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Der Komplex Franco Albrecht: „Ein Einzelfall kommt selten allein“

keineinzelfall.noblogs.org - "Kampagne gegen rechten Terror" (Gastbeitrag)
Einleitung

Nachdem der Prozess gegen die Neonazis Stephan Ernst und Markus Hartmann wegen des Mordes an Walter Lübcke und des Mordversuchs an Ahmed E. im Januar 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt mit einer Verurteilung von Stephan Ernst wegen Mordes zu Ende ging, wurde bekannt, dass sich der Bundeswehrsoldat Franco Albrecht ab Mai 2021 vor dem selben Senat dafür verantworten muss, rechtsterroristische Anschläge geplant zu haben. Antifaschist*innen aus dem Rhein-Main Gebiet schlossen sich deshalb Anfang 2021 zusammen, um unter dem Label „Kein Einzelfall“ antifaschistischen Positionen rund um den Prozess gegen Franco Albrecht eine Plattform zu geben.

Foto: Protestfotografie Frankfurt

Antifaschistische Demonstration am 15. Mai 2021 in Offenbach.

"Kein Einzelfall"

Der Slogan wurde bewusst gewählt, um dem gängigen Narrativ eines vermeintlich rechten Einzelfalls, sei es in der Polizei, beim Verfassungsschutz oder wie hier, bei der Bundeswehr, deutlich zu widersprechen. Durch die Sichtbarmachung antifaschistischer Gegenpositionen soll auf die Netzwerke hinter den rechten AkteurInnen und die Vielzahl rassistischer Vorfälle aufmerksam gemacht und diese in die Kontinuität rechten Terrors in der Bundesrepublik nach 1945 eingebettet werden.

Kampagnenauftakt war eine Demonstration in der Stadt Offenbach, der Homezone Franco Albrechts. Eine Woche vor dem ersten Prozesstag zogen etwa 500 Demonstrierende durch die Innenstadt. Erster Zwischenstopp war die Kneipe "Antia‘s Pilsstube". Dort waren Besucher*innen im Dezember 2018 angegriffen worden, nachdem sie gegen die rassistischen Parolen rechter Fußballfans interveniert hatten. Unter den Angreifern soll sich auch ein Polizeianwärter befunden haben. In einem Redebeitrag wurde der Fall thematisiert und Solidarität mit den Betroffenen ausgedrückt. Auf der Zwischenkundgebung vor dem Polizeipräsidium am Ledermuseum berichtete die Initiative „19. Februar Hanau“ über rassistische Polizeiermittlungen und das Verhalten rechter SEK-Beamter in der Tatnacht des rassistischen Terroranschlags in Hanau. Anschließend zog die Demonstration in das Offenbacher Nordend. Am Wohnort von Franco Albrecht wurde ein Transparentwechsel vollzogen, und der Slogan „Wo sind all die Waffen?“ durch den Hinweis auf den dortigen Waffenfundort ersetzt. Hier hatte Albrecht aus Beständen der Bundeswehr entwendete Waffen und Munition gehortet. Mit Flyern und Sprechchören wurde die Nachbarschaft darüber informiert. Am Endpunkt der Demonstration vor dem Offenbacher Rathaus sprach die Initiative „NSU Watch“, die den Prozess seit seinem Beginn begleitet und die Protokolle der Verhandlungstage auf ihrer Homepage einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.

Ziel der Demonstration war es auch, die Homezone des Neonazis Franco Albrecht klar als solche zu benennen und ihm damit die Anonymität zu nehmen, mit der er sich bisher in Offenbach bewegen konnte.

Am medienreich begleiteten ersten Prozesstag wurde auf unserem Blog ein Zeitstrahl über Albrechts Stationen und seine rechtsterroristischen Aktivitäten veröffentlicht. Damit sollte aufgezeigt werden, wie sich Albrecht zwischen Freizeitaktivitäten und Offiziersausbildung politisierte. Der Fall wurde detailliert nachgezeichnet und die Terrorpläne bildlich dargestellt. Unser Anliegen hierbei war es, durch eine übersichtliche Darstellung eine leichtere Einführung in den vielschichtigen Komplex zu ermöglichen.

An den folgenden Prozesstagen veröffentlichten wir an jedem Morgen Beiträge zu verschiedenen Themensträngen des Komplexes, wie einen Text von „NSU Watch“ zum Netzwerk hinter Albrecht oder zu seinen Verbindungen nach Österreich. Auch die Bedeutung der Wiener Akademikerbälle für den internationalen Rechtsextremismus wurde von der „Antifa West Wien“ und der „Autonomen Antifa [w]“ in einem Beitrag aufgezeigt.

Mit der kontinuierlichen Berichterstattung sollte - abseits der gängigen Aufmerksamkeitsökonomie der Medien an vermeintlich interessanten Tagen - eine kritische Gegenöffentlichkeit geschaffen und dafür wichtige Informationen aus dem Prozess aufbereitet werden.

Auch Antifaschist*innen neigen dazu, der Verhandlung nur an spannenderen Tagen beizuwohnen, was angesichts der selbstdarstellerischen und langatmigen Ausführungen Albrechts, die im Prozess viel Raum einnehmen, nachvollziehbar ist. Dennoch ist es unserer Auffassung nach für eine antifaschistische Praxis von großer Relevanz, den Prozess beständig zu begleiten, um einen möglichst detaillierten Blick in die rechten Netzwerke und deren AkteurInnen zu bekommen.

Eine weitere Etappe der Kampagnenarbeit stellte die Diskussion um das Outing Franco Albrechts als Student an der Goethe Universität Frankfurt durch autonome Aktivist*innen dar. Durch die Veröffentlichung wurde bekannt, dass Albrecht seit dem Sommer 2020 für das Studium der Rechtswissenschaften eingeschrieben ist. Im Prozess ließ er verlauten, er habe sich für zwei Semester beurlauben lassen. Mit der Bekanntmachung wurde eine Diskussion in der Studierendenschaft und darüber hinaus angestoßen, wie mit potentiellen Rechtsterroristen an deutschen Hochschulen umzugehen ist. Dabei wurde auf Albrechts Gefährlichkeit hingewiesen und ein Informationsrecht für Mitstudierende für solche Fälle gefordert. Die Hochschulleitung gab bekannt, dass Konzepte zum Umgang mit Rechtsterrorismus nicht in ihrer Hand lägen – so bleibt es einmal mehr Antifaschist*innen überlassen, Handlungsstrategien zu erarbeiten und zu erproben. Es bleibt also abzuwarten, ob Albrecht ab dem kommenden Semester wieder in der Universität anzutreffen ist. Längerfristiges Ziel der Kampagne muss daher auch sein, Albrecht aus allen öffentlichen Räumen konsequent auszuschließen.

Neben dem Fall Albrecht steht die Aufdeckung rechter Chatgruppen innerhalb der Polizei im Fokus unserer politischen Arbeit. Nachdem der hessische Innenminister Peter Beuth Anfang Juni 2021 vorschnell bekannt gab, das Frankfurter SEK wegen rechter Umtriebe auflösen zu wollen, fand eine antifaschistische Kundgebung vor der Frankfurter Hauptwache statt. In einem Redebeitrag berichteten wir über die rechten Netzwerke innerhalb der Sicherheitsbehörden, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden, über ihre Verstrickungen in andere rechte Milieus sowie ihren institutionellen Rassismus. Wieder bleibt zu betonen, dass es sich hierbei weder um einen Einzelfall noch um harmlose Plaudereien und Witzchen per Smartphone nach Feierabend gehandelt hat. Neonazis den Zugang zu Waffen zu entziehen, ist deshalb eine unserer zentralen Forderungen.

Mit unserer Kampagne wollen wir erreichen, mehr Aufmerksamkeit auf den Komplex Franco Albrecht mit all seinen Verstrickungen – Stichwort: Uniter & Hannibal Netzwerk – sowie auf (potenzielle) extrem rechte Netzwerke in vermeintlichen Sicherheitsbehörden zu lenken. Es geht uns dabei um die Sichtbarmachung von Betroffenenpositionen und von antifaschistischen Perspektiven. Scheut sich die Mehrheitsgesellschaft viel zu häufig davor, rechten Terror als solchen zu benennen und zu bekämpfen, haben wir uns genau das zur Aufgabe gemacht. Dazu ist eine Auseinandersetzung mit dem politischen Feind, seinen Zielen und Vorgehensweisen unabdingbar. Außerdem wollen wir mit unserer Kampagne linke Aktivist*innen ermutigen, sich mit rechtem Terror auseinanderzusetzen und dagegen aktiv zu werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich gerade Hessen in Bezug auf rechten Terror in trauriger Art hervorhebt. Wächtersbach, Wolfhagen-Isthar, Hanau, Schlüchtern sind nur einige Schauplätze von extrem rechten Morden oder Mordversuchen.

Diese Entwicklung gilt es mit aller Kraft zu bekämpfen! Wir rufen dazu auf, den Prozess gegen Albrecht kritisch zu begleiten und solidarisieren wir uns mit allen von Repression betroffenen Antifaschist*innen.

(Die Kampagne antifaschistische Kampagne „Kein Einzelfall“ arbeitet zu rechtem Terror anlässlich des Prozesses vor dem Oberlandesgericht Frankfurt gegen den Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht. Zu finden auf Twitter unter @k_einzelfall und keineinzelfall.noblogs.org)