Skip to main content

Die ‚Deutschen Aktionsgruppen’ - Teil 2

Florian Schubert
Einleitung

Auf Einladung des Arztes und Neonazis Heinz Colditz trafen sich im Januar 1980 mehrere Personen aus dem Umfeld der extrem rechten "Deutschen Bürgerinitiative" (DBI). Der Neonazi-Führer Manfred Roeder vertrat auf dem Treffen die Auffassung, Gewalt sei nötig um etwas in Gang zu bringen, mit Propaganda und Reden sei Deutschland nicht zu verändern.

Manfred Roeder (rechts) galt als Kopf der "Deutschen Aktionsgruppen".
(Bild: Montage Screenshot youtube/arte & C.Ditsch)

Manfred Roeder (rechts) galt als Kopf der "Deutschen Aktionsgruppen".

Noch im Januar 1980 flog Roeder in den Libanon und in den Iran. Er erhoffte sich von dort Unterstützung für den Befreiungskampf in der BRD durch die PLO und den iranischen „Revolutionsführer“ Ayatollah Khomeini zu erhalten. Am 13. Februar, ohne die erhoffte Unterstützung aus dem Nahen Osten erhalten zu haben, kehrte Roeder wieder zurück nach Deutschland.

Colditz hatte unterdessen angefangen eine Gruppe aufzubauen und es wurde der erste Anschlag geplant. Ziel war eine Ausstellung über das Konzentrationslager Auschwitz in Esslingen. Dort explodierte am 21. Februar eine Bombe. Die drei Täter, Colditz, Raymund Hörnle und Wolfgang Wörner, trafen sich im Anschluss an die Tat mit Roeder und Frau Colditz. Auf diesem Treffen entstand der Name ‚Deutsche Aktionsgruppen‘ (DA). Er sollte von der bestehenden Struktur der "Deutschen Bürgerinitiative e.V." (DBI) ablenken. Mit einem Bekenneranruf bei der ‚Deutschen Presseagentur‘ bekannte sich die Gruppe zu dem Anschlag. Der nächste Anschlag hatte das Wohnhaus des Landrats von Esslingen, der als Schirmherr der zuvor angegriffenen Ausstellung fungierte, zum Ziel. Am 18. April 1980 explodierte gegen 0.45 Uhr eine Bombe, die zur Verstärkung der Explosionswirkung mit einer 370g Butangas gefüllte Kartusche verbunden war. Die sich zu diesem Zeitpunkt im Haus aufhaltende Ehefrau des Landrats und ihre beiden Kinder blieben zum Glück unverletzt. Der nächste Sprengsatz wurde gegen Mitternacht des 26. April 1980 an einer Schule in Hamburg abgelegt. Am darauffolgenden Tag wurden zwei Krankenschwestern bei ihrem Spaziergang auf den Sprengkörper aufmerksam. Als sie ihn mit einem Stock berührten, explodierte die Bombe und beide Krankenschwestern wurden durch die Explosion verletzt. Die Schule wurde ausgewählt, da sie in ‚Janusz-Korczak-Schule‘1 umbenannt werden sollte und eine Ausstellung zur Geschichte des Gebäudes im NS zeigte.

Roeder verließ Deutschland erneut vom 6. Juni bis zum 19. Juli 1980 in die USA. Ende Juni wurden neue Anschlagsobjekte ausgekundschaftet. Ziele waren Hochspannungsmasten, die mit Hilfe von Sprengladungen zerstört werden sollten. Hierdurch sollte die propagandistische Wirkung von drei Flugblättern erhöht werden, die sich an den Bundesgrenzschutz, Polizist*innen und den Bundeskanzler richteten. In ihnen wurde gefordert die „Verfolgung des Volkes“ zu beenden. 346 Exemplare der Flugblätter, die mit dem Namen ‚Deutsche Aktionsgruppen‘ unterschriebenen waren, wurden versendet, ohne durch die Sprengung von Hochspannungsmasten begleitet zu werden.

Das nächste Anschlagsziel war das Bundessammellager für Flüchtlinge in Zirndorf (Bayern). Am 30. Juli 1980 um 0.46 Uhr explodierten dort zwei Sprengsätze. Inhaltlich entfernten sich die DA mit diesem Anschlag vom Themenfeld NS-Aufarbeitung und griffen direkt die Migrations- und Asylpolitik der BRD an. Am 5. August trafen sich die DA zum ersten mal mit dem Neonazi und Forstwirt Heinz Lembke. Am 7. August wurde kurz nach Mitternacht ein Anschlag mit zwei Molotowcocktails auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Leinfelden in der Nähe Stuttgarts verübt. Zwei aus Eritrea stammende Menschen wurden verletzt. Es folgten ein weiterer Sprengsatz am 17. August 1980 auf  eine Unterkunft für Geflüchtete in Lörrach.

Auf ihrem Weg nach Norddeutschland zu dem Neonazi Thies Christophersen, malten Hörnle und Sibylle Vorderbrügge die Parole „Ausländer raus“ auf Straßenverkehrsschilder. Im Anschluss fuhren sie zur Übernachtung zu Gesinnungsgenossen nach Hamburg weiter. Am nächsten Tag erfuhren Sie aus der Zeitung, dass „Asylbewerber nach Hamburg geschickt“ worden seien. Nach Rücksprache mit Roeder drehten sie um und fuhren zurück nach Hamburg. Noch am Abend fuhren sie mit dem Auto von Gabriele Colditz zur Asylbewerber Unterkunft. Nachdem sie dort „Ausländer raus“ an die Seite der Unterkunft geschrieben hatten, warfen sie drei Molotowcocktails in ein Fenster der Unterkunft. Nguyễn Ngọc Châu starb noch in der Nacht des Anschlages am 22. August 1980 vor Ort an seinen Verletzungen. Đỗ Anh Lân erlag neun Tage später seinen Brandverletzungen.

Einen Tag später trafen sich die beiden Täter*innen erneut mit Lembke. Dieser bot ihnen bei dem Treffen militärisches TNT, Sprengschnüre und Zünder an. Ein erneutes Treffen, im Beisein von Roeder, wurde von Hörnle, Vorderbrügge, einem Herrn Meyer und Lembke am 25. August 1980 abgehalten. Auf dem Treffen wurde besprochen, wie Lembke und seine Leute zu einem späteren Zeitpunkt in die Anschlagsserie einsteigen könnten. Weitere Anschläge wurden durch die Verhaftung von 16 mutmaßlichen Mitgliedern der DA am 1. September 1980 verhindert.

Der Prozess

Der laut einer Pressemeldung bis dato „bedeutendste Prozess gegen mutmaßliche Rechtsterroristen in der Geschichte der Bundesrepublik“ fand vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim gegen Roeder, Vorderbrügge, Colditz und Hörnle statt. Also nur gegen vier Mitglieder des Netzwerkes um die DA. Es war der dritte Prozess nach §129a StGB gegen eine rechtsterroristische Gruppe in der BRD. Die Hauptverhandlung begann am 18. Januar 1982 und dauerte bis zum 28. Juni 1982. Der Prozess fand im gleichen Staatsschutzsaal in Stammheim statt, in dem auch gegen RAF-Mitglieder und -Unterstützer*innen verhandelt worden war. Der Umgangston vor Gericht wurde in der Presse als freundlich beschrieben und auch die Haftbedingungen werden als relativ milde dargestellt. Die Bundesanwälte sollen darüber hinaus vielfach zugunsten des Angeklagten Roeder argumentiert haben. Den Opfern der Anschläge dagegen wurde im Prozess keinerlei Raum gegeben. Im Prozess wurde deutlich, dass erst nach den Morden an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hatte.

Der Senat des OLG Stuttgart verschärfte gleich zu Beginn des Prozesses die „zu dürftige“ und „inkonsequente Anklage“ des Generalbundesanwalts. Die Anklage gegen Roeder wurde auf Mittäterschaft bei den zwei Morden erhöht. Darüber hinaus wurde den Angeklagten Roeder, Vorderbrügge und Hörnle nun auch für die weiteren Anschläge achtfacher versuchter Mord vorgeworfen.

Der politische Hintergrund der Taten kam in der Anklageschrift kaum zur Sprache. Dagegen wurde dem Liebesverhältnis zwischen Vorderbrügge und Roeder im Prozess sehr viel Raum eingeräumt. Im späteren Urteil vertrat das Gericht die Sichtweise, dass die junge Vorderbrügge unpolitisch, verführt und abhängig von Roeder gewesen sei. Übersehen wurde vom Gericht zum einen, welch eine wichtige Rolle Frauen im Netzwerk der DA spielten. Dies war, im Vergleich zu anderen rechtsterroristischen Gruppen der damaligen Zeit, ein Novum. Zum anderen wurde die generationsübergreifende Gruppenstruktur aus Familienangehörigen und Bekannten nicht weitergehend thematisiert.

Auffällig bei dem Netzwerk der DA war, dass sich in ihm zum größten Teil Menschen organisiert hatten, die den Sicherheitsbehörden vorher nicht durch ihre extrem rechte Einstellung oder durch rechte Gewalttaten aufgefallen waren. Auch deshalb sah das Gericht in Roeder wohl den Rädelsführer der terroristischen Vereinigung, der die Ausrichtung der Gruppe maßgeblich bestimmt hätte. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt – konnte das Gefängnis aber bereits nach acht Jahren wieder verlassen und war auch danach noch wichtige Identifikationsfigur der extremen Rechten. Die weiteren Angeklagten wurden ebenfalls als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB verurteilt. Vorderbrügge und Hörnle wurden außerdem wegen zweifachen Mordes zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt. Colditz erhielt eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Die Verfahren gegen die übrigen Mittäter*innen wurden an die Landgerichte in den jeweils zuständigen Bundesländern überwiesen. Neun Unterstützer*innen der DA wurden dort zu Haftstrafen zwischen zehn Monaten und vier Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Abschluss

Die DA begingen in ihrer Anfangszeit Anschläge gegen die NS-Aufarbeitung und bezogen sich damit auf ein wichtiges Themenfeld der damaligen (Neo-)Naziszene. Die DA organisierten sich in einem generationsübergreifendem Netzwerk aus Bekannten und Familienangehörigen welches aus dem Umfeld der DBI hervorgegangen war. Innerhalb dieses breiten Bekanntenkreises wurde offen über die Anschläge kommuniziert. Damit erinnert die Struktur der Gruppe an den sich 30 Jahre später gegründeten NSU. Die späteren Anschläge der DA richteten sich vor allem gegen Migrant*innen. Damit bezogen sich die DA schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf den wachsenden Rassismus in der Gesellschaft.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte noch im Sommer 1980, dass vom bundesdeutschen Rechtsextremismus „keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung“ ausgehen würde. Ende des Jahres 1980 hatten rechte Terrorist*innen 18 Menschen ermordet und mehrere hundert zum Teil schwer verletzt, es war der Beginn einer Welle rechter Gewalt in Deutschland.

  • 1Das Schulgebäude war ab 1944 Außenlager des KZ Neuengamme. Am 20. April 1945 wurden 20 Kinder mit ihren vier erwachsenen Betreuern und mindestens 24 sowjetischen Kriegsgefangene ermordet. Janus Korczak war das Pseudonym des Schriftstellers, Kinderarztes und Pädagogen Henry Josef Goldszmit. Goldszmit leitete in Warschau ein Waisenhaus. Gemeinsam mit 200 Kindern aus dem Waisenhaus wurde er 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet.