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Die Anastasia Bewegung: Irdische Energien online

Arbeitskreis Anastasia
Einleitung

Es ist Dienstag, der 1. Februar 2022 oder 7.530 Jahre nach Erschaffung des Friedens im Sternentempel.“ So oder so ähnlich beginnen alle Ausgaben der „Engels­burger Neuigkeiten“, eines rechtsesoterischen Videokanals aus dem Umfeld der Anastasia-Bewegung, und damit herzlich willkommen im Reich des Geschwurbels. Während einige Anhänger*innen der Anas­tasia-­Bewegung sich vor allem mit der Gründung ihres eigenen Familienlandsitzes beschäftigen, haben andere den Schwerpunkt ihrer Arbeit ins Netz verlegt. Doch wie bedeutend sind die unzähligen Kanäle und wie sind diese miteinander vernetzt?

Bild: Screenshot: engelsburgtv

Die "Engelsburger Neuigkeiten" präsentieren sich regelmäßig online.

Die Anastasia-Bewegung bezieht sich auf die Buchreihe „Die klingenden Zedern Russlands”, geschrieben von Wladimir Megre. Die insgesamt 10 Bände, die in den Jahren 1996 bis 2010 auf Russisch erschienen sind, handeln von der Romanfigur Anastasia, die übersinnliche Kräfte besitzt und allwissend ist. Die Probleme unserer Welt könnten angeblich durch das Siedeln auf dem Land, auf sogenannten Familienlandsitzen, gelöst werden. Um die Bücher hat sich eine Bewegung gegründet, welche die Figur der Anastasia für real hält und versucht, die Ideen aus den Büchern in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Bücher beinhalten antisemitische, rassistische und sexistische Passagen.1

Vom Landsitz in den digitalen Raum

Während über einige Akteur*innen der Anastasia-Bewegung, wie Iris Krause und Markus Krause mit ihrem Projekt „Goldenes Grabow“  oder das Projekt „Weda Elysia“, bereits viel berichtet wurde, ist der Online-Aktivismus anderer Akteur*innen bislang wenig beleuchtet worden.

Zeitgleich zur Covid-19-Pandemie und der Organisierung (extrem) rechter, esoterischer und verschwörungsideologischer Milieus auf den Straßen als sogenannte Querdenker, war ein Anstieg der Online-­Aktivitäten der Anastasia-Anhänger*innen zu vermerken.

Die Anzahl an Akteu­r*in­nen, die sich als Teil der Anastasia-Bewegung im deutschsprachigen Raum verstehen, lässt sich nur annähernd schätzen. 17 Fami­lienlandsitzprojekte listete die mittlerweile gelöschte Vernetzungs-Webseite der Anas­tasia-Bewegung, Wikipedia schreibt von „800 Anhängern in landwirtschaftlichen Siedlungen“. Die Online-Vernetzung beispielsweise auf Telegram zeigt jedoch eine viel breitere Anhänger*innenschaft mit Abonnent*innenzahlen im vier- bis fünf-­stelligen Bereich. Täglich werden hier in Eigenregie produzierte Videos und Artikel zu den Themen Selbstversorgung, naturnahe und „reine“ Lebensweisen, „alternative“ Wirtschaftsformen und „Freilernen“ geteilt. Garniert werden die Lebensweisheiten mit Zitaten aus den Anastasia-Büchern, Verschwörungserzählungen und sozialdarwinistischen Positionen. Spendenaufrufe, Fragestunden via Zoom und Online-Kongresse bieten die Möglichkeit, selber aktiv zu werden und sich mit der Gemeinschaft zu verbinden.

Ein oft geladener Gast auf rechtsesoterischen Kongressen, wie beispielsweise dem sogenannten „Wahrheitskongress“2 , ist Martin Laker.

Die „Akademie Engelsburg“

Nachdem Martin Lakers Youtube-Kanal „Akademie Engelsburg“ Ende 2020 gesperrt wurde, verbreitet er seine Video-­Botschaften vor allem über seinen Telegram-Kanal mit über 35.000 Abonnent*innen. In den Videos geht es um spirituelles Erwachen, Aliens und den angeblich anstehenden Umbruch unseres Systems. Neben Reichsbürger-Ideologie und QAnon bezieht sich Laker auf die Anastasia-­Bücher. Sich selbst bezeichnet er als Bruder „des Weibs Anastasia“.

Laker ist davon überzeugt, dass es reicht, die Anastasia-Bücher zu lesen, um „zu erwachen“ und auf eine neue geistige Ebene zu kommen. Doch nicht alle Menschen würden den herbeigesehnten ­Wechsel in eine neue geistige Dimension schaffen. Danach gefragt, was mit den Menschen passieren würde, die nicht „erwachten“, erwidert Laker: „Einige werden ihre Inkarnation selbst beenden, andere werden durch den Sturm der Gerechtigkeit hinweggefegt, um das mal so auszudrücken. [...] Jeder zweite wird hinweg genommen. […] Es wird ganz klar eine Aussortierung geben.“ Diese und weitere Vernichtungsphantasien teilt Martin Laker in seinen wöchentlich erscheinenden Videos.

„Kreis Menschsein“

Ein Fan von Martin Laker scheint der umtriebige Felix Kramer zu sein, Anfang 2020 war er auf Lakers Videoplattform zu Gast. „Unsere Gesellschaft hat keine Helden mehr“, beginnt Laker das Gespräch mit Kramer. Zum Glück gibt es aber sie beide, denn sie wüssten, wo der Pfad der Erkenntnis hinführe bzw. wo das weiße Kaninchen hinrennen muss. Dieses Bild erinnert nicht nur an die Geschichte von Alice im Wunderland und die Matrix-Filmreihe. „Follow the white rabbit“ ist zum Credo verschwörungsideologischer Milieus geworden und gilt als Metapher, um „in der Realität zu erwachen“. Mit dem Label „Bewusstseinshelden“ wollen Kramer und seine Mitstreiter*innen „ein bisschen was von den Linken, ein bisschen was von den Rechten“ übernehmen.

Felix Kramer hat seinen Weg ins „Rabbit hole“ gefunden und ist dem weißen Kaninchen bis nach Österreich gefolgt. Dort baut er mit einigen anderen „Erleuchteten“ auf 53 Hektar die „Akademie Elysion“ im Burgenland auf. Bei diesem Projekt handelt es sich um das bisher größte Siedlungsgrundstück im deutschsprachigem Raum, das neben einem Bildungszentrum viel Platz zum Wohnen und Gärtnern bieten soll.

Unter dem weiteren Projektnamen „Kreis Menschsein“ wird täglich ein Telegram-­Kanal mit selbstproduzierten Videos vom Gelände, Werbung für unterschiedliche esoterische Produkte und Posts aus dem deutschsprachigen QAnon-Kanal bespielt. Sie nennen sich die „Zentrale der Menschlichkeit“ und verbreiten gleichzeitig die antisemitische und rassistische These der Telegonie, die bereits um das Jahr 1900 widerlegt wurde. Dabei geht es um den behaupteten schlechten „Einfluss des ersten Männchens“ durch Vererbung auf spätere Nachkommen der Frau mit anderen Männern. Im „Kreis Menschsein“-Kanal wie auch in den Anastasia-Büchern erfährt man, welchem Reinigungsritual sich ein Liebespaar unterziehen muss, um „reinrassige“ Nachkommen zu erzeugen.

Rein, reiner, Gebrüder Leppe

Neben Felix Kramer hat Martin Laker mit zahlreichen weiteren Personen gemeinsame Videos produziert. Eine Person, die auch außerhalb der Schwurbelszene angesehen ist, ist Ricardo Leppe. Martin Laker scheint ein großer Bewunderer von Leppe zu sein und teilt in seinem Telegram-Kanal dessen Beiträge.

Unter dem Titel „WissenSchafft Freiheit“ ruft Leppe für den Weg in die „Souveränität“ auf. Mit dem Thema des „Freilernens“ wird an die Herausforderungen des Homeschoolings während der Corona-Pandemie, aber auch an Probleme staatlicher Schulen wie Leistungsdruck und übergroße Klassen angeknüpft. Die Lösung laut Leppe: die Gründung eigener „freier“ Schulen, angelehnt an das Konzept der Schetinin-­Schule in Russland. Die Schetinin-Schule wird auch in den Anastasia-Büchern beschrieben, dort herrscht militaristischer Drill und Unterricht nach Geschlechtern getrennt.

Nicht nur zum Thema Schule wissen der selbsternannte Zauberer Ricardo Leppe und sein jüngerer Bruder Elias Leppe Antworten. In ihren gemeinsamen „Gebrüder Leppe“-­Talks werden Anleitungen für ein „reines“ und „gesundes“ Leben gegeben. Ganz nach dem Leitprinzip der germanischen Heilkunde, dass alle Schmerzen und Krankheiten einen seelischen Konflikt zur Ursache hätten, werden praktische Lösungen geboten. Wissenschaftsbasierte Medizin wird abgelehnt und Impfen verteufelt. Zum Thema Reinheit wissen die beiden Leppes: Wer bei der Menstruation Schmerzen hat und blutet, hätte unnatürlich viel „Dreck“ im Körper angesammelt. Schuld daran seien wechselnde Sexualpartner, Fastfood oder unbewältigte Traumata. Geraten wird zu Entgiftungskuren.

Zurück aus dem Netz in die reale Welt

Der Ausflug in die digitalen Auswüchse aus den Kreisen der Anastasia-Bewegung zeigt, dass sich die dargestellten Akteure sicher sind, auf dem direkten Weg in ein „lichtes Zeitalter“, in eine bessere Zukunft zu sein. Neben den hier Dargestellten, gibt es zahlreiche weitere Akteur*innen und enge Netzwerke. Mit ihrem Aktivismus – online wie offline – wollen sie einen Beitrag zu den von ihnen erhofften Veränderungen leisten und sprechen damit nicht wenig Leute an.

Im Mai 2021 teilte Martin Laker ein Video mit einem Aufruf zur Gründung von Regionalgruppen der Akademie Engelsburg, da echte Treffen eine ganz andere „Qualität“ hätten als der digitale Austausch. Daraufhin kam es zu Gruppengründungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der digitale Aktivismus ist nicht von der realen Welt zu trennen. Die Telegram-Kanäle sind öffentlich zugänglich, trotzdem wird das Treiben dort kaum wahrgenommen. Dies gilt es zu ändern!

  • 1siehe dazu AIB Nr. 119 / 2.2018
  • 2In den Jahren 2020 und 2021 hat der „Wahrheitskongress“ online stattgefunden, als Redner war u.a. Reichsbürger Peter Fitzek dabei.