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Die Ermittlungen gegen „Blood & Honour“ Nachfolger

Einleitung

Was bringen Verbote neonazistischer Gruppen den Behörden? In der Regel die Möglichkeit, deren ehemalige Mitglieder über Jahre hinweg zu überwachen und mit Ermittlungen zu überziehen. Der Blick auf das Verbot der deutschen Division des Netzwerks „Blood & Honour“ und auf den Umgang mit dessen Nachfolgestrukturen macht dies deutlich.

Foto: Screenshot von facebook

Im Ausland weitgehend risikolos: Neonazi aus dem Allgäu 2015 in Italien mit Shirt von „Blood & Honour Deutschland“. Die Tätowierung am Oberarm zeigt den Zahlencode „28“. Links daneben: Ein Musiker der schwedischen Neonazi-Band Pitbullfarm.

Viel Aufwand, wenig Verurteilungen

Am 14. September 2000 wurde das Verbot der deutschen Division des internationalen „Blood & Honour“-Netzwerkes und ihrer Jugendorganisation „White Youth“ vollzogen. Bald wurde klar, dass B&H in Deutschland zum Zeitpunkt des Verbotes bereits in internen Streits aufgerieben und zerfallen war. Ein ausgestiegener ehemaliger B&H-Aktivist erzählt, das Verbot sei für ihn geradezu „befreiend“ gewesen. Die Aktivitäten in der Konzertorganisation und Musikproduktion habe er unter anderem Namen weitergeführt, doch es habe niemanden mehr gegeben, dem er Rechenschaft hätte ablegen müssen. Durch das Verbot stiegen Mythos und Marktwert des Labels B&H beträchtlich und er konnte nun hemmungslos in die eigene Tasche wirtschaften.

Nachfolge oder Trittbrettfahrer?

Was tatsächlich eine Nachfolgeorganisation des deutschen B&H war und wer sich „nur“ mit dem Label B&H profilierte, um seinen Szenestatus zu erhöhen, lässt sich nur schwer festlegen. Netzwerke wie die „Brotherhood 28“ oder die „Division 28“ reklamierten offen die Nachfolge von B&H, was schon der Zahlencode „28“ in ihren Namen deutlich macht.1 Die beiden Gruppen waren ins internationale B&H-Netzwerk eingebunden und wurden von Personen getragen, die schon im „alten“ B&H aktiv gewesen waren. Andere Gruppen posierten zwar mit der „28“, wurden jedoch von ehemaligen B&H-Aktiven als Trittbrettfahrer angesehen und zum Teil regelrecht bekämpft. Aus der internen Kommunikation von Personen der kürzlich verbotenen „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT) wird deutlich, dass auch diese sich als „28er“ verstanden. Doch es gibt keine Hinweise darauf, dass sie Teil eines internationalen B&H-Netzwerkes gewesen wären. Der Bezug auf B&H diente der WWT wohl eher zur Profilierung nach innen und außen.
In den vergangenen Jahren treten deutsche Neonazis auf Konzerten im Ausland (wieder) vermehrt in Shirts mit Aufdrucken wie „Blood & Honour Deutschland“ auf. Vor allem Personen aus dem Fankreis der Allgäuer Band "Faustrecht", die zu den führenden deutschen B&H-Bands zählt(e), exponieren sich damit. Solange man dies nicht in Deutschland tut, wähnt man sich mittlerweile sicher.

„Brotherhood 28“ und „Division 28“

Das Kokettieren mit B&H-Symbolik führte in den vergangenen Jahren zu Dutzenden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, eine verbotene Organisation weiterzuführen bzw. deren organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten. Dies beschreibt der §85 StGB. Wie viele Verfahren es diesbezüglich gab, lässt sich nicht überblicken. Manchmal genügte das Tragen verbotener B&H-Symbolik, um den Ermittlungsapparat in Gang zu setzen. Größere Ermittlungskomplexe betrafen Kreise, die sich „Brotherhood 28“ und „Division 28“ nannten.

Am 16. Juni 2001 versammelten sich unter konspirativen Umständen ca. 40 Neonazis in Magdeburg, um — so die polizeiliche Erkenntnis — die Weiterführung von B&H zu planen. Ein Großteil von ihnen hatte vor dem Verbot B&H angehört. Über Jahre hinweg ermittelte die Polizei umfangreich gegen 39 Personen, die unter anderem das Label „Brotherhood 28“ nutzten. Erst im Jahr 2008 wurde vier Angeklagte in einem Prozess in Halle/Saale wegen der Durchführung eines Konzertes im Jahr 2001, das als Nachfolgeaktivität von B&H gewertet wurden, zu Geldstrafen verurteilt. Ein weiterer Angeklagter wurde verwarnt.
2002 und 2003 kamen auf mindestens zwei Treffen in Baden-Württemberg und dem österreichischen Vorarlberg bis zu 50 Neonazis zusammen, um B&H in Deutschland neu zu gründen. In den Folgejahren trat ihr Kreis unter den Namen „Division 28“ und „Pirates 28“ auf und unterhielt Sektionen in Hessen, Baden, Württemberg, Thüringen, Franken, Bayern, in der Pfalz und in Vorarlberg. In Sachsen waren insbesondere Neonazis des „Sturm 24 Bautzen“ in das Netzwerk der Aktivitäten eingebunden. Doch schon bald gärten in der „Division 28“ die Streits zwischen denen, die ein Musiknetzwerk mit entsprechenden Kommerz betreiben wollten, denen, die B&H als eine Gang sahen und im Rotlichtmilieu angekommen waren, und denen, die sich als „Untergrund“-Kampforganisation nach Konzept des „Combat 18“ verstanden. Man beschimpfte sich gegenseitig als „Juden“, prügelte sich und schmiss sich gegenseitig raus. Spätestens Im Jahr 2008 war die „Division 28“ kleinteilig zerfallen.

Die Landeskriminalämter ermittelten gegen diesen Kreis bereits seit 2003 nach §85 StGB. Eigens eingerichtete Sonderkommissionen waren Jahre lang mit Beobachten, Abhören und Mitlesen beschäftigt. Die Ermittlungen betrafen im Jahr 2007 fast 100 Personen. Die Ergebnisse muten bescheiden an: Zu Prozessen gegen Aktivisten der Division 28 kam es erst 2009 (Stuttgart), 2010 (Frankfurt/Main) und 2011 (Karlsruhe), in denen insgesamt fünf Personen zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Von anderen Ermittlungsverfahren, beispielsweise gegen knapp drei Dutzend sächsische Neonazis, sind keine Prozesse bzw. Urteile bekannt geworden.

Das Instrument §85 StGB

Die Organisierung von Neonazikonzerten und die Produktion neonazistischer Musik ist erst strafbar, wenn darüber volksverhetzende Textinhalte oder nationalsozialistische Symbolik transportiert werden. Selbst dies rechtfertigt in der Regel keine derart aufwändigen Ermittlungen wie der „Verdacht auf Weiterführung einer verbotenen Organisation“. Der §85 StGB ermöglicht es der Polizei, über viele Jahre das volle Programm zu fahren: Strukturermittlungsverfahren und umfassende Kommunikationsüberwachung zur Beschaffung und Auswertung großer Datenmengen.

Aus den Erfahrungen von B&H und deren Nachfolge wird erkennbar, wie Polizei und Staatsanwaltschaft den §85 StGB nutzten, um Angehörige einer Organisation, die zum Zeitpunkt ihres Verbotes schon im Zerfall war, über viele Jahre (und wohl bis heute) zu überwachen und mit Ermittlungsverfahren zu überziehen. Und nicht nur sie, sondern auch Personen, die sich der Symbolik der verbotenen Gruppe bedienen.

Sicherheitsbehörden setzen ihre Priorität in der Regel darauf, tiefe Einblicke in die Strukturen zu bekommen, geleitet vom unbeirrbaren Glauben, diese dadurch unter Kontrolle zu haben. In klar strukturierten und gefestigten Gruppen sehen sie dies, vor allem über V-Personen in Füh­rungsebenen, gewährleistet. Warum also diese verbieten? In dieser Logik bereitet es Probleme, wenn eine Gruppe Auflösungserscheinungen zeigt. Dann schafft ein Verbot die Grundlage für Ermittlungen nach §85 StGB, über den langfristig und umfangreich überwacht  werden kann. Ein zügi­ger Abschluss der Ermittlungen ist oft nicht von Interesse, denn mit diesem müssen die Überwachungsmaßnahmen eingestellt oder zumindest stark zurückgefahren werden. So wird ermittelt und ermittelt — und am Ende wirken sich, wenn es denn überhaupt zu Prozessen kommt, die lange Verfahrens­dauer (Karlsruhe, 2011) und weil die Tat schon sieben Jahre zurücklag (Halle, 2008) für die Angeklagten strafmindernd aus.

Nicht verboten: Die Konkurrenz von „Blood & Honour“

Nutznießer dieser Behördenlogik sind allzu offensichtlich die „Hammerskins“. Ursprünglich war im Jahr 2000 geplant gewesen, zugleich mit „Blood & Honour“ die „Hammerskins“ in Deutschland zu verbieten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schlug das Ansinnen unter anderem mit dem Hinweis auf deren angeblich „geringe Relevanz“ nieder. Doch die deutschen „Hammerskins“ waren schon zu dieser Zeit eine überaus militante und international vernetzte Organisation. Sie boten nach 2000 manchen B&H-Aktiven eine neue organisatorische Heimat, übernahmen einige Labels und Versände des ehemaligen B&H und wuchsen zum Big Player (nicht nur) im Rechtsrockbusiness. Mit dem Ermittlungsdruck auf B&H-Nachfolgestrukturen und dem Verbot der „Weisse Wölfe Terrorcrew“ wurden ausgerechnet die Gruppen geschwächt, die sich als Konkurrenz zu den „Hammerskins“ aufgestellt hatten. Die „Hammerskins“ bilden eine gefestigte Struktur, in ihrer Führungsebene bewegt sich mindestens ein V-Mann. Es lässt sich mutmaßen: Sollten bei ihnen Zerfallserscheinungen einsetzen, so wäre ein Verbot wohl nur Formsache.

Zum Weiterlesen: Der NSU im Netz von Blood & Honour und Combat 18 (NSU-Watch 13.06.2015)

  • 1Die „28“ steht für den zweiten und achten Buchstaben im Alphabet — B und H.