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Ein neues Archiv in deiner Stadt!

Einleitung

Ein Interview mit dem "Antifaschistischen Bildungszentrum und Archiv Göttingen e.V." (ABAG e.V.).

AIB: Stellt bitte das ABAG e.V. kurz vor. Wie kam es dazu, dass ihr euch gegründet habt?

Damian: Wir beobachten schon seit Jahren eine Vielzahl verschiedenster rechter Aktivitäten in der Region: Von klassischer rechter Parteiarbeit über neurechte Burschenschafter, sowie Kameradschaften und militante Netzwerke, bis ins unmittelbare NSU-Umfeld ist eigentlich im Dreiländereck Nordhessen, Südniedersachsen und Nordthüringen nahezu alles vertreten. Deswegen wollen wir rechte Aktivitäten so umfassend wie möglich dokumentieren und analysieren. Unsere Informationen sollen antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen eine solide Unterstützung bieten. Zudem möchten wir mit unseren aufbereiteten Beständen, die regelmäßig aktualisiert und erweitert werden, eine Wissensvermittlung für zukünftige Generationen anbieten. Es gibt doch nichts Frustrierenderes, als jedes Mal wieder bei Null anzufangen!

Chiara: Darüber hinaus kannten wir auch schon das apabiz in Berlin und das a.i.d.a.-Archiv in München und schätzen ihre Arbeit. Deshalb wollten wir etwas Ähnliches mit regionalem Bezug aufbauen. Ein zweiter Aspekt ist, dass wir Archivmaterial aus Privatbeständen sichern konnten. Wir sind schon seit einigen Monaten dabei unseren Archivbestand zu sichten, aufzubereiten und zu erweitern. Wir katalogisieren unsere Sammlung akribisch, denn nur so können wir einen Zugang für weitere Interessierte, Wissenschaftler_innen und Journalist_innen schaffen.

AIB: Was habt ihr denn konkret in eurem Bestand?

Chiara: Unser Bestand lässt sich in zwei Teile gliedern. Zum einen in unsere Primärquellen, das ist Literatur aus neonazistischen und neurechten Kreisen.
Die Themenschwerpunkte liegen dabei unter anderem im Bereich des Geschichtsrevisionismus und der rassistischen Agitation. Auch haben wir Publikationen mit klarem regionalen Schwerpunkt wie die Zeitschrift „Komet – das bunte Schülermagazin“. Diese wurde zwischen 1978 und 1982 vor den Schulen in und um Göttingen mit einer Auflage von circa 4.500 Stück pro Nummer verteilt. Dahinter verbargen sich lokale neonazistische Kader wie Hans-Michael Fiedler und Christian Heck. Neofaschistisches Gedankengut wurde somit geschickt unter der damaligen Schüler_innenschaft verbreitet. Wir sammeln aber nicht nur rechte Bücher und Zeitschriften, sondern auch Sticker und Flugblätter.

Der zweite Teil unseres Bestands besteht aus Literatur über die extreme Rechte, wobei der Großteil „graue Literatur“ ist, also von Antifa-Gruppen ohne weitere Angaben herausgegeben wurde. Daneben verfügen wir über ein Pressearchiv mit lokalen Zeitungsartikeln, in denen rechte Vorfälle in der Region dokumentiert werden.

Damian: Auch Fachzeitschriften wie das Antifaschistische Infoblatt, die Lotta oder den Rechten Rand sowie wissenschaftliche Publikationen über die extreme Rechte haben wir im Archiv, wobei wir perspektivisch den Bestand aktueller Forschungsliteratur weiter ausbauen möchten: So würden wir zum Beispiel gern Literatur zu den Themen Antifeminismus oder neurechten Netzwerken anbieten. Gerade solche Bücher kosten allerdings viel Geld und wir können nicht jede Neuerscheinung einfach so bestellen.

AIB: Ein Archiv aufzubauen und seinen Bestand zu pflegen, ist sicherlich nicht einfach. Wie seid ihr gerade aufgestellt und braucht ihr noch Unterstützung?

Damian: Wir betreiben dieses Archiv ehrenamtlich. Unser Team besteht aus Studierenden und Lohnarbeitenden. In Kohle schwimmen wir weder privat noch als Archiv. Wir sind darauf angewiesen, dass Leute dieses Projekt unterstützen, indem sie zum Beispiel eine Fördermitgliedschaft abschließen. Kleine, regelmäßige Beiträge sind großartig und besonders hilfreich, damit die Miete unserer Räumlichkeiten gesichert ist und wir genauer planen können. Aber auch einmalige Spenden helfen uns sehr. Nur so haben wir als Archiv die Chance, uns langfristig in der Region zu halten und zu verankern.

Chiara: Aber nicht nur mit Geld können wir unterstützt werden! Wenn extrem rechte Bücher, Flugblätter, CDs und so weiter gefunden werden, können sie gerne bei uns abgegeben werden. Und natürlich sollten auch extrem rechte Aktivitäten in der Region gemeldet werden, denn wir wollen jährlich eine Chronik rechter Aktivitäten in der Region veröffentlichen. Dazu zählen rechte Kundgebungen, Demonstrationen, Schmierereien aber auch jede andere belegbare rechte Aktivität. Aktuell haben wir mehrere Kisten mit uns übermittelten rechten Stickern und ähnlichem Material. Durch diese zentrale Erfassung von rechten Aktivitäten können wir Entwicklungstendenzen und lokale Schwerpunkte ganz anders nachvollziehen, als das vorher möglich war. Aber: Es ist auch sehr viel Arbeit.

AIB: Habt ihr neben der Pflege des Archivbestands und der Chronik auch noch weitere Aktivitäten im Rahmen eurer Projekts?

Damian: Wir bieten auch Vorträge und Workshops an zu Themen, die wir selbst erarbeitet haben. Die gesamte Liste ist auf unserer Homepage1 zu finden.
Es sind selbstverständlich viele Vorträge zur regionalen extremen Rechten dabei. Denn mit Karlheinz Weißmann gibt es hier vor Ort einen neurechten Vordenker. Auch ein größeres Milieu verschiedener Studentenverbindungen ist in Göttingen seit jeher sehr aktiv. Wir finden es wichtig, mehr über das Korporationswesen in Erfahrung zu bringen, denn viele Verbindungen, wie zum Beispiel die Corps, etikettieren sich oft als „unpolitisch“. Hier liegt es dann an uns, ihre Strukturen und politische Orientierung zu analysieren, denn sehr schnell werden dort autoritäre und patriarchale Strukturen vermittelt, die höchst menschenverachtend sind.

Wenige Kilometer von Göttingen entfernt wohnt außerdem Thorsten Heise, der, wie die meisten eurer Leserschaft wahrscheinlich wissen, nicht nur Teil des NPD-Bundesvorstands ist. Heise ist seit Ende der 1980er Jahre in militanten Kreisen der neonazistischen Rechten unterwegs, Mitbegründer des Konzepts der „Freien Kameradschaften“ und unterhält mindestens enge persönliche Kontakte zu Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppe "Combat 18".

Chiara: Aber auch allgemeinere Bildungsangebote zur extrem rechten Erlebniswelt, zu Burschenschaften und zur Symbolik in der heutigen Neonaziszene werden von uns angeboten. Es ist uns dabei wichtig, diese Vorträge und Workshops an die Teilnehmenden anzupassen, was im Vorfeld viele Überlegungen bedeutet. Wir wollen nicht nur vor einem akademischen Publikum über etwas referieren, sondern möglichst vielen Interessierten die Gelegenheit bieten, sich über die regionale, aber auch über die überregionale rechte Szene zu informieren. Gerade arbeiten einige von uns daran, Einführungsworkshops für Jugendliche zu gestalten.

AIB: Ist das ABAG e.V. eigentlich frei zugänglich?

Chiara: Nein, obwohl wir unsere Archivbestände tatsächlich nicht allein nutzen wollen. Antifaschist_innen, Journalist_innen, Wissenschaftler_innen und Engagierte im Kampf gegen Rechts sind herzlich eingeladen, in unser Archiv zu kommen und mit unseren Beständen zu arbeiten. Dafür muss einfach nur eine E-Mail geschrieben und ein Termin vereinbart werden. Wir hoffen sehr, dass wir in naher Zukunft Öffnungszeiten ohne vorherige Anmeldung anbieten können. Leider ist das ABAG e.V. nicht barrierefrei. Dafür müssen wir noch eine Lösung finden.

AIB: Was steht jetzt für euch in den kommenden Monaten an?

Damian: Gerade arbeiten wir an dem Feinschliff für eine Broschüre zu regionalen extrem rechten Strukturen. Es hat uns sehr gefreut, dass dieses Projekt in Kooperation mit verschiedenen lokalen Trägerorganisa­tionen entstanden ist. Wir planen aber schon unsere nächste Publikation, unsere eigene Vereinszeitschrift mit dem Titel „Hingeschaut!“. Darin sollen Ergebnisse unserer Dokumentationsarbeit sowie weitere Artikel zur extremen Rechten veröffentlicht werden. Parallel dazu werden wir weiterhin unseren Bestand sichten und katalogisieren. Wir haben das Glück, ein solidarisches und uns zuarbeitendes Umfeld in Göttingen zu haben: Wir bekommen jede Woche neue rechte Quellen! Auch Anfragen für unsere Bildungsangebote haben in letzter Zeit zugenommen. Aber gerade wenn es viel zu tun gibt, betrachten wir dieses Projekt als notwendig, um effektiv über rechte Strukturen in der Region aufzuklären.