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Die Deutsche Stimme verstummen lassen...

Einleitung

So lautete das Motto einer antifaschistischen Demonstration am 12. Februar 2000 in Riesa, an der 800 Menschen teilnahmen. Anlass war der Umzug des NPD-Organs Deutsche Stimme vom bayerischen Sinning in die sächsische Kleinstadt zwischen Dresden und Leipzig. Ermöglicht wurde diese Ansiedlung durch verschiedene Faktoren: Einerseits eine etablierte und gut organisierte NPD-Struktur in Sachsen und andererseits eine Stadt, die rassistische Übergriffe totschweigt. Hier wird das Problem nicht in der Ansiedlung eines Nazizentrums gesehen, sondern im Widerstand dagegen.

Bild: attenzione-photo.com

Anfang 1998 zog die Deutsche Stimme und der ihr angegliederte Verlag von Stuttgart nach Sinning – angeblich aus Platzgründen. Auf dem Grundstück von Anton Pfahler im bayerischen Dorf Sinning wollte man nun weiterarbeiten. Doch das Gastspiel in der bayerischen Provinz war nur von kurzer Dauer: Die Gemeinde gab einem Antrag auf Umnutzung der vorgesehenen Räume in Gewerberäume nicht statt. So zog die Deutsche Stimme in einen kleineren Gebäudeteil des Pfahlerschen Anwesens um. Im Juni 2008 fand dann eine Razzia auf dem Gelände statt. Pfahler wurde wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz festgenommen und zu einer mehrjährigen Hartstrafe verurteilt. Auf dem Grundstück waren Maschinenpistolen, Handgranaten, Tretminen und Maschinengewehrläufe gefunden worden. Bei der gleichzeitigen Durchsuchung des Deutsche Stimme Verlags (DS) wurde etliches Propagandamaterial sichergestellt. Die zu engen Räumlichkeiten, staatliche Repression und unterschiedliche antifaschistische Aktivitäten erwirkten schließlich Ende 1999 den Weggang des Verlags aus Sinning.

Jürgen Günz und die NPD

Schon zum Bundesparteitag der NPD im sächsischen Mulda (vgl. AIB # 47) liefen die ersten Vorbereitungen des Umzugs. Der Riesaer NPD-Stadtrat Jürgen Günz präsentierte hier am Rande der Veranstaltung seine Immobilie: Das Gebäude seiner 1998 in Konkurs gegangenen Heizungs- und Sanitär GmbH. Die Reste seines Ausfluges in die Marktwirtschaft, der ihn laut Eigenaussagen ins »nationale Lager« geführt hätte, wollte er gern weiter in nationaler Hand sehen. Das zum Verkauf stehende Gelände auf der Mannheimer Straße stand also für die NPD zum Erwerb offen. Andere Interessentinnen sollen von Jürgen Günz unter Druck gesetzt worden sein. So wechselte das Gebäude ohne Probleme in den Besitz des DS-Verlags über. Nicht unbeteiligt an diesem reibungslosen Ablauf war die Volksbank Riesa, die die Konkursmasse von Günz GmbH verwaltete. Obwohl sie mehrmals auf die Identität der Grundstückskäufer hingewiesen wurde, brach die Bank die Kontakte nicht ab. Das ist auch nicht verwunderlich, da Günz selbst lange Zeit in deren Vorstand saß.

Ab Anfang April 2000 soll das NPD-Blatt Deutsche Stimme nun von Riesa aus versandt werden; der ihr zugehörige Versand und Pühses Liste wird dann hier auch seine Arbeit aufnehmen. Die neuen DS-Räumlichkeiten werden schon viel länger für Neonaziarbeit genutzt. So organisierte die NPD ihren Landtagswahlkampf 1999 von hier aus, die Neonaziskinband Die Weißen Riesen probte in den Räumlichkeiten und auch die eine und andere Festivität wurde gefeiert. Jetzt sind die Kameraden selbstverständlich stolz, dass die Deutsche Stimme hierherkommt, so Jürgen Günz gegenüber der regionalen Presse. Immerhin würden zehn neue Arbeitsplätze entstehen. Und so werkeln sie seit Jahresanfang kräftig herum. Zum Schutz der neuen Zentrale ist eine Gruppe aus militanten Nazischlägern gebildet worden. Somit wird im Umkreis des Anwesens eine No-go-area geschaffen. Denn die Neonazis beschränken sich nicht auf das Bewachen des Gebäudes, sondern greifen vermeintliche Gegnerinnen auch tätlich an.

Riesa – Stahl-, Sport- und Nazistadt

»Wir haben uns über Jahre einen guten Ruf erarbeitet, den lassen wir uns keinesfalls kaputtmachen,« so Bürgermeister Köhler in einem Interview in Bezug auf die Ansiedlung des Verlags. Eine Stadt, die bisher alles getan hat, um Nazis zum gemütlichen Strukturaufbau einzuladen, fürchtet nun um ihren Ruf. Keine Aufregung zeigten die RiesaerInnen bei den zahlreichen rechten Übergriffen der letzten Jahre. Das Gegenteil war der Fall. Sie trugen mit ihrem (Nicht-) Verhalten maßgeblich zur rassistischen Normalisierung bei. Übergriffe von deutschen Jugendlichen, die auf alle Jagd machen, die nicht in ihr rechtes Weltbild passen, werden von der Bevölkerung mit Orientierungs- und Arbeitslosigkeit entschuldigt.

Auch Riesa unterstützt Neonazis seit Jahren mit akzeptierender Jugend- und Sozialarbeit. So finanzierte die Stadt den Proberaum und die Instrumente der Weissen Riesen. Die Stadt machte auch nicht von ihrem Vorkaufsrecht auf das Gelände von Jürgen Günz Gebrauch, obwohl sie wusste, an wen sonst das Gelände gehen würde. Statt aktiv gegen die Ansiedlung vorzugehen, gründeten die Fraktionsvorsitzenden der CDU, SPD ein »Bündnis gegen Radikalität – Für Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Stadt Riesa«, an dem zunächst auch die örtliche PDS beteiligt war – bis sich überregionale PDS- Strukturen einschalteten. Zielstellung dieses Bündnisses ist »eine überparteiliche Initiative gegen jegliche Art links- und rechtsradikaler Bewegungen und Aktivitäten und jede Form politisch motivierter Gewalt«. Das Problem wird also wie meist nicht in der Etablierung einer Nazizentrale gesehen, sondern im Widerstand dagegen, der das Problem ja erst in die Stadt hineintragen würde.

Antifaschistische Gegenaktivitäten

Nach Bekanntwerden des bevorstehenden Umzugs gründete sich in Riesa ein Bündnis gegen Rechts aus Antifagruppen, Bündnis 90/Grünen, örtlichen Initiativen, VVN/BdA, Gewerkschaften undschließlich auch der PDS. Das Bündnis hat es sich zur Aufgabe gemacht, Aufklärungsarbeit zu leisten und aktiv gegen rechtsextreme Bestrebungen vorzugehen. Die von sächsischen Antifagruppen getragene Demonstration am 12. Februar unterstützte das Bündnis zwar nicht als gesamtes. Aber doch ein Großteil der dort vertretenen Organisationen rief mit zur Demonstration auf. Die große Beteiligung an der Demonstration, die über die Antifamobilisierung weit hinausging, wird von allen als Erfolg eingeschätzt und als ein wichtiges Zeichen gewertet. Doch Widerstand kann nur dann erfolgreich sein, wenn er kontinuierlich geschieht. Das heißt, es muss aktiv weiter darauf hingewirkt werden, dass der Deutschen Stimme die Grundlage entzogen wird, und nicht nur in Riesa, sondern überall.