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Die verdrängte Verschwörung: Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution

Menetekel Rathenau-Mord

Auf die Weimarer Demokratie legte sich durch eine Serie politischer Morde schon früh ein rechtsterroristischer Schatten, der mit der Machtübernahme der Nazis 1933 übermächtig wurde. Am Beispiel des Mordes an Walter Rathenau zeigt Martin Sabrow auf, welchen Preis die republikanischen Libera­len und Linken zahlten, als sie sich als unfähig erwiesen, den Sumpf der völkisch-nationalistischen Parteien und Wehrver­bände auszutrocknen. Walter Rathenau war gewiss einer der un­ge­wöhnlichsten bürgerlichen deutschen Poli­­tiker.

Als sozialliberaler Demokrat, Intellek­tueller, Jude und Vorstand der AEG re­prä­sen­tier­te er bereits gegen Ende des I. Welt­­krieges das Feindbild der extremen Rechten. Einerseits hatte er, anders als viele deutsche Eliten, den Beginn des I.Weltkrieges nicht nationalistisch-euphorisch begrüßt. Anderer­seits jedoch beriet er in seiner Funktion als Chef des »Rohmaterialamtes« die OHL unter Ludendorff und Kriegsminister von Falken­hayn in der Frage des effektiven Einsatzes kriegswichtiger Güter. In der vom sogenannten »Geist von 1914« geprägten Nation der Kriegsjahre schlugen ihm, dem jüdischen Zivilisten in leitender Funktion der ökonomischen Kriegsführung, alle antisemitischen Ressentiments entgegen. Deutlich wurde dies, als Rathenau das Waffenstillstands­angebot Ludendorffs an die Alliierten vom Oktober 1918 als verfrüht ablehnte. Berech­tigte Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung schlug in militaristisch motivierten Antisemitismus um, als man Rathenau vorwarf, er selbst habe nicht an der Front gekämpft. Nach 1919 trat Rathenau der liberalen DDP bei und bemühte sich als Außenminister um einen politischen Ausgleich mit den Sieger­mächten. So weit, so bekannt.

Sabrow zeichnet im ersten Abschnitt des Buches eben diesen Weg Rathenaus in die Politik nach, bevor er ausführlich die politischen Rahmenbedingungen des Mordes an Rathenau beschreibt. Das Anliegen des Bandes ist nicht primär die Biographie Rathenaus. Vielmehr geht es um die Darstellung des Ausmaßes der Gefahr, die von rechtsextremen Gruppen Anfang der zwanziger Jahre ausging und die, so die These des Buches, bis heute vernachlässigt wird. Auch Rathenau selbst hatte alle Warnungen vor einem Anschlag auf seine Person in den Wind geschlagen. Der Autor wirft ein Schlaglicht auf die Organisationsgeschichte der antirepublikanischen extremen Rechten und ihrer Wehr­verbände. Denn die antisemitische Hetze der rechtsextremen Propaganda, a la »Schlagt tot den Walter Rathenau – die gottverdammte Judensau«, war nur die Begleit­musik für die Mordserie an Matthias Erzberger und Maximilian Harden. Sabrow stellt dar, dass eben diese Morde nur Teil der auch nach dem Kapp-Putsch fortexistierenden militärischen Planungen der extremen Rechten für einen Staatsstreich waren. In deren Mittelpunkt stand die von dem Brigadegeneral und ehemaligen Freikorpsführer Ehrhardt aufgebaute O.C., die Organisation Consul. Sie verfügte über ein weit verzweigtes politisch/militärisches Netzwerk, dass nach den Morden nur teilweise aufgedeckt werden konnte.

Überzeugend löst der Verfasser hernach inhaltlich seinen Buchtitel ein, indem er scharfzüngig analysiert, dass die juristische Aufar­bei­tung der Mordserie politisch motiviert systematisch verschleppt wurde und die politische Auseinandersetzung mit der extremen Rechten der Weimarer Republik unterblieb. Als Ursache hierfür macht der Autor die antisemitische und antirepublikanisch-rechts­­konservative Verfasstheit der politischen Klasse der ersten Republik aus. Dies, so Sabrow, sei eine wesentliche Voraussetzung für die spätere Nachsicht staatlicher Stellen im Umgang mit den aufstrebenden Nazis gewesen. »Der Feind steht rechts«, so Phillip Scheidemann, ehemaliger Ministerpräsident, nach einem versuchten Anschlag auf seine Person. Doch bis auf die WELTBÜHNE und wenige liberale und linke Organisationen wollte dies niemand wahrhaben. Die Folgen sind bekannt.

Der Band beruht auf Sabrows sehr umfäng­licher Dissertation zum Thema und ist als exemplarischer, thematischer Einstieg in die unmittelbare Vorgeschichte des Natio­na­l­sozialismus in Bezug auf seine rechtsterroristischen Quellen sehr gut lesbar. 

Sabrow, Martin
Die verdrängte Verschwörung:
Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution.

Frankfurt/M: Fischer TB Verl., 1999.
276 S., 10,- EUR (antiquarisch)