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Die „Fuxenmappe“ der Berliner Burschenschaft Gothia

Einleitung

Rechte Burschenschaften stellen eine Art politische Sozialisationsinstanz für Studierende dar, bevor sie ihre (politischen) Karrieren im Berufsleben starten. Über die politische Funktion von Burschenschaften im Allgemeinen und der Gothia im Speziellen ist viel geschrieben worden. Interessant ist nunmehr ein Blick in deren Innenleben.

Foto: Screenshot social media via Autonome Antifa Freiburg / linksunten.indymedia

Michael Büge (Mitte) sollte sich zwischen seiner Mitgliedschaft in der "Burschenschaft Gothia" und seinem Posten als Staatssekretär in Berlin entscheiden. Er wählte den Bund. Links im Bild: Der Anwalt und ehemalige AfD-Kommunalpolitiker Dubravko Mandic.

Vieles klingt kaum ernstzunehmend und wirkt grotesk, ist aber für hunderte Männer über Generationen hinweg lebenslang bindend und für deren Persönlichkeitsentwicklung relevant gewesen. Wer aus der Berliner Gothia ausschied wurde zum „Bewahren des Stillschweigens über alle internen Einrichtungen und Verhältnisse der Burschenschaft“ verpflichtet. Eine dem Antifaschistischen Infoblatt (AIB) zugespielte (frühere) „Fuxenmappe“ der Gothia erlaubt jedoch einige Einblicke in deren Lebenswelt.

Lebensbund Burschenschaft

„Füxe“ stellen die Anwärterschaft der Burschenschaft dar. Nach einer bestandenen Prüfung folgt die Aufnahme des „Fuxes“ in die Burschenschaft. Dies bedeutete dann laut Satzung eine „Bindung an den Bund und Bundesbrüder auf Lebenszeit“. Auch der Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ stellte klar: „Die Burschenschaft vertritt das Lebensbundprinzip. Es wird erfüllt durch die lebenslange Zugehörigkeit zur Burschenschaft, beruhend auf Freundschaft, gegenseitige Erziehung und Persönlichkeitsbildung. Die alten und jungen Burschenschafter bilden eine lebendige Einheit mit bleibender Bindung an die Grundsätze der Deutschen Burschenschaft und der Einzelburschenschaft.“ Hieraus entstehen die (rechten) Hintergrund-Netzwerke der Burschenschaften in Politik und Gesellschaft.

Die Berliner Gothia

Die Geschichte der Berliner Gothia bzw. ihrer Vorläufer wird bis in das 18. Jahrhundert zurückdatiert. Die (Neu-)Gründung der „Berliner Burschenschaft Gothia“ (DB), welche heute besteht, wird auf eine Fusion der „Charlottenburger Burschenschaft Gothia“ mit der „Berliner Burschenschaft Gothia“ im August 1951 zurückgeführt. Im Juni 1955 folgte die Aufnahme der „Berliner Burschenschaft Gothia“ als vollberechtigtes Mitglied in den Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB). Im Jahr 2016 war die Berliner Burschenschaft Gothia sogar Vorsitzende der „Deutschen Burschenschaft“.

Die „Grundsätze der Deutschen Burschenschaft“ waren Teil der „Fuxenmappe“. Hier hieß es u.a.: „Die politische Freiheit erblickt die Burschenschaft in der Gleichberechtigung aller Bürger sowie in dem Recht jedes einzelnen und jedes Volksteils auf seine angestammte Heimat und auf die Selbstbestimmung über seine staatliche Zugehörigkeit“. Wohlgemerkt war hier explizit von
(deutschen) „Bürgern“ und nicht von „Menschen“ die Rede. Weiter wurde festgelegt: „Die Burschenschaft bekennt sich zum deutschen Vaterland als der geistig-kulturellen Heimat des deutschen Volkes. Unter dem Volk versteht sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist.“ Völkische Tendenzen und die entsprechende Anbindung an die DB wurden bereits im „Burschenschwur“ der Gothia deutlich gemacht: „Ich schwöre, der Berliner Burschenschaft Gothia, ihren Grundsätzen und der Satzung gemäß, ein treuer Bursch zu sein, und für das Wohl des Bundes, des deutschen Vaterlandes und der Deutschen Burschenschaft gewissenhaft einzutreten.“

Politische Kaderschmiede

Auch die Satzung der Berliner Burschenschaft Gothia machte keinen Hehl aus ihrem explizit politischen Anspruch: „Im vollen Bewußtsein der politischen Berufung der studentischen Verbände und ganz besonders der Deutschen Burschenschaft richtet die Berliner Burschenschaft Gothia ihr Hauptaugenmerk auf die politische, nicht aber parteipolitische Arbeit. Im Vordergrund jeder politischen Arbeit steht das Streben nach Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes.“ Konkrete politische Statements wurden vermieden. Doch subtil wurde deutlich wo man sich verortete. Das beworbene Liedgut bestand u.a. aus deutschen Soldatenliedern und Liedern, die (auch) im Nationalsozialismus bedeutend waren. So z.B. das Lied „Wenn alle untreu werden“, welches auch als „Treuelied“ von der Schutzstaffel (SS) verwendet wurde. Auch das „Bundeslied“ der Gothia klang entsprechend deutsch-national. Hier hieß es u.a.: „Furchtlos und beharrlich stehen Gothia‘s Söhne dafür ein, frei und einig soll die Heimat, unser Deutschland, wieder sein. Schrieben wir‘s auf unsere Fahnen, heut‘ tragt es raus ins ganze Land, Deutschlands Wege laßt uns bahnen mit festem Blick und sicherem Stand.“

Reaktionäres Weltbild

Die Geschäftsordnung der Berliner Gothia zeigte, das hier eher autoritäre Führung statt basisdemokratische Partizipation vorherrschten. „Zur Sache kann nur reden, wer vom Vorsitzenden das Wort erhalten hat“, hieß es hier beispielsweise. Eine Disziplinarordnung der Gothia regelte u.a. Strafzahlungen für Verspätungen, das Fehlen bei Treffen, für „Ordnungsrufe“ und das Fehlen des „Vollcouleur“ bei bestimmten Versammlungen. Das „Vollcouleur“, eine Art Uniformierung, galt für diverse Pflichtveranstaltungen und war detailliert vorgeschrieben. Der „Vollwichs“ bestand beispielsweise aus „Cerevis, Pekesche, orange-weiß-schwarzer Schärpe, Burschenband, weißen Hosen, schwarzen Schaftstiefeln und weißen Handschuhen mit großen gestärkten Manschetten.“

Diverse Rituale, Regeln und klare Hierarchien bilden insgesamt den Rahmen der burschenschaftlichen Lebenswelt. Das männliche Selbstbild (Typus „besoffener Germane“) wurde im festgelegten Ritual „Der Mitternachtsschrei“ deutlich. „Der Mitternachtsschrei wird bei jeder Kneipe Punkt Mitternacht vollzogen, wobei die Uhr des Präsidiums entscheidend ist.“, lernte der Gothia-Fux in der „Fuxenmappe“. Hierbei wurde bei gelöschtem Licht vorgetragen: „Urväterart sind wir entsprossen, wehrhafte, wahrhafte Wallhallgenossen. Verächter jeden schnöden Zwergengeschlechts, die mit ihrem arg verpimpelten Magen nur Milch und Selterswasser vertragen!“ Die angehenden Juristen fügten in ihrer „Fakultätenstrophe“ ganz offen ein zweifelhaftes Berufsbild hinzu: „und verknacken all die andern, in den Knast müssen‘se wandern [...] und verdrehen die Paragraphen und tun arme Leute strafen“ Für Pädagogen galt die Aussage „und wir ziehen Euch die Schüler, daß sie werden Bundesbrüder“.

Bewaffneter Ehrenhändel?

Konflikte innerhalb der Burschenschaften sollten - zumindestens früher - nicht durch Gespräche gelöst, sondern stattdessen durch ritualisierte und bewaffnete Kämpfe zwischen zwei Burschenschaftern („Mensurfechten“) ausgetragen werden. Die „Fuxenmappe“ enthielt hierzu vorgefertigte (frühere) Musterschreiben („Schreiben als Beauftragter eines Bbr. nach erhaltener Contrahage“), die wenig subtil auf das politische Weltbild des Verfassers schließen ließen. Der potentielle Absender bekam die fiktive Adresse „Berliner Burschenschaft Fechtia, Reichskanzlerplatz 1, 1000 Berlin 33“ verpasst, während der fiktive Empfänger „Kneifer“ mit der fiktiven Adressangabe „Schlomo Schleimer“ vom „Corps Schlamponia, Wiesenthalgasse 6c“ geschmäht wurde. Der „Kneifer“ aus der „Wiesenthalgasse“ soll in dem Beispiel am „20. April“ eine „persönliche Contrahage“ gegen einen „Bundesbruder“ vom „Reichskanzlerplatz“ ausgesprochen haben und sich deswegen einer „Partie (...) über 40 Gänge zu je sechs hoch oder tief angezogenen Hieben“ stellen.

Doch diese Formen der ritualisierten „gefährlichen Körperverletzung“ bewegen sich mittlerweile in einer juristischen Grauzone und können strafrechtliche Probleme bereiten. Vermutlich deswegen hieß es hierzu in der „Fuxenmappe“ zusätzlich: „Bei Ehrenangelegenheiten ist tunlichst die Ehrenordnung der Deutschen Burschenschaft zu beachten!“ Diese sah wenig spektakulär Zurück-
nahme, Abbitte oder ein Ehrengericht zur Konfliktlösung vor. Doch ganz ohne Waffen, Kampf und Blut („Mensur“) wollte man offenbar auch nicht leben. In der „Satzung der Berliner Burschenschaft Gothia“ hieß es daher: „Als eines der Erziehungsmittel zur körperlichen Ertüchtigung betrachtet sie den Fechtsport. Die Mitglieder der Burschenschaft Gothia sind daher verpflichtet, die Mensur als waffenstudentisches Prinzip anzuerkennen und nach Maßgabe der Satzung der Deutschen Burschenschaft während ihrer Aktivenzeit eine Bestimmungspartie zu schlagen.“

(R)echte Karrieren?

Auch wenn die Rituale und Regeln der Gothia realitätsfern erscheinen, sollten die dort geschaffenen Netzwerke nicht unterschätzt werden. So war der Gothe Michael Büge zeitweilig als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales tätig. Er war außerdem Kreisvorsitzender der CDU Berlin-Neukölln und wurde später als AfD-Fraktionsgeschäftsführer im Landtag Rheinland-Pfalz tätig. Selbst das für „Polizei und Sicherheitsaufgaben“ im Bundestag zuständige Referat wurde zeitweilig von dem Gothen Norman Plaster geleitet. Dies dürfte kein Geheimnis gewesen sein. Immerhin war er als Kassenprüfer eines Gothia-Vereins benannt worden.