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Die Neonazi-Szene in Göttingen

Einleitung

Der Aufwind, den die neofaschistische Szene in den letzten zwei Jahren verspüren konnte, ist auch am südniedersächsischen Northeim bei Göttingen nicht vorübergegangen. Der Ex-FAP-Aktivist und ehemalige Neonazi-Skinhead aus dem "Blood & Honour"-Milieu Thorsten Heise organisiert und rekrutiert nach wie vor die Neonazi-Szene in der Region, jetzt im Lager der "Freien Kameradschaften".

Bild: Screenshot YouTube

Thorsten Heise bei einem Fernsehauftritt als FAP-Funktionär.

Neues & Altes aus Göttingen

Seine Position innerhalb der bundesweiten Neonaziszene hat Heise vor allem als Organisator von Neonazi-Skinkonzerten (sog. Northeim-Konzerte) gefestigt sowie durch seine Auftritte als Redner bzw. Organisator bei zahlreichen Neonazi-Aufmärschen der letzten zwei Jahre.

Im Schlepptau hatte Heise dabei zumeist seine "Kameradschaft Northeim".

Darüber hinaus verfügt er nach Informationen der englischen Antifa-Zeitschrift Searchlight über enge Kontakte zur militanten Neonazigruppierung "Combat 18" aus England und deren Anführer William "Will" Browning. Searchlight berichtet auch von einem internationalen Neonazitreffen in der Slowakei im März 1999, an dem neben Neonazis aus England, Schweden und Kroatien auch Heise teilnehmen wollte. Das Treffen fiel allerdings ins Wasser, weil der britische Geheimdienst MI5 die "Combat 18"-Teilnehmer in Wien an der Weiterreise hinderte.

Gut vernetzt

Heise gelingt es, in Northeim und Umgebung sowohl, eine junge Neonnazi-Szene mit aufzubauen als auch »altgediente Kameraden« wieder aus den Löchern zu holen. Bundesweite Aufmärsche waren bisher der »Arbeitsschwerpunkt« der Kameradschart Northeim. Auch zum NPD-Kongreß 1998 in Passau fuhr ein Bus mit 70 Personen, der in mehreren Dörfern zwischen Northeim und Göttingen hielt.

Und die Anzeichen für weitere Aktivitäten vor Ort mehren sich. Am 22. April wurde in Duderstadt (Eichsfeld) eine Veranstaltung der Stadt Jugendpflege zum Thema »Rechtsrock und Skinheadsubkultur« von 60 Neonazis »besucht«. Die örtlichen Neonazis konnten sich hierbei über Unterstützung der "Kameradschaft Northeim" freuen.

Den Kern der Kameradschaft Northeim bilden Personen, die schon viele Jahre zusammen mit Heise aktiv sind, wie z.B. die Northeimer Ex-FAPler Dirk N., Rainer B. und Manfred P.  Auch Marco B. aus Hattdorf zählt zur "Kameradschaft Northeim" und zu den engsten Vertrauten von Heise.

Desweiteren basieren Heises Aktivitäten auf überregionalen Kontakten in der Neonazi-Szene. So arbeitet er mit dem "Blood & Honour"-Aktivisten Dieter Riefling ("Miesling") aus Hildesheim zusammen.

Riefling und Heise organisierten im Mai 1998 gemeinsam in Hildesheim unter dem Motto »Todesstrafe für Kinderschänder« einen Aufmarsch mit siebzig »unabhängigen Kameraden«. Dieser Personenkreis kann als engere »Kameraden-Connection« bezeichnet werden, die nahezu ohne offene Mobilisierung öffentlich agieren kann. Sie stellen, zusammen mit den Neonazis um die politischen Köpfe der "Freien Nationalisten", Christian Worch und Thomas Wulff aus Hamburg, das Spektrum der "Freien Kameradschaften" in Norddeutschland dar.

Heise kommt darin die Funktion zu, Bindeglied zwischen politischen Neonazi-Kadern und unorganisierten rechten Skinheads zu sein.

Seit 1992 organisiert er RechtsRock-Konzerte mit mehreren hundert Teilnehmern. 1997 produzierte er die CD »Northeim Vol.1«, die kurz darauf wegen »Aufstachelung zum Rassenhaß und Volksverhetzung« auf den Index gesetzt wurde. Zwei weitere Produktionen folgten.

Heises Haus im Northeimer Industriegebiet ist Treffpunkt der überregionalen Kameradschaften und Neonazi-Zentrum zugleich. So lud Heise zu seiner Hochzeit mit Nadine Quentin am 14. Mai 1999 bundesweit über das Netzwerk der "Freien Kameradschaften" ein. Unter den rund 200 Teilnehmern der Feier, die von der Polizei aufgelöst wurde, waren zahlreiche (führende) Aktivisten der deutschen Neonazi-Bewegung.

So unter anderen: Der Anführer des Thüringer Heimatschutzes (THS) Tino Brandt aus Rudolstadt, Falko Schüßler aus dem Kreis des "Deutscher Freundeskreises Franken", der frühere FAP-Chef Friedhelm Busse, der Liedermacher Veit Kelterborn aus Thüringen, Bernd Stehmann vom "Unsere Welt"-Fanzine, der frühere stellvertretende FAP-Chef Siegfried Bochardt aus Dortmund, der frühere FAP-Funktionär Ralph Tegethoff, Michael See vom "Freundeskreis Nationaler Sozialisten / Aktion Volkswille" in Thüringen und Dieter Riefling.

Die Polizei beschlagnahmte nicht nur 1000 Liter Bier, sondern auch scharfe Schußwaffen und allerlei Schlagwerkzeuge.

Gute Kontakte zur NPD

Mit der Gründung der "Kameradschaft Northeim" hat Heise, der seit dem Verbot der FAP Ende 1994 »organisationslos« war, einen neuen organisatorischen Rahmen geschaffen - gemäß der »Grundsätze« der Freien Kameradschaften jetzt ohne straffen Parteiapparat.

Doch findet auch eine Zusammenarbeit mit NPD/JN-Strukturen statt. In der Person von Stephan Pfingsten aus Göttingen gibt es sogar personelle Überschneidungen.

Am 29. Mai 1999 meldete der NPD-Kader Daniel Hubert einen Infostand in Göttingen an. Mit dabei waren auch Aktivisten der Kameradschaft Northeim, u.a. Stephan Pfingsten und Martin Gotthardt. Nach Protesten von ca. 50 Antifas mußten sie nach kurzer Zeit abziehen. Die Polizei nahm dabei willkürlich Antifas fest. Die Neonazis wurden danach im Polizeibus sicher aus der Stadt gebracht.

Offenbar als Reaktion wurde in der darauffolgenden Nacht ein Anschlag auf das linke Zentrum Juzi in Göttingen verübt.

Antifas mach(t)en mobil

Heises über zehnjährige »Neonazikarriere« wurde immer wieder mit antifaschistischem Widerstand beantwortet. 1992 wurde er bei einem Angriff durch militante Antifas verletzt. 1993 wurde seine damalige Wohnung entglast und 1994 fand der Widerstand gegen Heises Aktivitäten in einer von der Autonomen Antifa [M] initiierten Bündnisdemonstration mit ca. 3500 Menschen öffentlichen Ausdruck.

Die Strafverfolgungsbehörden, die Heise bis dato viele Freiheiten ließen, sahen sich zum Handeln gezwungen, er war von Mitte 1996 bis Mitte 1997 in Haft.

Seither sind die Proteste gegen ihn in der breiteren Öffentlichkeit weitestgehend abgeklungen. Das soll sich jetzt wieder ändern, nachdem am 26. Juni über 500 Menschen in Northeim gegen Heises Aktivitäten demonstrierten.