungsverfahren Material über vermeintliche Linksextreme, das ihnen aus dem direkten persönlichen Umfeld des Ex-NPD-Politikers Enrico Böhm übergeben wurde (...)“. Die Rede ist von einem 14-seitigen Dossier mit Namen, Fotos und Personenbeschreibungen. Über eine Ermittlungsakte gegen einen Neonazi sei einer Bekannten von Böhm eine private Handy­nummer in die Hände gefallen. Über diese seien dann Profilbilder aus Messenger-­Diensten und Informationen in sozialen Netzwerken recherchiert und gesammelt worden. Bilder, welche die Ermittlungsbehörden der sächsischen Polizei noch Jahre später eifrig nutzen.

Unschuldig verfolgt seit acht Jahren

Die Leipziger Zeitung (LZ) berichtet im Printheft und auf „L-IZ.de“ über einen älteren Ermittlungsfall gegen einen antifaschistischen Fußballfan. Der Ablauf ist ähnlich wie im „Fall Lina“: Ende April 2021 wird die Wohnung eines Mitarbeiters der Stadtverwaltung vom LKA Sachsen wegen des Vorwurfs „Landfriedensbruch“ durchsucht. Der Hintergrund: 2019 wurden am Bahnhof Neukieritzsch rechte Auswärtsfans des „1. FC Lokomotive Leipzig“ in der Regionalbahn mit Pyrotechnik beworfen, eine Person erlitt ein „Knalltrauma“. Doch der ehemalige Geschäftsführer des als links geltenden Fußballvereins „BSG Chemie Leipzig“ steht bereits seit 2013 im Fokus der Ermittler3 . Deren Vermutung: Er soll mit Gleichgesinnten Neonazis verprügelt haben.

Seine erfolglose polizeiliche Überwachung wird zu einem grandiosen Fehlschlag des LKA Sachsen. Zwei förmliche Beanstandungen des Datenschutzbeauftragten des Landes Sachsen gegen das LKA wegen der Verletzung von Verfahrensregelungen bei der Telekommunikationsüberwachung sowie der Staatsanwaltschaft Dresden wegen Verstößen gegen die gesetzliche Löschpflicht von Aufnahmen der privaten Lebensgestaltung waren die Folge. 4  Konsequenzen für die verantwortlichen Ermittler, Staatsanwälte und Richter wurden nicht gezogen, der polizeilich Verfolgte musste aufgrund der Vorgänge in psychotherapeutische Behandlung.

Michael Freitag berichtet in seinem Hintergrundartikel „Unschuldig verfolgt“ (Leipziger Zeitung) in diesem Zusammenhang: Da die LKA-Beamten 2021 auch das Telefon des Beschuldigten beschlagnahmten, gibt seine Lebensgefährtin ihre Mobilnummer als Behördenkontakt an die Ermittler. Am Tag darauf folgen mehrfache anonyme Anrufversuche, bis sie schließlich einen Anruf annimmt: „Henry soll mal bei Compact-­Online schauen5 . Damit wird wieder ein Fall der vermutlichen Behördenkumpanei mit dem Magazin bekannt, welches - aus Behördensicht eigentlich unseriös - vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der höchst aktuelle „Compact-Online“-Beitrag bringt - wie auch bei den anderen Artikeln - vor allem jede Menge Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit.6  

Die Weitergabe erfolgte offenbar exklusiv, etablierte Lokaljournalisten blieben uninformiert. Das laut der LZ „eher rechercheschwache Netz-Magazin“ Compact hat also offenbar Freund_innen in den Behörden. Beim LKA sei dies „unmittelbar nach Kenntniserlangung durch die Soko LinX angezeigt und der Staatsanwaltschaft Leipzig mit der Bitte um Prüfung, ob ein Anfangsverdacht für einen Verstoß gegen § 353b StGB 7  vorliegt, übersandt“ worden, erklärte ein Sprecher gegenüber LZ-Autor Michael Freitag8 .

Wenn die ermittelte Faktenlage bei der Polizei eher dünn ist, nützt dann der rechte Online-Journalismus der eigenen Agenda? Es kommt noch dicker: Am 26. Mai 2021 wird um 22:40 Uhr eine anonyme E-Mail mit dem Betreff „Wichtige interne Informationen“ mit zwei angehängten PDF-Dokumenten an den „Mitteldeutschen Rundfunk“ (MDR) und den Arbeitgeber des Beschuldigten versandt. Die eingescannten Dokumente stammen offenkundig aus dem Mobiltelefon, welches das LKA Sachsen am 28. April 2021 bei ihm beschlagnahmt und ausgewertet hatte. Die vom beschuldigten BSG-Fan zuvor eingescannten und nur auf diesem Handy gespeicherten Dokumente wiesen eindeutige Knickfalze und Abnutzungszeichen am Papier auf. Der Begleittext soll suggerieren, dieser würde sich selbst belasten und enthält den Hinweis: „Bei Fragen sprecht mich gerne an. Ich kann euch bestimmt auch Auskunft über meine Antifa-Genossin Lina E. aus Connewitz geben.“ Ein Indiz führt wieder zum ominösen Verfasser des „Compact-Artikels“: Unterschrieben ist die Fake-E-Mail mit einem Spitznamen für den Beschuldigten, der nur im „Compact“-Text Verwendung fand. Das Fazit des LZ-Artikels fällt eindeutig aus: „Entweder versandte am Mittwoch vergangener Woche ein sächsischer Polizeibeamter über den anonymen Mailservice „Proton“ Inhalte von Henry A.s Mobiltelefon an dessen Arbeitgeber und den MDR. Oder das LKA Sachsen hat ein Scheunentor großes Leck nach rechtsaußen, welches zulässt, dass Dokumente und Unterlagen aus laufenden Ermittlungen weitergereicht und von Personen genutzt werden können, die außerhalb der grundgesetzlichen Rechtsordnung operieren“.9

Zurück zum Verfahren gegen die vier Antifaschist_innen vor dem OLG Dresden. Laut einer im Mai veröffentlichten Pressemitteilung der Verteidigung von Lina ist die Beweislage insgesamt eher dünn, die Konstruktion einer „kriminellen Vereinigung“ wohl so nicht haltbar. Vielmehr entstehe der Eindruck, „die Soko LinX und die Bundesanwaltschaft standen politisch unter Druck, endlich auch einmal Ermittlungen gegen Linke zur Anklage zu bringen. (….) Das Ergebnis ihrer Bemühungen steht aber auf tönernen Füßen“. Sie stellen fest: „Der Kontrast mit tatsächlichem Neonazi-Terror, bei dem die Behörden genauso reflexhaft und unabhängig von der tatsächlichen Beweislage von ‚Einzeltätern‘ sprechen, liegt auf der Hand.