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Druckluft. Eine Geschichte vom Erinnern und Kämpfen

Heiko Koch Patrick MacAllister

Dortmund bei Nacht: Paula sprüht eine Erinnerung an Schmuddel auf ein Haus der Skinhead-Front Dortmund-Dorstfeld. Die Neonazis werden aufmerksam: „Scheiß Zecke“ klingt es durch die Nacht und Paula muss fliehen. Ein Unbekannter auf einem Moped, der sich später als Francesco vorstellt, hilft ihr. Gemeinsam fahren sie den Neonazis vor der Nase weg. Francesco ist von Paula beeindruckt und will sie wiedersehen.

Eine Woche später treffen sie sich auf einem Konzert. Lan Dai, eine Freundin von Francesco, fragt Paula nach der Nacht. Sie kennt die Geschichte vom Punk Thomas Schulz („Schmuddel“) nicht, der am Ostermontag 2005 vom 17-jährigen Neonazi Sven Kahlin in einer Dortmunder U-Bahn Haltestelle erstochen wird. Die Erinnerungen an Schmuddel werden verwaschen und in schwarz-weiß gezeichnet. Die Panel liegen wie Fotos schräg über die Seiten verteilt. Hier wird markiert, dass es sich innerhalb der fiktionalen Geschichte um etwas handelt, was wirklich geschah.

Paula, Francesco, ihr Bruder Jonas und Lan Dai verbringen den Abend gemeinsam. Auf dem Rückweg werden Lan Dai und Jonas, als sie sich das Graffiti von Paula anschauen wollen, wieder von den Neonazis erwischt. Doch anders als zuvor, kommt es nun zum Kampf. In einem full-page shot wird gezeigt, wie Lan Dai zwei Neonazis zusammenschlägt. Bei Lan Dai angekommen, verarztet sie Jonas und sie landen im Bett.

Am nächsten Tag erfährt Paula vom Angriff  auf ihren Bruder und ist schockiert. Sie ist schon aufgebracht, da sie, nachdem sie ihre Aktion gepostet hat, Morddrohungen und Hasskommentare erhält. Die Gruppe weiß sich zunächst nicht zu helfen und beschließt gemeinsam zum Gedenken an Mehmet Kubaşik zu gehen, der am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU in seinem Kiosk erschossen wurde. Die Gruppe unterhält sich über die Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in den NSU-Komplex. Dann wird Paula von Neonazis fotografiert. Als sich sehr wehrt, wird sie von der Polizei verhaftet. Die Neonazis drohen ihr weiter, während sie abgeführt wird. Francesco holt sie ab, nachdem sie frei kommt und sie fahren in die Trattoria von Francescos Mutter, einer stabilen italienischen Antifaschistin. Die Gruppe zerstreitet sich über die Frage, ob man auch Polizist*innen gedenken soll wenn sie von Rechten umgebracht wurden. Erst nachdem die Wohnung von Paula und Lukas von den Neonazis völlig zerstört wurde, findet die Gruppe wieder zusammen. Sie schmieden einen Plan und dringen bei Nacht in ein Haus der Neonazis ein. Sie sprühen Parolen und finden einen Laptop, den sie mitnehmen. Dieses Mal wird niemand erwischt.

Der Comic „Druckluft“ erzählt die Geschichte junger Antifaschist*innen in Dortmund und gibt einen guten Einblick in die Umtriebe der Neonazis in Dorstfeld Mitte der 2000er Jahre. Er informiert darüber, welche Gefahr von den Neonazis ausgeht, zeigt jedoch auch Gegenstrategien auf. Gewidmet ist der Comic allen Opfern rechter Gewalt, deren Gedenken in diesem Comic ein angemessener Raum gegeben wird.

Die Geschichte ist spannend, manchmal traurig oder unabsichtlich komisch. Gerade die Charaktere sind überspitzt und erscheinen an der einen oder anderen Stelle klischeehaft. Positiv fallen die starken weiblichen Rollen auf. Es sind besonders Paula und Lan Dai, welche die mutigen und kämpferischen Parts in der Gruppe übernehmen. Die romantischen, heteronormativen Side-Stories sind allerdings überflüssig. Die Zielgruppe des Comics scheinen Jugendliche zu sein, doch diese erreicht man auch ohne romantische Anbandlungen zwischen den Protagonist*innen, besonders, wenn gerade bei den weiblichen Charakteren dadurch wieder das Geschlecht betont wird, anstatt sie einfach Aktivist*innen sein zu lassen.

Die visuelle Gestaltung ist erfrischend künstlerisch. So gibt es verschiedene Panel- Formate, full-page-shots und stilistische Markierungen für unterschiedliche Zeitebenen. Das ist für Comics, die eine pädagogische Intention haben, leider häufig gerade nicht der Fall.

Älteren Antifaschist*innen wird der Comic kaum neue Erkenntnisse bringen, aber für jüngere kann er sehr informativ sein. Für alle ist er eine spannende Lektüre, die einen traurig machen, bewegen, aber manchmal auch schmunzeln lassen kann.

Heiko Koch / Patrick MacAllister
Druckluft. Eine Geschichte vom Erinnern und Kämpfen
Ventil Verlag, Mainz 2022
64 Seiten, 15 Euro
ISBN 978-3-955-75172-2