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Die extreme Rechte in Ostdeutschland 1990–1998

Michael Lausberg

Betrachtungen über die neonazistische Szene der DDR und ihr Erstarken in den 1990er Jahren sind noch lange nicht Gegenstand antifaschistischer Analysen geworden und entsprechend dünn ist daher die aktuelle Publikationsdichte. Mit dem Ende der DDR setzte sich eine neonazistische Szene frei, die durch Gewalttaten den Tod von bisher 182 Menschen zu verantworten hat und Netzwerke und Strukturen ausbildete, die bis heute fortbestehen und in denen sich nicht nur der NSU radikalisierte. Das Buch »Die extreme Rechte in Ostdeutschland 1990–1998« will sich dieser Leerstelle widmen, »die Aktivitäten der extremen Rechten in den fünf neuen Bundesländern« nachzeichnen sowie »Innenansichten« offenlegen und eine entsprechende Analyse liefern. Letztere hätte aktuelle antifaschistische Debatten – gerade im Kontext NSU – bereichern können, doch ist diese nach der Lektüre nur ansatzweise zu finden.

Lausberg verwendet in dem Buch, in Abgrenzung zum staatlichen Extremismuskonstrukt, den Begriff »extreme Rechte« und stellt die Begründung dafür an den Anfang der Publikation. In dem Kapitel »Geschichte der extremen Rechten in der DDR« werden Ansätze dargestellt, die versuchen, das Vorhandensein neonazistischer Aktivitäten »im ersten antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden« zu erklären. Eine mangelnde Aufarbeitung der Verstrickungen in den NS durch Bezugnahme auf die Faschismusdefinition Dimitroffs, ein staatlich verordneter Antifaschismus dem aber eine tatsächliche gesellschaftliche Basis fehlte sowie eine konstante Fokussierung der SED-Führung auf die »Nation« sind Ansätze, die hier zwar nicht ausführlich, aber zum weiterdenken anregend, eingeführt werden. Die Darstellung der extremen Rechten beschränkt sich allerdings auf einzelne Beispiele neonazistisch und rassistisch motivierter Angriffe, in der Organisationsansätze leider keinen Platz finden. Gerade die ab 1982 einsetzende Vernetzung in den Fußballstadien, aus der für die spätere Entwicklung wichtige neonazistische Gruppen entstanden, hätte hier näher beleuchtet werden müssen. Ähnlich verbleiben die im Anschluss dargestellten Einzelbeispiele neonazistischer Aktivitäten bzw. Entwicklungen in sechs ausgewählten Städten auf dem Niveau einer (unvollständigen) Chronik.

Um das Vorhandensein extrem rechter Einstellungen bei Jugendlichen in Ost und West vergleichen zu können, bezieht sich der Autor auf Studienergebnisse des Deutschen Jugendinstituts. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass rassistische Haltungen vermehrt bei Jugendlichen »Modernisierungsverlierern« mit niedrigen Bildungsabschlüssen vorlagen und im Osten stärker ausgeprägt waren als im Westen. Welchen Einfluss dies auf die Herausbildung der extremen Rechten in Ostdeutschland und auf rassistische Gewalttaten hatte, die es nicht nur in diesen Jahren mit einer Vielzahl Toter auch im Westen gab,  wird hier nicht weiter in die Analyse einbezogen. Ebendies gilt auch für die Auseinandersetzung mit dem »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt«. Hier wäre ebenfalls die Chance gewesen, nicht nur die angedachten Ziele des Programms zu beschreiben, sondern in eine kritische Reflexion über diese Art Sozialarbeit, die in Negativbeispielen den Aufbau neonazistischer Strukturen zum Teil erst ermöglichte, zu gehen. Stattdessen endet das Buch mit Kurzbeschreibungen der damals in Ostdeutschland aktiven Parteien, einigen Beispielen rassistischer Polizeigewalt und Anmerkungen zum schwachen Umgang der Justiz bei neonazistischen Straftaten. Leider wurde hier die Möglichkeit einer inhaltlich-analytischen Auseinandersetzung mit der damals massiv in Erscheinung getretenen Neonaziszene nicht wahrgenommen. 

Michael Lausberg:
Die extreme Rechte in Ostdeutschland 1990–1998
Tectum Verlag Marburg, 2012
ISBN: 978-3-8288-2895-7
S. 131; 19,90 EUR