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Die Incel-Szene und der Rechtsterrorismus

Veronika Kracher
Einleitung

Anders Breivik erhält jedes Jahr hunderte Liebesbriefe von Femoid. Er hat so eine faszinierende Persönlichkeit!“ schwärmt ein User auf dem Incel-Subreddit „Braincels“.1 Auch auf dem Forum incels.co ist man sich einig, dass es sich bei Breivik um den „Nelson Mandela Europas“ handele, man nennt die Dokumentation über Breiviks Attentat „inspirierend“. Einige Incels wollen in Breivik sogar einen der ihren erkennen. So kommt im TIME Magazine2 ein Jugendfreund Breiviks zu Wort, welcher erzählt, dass Breivik als Kind Mobbing ausgesetzt war. Er habe versucht, dies durch exzessive Besuche im Fitnessstudio und die Überlegung, plastische Chirurgie an sich durchführen zu lassen, zu kompensieren.

Bild: Screenshot eines Meme aus reddit.com

Sogenannte Memes aus dem Internet bebildern die Wahrnehmungswelt der extremen Rechten und der „Incels“. „Pepe the Frog“, das Maskottchen der US-Rechten, kämpft mit „Normies“ (normalen Menschen) in einem Rankingsystem, das ursprünglich auf wahrgenommener Männlichkeit basiert und nunmehr auch ins politische übertragen wird.

Obwohl Incels Terroristen wie Breivik zu ihren Vorbildern zählen, inszenieren sie sich selbst eher als Opfer denn als Täter. Ihre Weltsicht, die sie in Anlehnung an die verschwörungstheoretische „Redpill“-­Ideologie der Alt-Right1  „Blackpill“ nennen, besagt, grob zusammengefasst, folgendes:

Das schlimmste Schicksal unserer Zeit sei physische Unattraktivität. Denn Frauen – sogenannte „Femoids“– seien allesamt oberflächliche Schlampen, die ihre Partner nach drei Kriterien auswählen würden: Attraktivität, Wohlstand und Status. Die Männer, die diese Kriterien erfüllen, gelten als  „Chads“. Frauen hätten vor der Geisel des Feminismus noch den Anstand gehabt, sich einen Partner zu suchen, der ihrem Attraktivitätslevel entspricht, inzwischen würde jedoch jede Frau ausschließlich nach Chads dürsten. Frauen verbringen in der Vorstellung von Incels ihre Zeit schon ab dem zwölften oder dreizehnten Lebensjahr damit, „das Schwanzkarussell zu reiten“, also jedes Wochenende Sex mit drei Chads auf einmal zu haben. Und sind sie mit 30 alt und verbraucht, setzen sie sich mit einem „Beta Cuck“ zur Ruhe – also einem Durchschnittsmann, der das Weib dann aushalten und versorgen darf. Aber auch der hat immerhin Zugang zu ihrer Vagina – im Gegensatz zu armen, bemitleidenswerten Incels, die aufgrund grauenhaft deformierter Körpermerkmale wie einem zu schmalen Handgelenk oder zu geringer Größe niemals außerhalb eines Pornos eine Vulva zu Gesicht bekommen werden.

Auf den ersten Blick könnten einem diese armen Knaben, die in dem fast schon methusaleischen Alter von 24 noch keinen weggesteckt haben, fast schon leid tun2 . Auf den zweiten Blick entpuppen sich Incels als misogyne, antisemitische und rassistische Menschenfeinde, die eine ganze Reihe von Eigenschaften an den Tag legen, die sie als Beziehungspartner von vornherein disqualifizieren. Der von Incels verbreitete Gedanke des Rechtes auf den weiblichen Körper findet in einer patriarchalen Gesellschaft auch anderweitig Ausdruck, etwa in Gesetzgebungen wie der Straflosigkeit von Vergewaltigung in der Ehe oder unzähligen (pop)kulturellen Formaten. Des Weiteren teilen Incels, die man als Teil von Alt-Right und Manosphere begreifen kann, die Ideologie der „Neuen Rechten“, wie die Idee vom „Kulturmarxismus“ oder dem „Bevölkerungsaustausch“.

Dass Incels Anders Breivik zum Helden ernennen, ist also nicht verwunderlich. So gibt es auch genügend Incels, die im Attentat die notwendige Reaktion auf die dem Feminismus und den Frauen geschuldete „Kränkung Sexlosigkeit“ sehen. Der erste bekannte Incel-Attentäter war Elliot Rodger, der 2014 an der Universität Santa Barbara sechs Menschen erschoss. Zu weiteren Incel-Attentätern gehören Alek Minassian, der im April 2018 mit einem Auto in eine Menschenmenge raste und so zehn Menschen tötete, Scott P. Beierle, der im November 2018 in ein Yogastudio eindrang und dort um sich schoss und zwei Frauen tötete, oder auch der Mörder der gerade erst 17 Jahre alten Bianca Devin, die im Juni diesen Jahres erstochen wurde. Bereits 1989 ermordete „Incel avant la lettre“ Marc Lepine 14 Frauen im polytechnischen Institut von Montreal und hinterließ ein Manifest, in dem er deklarierte, der Feminismus habe sein Leben zerstört. Dies ist nur ein Auszug aus einer langen Liste an explizit frauenfeindlichen Attentaten und Morden.

Incels sind ausgesprochene Feinde der immer jüdisch konnotierten Moderne, von deren Errungenschaften sie sich von allen Seiten bedroht sehen. Schwarze und migrantische Selbstbestimmung, die größere Sichtbarkeit von LGBTQs und vor allem der Feminismus gelten diesen jungen Männern als direkter Angriff auf sich selbst.

Spannend ist, dass Weiße einer Umfrage auf dem Incel-Forum incels.co zufolge gerade einmal die Hälfte der User ausmachen, (internalisierter) Rassismus trotzdem virulent ist. Incels of Colour nennen sich selbst  „Currycels“, Schwarze bezeichnet man mit dem N-Wort, und man tauscht sich in ekelerregend rassistisch-misogynem Jargon über die Vor- und Nachteile von weißen, asiatischen und schwarzen Frauen aus. Der in Incel-Kreisen als „Heilige“ verehrte Elliot Rodger lässt sich in seinem Manifest voller Hass über Beziehungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern aus. In den Reihen der Incels finden sich auch  Vertreter des White Supremacy-Denkens und Befürworter des Nationalsozialismus. Zu ihnen zählt Nathan Larson aus den USA, der nicht nur Pädophilie, Vergewaltigung und Inzest legalisieren möchte, sondern auch Hitler zu seinen großen Vorbildern zählt.

Während Pick Up Artists oder Kollegah-­Jünger versuchen, sich toxisches „Al­pha-Männer-Gehabe“ anzueignen, um Frauen so dann doch noch in die Schranken zu weisen, haben Incels es schon längst aufgegeben, das „Game“ gewinnen zu können. Da es ihnen unmöglich scheint, den ohnehin nur illusorischen „Alpha-Status“ zu erreichen, üben sie ihren Krieg gegen Frauen lieber auf anderen Ebenen aus. Sie geben sich auf Dating-Apps als attraktive Männer aus, schreiben Frauen an und lassen sie dann auf Dates sitzen oder fragen nach Nacktbildern, mit denen die Frauen dann erpresst werden. In ihren Foren tauschen sie sich darüber aus, wie man Frauen am besten vergewaltigen kann ohne dafür belangt zu werden. Der bereits erwähnte Larson vertritt sogar die These, dass Vergewaltigung das einzige Mittel für Incels sei, eine Frau penetrieren zu können. Die ultimative Triebabfuhr ist jedoch der Terror. Wie Klaus Theweleit in seinen akribischen Arbeiten zu Männlichkeit und Terror ausführt, handelt es sich bei Liebhabern des Terrors um einen bestimmten Typus Mann, den er als „Fragmentkörper“ oder „Nicht zu Ende-Geborenes“ bezeichnet. Diese Männer leben in ständiger Angst und Unsicherheit, sie fühlen sich von allen Seiten durch „das Andere“ bedroht und gekränkt – vor allem durch das Weibliche, sei es weiblich Konnotiertes in sich selbst, oder eben Frauen oder queere Menschen. Dieses „Andere“, das es im letzten Jahrhundert gewagt hat, sich Sichtbarkeit und Rechte zu erkämpfen und somit für den narzisstisch gekränkten Mann zur Bedrohung geworden ist, muss bekämpft werden. Dies erfolgt immer wieder auch im Terrorakt, der auf regressive Art und Weise als „Ermächtigung“ verstanden wird.

Es ist bezeichnend, dass Incels darüber spekulieren, dass man als Attentäter zum „Ultra-Chad“ transzendiert. So wurde auf dem Imageboard 8chan ein Meme3 verbreitet, das mutmaßlich von dem Mann stammt, der im August 2019 die Al-Noor-Moschee in Oslo angegriffen hatte. Das Meme stellt die Attentäter von Christchurch, Poway und El Paso als „Chads“ dar. Terror wird hier zur ultimativen Wiedergutmachung der narzisstischen Kränkung sowie zur letzten Triebabfuhr.

Die Glorifizierung von Tätern geht so weit, dass „High Score-Listen“ geführt werden: Je mehr Menschen jemand ermordet hat, desto weiter oben steht er auf der Liste. Das inzwischen geschlossene Forum „truecels.org“ hatte seine eigene „Hall of Heroes“, auf denen die User Massenmördern und Attentätern huldigen konnten. So erklärt sich auch der Wunsch nach Identifikation mit Breivik als Incel: Auch er hat seinen Incel-Status durch einen der grausamsten rechtsterroristischen Anschläge unserer Zeit überwunden, er ist derjenige, den jeder einzelne moderne Attentäter als Vorbild sieht. Anders Breivik: ein Ultra-Chad.

  • 1Der Begriff ist eine Anlehnung an den Film „Die Matrix“, in dem die rote Pille für das Erkennen von Wahrheit und Erleuchtung steht. Diese projektive Ideologie lässt sich grob zusammenfassen mit: Weiße Männer sind die eigentlichen Opfer unserer Zeit und werden systematisch entmannt und diskriminiert, Frauen haben aufgrund ihrer Sexualität die gesellschaftliche Vormachtstellung, und Männer müssen sich durch Maskulinismus aus dieser misslichen Lage befreien und wieder zu dominanten Alpha-Typen werden. Und an allem sind natürlich die Juden Schuld.
  • 2Einer Umfrage auf dem Forum incels.co sind drei Viertel der User jünger als 24 Jahre.
  • 3Sogenannte Memes aus dem Internet bebildern die Wahrnehmungswelt der extremen Rechten und der „Incels“ (involuntary celibate), die im „ungewollten Zölibat“ leben: „Pepe the Frog“, das Maskottchen der US-Rechten, kämpft mit „Normies“ (normalen Menschen) in einem Rankingsystem, das ursprünglich auf wahrgenommener Männlichkeit basiert und nunmehr auch ins politische übertragen wird. Die „Alphas“ der Alt-Right sind bereits „redpilled“, Andersdenkende sind noch „Betas“ und „Normies“ erkennen die Wahrheit, nachdem sie wie die Filmfigur Neo (The Matrix) die „rote Pille“ genommen haben. Die Gewissheit, sich der Wahrheit über die Gesellschaft bewusst geworden zu sein, vereint die (Internet)Welt aus „Männerrechtlern“, Pickup-Artists und der extremen Rechten. Die MS-Pain-Comic­figur des „Chad“ (Chad-Thundercock) beruht auf einem stereotypen US-amerikanischen Schul / College „Alpha-Männchen“ als Figur für alle beliebten Männer / sexuell erfolgreichen Männer. Die gehuldigten Attentäter wurden zu „Chads“.