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Doppelleben: Arzt, Dichter – Faschist

Einleitung

Anlässlich seines 50. Todestages flammte die Debatte um Gottfried Benns politische und ästhetische Positionen nur kurzzeitig wieder auf. Welchen Anteil hatte er an der Zerschlagung der Akademie der Künste am Ende der Weimarer Republik? War Benn ein kulturpolitischer Wegbereiter des Nationalsozialismus? Benns öffentliche Biographie spiegelt exemplarisch die zeitweise geistige Liaison anti-demokratischer Intellektueller der Weimarer Republik mit den europäischen Faschismen.

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1984-1116-500 /CC BY-SA 3.0

Gottfried Benn, 1934.

Bennlektüre als geistiges Rüstzeug für die extreme Rechte?

Die Rezeption von Leben und Werk Gottfried Benns anlässlich seines fünfzigsten Todestages fand in extremen rechten Publikationen ein breites Echo. Den Anfang setzte der »Kalender des Nationalen Widerstandes« für das Jahr 2006 aus dem NPD-Verlag Deutsche Stimme. Neben Texten, die eine Ideologiegeschichte eines »nationalen Sozialismus« zu begründen suchen, gibt es auch einen Text über Benn. Darin wird des Dichters Nähe zu den Positionen der extremen Rechten der Weimarer Republik trefflich skizziert. Gottfried Benn als Gewährsmann militanter Neonazis? Dies verwundert, da die Zielgruppe des Kalenders bisher nicht als lyrisch interessierte Feingeister wahrnehmbar waren. Der anonyme Verfasser legt dem Kalendernutzer denn auch nicht so sehr die Lektüre von Benns Gedichten, sondern vor allem seine Schriften zu Ästhetik und Politik nahe, die er als Quell anti-demokratischer Zurüstung für den geistigen Kampf des »nationalen Widerstands« liest. Sehr sachkundig und differenziert legt der Autor Benns Haltungen zur Politik des NS-Staates dar und verneigt sich vor Benns Selbstinszenierung des kalten Pathos und der Einsamkeit.

Einen anderen Akzent setzte die Sommerausgabe der rechtsextremen Monatszeitschrift »Nation & Europa«.1 Autor Karl Richter streicht am Beispiel Benn heraus, im NS-Staat habe es entgegen der landläufigen Meinung, keine Gleichschaltung gegeben des Literaturbetriebs gegeben. Eine These die von neurechten Autoren nur zu gern aufgegriffen wird. Was Götz Jubitschek in seinem Aufsatz über Benn in der Zeitschrift des Institut für Staatspolitik, »Sezession« an diesem fasziniert, ist sein Stil, sein Pathos der Kälte, den er ganz in der Tradition der Benn Exegese für eine Spielart des heroischen Realismus hält.

Pfarrerssohn, Militärarzt und frühexpressionistischer Dichter

Gottfried Benn wird 1886 als Sohn eines evangelisch-pietistischen Pfarrers in der Westprignitz geboren. Ab 1897 besucht er das humanistische Gymnasium in Frankfurt/Oder. Dem Zwang des Vaters zunächst folgend, studiert Benn ab 1903 in Marburg Theologie. Doch er gerät zunehmend mit der patriachial-hierarchischen Frömmigkeit des Vaters in Konflikt. Als dieser Benns Mutter bei derer schwerer, zum Tod führenden Erkrankung aus religiösen Motiven das schmerzlindernde Morphium verweigert, kommt es zum Bruch.

Zuvor hatte Benn die Studienrichtung gewechselt. Da er ein ziviles Medizinstudium nicht finanzieren kann, beginnt Benn an der »Kaiser-Wilhelm-Akademie für militärärztliches Bildungswesen« Berlin ein Studium zum Militärarzt. Bei einem Infanterieregiment wird er 1911 Militärarzt, wird jedoch aus gesundheitlichen Gründen 1912 aus der Armee entlassen. Hernach arbeitet Benn als Pathologe in einem Krankenhaus im Berliner Westen. Hier ist er fast ausschließlich mit der Sektion von Leichen befasst. In diese Zeit fällt die Veröffentlichung Benns erster lyrischer Arbeiten. Sie werden von der expressionistischen Avantgarde begeistert aufgenommen. Benn veröffentlicht im von Franz Pfemfert herausgegebenen publizistischen Flaggschiff des Expressionismus, Die Aktion. Die frühexpressionistische Gedichtesammlung Morgue und andere Gedichte begründet Benns Ruhm als Dichter der Moderne. Seine Sprache verbindet den nüchternen Blick des Naturwissenschaftlers mit der Ausdruckskraft des Expressionismus. Benns frühe Lyrik ist ein Aufstand gegen die Spießigkeit des wilheminischen Kultur- und Gesellschaftsbetriebs.

Besatzungsoffizier in Brüssel

Die Mordmaschinerie des ersten industriellen Krieges im 20. Jahrhundert erlebt Benn vom Rand des Geschehens. Im ersten Weltkrieg ist Benn als Militärarzt und Offizier in der Etappe im deutsch besetzten Brüssel eingesetzt. Er bewohnt eine requirierte Villa und verkehrt in der deutschen Kulturkolonie der belgischen Hauptstadt. Hier lernt Benn den Dichter Carl Sternheim und seine Frau Thea kennen, die beide entschiedene Gegner des I. Weltkrieges sind. Als Militärarzt ist Benn Zeuge der Erschießung einer angeblichen britischen Spionin. Diese rechtfertigt er auch später als militärisch notwendige Maßnahme. Obwohl es hierüber mit den Sternheims zum Streit kommt, hilft Benn dem deutschen Staatsbürger, Carl Sternheim, dem kaiserlichen Gestellungsbefehl zu entkommen.

Arzt und Dichter in der Republik

Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst lässt sich Benn in Berlin als Arzt nieder. Doch von seiner Profession kann er nur schlecht leben. Benn behandelt vornehmlich Kassenpatienten, aber auch solche aus den Arbeitervierteln Berlins, die nicht zahlen können. Seine Veröffentlichungen werfen kaum nennenswerte Beträge ab. Trotz enormer Arbeitsbelastung ist Benn dichterisch produktiv. Er mischt sich in die Debatten des Literaturbetriebs ein, in denen er explizit antipolitische Positionen vertritt. Plurale Demokratie und die von Benn postulierte Totalität der Kunst hält er für unvereinbar. Dem demokratischen Gemeinwesen begegnet Benn mit abgrundtiefem Hass. Die Nähe zum Denken Oswald Spenglers und Teilen der sogenannten Konservativen Revolution ist unverkennbar. Deren Abneigung gegen die egalitäre Massenkultur der Weimarer Republik teilt er ebenso, wie ihren zyklischen Geschichtsbegriff, innerhalb dessen kein Fortschritt möglich sei.

Im Rundfunk diskutiert er 1930 mit seinem ästhetischen Bruder und politischen Antipoden Johannes R. Becher. Beide eint ihre poetische Herkunft aus dem Frühexpressionismus. Beide schätzen die Dichtung des anderen. Doch während sich Becher als Prophet der Weltrevolution und in stalinistischer Propaganda der KPD ergeht, bestreitet Benn jeden Sinn einer radikalen Umkehr der Verhältnisse und der Rolle der Kunst darin.

Gegen die Emigranten – für die Reichsschrifttumskammer?

Seit 1932 ist Benn Mitglied der preußischen Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst. Hier findet er sich zunächst zwischen der von Börries von Münchhausen, Hans Grimm und anderen vertretenen Majorität des nationalkonservativen Flügels der Sektion Dichtkunst und einer verschwindenden Minderheit linksliberaler Schriftsteller um den von ihm verehrten Heinrich Mann wieder. Die Akademie ist am Vorabend des Machtantritts des Nationalsozialismus tief gespalten. Während Künstler wie Kollwitz und Mann dringlich an die sozialistischen Parteien appellieren, sich gegen die Gefahr des Nazismus zu einen, forcieren andere mit literarischen Mitteln die Heraufkunft der  NS-Diktatur. Hans Grimms Buch »Volk ohne Raum« ist hierfür nur das bekannteste Beispiel.

Nach der Machtübernahme dringen die Nazis auf eine Gleichschaltung der Akademie. Reichsminister Goebbels sind die republikanischen Mitglieder der Akademie für seine Pläne einer NS-Kulturpolitik ein Dorn im Auge. Die Vertreter des radikal-völkischen Flügels der Sektion Dichtkunst, Grimm und Johst, wollen Goebbels mit einer Ergebenheitserklärung der Akademie entgegenkommen Benn verfasst ein Dokument, das die Loyalität der Akademiemitglieder zum NS-Staat bekundet und sich zugleich gegen eine allzu schnelle Gleichschaltung der Akademie wendet. Ob dieses Dokument als Sterbeurkunde für die demokratische Verfasstheit der Akademie oder als letzter Rettungsversuch einer Autonomie der Kunst gegenüber dem Nationalsozialismus gelesen werden muss, ist in der Literatur höchst umstritten.

Während der marxistische Literaturwissenschaftler Mittenzwei die diabolische Rolle Benns bei dem Rausschmiss demokratischer Schriftsteller aus der Akademie betont, zeichnen andere Benn-Biographen ein anders akzentuiertes Bild der Vorgänge im Frühjahr 1933. Danach habe Benn die Akademie vor dem Zugriff der NS-Machthaber retten wollen. Dies erscheint jedoch vor dem Hintergrund der nachfolgenden Gründung der Reichsschrifttumskammer zweifelhaft. Auf einen offenen Brief des exilierten Schriftstellers Klaus Mann, in dem dieser Benns Parteinahme für den Nationalsozialismus scharf kritisiert, antwortet Benn mit der Schrift »Der neue Staat und die Intellektuellen«. Darin verteidigt er die Gleichschaltungs- und Repressionsmaßnahmen der NS-Führung in der Machtergreifungsphase als politisch notwendig und rechtfertigt. Seinerseits wirft Benn den Emigranten Verrat an Deutschland vor, die von einer bequemen Außenposition die wahren Vorgänge in Deutschland nicht beurteilen könnten. Zu diesem Zeitpunkt sind die demokratischen Institutionen bereits zerschlagen, politische Gegner mundtot gemacht. Benn ist in der Machtergreifungsphase fasziniert von der Radikalität, mit der die NS-Bewegung daran geht, Staat und Gesellschaft der Totalität ihrer Ideologie zu unterwerfen. Wie viele andere konservative Intellektuelle sieht Benn im Aufstieg des Nationalsozialismus eine Katharsis der deutschen Zustände, die aus kosmopolitischer Beliebigkeit und nationaler Dekadenz herausführen soll.

In Bedrängnis

Doch Benns Emphase für den Nationalsozialismus hält nicht lange vor. Dessen politisches Alltagsgeschäft entspricht nicht seinen Vorstellungen von einem elitär-heroischen, autoritären Staat. Nach dem Röhmputsch im Juni 1934 geht Benn schrittweise zum NS auf Distanz, meidet öffentliche Auftritte und Wortmeldungen. Zudem gerät er Mitte der 1930er Jahre selbst unter Druck. Die Raserei der völkischen Schriftsteller macht vor Benns expressionistischer Lyrik keinen Halt. Börries von Münchhausen bezeichnet Benn als »reinblütigen Juden«. Benn hebt zu einer Verteidigung des Expressionismus an, den er als deutsche Erneuerungsbewegung deutet. Doch es nützt ihm wenig. In der SS-Zeitschrift »Schwarzes Korps« erscheint ein Artikel, der Benns Dichtung als entartet brandmarkt und seine Lyrik als Gossensprache denunziert. Ab 1935 wird Benn wieder Militärarzt und Offizier. Zwar ist ihm die Institution der Wehrmacht zuwider, doch bietet sie ihm einen weitgehenden Schutz vor den Zumutungen der NS-Behörden.

Benn, ein Faschist?

Dem bekannten Diktum Fritz J. Raddatz nach, war Gottfried Benn Faschist, Nazi war er nicht. Faschist war Benn im Sinne des von Mohler in apologetischer Absicht geprägten Begriffs »faschistischen Stils«, der eine antiegalitäre Radikalisierung aller gesellschaftlichen Sphären befürwortet und die Prinzipien eines humanistischen Universalismus ablehnt. Im Sinne des faschistischen Stils geht es Benn nicht um Ideologie, vielmehr um Form und Haltung gegenüber einem mit Hass und Abscheu betrachteten demokratischen Literatur- und Politikbetrieb. Darin spielt die elitäre Selbststilisierung Benns als Außenseiter. Er ist ein ästhetischer Vertreter des Pathos der Kälte, der sich dem wertenden Zugriff humanistischer Moral mit Verweis auf angeblich unabänderliche anthropologische Archetypen zu entziehen sucht2 . In diesem Sinne ist Benn als Faschist zu bezeichnen. Diese radikale antiegalitäre Haltung macht Benn für heutige rechtsextreme Rezipienten interessant. Nazi war er nicht, da er zu keinem Zeitpunkt die völkisch-rassistischen Invektiven der NS-Bewegung teilt und er sich auch nicht antisemitisch äußert.

Nachkrieg

Benn erlebt das Ende des Krieges in Berlin. Zunächst von den Alliierten mit Veröffentlichungsverbot belegt, fürchtet er die Rache der zurückkehrenden Emigranten. Gemeinsam mit Ernst Jünger und Carl Schmitt ist Benn entschlossen, sich nicht für seinen Verbleib in Deutschland während der NS-Zeit zu rechtfertigen. Alle drei belauern sich gegenseitig, wer wohl als erster gegenüber den moralischen Vorhaltungen der Emigranten nachgibt. Schließlich ist es Benn, der in den Augen von Carl Schmitt Verrat begeht, da er sich in seiner autobiographischen Schrift »Doppelleben« in der ihm typischen Weise antipolitisch von seinem zeitweisen Engagement für den Nationalsozialismus distanziert.

Doch die Distanzierung hat Grenzen. In einer Rundfunkdebatte mit dem jüdischen Emigranten Peter de Mendelsohn rechtfertigt Benn sein Konzept der »inneren Emigration« und versteigt sich zu der absurden Behauptung, die verbrecherischen Intentionen des Nationalsozialismus habe man nicht erkennen können. Benn sieht sich als Opfer der literarischen Emigranten. In der Adenauer-Republik trifft diese Auffassung genau den Zeitgeist. Benns Selbststilisierung als kühl distanzierter Beobachter der Zeitläufe hat Konjunktur. Er wird zu Vorträgen und Rundfunklesungen geladen und erhält literarische Auszeichnungen. Seine Arztpraxis im Berliner Westen führt er bis Mitte der 1950er Jahre weiter.

Fazit

Gottfried Benns dichterisches und politisches Wirken ist mit dem Titel seiner autobiographischen Schrift Doppelleben treffend charakterisiert. Einerseits begegnet dem Leser in Benns Lyrik der sezierende Blick auf die Entfremdungsmechanismen der spätbürgerlichen Gesellschaft. Andererseits postuliert er einen Begriff von Kunst, der nur als Rückzug von der gesellschaftlichen Realität zu interpretieren ist. So bleibt das Bild von Benn ambivalent: poetische Größe geht einher mit dem Versagen vor den Fragen der Zeitgeschichte an die Rolle des Intellektuellen im 20. Jahrhundert.

  • 1Vgl. Nation & Europa Nr. 7&8/06, S. 77–82.
  • 2Vgl. Walkenhaus, Ralf: Armin Mohlers Denkstil, in: Backes/Jesse: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 1997, S. 97–115