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Die Slowakei nach den Nationalratswahlen

Einleitung

Im März 2016 fanden in der Slowakei Nationalratswahlen statt. Die extrem rechte „Kotleba - Volkspartei Unsere Slowakei“ (L’SNS)1  errang einen beachtlichen Wahlerfolg. Über die gesellschaftliche Situation in der Slowakei, über L’SNS, ihren Anführer Marian Kotleba und über antifaschistisches Engagement sprachen wir mit Vertreter_innen des antifaschistischen Monitoring-Projekts „Watch BBSK“.

  • 1slowakisch: L’udová strana Naše Slovensko, geschrieben auch ĽSNS, ĽS NS oder ĽS-NS
Foto: Jan Kroslak, CC-BY-SA 4.0, wikimedia.org

Der neonazistische Regionalpräsident des Landkreises Banská Bystrica Marian Kotleba.

Zwar schloss der slowakische Präsident Andrej Kiska direkt nach den Wahlen aus, mit Marian Kotleba’s L’SNS über eine Regierungsbeteiligung zu verhandeln, doch über das starke Ergebnis von acht Prozent lässt sich nicht hinwegsehen. Wie konnte das passieren?

Die Frage ist etwas irreführend. Trotz des beachtlichen Ergebnisses gehört Kotlebas Partei immer noch nicht zu den Großen der slowakischen Parteienlandschaft. Ihr Wachs­tumspotenzial ist begrenzt, die anderen Parteien können immer noch genug Wähler mobilisieren. Wir müssen ihre Erfolge aber aufmerksam beobachten. Präsident Kiska befolgte die wichtigste Regel: Verhandle nicht mit Faschisten. Allerdings bestärkte dieses Vorgehen Kotlebas Image als Märtyrer in den Augen seiner Anhänger. Es ist für Politiker leichter, Unterstützer zu mobilisieren, wenn sie sich als diejenigen inszenieren können, denen Steine in den Weg gelegt werden und die ihre Versprechen trotz aller Bemühungen nur deshalb nicht halten können, weil alle gegen sie arbeiten. Diese Inszenierung war erfolgreich und Kotleba konnte zur Wahl auf seine Unterstützer bauen.
Unserer Meinung nach war es seit längerem absehbar, dass Kotleba mindestens fünf Prozent einfahren würde, obwohl es seit seinem Sieg bei der Regionalwahl 2013 in Banská Bystrica immer hieß, Kotleba sei  unser „lokales Problem“. Seine Rhetorik ist inzwischen teilweise etwas weichgespült, aber wir vergessen nicht, wo er herkommt: In der Vergangenheit bezeichnete er den slowakischen Nationalaufstand als kommunistischen Putsch, sprach vom „sogenannten Holocaust“ oder begrüßte Teilnehmer einer Versammlung mit dem faschistischen Gruß und wünschte ihnen einen „wunderschönen weißen Tag“. Den Großteil der Stimmen erhielt er aber eben nicht von den Wählern aus der traditionellen extremen Rechten, die ihn wegen seines etwas gemäßigteren Tons als Enttäuschung ansehen. Seine Wähler waren vor allem Durchschnittsbürger aus von der etablierten Politik vernachlässigten ländlichen Regionen, die es honorierten, dass sich ein Kandidat auch mal bei ihnen blicken lässt.

Was ist der politische Hintergrund von Kotleba und seinen Kameraden, die sich nun, da sie sich etablieren, nicht mehr ganz so radikal zeigen?

Die Unterstützer haben eine Entwicklung durchgemacht. Es fing in den 1990ern mit der „Slowakischen Zusammengehörigkeit“1  an, die Fackelmärsche veranstaltete und sehr aggressiv gegen Minderheiten auftrat. Diese wollte Kotleba 2006 von einer kameradschaftsartigen Organisation zu einer politischen Partei transformieren, bevor sie dann allerdings vom Obersten Gerichtshof aufgelöst wurde. Allmählich lernten Kotleba und seine Leute ihre Worte abzuwägen und benutzen inzwischen eine etwas durchdachtere Rhetorik. Leider wurden sie bis heute aufgrund kaum zu fassender Inkompetenz der Strafverfolgungsbehörden nie verurteilt. Nach der Auflösung der Partei „Slowakische Zusammengehörigkeit“ kaperten ihre Mitglieder die Partei der „Freunde des Weins“, die sie später umbenannten in „Volkspartei Unsere Slowakei“. Ihr aktueller Name ist nun „Kotleba — Volkspartei Unsere Slowakei.“ Diese Partei verzeichnet Erfolge sowohl bei regionalen Wahlen, als auch bei den Parlamentswahlen.
Der Erfolg Kotlebas beweist, dass die geänderte Rhetorik und die gemäßigtere Wortwahl vor allem bei den jungen WählerInnen ankommt. Kotleba und seine Leute haben gemerkt, dass sie mit dem alten extrem rechten Habitus, der eher abschreckend wirkt,  nicht über einen bestimmten Punkt hinauskamen. Es ist traurig zu sehen, dass auch andere im slowakischen Parlament vertretene Parteien inzwischen die gleiche Rhetorik wie Kotleba benutzen. Bezüglich der Flüchtlingskrise verwendet Ministerpräsident Fico von der sozialdemokratischen „Smer“ sehr ähnliche Formulierungen. Auch die „Smer“ macht sich Hass und Angst in der Bevölkerung zunutze, um Wählerstimmen zu erlangen.

Was sind die Themen, die sie attraktiv für breite Teile der Bevölkerung macht? Und woher kommen diese Themen historisch gesehen?

Kotleba hat gelernt, was man sagen darf, wie man es sagen darf und wie man sich zu benehmen hat. Er beschwört die traditionelle Familie, warnt vor der lasterhaften, unnatürlichen und perversen LGBTI-Community und betont die Notwendigkeit des Grenzschutzes gegen Immigrant_innen. Er unterstützt Traditionen und Folklore, sagt „NEIN zu dekadenter“ Kunst, „NEIN zu Parasiten in Siedlungen“ (gemeint sind Angehörige der Roma-Minderheit), er ist gegen NATO und EU und fordert eine wirtschaftlich unabhängige und militärisch starke Slowakei. Das ist das, was seine WählerInnen hören wollen.
Kotleba reagiert sehr schnell auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen. Zum Beispiel gab es neulich einen Vorfall, bei dem ein junges Mädchen im Zug von einem Jungen angegriffen wurde. Kotleba führte sofort Zugpatrouillen ein, um die Menschen vor „zigeunerhaftem Extremismus“ zu schützen. Kotleba spielt mit der Angst der Leute und mit ihrer Wut auf Politiker, die sich nicht um ihre Probleme kümmern. Er inszeniert sich als derjenige, der kommt um zu helfen. Diese Selbstinszenierung steht in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund und weniger der Hass, den er schürt.
Kotleba versucht seine Partei als einzige politische Kraft darzustellen, die traditionelle nationale und christliche Werte schützt. Sein Bezug und der Bezug seine Anhänger auf den faschistischen Slowakischen Staat (1939-1945) ist mehr als offensichtlich. Sie verhehlen nicht ihre Bewunderung für den „einzig wahren slowakischen Präsidenten“ Jozef Tiso, der Zehntausende slowakischer Bürger_innen in die Konzentrationslager der Nazis schickte. Fragt man sie nach ihrer Meinung zum Holocaust und speziell der Vertreibung und Vernichtung von 70.000 slowakischen Jüd_innen, erhält man als Antwort, sie seien keine Historiker und hätten keine Meinung zu diesem Thema. Die Mehrheit der Kotleba-WählerInnen scheint dies nicht zu interessieren — sie haben vergessen, dass Kotleba früher nach fast jedem von ihm organisierten Treffen von der Polizei in Handschellen abgeführt wurde. Sie denken nicht daran, dass der Hass, den er nicht nur gegen Minderheiten hegt, in etwas münden könnte, das wir seit mehr als 70 Jahren zu verhindern versuchen. Die Geschichte lehrt uns, dass in Zeiten, in denen mehr und mehr Menschen frustriert von der Inaktivität der etablierten Politik sind, es zur Tragödie führen kann, wenn PolitikerInnen die Ängste und Wut der Menschen benutzen, um Wahlen zu gewinnen.

Welche rechten Bewegungen und Organisationen existieren in der Slowakei neben Kotlebas Partei? Was sind ihre Themen? Wie treten sie auf?

Die Slowakischen Rekruten („Slovenskí Branci“) sind eine Gruppe junger männlicher Aktivisten, die insbesondere bei Naturkatastrophen ins Rampenlicht treten. Laut dem Rechtsextremismusexperten Bránik, der sich seit langem mit ihnen beschäftigt, erhalten die Slowakischen Rekruten schnell Zuspruch aus der lokalen Bevölkerung — sie sind es, die vor Ort sind und helfen, wenn es eine Flut oder einen Erdrutsch gibt. Sie gehen dorthin, wo Hilfe am nötigsten gebraucht wird, tun ihre Arbeit und gehen wieder. Sie übernehmen die Rolle des Staates dort, wo er versagt und sammeln so neue Anhänger.

Wie ist es um den antifaschistischen Widerstand in der Slowakei bestellt?

Wir müssen besonders die Initiative „STOP FASCISM“ erwähnen, die einen Appell an die Mitglieder des slowakischen Parlaments gestartet hat, der sich an den Umgang der demokratischen Parteien mit der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern anlehnt. Wir denken, dass diese Strategie sinnvoll und erfolgversprechend ist, um Faschisten im Parlament zu bekämpfen. Bis heute wurde dieser Appell erst von 21 Abgeordneten unterstützt, was leider nicht viel ist.
Die Initiativen „Bratislava ohne Nazis“ (Bratislava Bez Nackov) und „der Aufstand geht weiter“ organisieren kontinuierlich kulturelle Events und auch Demonstrationen gegen Neonaziaktivitäten. Nach der Parlamentswahl im März veranstalteten sie eine der größten Demos in der Hauptstadt Bratislava.
Abseits von Bratislava gibt es ähliche Gruppen in Banská Bystrica, wie beispielsweise die zivilgesellschaftliche Plattform „Nicht in unserer Stadt“, die eng mit dem Projekt „Watch BBSK“ zusammenarbeitet. In anderen Städten gibt es gelegentlich ähnliche Initiativen, aber eher sporadisch und ohne feste Verankerung. Überregional wahrnehmbare Aktivitäten werden oft von unabhängigen Kulturzentren aus organisiert, zum Beispiel in Žilina, Košice oder Banská Bystrica. Seit der Wahl beobachten wir, dass auch in anderen Städten wie Banská Štiavnica oder Brezno Menschen anfangen, sich selbst zu organisieren.

Ihr habt das Projekt „Watch BBSK“ gegründet. Was sind eure Aufgaben und vor welchen Herausforderungen steht ihr?

Wir beobachten Marian Kotleba und seine Aktivitäten als Regionalpräsident des Landkreises Banská Bystrica. Nach zwei Jahren haben wir festgestellt, dass Recherche und Beobachtung in der Auseinandersetzung mit Kotleba und seiner Partei wichtig, aber nicht ausreichend sind. Momentan befinden wir uns in einer Phase des Umbruchs und versuchen unsere Aktivitäten den neuen Gegebenheiten nach dem Erfolg Kotlebas bei der Parlamentswahl anzupassen. Wir hoffen, dass unsere Arbeit in ein starkes regionales Netzwerk von Individuen und Organisationen mündet und versprechen uns viel vom Ansatz des Collective impact.2  Es geht um eine umfassendere Kooperation auf Basis konkret definierter gemeinsamer Ziele. Inhaltlich wollen wir weiterhin Recherche betreiben und Bildungs- und Kulturveranstaltungen organisieren. Diese wollen wir verknüpfen mit zivilgesellschaftlichem Aktivismus, Deradikalisierungs- und Gemeinwesenarbeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

  • 1slowakisch: Slovenská pospolitosť
  • 2https://en. wikipedia.org/wiki/Collective_impact