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Ein Rückblick auf den Prozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“

Einleitung

Mitte März 2012 kam es in mehreren Bundesländern zu Durchsuchungen in der Neonaziszene. 24 Neonazis wurden festgenommen und kamen in Untersuchungshaft. Insgesamt wurde zu diesem Zeitpunkt 33 Personen die Mitgliedschaft bzw. die Unterstützung der „kriminellen Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein“ vorgeworfen. Ein Schwerpunkt der Razzia lag auf dem sogenannten „Braunen Haus“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-­Pfalz). Unter den Festgenommenen befanden sich einige bekannte Neonazis wie Christian Häger (späterer JN-Bundesvorsitzender), Sven Skoda (aktueller Bundesvorsitzender "Die Rechte"), Axel Reitz oder Philipp Neumann (Sänger bei FLAK). Über sieben Jahre später, im November 2019, endete die juris­tische Auseinandersetzung, die den Razzien im Jahr 2012 folgen sollte. Ein später medial als „Mammutprozess“ oder auch „Justizposse“ bezeichnetes Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz endete fast still und heimlich überwiegend mit Verfahrenseinstellungen. Ein Zeitpunkt also für einen Blick zurück auf die Entste­hungs­hintergründe, Entwicklungen und Folgen der Causa „Aktionsbüro Mittel­rhein“.

Foto: Christian Ditsch

Der Vorsitzende der NPD-Jugendorganisation Christian Häger als Redner in Berlin.

Die (rheinland-pfälzische) Provinz – strukturelle Nestwärme für Neonazis?

Von einer strukturellen Nestwärme für die regionale Neonaziszene sprach im Frühjahr 2012 ein Bündnis verschiedener antifaschistischer Gruppen aus Rheinland-­Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Eine zutreffende Beschreibung für die lokalen Verhältnisse, die sich schon Jahre vorher an­bahnten. Spätestens seit 2004 traten Neo­nazis des späteren „Aktionsbüro Mittel­rhein“ öffentlich auf. Erst unter dem Label „Aktionsfront“, dann als „Aktionsbüro Mittelrhein“. Als dessen „Betreiber“ beschrieb sich im Vorfeld der Landtagswahlen 2006 der NPD-Funktionär Sven Lobeck. Später war er an der sogenannten „Remagener Resolution“ beteiligt, die 2005 ein gemeinsames Agieren zwischen NPD und „Freien Kräften“ im Hinblick auf die Landtagswahlen propagierte. Zu dieser Zeit entwickelten sich in Rheinland-Pfalz „Aktionsbüros“ zu einem flächendeckenden Organisationskonzept, mit gleichzeitiger struktureller Verbindung zur NPD.

In der Region Ahrweiler eskalierte die Situation spätestens in den Jahren 2008/ 2009: Übergriffe und Einschüchterungen gegen politische Gegner*innen nahmen zu, einem vermeintlich linken Journalisten wurde ein Peilsender unter sein Auto montiert; Flugblätter, Aufkleber und Graffitis des ABM prägten das öffentliche Bild. Als Symbol dieser erfolgreichen lokalen Verankerung galt das 2009 angemietete „Braune Haus“. Parallel wurde der geschichtsrevisionistische „Trauermarsch“ in Remagen initiiert, mit dem die Neonazis aus dem Hinterland zwischen Bonn und Koblenz ein zentrales Event etablierten, das bis heute fest im Szene-Terminkalender verankert ist. Für überregionale Kontakte sorgte der Düsseldorfer Sven Skoda. Im Gegenzug bekam er eine schlagkräftige Hausmacht, die auch überregional mit Lautsprecherwagen anrückte und aggressiv auf ihre Gegner losging.  Skoda verlegte sogar seine Meldeadresse in das „Braune Haus“. Hier vernetzten sich verschiedene Neonazistrukturen, die daran Beteiligten wurden später als Mitglieder oder Unterstützer des ABM angeklagt.

Der erste Versuch: 926 Seiten Anklageschrift und 337 Prozesstage

Im August 2012 begann vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Prozess gegen insgesamt 26 Neonazis. Diesen wurde in einer 926 Seiten langen Anklageschrift vorgeworfen, in der Zeit von 2007 bis 2012 mit Einzelhandlungen bzw. gemeinschaftlich handelnd eine kriminelle Vereinigung gegründet bzw. unterstützt zu haben. Zu diesen Handlungen gehörten Brandstiftung, Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigungen und Propagandadelikte. Von Beginn an deuteten sich die enormen Dimensionen und die verfahrenstechnischen Probleme dieses Strafprozesses an. Es wurden über 120 Zeug­In­nen aufgerufen. Die 52 AnwältInnen, darunter viele aus der (extremen) Rechten, zogen den Prozess zusätzlich mit Hilfe von insgesamt über 1.000 Verfahrens-, Beweis- und Befangenheitsanträgen in die Länge. Krankmeldungen und Verspätungen häuften sich. Zusätzlich traten Teile der Angeklagten aggressiv auf, bedrängten ZeugInnen und ProzessbeobachterInnen. Im Laufe der Zeit mussten Richter und Schöffen aus verschiedenen Gründen ersetzt werden. Schlussendlich platzte der Prozess nach 337 Verhandlungstagen durch das altersbedingte Ausscheiden des Vorsitzenden Richters im Juni 2017. Von den Angeklagten waren zu diesem Zeitpunkt noch 17 übrig.

Der zweite und dritte Versuch: wegen Geringfügigkeit eingestellt

Im zweiten Anlauf sollte nun alles besser werden: Der neue Vorsitzende Richter stand noch nicht kurz vor der Pensionierung, zusätzlich wurden weitere Ergänzungsrichter und Schöffen bestimmt. Der politische und öffentliche Druck war durchaus hoch, es gab ein bundesweites Interesse am Prozess und schließlich gilt das Verfahren als eines der längsten in der Bundesrepublik, weshalb es immer wieder als Beispiel in Diskussionen über die Möglichkeiten einer gesetzlichen Verkürzung von Strafverfahren genannt wurde. Hierdurch soll es zukünftig erschwert werden, durch eine „Konfliktverteidigung“ umfangreiche Strafprozesse durch Verzögerungen zum Scheitern zu bringen. Diese Diskussionen nützten dem zweiten Anlauf des Verfahrens wenig. Nach fünf Verhandlungstagen im Herbst 2018 war wieder Schluss. Aufgrund einer erfolgreichen Besetzungsrüge gegen die Zusammensetzung der Strafkammer am OLG Koblenz ging es im Februar 2019 nun zum dritten Mal von vorne los.

Mittlerweile hatte sich die Gruppe der Angeklagten auf 13 Personen verkleinert. Hier zeigte sich die neue Taktik des Gerichts, ein kontrolliertes auslaufen lassen des Prozesses rückte in den Vordergrund. Im dritten Prozessanlauf verließen fast monatlich Angeklagte das Verfahren, vor allem durch Verfahrenseinstellungen. Vereinzelt kam es zu Freisprüchen und Verurteilungen, die durchweg mit geringen Strafen bedacht wurden. Einmal wurde eine Geldstrafe fällig, bei einem anderen Angeklagten sah das Gericht von einer Strafe ab, wohl auch vor dem Hintergrund der über einjährigen U-Haft.

Nach dem Tod des Kölner Angeklagten Paul Breuer im August 2019 einigten sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung innerhalb einer Woche auf die Einstellung der übrigen Verfahren, unter anderen gegen Sven Lobeck, Christian Häger und Sven Skoda. Im November kam es in einem zuvor abgetrennten Verfahren zur letzten Einstellung und somit zum Schlussstrich unter das Strafverfahren.

Ein ernüchterndes Fazit

Der siebenjährige Strafprozess gegen das „Aktionsbüro Mittelrhein“ ist ein Zeugnis für das Scheitern der Staatsanwaltschaft Koblenz. Im nördlichen Rheinland-Pfalz war es nicht der erste Fall, in dem Behörden neonazistische Organisationen mit dem §129 StGB zu zerschlagen versuchten. Erfolg hatte diese Strategie bei der „Kameradschaft Westerwald“.

In der Rückblende steht jedoch fest: Die Behörden störten das aggressive Auftreten der Neonazistrukturen über Jahre kaum, öffentlich leugnete man das Problem. Erst spät handelte man, dann allerdings umfassend mit dem Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“. Dieser Vorwurf hielt dem „Mammutprozess“ nicht stand. Auch die Diskussion über die juristischen Rahmenbedingungen und mögliche Gesetzesänderungen gegen „Konfrontationsverteidigung“ müssen in diesem Zusammenhang beurteilt werden. Bevor Strafprozessordnungen beschnitten werden sollen, könnte auch die Frage nach der richtigen Strategie der Strafverfolgungsbehörden gestellt werden.

Auf Seiten der Neonaziszene fällt die Bewertung differenziert aus: In der Außenwahrnehmung war man um Geschlossenheit bemüht. Der Gerichtssaal wurde zur Bühne für den vermeintlichen „Kampf gegen das System“. Zumindest für einen Teil der ehemaligen Angeklagten lohnte sich diese Selbstinszenierung im Hinblick auf ihren Stand innerhalb der bundesweiten Neonaziszene. Wie viel allerdings von dieser Geschlossenheit nach Ende des Prozesses bestehen bleibt ist fraglich. Teile der Angeklagten zogen sich bereits zumindest vorübergehend zurück, einige wenige sind angeblich ausgestiegen.

Am 16. November 2019 fand zum 11. Mal in Folge der Aufmarsch in Remagen statt. Viele der ehemaligen Angeklagten fielen allerdings durch ihre Abwesenheit auf. Die Struktur „Aktionsbüro Mittelrhein“ ist Geschichte. Was bleibt, sind offene Fragen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der regionalen Strukturen sowie eine in Rückblende skurrile und mehrere Millionen teure Prozessodyssee am Oberlandes­gericht Koblenz.