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Der Prozess zum Mord an Clément Méric in Paris

Antifa Pinneberg
Einleitung

Vom 4. bis zum 14. September 2018 fand im Pariser Justizpalast der Prozess gegen die Mörder von Clément Méric statt. Vor über fünf Jahren, am 5. Juni 2013, wurde der 18-jährige Antifa-Aktivist und Gewerkschafter am Tage auf offener Straße von Neonazis angegriffen und ermordet. Über fünf Jahre warteten die Familie, Freund*innen und Genoss*innen von Clément auf einen Prozess gegen die Mörder und auf die Anerkennung des Mordes als politische Tat.

Schon am Vorabend des ersten Prozesstages versammelten sich hunderte Antifaschist*innen, Gewerkschafter*innen und Freund*innen zu einer Kundgebung in der Nähe des Justizpalastes, um Clément zu gedenken und auf den anstehenden Prozess aufmerksam zu machen. Zahlreiche Medienvertreter*innen kamen zur Kundgebung und führten dort Interviews. Am Ende gab es eine spontane Demonstration. Schon am frühen Morgen des 4. September 2018 trafen sich Freund*innen und Antifaschist*innen, die mit Clément politisch aktiv gewesen waren, am Justizpalast. Auch fanden sich zahlreiche Prozessbeobachter*innen und Medienvertreter*innen ein, um über den Prozess zu berichten.

Der Beginn verzögerte sich zunächst, da der Angeklagte Samuel Dufour nicht zum Prozess erschienen war. Seine Erklärung dafür war, im Zuge einer polizeilichen Überprüfung auf eine Wache gebracht worden zu sein. Der Faschist Serge Ayoub, der als Zeuge geladen war, hatte sich krank gemeldet. Da er jedoch weiterhin Interviews gab, zweifelte die Staatsanwaltschaft daran. In den Interviews, die von einigen Medien unkritisch verbreitet wurden, stellte Ayoub den Mord an Clément als einen Akt der Selbstverteidigung dar. Daneben mache er sich Sorgen um seine Sicherheit vor Gericht und befürchtete sinngemäß, sich gegen mögliche antifaschistische Angreifer verteidigen zu müssen, wobei es „wieder Tote geben könne“. Insgesamt standen wegen des Mordes an Clément drei Personen vor Gericht. Samuel Dufour, Esteban Morillo und Alexandre Eyraud. Der vierte Täter, Stephane C., schaffte es, aus dem Verfahren wegen Mordes herausgehalten zu werden – ihm wurden nur noch Beleidigungen zur Last gelegt.

Schnell wurde klar, dass die Angeklagten versuchen würden, sich einen möglichst entpolitisierten Prozess zu erarbeiten. Alle erschienen vor Gericht in Hemd und Anzug – ihren klassischen „Neonazi- Skinhead“-Look hatten sie abgelegt. Esteban Morillo hatte sich noch kurz vor dem Prozess seine Nazi-Tattoos wie zum Beispiel die Parole: „travail, famille, patrie“ („Arbeit, Familie, Vaterland“) entfernen lassen. Ein Slogan, der vom französischen Vichy-Regime geprägt wurde, das im Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kollaboriert hatte.

Der Mord an Clément geschah in Tagen eines erstarkten Selbstbewusstseins vieler neonazistischer und gewaltbereiter Gruppierungen, die sich im Zuge der homophoben Mobilisierungen der politischen Rechten gegen die Ehe für alle neu formiert hatten. Die Angeklagten gehörten zu den mittlerweile verbotenen Neonazi-­Organisationen „Troisieme Voie“ (III. Weg) und „Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires“ (Nationalrevolutionäre Jugend). Anführer beider Gruppen war Serge Ayoub. Er ist Betreiber der im Süden von Paris gelegenen Bar „Le Local“, einem bekannten Treffpunkt der extrem rechten Szene von Paris. Daneben gründete Ayoub den Motorradclub „MC Praetorians“1 , der vor allem durch die Organisation von Neonazi-­Konzerten bekannt wurde. Schon in den 1980er Jahren war Ayoub im Raum Paris als Neonazi-Skinheadführer unter dem Namen „Batskin“ aktiv. Er wird unter anderem mit einem rassistischen Giftmord sowie dem Mord an Hervé Rybarczyk, Musiker der Punk-Band Ashtones, in Lille in Verbindung gebracht.2 Esteban Morillo, der am Tattag von Samuel Dufour angerufen und dazu eingeladen wurde, die Gruppe um Clément anzugreifen, räumte vor Gericht zwei Schläge gegen Clément ein. Dufour und Morillo behaupteten übereinstimmend, sie mussten sich gegen die Antifaschist*innen verteidigen, die sie zuerst angegriffen hätten- sie selbst hätten aber keine Schlagringe benutzt.

Der Angeklagte Alexandre Eyraud gab an, er habe sich zwar mit einem Gürtel als Peitsche bewaffnet, aber niemanden geschlagen. Als er zu seiner politischen Einstellung befragt wurde, erklärte er, zwar Antikommunist aber kein Rassist zu sein. Der Anwalt der Familie von Clément stellte diese Aussage in Frage. Am Tag des Mordes trug Eyraud ein T-Shirt mit dem Aufdruck „100% pur race“. Auf seine Tätowierung „1488“ angesprochen, behauptete er nichts zur Bedeutung der Zahlen zu wissen.

Insgesamt fiel im Prozess auf, dass alle Angeklagten nicht viel über ihre Neonazi-­Karrieren erzählen wollten. Auch zum Tathergang widersprachen sie sich vielfach. Doch gab es eine Textnachricht, in der Dufour von einem Angriff mit einem Schlagring berichtete. Nach der Tat wurden weitere Nachrichten zwischen den Angeklagten und Ayoub verschickt, in deren Inhalt es unzweifelhaft um den Angriff auf die Gruppe Antifaschist*innen um Clément ging. So wurde beispielsweise um Unterstützung dafür gebeten, um einen Ablageort für die mit Blut verschmutzte Kleidung der Täter zu finden. Vor Gericht wollte sich daran niemand mehr erinnern, genau so wenig wie an auf Facebook veröffentlichte Hitler-Zitate oder an Gespräche über Waffen. Letztlich erschien Serge Ayoub vor Gericht und wiederholte seine Thesen. Neben vielen Sachverständigen wurden auch die Eltern und die ehemaligen Freundinnen der Angeklagten befragt. Sie konnten keine sachdienlichen Hinweise zur Aufklärung geben und hatte große Gedächtnislücken. Die Freundin von Eyrault, Lydia Da F., erschien im „Skinhead-Look“ vor Gericht, sagte aber aus, mit rechter Ideologie nichts mehr zu tun zu haben. Auf Facebook posiert sie nach wie vor mit T-Shirts aus der Neonazi-Szene.

Der ganze Prozess wurde von zahlreichen Aktionen begleitet. In der Straße Rue Caumartin, in der Clément ermordet wurde, gab es eine Kundgebung und die Straße wurde symbolisch in „Rue Clément Méric„ umbenannt. Auf dem Pont du Carrousel, dem Ort, an dem Brahim Bouarram am 1. Mai 1995 am Rande der jährlich stattfindenden Demonstration des Front National von Neonazis gejagt, in die Seine geworfen wurde und dort ertrank, gab es eine Gedenkkundgebung für alle Betroffenen rechter Gewalt weltweit. So wurde unter anderem den von Neonazis ermordeten Antifaschisten Davide „Dax“ Cesare († 16. März 2003 in Mailand/ Italien)3, Carlos Javier Palomino († 11. November 2007 in Madrid/ Spanien)3 , Hervé Rybarczyk († 11. November 2011 in Lille / Frankreich) und Ivan Khutorskoy († 16. November 2009 in Moskau / Russland) gedacht. Auch an anderen Orten gab es Straßenumbenennungen. Den Höhepunkt bildete eine Demonstration am Tag des Urteils, bei der nicht nur Clément, sondern auch all denen gedacht wurde, die von rassistischen Kontrollen und Polizeigewalt in den Vorstädten betroffen sind.

Vor Gericht konnten die Lügen der Neonazis, die teilweise auch durch die Medien verbreitet wurden, widerlegt werden. Der Angriff auf die Gruppe um Clément erfolgte nicht, um sich zu verteidigen, sondern allein deshalb, weil sie als Antifaschist*innen ausgemacht wurden. Auch wurde vom Gericht der Einsatz einer Waffe – eines Schlagrings – bestätigt. Esteban Morillo wurde zu elf Jahren, Samuel Dufour zu sieben Jahren Haft nach Artikel 222-7 des Französischen Strafgesetzbuchs wegen der Ausübung von Gewalt mit Todesfolge verurteilt, wobei der Umstand, dass eine Waffe eingesetzt wurde, sich strafschärfend auswirkte. Alexandre Eyraud wurde freigesprochen, weil ihm keine direkte Beteiligung an dem Angriff nachgewiesen werden konnte. Die Anwälte von Morillo und Dufour kündigten direkt nach der Urteilsverkündung an, in Berufung zu gehen. Am 7. November 2018 wurde Morillo, zur Verwunderung der Genoss*innen vor Ort, bis zum Berufungsprozess unter Auflagen aus der Haft entlassen, weil das Gericht davon ausging, dass keine Fluchtgefahr bestehe. Dufour befindet sich weiterhin in Haft. Wann es zu einer erneuten Verhandlung kommen wird, ist derzeit unklar.

Die Mutter von Clément kommentierte das Urteil mit den Worten: „Inhaftierung ist niemals ein Sieg. Was nötig ist, ist die Weiterführung des Kampfes gegen alles, was für die extreme Rechte eine Brutstätte ist.“ Dem können wir (Antifa Pinneberg) uns nur anschließen. Das würdigste Gedenken ist es, den antifaschistischen Kampf fortzusetzen.

  • 1AIB Nr. 110 (1.2016): "MC Praetorians" von Bernard Schmid
  • 2AIB Nr. 115 (2.2017): "Neonazi-Mordserie aufgedeckt?" von „La Horde — méchamment antifasciste“
  • 3AIB Nr. 85 (4.2009): "Mörder von Carlos zu langjähriger Haftstrafe verurteilt"