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Die Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg und die Rolle der AfD

aus dem Unterstützungskreis der Betroffenen (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Oktober 2022 jährte sich die Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein) zum zweiten Mal. Am 17. Oktober 2020 fuhr das damalige AfD-Mitglied Melvin Schwede1 am Rande einer AfD-Veranstaltung mit seinem Auto in eine Gruppe Antifaschist_innen und verletzte einige von ihnen schwer (vgl. AIB Nr. 130).

 

  • 1"8.Mai 2022: Landtag in Schleswig-Holstein nazifrei?"; Der Rechte Rand; Ausgabe 194, Januar/Februar

Bei diesem Angriff nahm Schwede den Tod der sich auf dem Gehweg befindenden Antifaschist_innen billigend in Kauf, wenn er ihn nicht sogar beabsichtigte. Im November 2021 wurde die Anklage wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr vom Landgericht Kiel zugelassen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Fahrer des Autos vor, „mit bedingtem Tötungsvorsatz vier Personen, die zuvor gegen die Versammlung demonstriert hatten, angefahren und verletzt zu haben.“ Bis Mitte September 2022 wurde noch kein Termin für die Hauptverhandlung anberaumt.

Feindbild Antifa

Die betroffenen Antifaschist_innen sind seit dem rechten Angriff bis heute in ärztlicher Behandlung. Zum Teil können sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Dass so ein Angriff nicht nur physische Auswirkungen für die direkt Betroffenen hat, sondern sie und ihr Umfeld auch psychisch trifft ist nicht nur Nebeneffekt, sondern eine Strategie von rechtem Terror. Dass Antifaschismus für die extreme Rechte zum Feindbild gehört ist weder neu noch überraschend. Die Idee dahinter ist antifaschistisches Engagement gesellschaftlich zu delegitimieren und zu isolieren. Dabei wird sämtlicher Aktivismus gegen extrem rechte Einstellungen dem Feindbild Antifa zugeordnet. Dieses Feindbild hat die Funktion, Widerspruch gegen die extrem rechte Ideologie zu unterbinden, Antifaschist_innen einzuschüchtern und in ihrer Aktionsfähigkeit zu hindern.

Uns ist bewusst, dass auch bei diesem Anschlag nicht „nur“ das Motiv des Feindbild Antifa, sondern auch Rassismus eine Rolle gespielt hat. So ist davon auszugehen, dass der Täter eine Betroffene als Schwarze Frau gelesen hat.1

Hetzer AfD

Auch bei der AfD ist das Feindbild Antifa fester Bestandteil ihres politischen Programms inner- und außerhalb der Parlamente, wie Anträge der Partei exemplarisch verdeutlichen: So musste sich der Bundestag im September 2019 mit dem Antrag der AfD-Fraktion befassen, für einen „antiextremistischen Grundkonsens (...) die ‚Antifa‘ (zu) ächten“ bzw. im Juni 2020 mit dem Antrag, ein bundesweites Verbot der Antifa zu prüfen. In seiner Rede zur anschließenden Debatte bedankte sich das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Jens Maier (AfD) beim damaligen Präsidenten der USA Donald Trump dafür, der dortigen Antifa „den Krieg erklärt“ zu haben. Auch der Versuch der AfD 2019 eine Juso-Demonstration gegen ein geplantes Konzert der rechtslastigen "Deutsch-Rocker" von der Band "Frei.Wild" zu verbieten, spricht Bände.2

Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 markierte der extrem rechte Höcke-Fan Maximilian Holstein3 aus Elmshorn (Kreis Pinneberg) die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock als „Volksverräterin“.4 Daneben belegen unzählige Äußerungen in den Sozialen Medien das rechte Weltbild der Parteimitglieder, wie etwa die Tweets des ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten Claus Schaffer5 aus Lübeck („51 und Anti-#Antifa. Für #Demokraten selbstverständlich.“) oder von Julian Flak aus Kaltenkirchen (Kreis Segeberg), der am 27. August 2022 im Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg zum zweiten stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD gewählt wurde („Gemeinsam #Antifa zur Strecke bringen!“), zeigen.

Applaus der Mitte

Wer gegen „die Antifa“ polemisiert, macht sich schnell zum*zur Kompliz_in extrem rechter Propaganda. Was es braucht, ist nicht Distanzierung von „Gewalt“ und „Extremismus“, sondern Solidarität und das gemeinsame Ziel, extrem rechter Ideologie in dieser Gesellschaft keinen Raum zu geben“,6 schrieben die Genoss_innen der Lotta. Das sind Worte, die nicht nur in der Gemeinde Henstedt-Ulzburg erst noch verstanden werden müssen. So lässt sich z.B. der örtliche FDP-Politiker Stephan Holowaty in den "Kieler Nachrichten"7 und im "Hamburger Abendblatt"8 mit den Worten zitieren: „Wo die schwarze Flagge der Antifa weht, gibt es keine Unterstützung der Freien Demokraten.“ Dem Henstedt-Ulzburger „Bündnis für Demokratie und Vielfalt“ wirft er vor, nur Aufmerksamkeit für die AfD zu erzeugen.

Das dies keine Einzelmeinung darstellt, sondern dem allgemeinen politischen Stimmungsbild in Henstedt-Ulzburg entspricht, verdeutlichen auch SPD und Grüne, indem sie sich von einer Solidaritäts-Demonstration für die Betroffenen der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg im Juli 2021 distanzierten.9 Durch ihre offene Willkommenskultur gegenüber der AfD hat die Gemeinde Henstedt-Ulzburg das Bürgerhaus zu einem gefragten Veranstaltungsort für die AfD in Schleswig-Holstein gemacht. Mittlerweile ist dort auch der AfD-Landesverband aus Hamburg immer wieder gern zu Gast. Leider lässt sich das Henstedt-Ulzburger „Bündnis für Demokratie und Vielfalt“ immer wieder durch diese Stimmungsmache und eine ablehnende Haltung der Gemeinde gegenüber Menschen, die sich an Protesten gegen die AfD beteiligen, beeinflussen.10

Täterumfeld AfD

Die AfD hat sich zur stärksten politischen extrem rechten Kraft in Deutschland entwickelt. Aus ihr kommen Stichwortgeber_innen und Akteur_innen, Hetzer_innen und Täter_innen. Der bekannteste Fall ist der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch einen Neonazi und AfD-Wahlkampfhelfer11 . Diese Tat war kein Einzelfall. Auch der Mörder, der am 22. Juli 2016 neun Menschen aus rassistischen Motiven in München am Olympia-Einkaufzentrum12 ermordete, bezog sich auf die AfD und ihre Ideologie. So wie der Mord an einem jungen Tankstellenmitarbeiter in Ida-Oberstein durch einen AfD-Sympathisanten.13

Die Wege von Stichwortgeber_innen zu Akteur_innen sind auch in der AfD-Schleswig-Holstein kurz. So pflegt das AfD-Mitglied Ralph Eitelbach aus Witzhave (Kreis Stormarn), Kandidat bei den Kommunalwahlen 2018, enge Kontakte zur rechtsterroristischen und bewaffneten Organisation „Gruppe S“.14 Zusammen mit dem Neonazi Thorsten Kempf aus Bad Bramstedt (Kreis Segeberg), der ebenfalls der „Gruppe S“ nahesteht, trat Eitelbach bei AfD-Veranstaltungen in Kiel und Henstedt-Ulzburg als Security auf. Bei Thorsten Kempf besteht die Vermutung, dass er sich sein Neonazi-Dasein vom Staat bezahlen lässt, weil er auch als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig gewesen sein soll.15 ,16

Als Unterstützer_innen der Betroffenen ist uns klar, dass die Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg kein Unfall war, sondern ein bewusster Angriff. Bei dem anstehenden Prozess setzen wir auf eine breite Solidarität. Wir wollen die Betroffenen nicht alleine lassen und den Anschlag nicht vergessen. Die Geschichte hat gezeigt, dass sich die menschenverachtende Ideologie der Faschist_innen, egal welcher Splittergruppe sie angehören, mit Worten allein nicht aufhalten lässt. Für uns hat bis heute der Schwur aus Buchenwald richtungsweisende Aktualität: “Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

  • 1https://antifapinneberg.noblogs.org/post/2021/10/25/woche-der-solidarit…
  • 2www.dokmz.com/2019/04/09/afd-fordert-kreis-zum-verbot-von-demo-gegen-fr…
  • 3"Höcke-Anhänger führt die AfD in Elmshorn: Bürger demonstrieren"; SHZ vom 11.02.2020
  • 4Antifa Pinneberg auf Twitter: „Zum kommenden Donnerstag, 12.08.2021 baut der Elmshorner Faschist und Höcke-Anhänger Maximilian Holstein eine verbale Drohkulisse mit Schlagwörtern der Nazis gegen eine Veranstaltung mit Annalena Baerbock in #Pinneberg auf. https://t.co/SbOr1kfzeN“ twitter
  • 5Nach der Wahlniederlage zur Landtagswahl am 8. Mai 2022, bei der die AfD an der Fünfprozenthürde scheiterte und Schleswig-Holstein das
    erste Bundesland ohne AfD im Landesparlament wurde, will Schaffer wieder als Polizist arbeiten.
  • 6www.lotta-magazin.de/ausgabe/80/feindbild-antifa
  • 7"Politik in Henstedt-Ulzburg versteht Kritik des Bündnis für Demokratie und Vielfalt im Widerstand gegen die AfD nicht"; kn-online.de
  • 8"Henstedt-Ulzburg: “Fühlen uns gefährdet!“ AfD tagt erneut im Bürgerhaus" Hamburger Abendblatt
  • 9"Henstedt-Ulzburg: 300 Menschen demonstrieren gegen rechtsextreme Gewalt"; Hamburger Abendblatt, 18.07.2021
  • 10"Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt"; Beiträge auf facebook
  • 11Buch: "Rechter Terror: Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt" von Martín Steinhagen
  • 12"München erinnern! – Wir trauern um die Ermordeten des rechten Anschlags am OEZ"; muenchen-erinnern.de
  • 13"Idar-Oberstein: War er der mutmaßliche Mörder? Twitterprofil von AfD-Fan mit Kriegsfantasien"; rnd.de
  • 14„Gruppe S.“ & die drei verschonten Neonazis; Exif (exif-recherche.org)
  • 15Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 27.04.2022: "Die „Gruppe S.“ – Ist der Hamburger Thorsten Kempf ein V-Mann des Verfassungsschutzes?"
  • 16"Prozesstag 70: War Thorsten K. V-Mann im nahen Umfeld der „Gruppe S“"; Prozessbeobachtung Gruppe S