Skip to main content

Die Kontinuität rechten Terrors brechen

Einleitung

Rechter Terror hat weder mit dem NSU angefangen noch ein Ende gefunden. Dass die 3025 Seiten umfassende NSU-Urteilsbegründung erst durch einen Leak der Plattform „FragDenStaat“ und NSU Watch öffentlich bekannt wurde, zeigt, dass sich in der Auseinandersetzung mit rechtem Terror wenig getan hat.

Foto: Bildwerk Rostock

Mit der nun erfolgten Urteilsbegründung im NSU-Prozess bleibt festzuhalten: Die Ermittlungen sollten schnell abgeschlossen, die gesellschaftliche Verantwortung negiert und die Untätigkeit der Sicherheitsbehörden verschleiert werden. Die Geschichten der Opfer und die Interessen der Hinterbliebenen fanden keine Berücksichtigung. Entsprechend dünn sind die Urteilsgründe inhaltlich ausformuliert. Dass die Akte NSU nun endgültig geschlossen werden soll, verdeutlicht uns umso mehr, dass wir dranbleiben, nachbohren und immer wieder fragen müssen: Was wurde aus ...? Auch deshalb gilt es genau hinzuschauen und vor allem den Betroffenen gut zuzuhören. Terroraffine Neonazis und ihre Verlautbarungen müssen ernst genommen werden. Denn was mitunter auf den ersten Blick lächerlich wirkt, ist nicht immer auch ungefährlich.

Im NSU-Komplex zeigen sich viele Konti­nuitäten im Umgang mit rechtem Terror, die sich über Jahrzehnte wiederholen. Opfer und Hinterbliebene werden nicht gehört, die Taten entpolitisiert, psychologisiert und die Täter als Einzeltäter verharmlost. Wieder einmal zeigt sich, dass rechte Terrornetzwerke sich auf die Ignoranz von Politik und Staat stets verlassen können. Die Nebenklage konstatiert zur Urteils­begründung: „Von den Mordopfern erfahren wir lediglich ihren Namen; nicht mal das Alter oder der Beruf werden genannt. Sie werden in dem Urteil so beschrieben, wie sie vom NSU gesehen worden sind – als nicht unterscheidbare, austauschbare Opfer, ohne Persönlichkeit oder Individualität“.

Jene, denen die rechte Gewalt galt, äußer­ten hingegen immer wieder ihre Ängste und Warnungen. Gehört wurden sie lange nicht, weder von den Behörden, leider auch oft nicht von der Linken. Ein diskriminierendes Muster, das sich wiederholt und die Wirkung von rechtem Terror multipliziert. Im Schweigen großer Teile der Gesellschaft offenbart sich ihr Desinteresse. Durch die Verweigerung der Solidarität mit Betroffenen rechter Angriffe werden diese als ungeschützt markiert. Als in Solingen 1993 fünf Menschen durch einen rassistischen Brandanschlag ermordet wurden, weigerte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl an der Trauer­feier teilzunehmen und sein Regierungssprecher Dieter Vogel ließ wissen, man wolle nicht „in Beileidstourismus ausbrechen“. Diese Entsolidarisierung sowie die gleichzeitige Bedrängung der Opfer und ihrer Hinterbliebenen durch staatliche Behörden unterstützt den Neonazi-Terror und erfüllt nur allzu häufig ihren Zweck.

Der institutionelle Rassismus, der die Ermittlungen zu allen zehn Morden und den drei Anschlägen prägte, der dafür verantwortlich war, dass sich die Ermittlungen gegen die Opfer richteten und sie zu Tätern machte, dass Hinweise auf einen extrem rechten Hintergrund übergangen wurden, ist mit dem Abschluss des NSU-Prozesses keinesfalls aufgearbeitet. Das kann er auch nicht sein, da er in den staatlichen, insbesondere den polizeilichen Strukturen verankert ist. Er ist, um nur einen Aspekt zu nennen, ein wesentlicher Teil der Berufserfahrung und alltäglichen Praxis. Logischerweise wird seine Existenz von staatlicher Seite bestritten. Dass im Zusammenhang des NSU-Prozesses institutioneller Rassismus im Recht und in der Justiz thematisiert wurde, ist nicht der Selbstkritik der Ermittlungsbehörden oder der Justiz zu verdanken. Ohne die unermüdliche, konsequente Thematisierung des institutionellen Rassismus durch antifaschistische und antirassistische Kritik, ohne den permanenten gesellschaftlichen Druck zur Bekämpfung dieses strukturellen Phänomens steht ihm nichts entgegen. Deshalb ist dieser Druck von immenser Wichtigkeit für seine Eindämmung, im besten Fall Reduzierung.

Kontinuitäten erkennen, auf Kontinuitäten achten

Rechter Terror hat weder mit dem NSU angefangen noch ein Ende gefunden. Das zeigen nicht nur die jüngeren rechten Anschläge in Kassel, Halle oder Hanau. Der sehr empfehlenswerte Mobilisierungstext zur Demonstration „Mehr als 40 Jahre“ in München erinnert uns daran, dass sich im Jahr 2020 die tödlichen Anschläge auf Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in der Hamburger Halskestraße, auf das Oktoberfest in München und auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen zum 40. Mal jähren und „der gegenwärtig so wichtige Kampf gegen rechten Terror nur im Bewusstsein seiner langen Geschichte geführt werden kann“.

In seiner Anmerkung zum Urteil schreibt Rechtsanwalt Peer Stolle von der NSU-Neben­klage im AIB Nr. 128, man suche dort vergeblich nach einer Erwähnung der damals in der Neonazi-Szene kursierenden Publikationen, Ideologien und Konzepte, die maßgeblich für die Entstehung und Ausrichtung des NSU gewesen sind. Der gesellschaftlichen Kontext, in dem die Radikalisierung stattfand, wird folgerichtig ebenfalls ausgeblendet. Es bleibt damit an uns und unseren Verbündeten, die tatbegünstigenden Umstände in Politik und Gesellschaft zu benennen und zu analysieren, um so auf neue Taten vorbereitet sein zu können.

Denn die Entstehung von rechtem Terror zu analysieren, muss immer auch das gesellschaftliche Klima mit einbeziehen. Es gilt den Finger in die Wunde zu legen und potentiellen neuen TäterInnen keine Ruhe oder Handlungsspielräume zu geben - die Parole „Kein vergeben, kein Vergessen“ wird dann wirkmächtig, wenn sie auch nach zehn, zwanzig oder dreißig Jahren noch gilt.

Von Verbündeten lernen

Schauen wir über den deutschen Tellerrand hinaus, dann sehen wir die erfolgreichen Kämpfe unserer Verbündeten in den USA. Die Gefahr, aus politischem Hass ermordet oder tyrannisiert zu werden, ist dort bittere Realität. Zwischen 2008 und 2019 begingen Täter der extremen Rechten in den USA über 360 Morde, Tausende Menschen haben Familienmitglieder verloren. Antifaschistische Strukturen haben deshalb begonnen, sich in einem größeren Maßstab selbst zu organisieren. Schon bevor sich die Ereignisse in den USA überschlugen, wurden in Portland sogenannte „Direct Action & Community Defense Trainings“ organisiert, um Fähigkeiten zu einem starken kollektiven Handeln herauszubilden.

Der Autor Spencer Sunshine hat gemeinsam mit einem antifaschistischen Zusammenschluss aus Portland einen kleinen Reader unter dem Titel „40 Ways to Fight Fascists: Street-Legal Tactics for Community Activists” neu aufgelegt. Die wichtigsten Konsequenzen daraus sind, die Familien der Opfer zu unterstützen und Menschen zu warnen, bevor sie zum Opfer werden. Hier wie dort wirkt eine fehlende Solidarität mit Betroffenen rechter Angriffe und der verharmlosende Umgang der staatlichen Behörden rechtfertigend und anspornend für die Täter. Die solidarische Antwort muss deshalb immer die gleiche sein: sich verantwortlich fühlen, die Verantwortung auf vielen Schultern teilen, Verbündete suchen und Netzwerke pflegen. Neonazis sind - um potentielle Opfer zu schützen - in erster Linie politisch handlungsunfähig zu machen. Sie journalistisch zu enttarnen ist Teil davon.

Zu den wichtigen 40 Punkten zählt deshalb auch, Bedrohungen und Angriffe publik machen. Genau das wollen wir auch weiterhin tun: Vorhandenes Wissen, Einschätzungen und gemachte Erfahrungen weitergeben, im besten Fall über politische Phasen und Generationen hinweg. Denn immer wieder zeigt sich die Öffentlichkeit erschrocken und überrascht, wenn extrem rechte Täter zuschlagen. Bei jedem neuen Fall wird ein einmaliges Versagen des Rechtsstaates bilanziert. Doch die Erfahrung zeigt, dass auch von VS-Informanten unterwanderte neonazistische Netzwerke jahrelang ungehindert morden können. Eigene Recherchen können Täter verunsichern, potentielle Opfer warnen und Behörden in Handlungszwang bringen. Umso wichtiger ist es, sich nicht auf das wechselhafte Medieninteresse zu verlassen, sondern selbst konkret vor Ort die Augen offen zu halten. Im Zweifelsfall gilt es – ohne eigene Quellen zu gefährden - gewonnenes Expertenwissen rigoros - quasi schmerzfrei - zu teilen, um auch andere handlungsfähig machen.