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Der klammheimliche Rassismus

Janka Kluge - Landessprecherin des VVN-BdA Baden-Württemberg
Einleitung

In Baden-Württemberg gab es im letzten halben Jahr an vielen Orten Proteste gegen geplante Flüchtlingsheime. Neben der NPD, die in Isny eine Seite der bundesweiten Kampagne „Nein zum Heim“ gestartet hat, den Freien Nationalisten Esslingen und den Autonomen Nationalisten Göppingen, die mehrfach Flugblätter verteilt haben, melden sich hauptsächlich „besorgte Bürger_innen“ zu Wort. Baden-Württemberg soll in diesem Jahr fast 18.000 Flüchtlinge aufnehmen, davon sollen allein 1.000 in Stuttgart untergebracht werden.

Foto: Christian Mang

„Bürgerliche“ Parolen auf einer Neonazi-Demonstration in Berlin-Hellersdorf.

Ihre Argumente klingen fast immer ähnlich. Im Namen „besorgter“ Anwohner des Stuttgarter Stadtteils Feuerbach schrieben Anwälte der namhaften Kanzlei Zuck einen Brief an Stuttgarts Oberbürgermeister Kuhn. In Hattenbühl, der Teil von Feuerbach, in dem Flüchtlinge untergebracht werden sollten, gehört zu den Teilen Stuttgarts, in denen die Wohlhabenderen der Stadt wohnen. Dieser Stadtteil strahlt Ruhe und Behaglichkeit aus, keine laute Durchgangsstraße stört die Idylle. Hier hat nun die Stadtverwaltung eine Unterkunft für Flüchtlinge geplant. Die Anwohner befürchten, dass es vorbei ist mit ihrer Ruhe, „wenn direkt nebenan bis zu 159 beschäftigungslose und meist gelangweilte Männer im besten Alter miteinander herumhängen und sich gegenseitig anbrüllen oder rund um die Uhr ausgiebige Familienfeste im Freien gefeiert werden“.1 Die Anwälte zeichnen in ihrem 16-seitigen Brief ein Horrorszenario. Es würde „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fortlaufend zur Begehung von Straftaten“ kommen. Diese würden dann die Anwohner_innen untragbar beeinträchtigen. „Die Leidtragenden sind also in erster Linie die Anwohner und deren Kinder, die gar nicht für die Situation der Flüchtlinge verantwortlich sind.“ Dieser Brief, von nur vier Familien initiiert, erreichte, dass die Stadtverwaltung noch einmal über den Standort der Unterkunft nachdenken will. Inzwischen hat sich in Feuerbach ein „Freundeskreis für Flüchtlinge“ gebildet. Fast 100 Menschen haben sich verpflichtet, die Flüchtlinge, wenn sie in Feuerbach untergebracht sind, zu unterstützen.

Nicht so viel Unterstützung bekommen Flüchtlinge, die in einem leerstehenden Gebäude des Stuttgarter Bürgerhospitals untergebracht wurden. Hier protestierten Ärzte und Pflegepersonal, dass es den verbliebenen Patienten nicht zuzumuten sei, im kleinen Park auf Flüchtlinge zu treffen. Diese Kontakte würden die Genesungs­chancen der Patienten mindern. Außerdem bestehe die Gefahr einer erhöhten Kriminalität, so dass das Krankenhaus nicht mehr sicher sei.

Kaum Gegenwehr gegen rassistische Hetze gibt es auch im Stuttgarter Bohnenviertel. Dieser Teil der Stuttgarter Innenstadt ist geprägt durch Prostitution und Drogennutzer_innen. In einem schlecht gemachten Flugblatt, das an die Inhaber kleiner Läden und Kneipen im Viertel verteilt wurde, heißt es, dass es jetzt endlich gelungen sei, „anständige Menschen“ im Viertel anzusiedeln. Es wären auch neue Geschäfte im Viertel eröffnet worden. Mit der geplanten Unterkunft würden sie vertrieben. Außerdem würden durch die Flüchtlinge die Prostitution und die Anzahl der Drogenkonsument_innen im Viertel wieder ansteigen. In Stuttgart-Rohr wurden in einer geplanten, noch nicht bezogenen Flüchtlingsunterkunft vor einigen Wochen die Scheiben eingeschlagen. Außerdem wurde in unmittelbarer Nähe ein frisch geklebtes Plakat der NPD entdeckt.

Unmittelbar neben Rohr beginnt der Landkreis Böblingen. Hier hat es die NPD geschafft, bei den letzten Kommunalwahlen einen ihrer wenigen Abgeordneten in den Kreistag zu bekommen. Janus Nowak - er gilt als einer der Hoffnungsträger der Partei in Süddeutschland - hat die letzten Jahre dazu genutzt, massiv rassistische Hetze zu verbreiten. Er macht keinen großen Unterschied zwischen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen und Menschen, die vielleicht schon seit Jahrzehnten hier leben. Er fordert die Abschiebung aller „Nichtdeutscher“. In Leonberg, einer Stadt im Landkreis, gibt es seit Jahren eine aktive Neonazistruktur.  Die Stadt plant Container aufzustellen, in denen neben Flüchtlingen auch Wohnungslose untergebracht werden sollen.

Wenige Kilometer entfernt von Stuttgart liegt Waiblingen. Die Stadt ist eines der Zentren des Rems-Murr-Kreises. Hier gibt es Gegenden in denen Neonazis die Öffentlichkeit dominieren.  Nicht weit davon entfernt, in Winterbach, haben Neonazis am 10. April 2011 bei einem Grillfest  Jugendliche mit Migrationshintergrund gejagt und verprügelt. Als einige von ihnen in einer Hütte Schutz gesucht hatten, haben die Neonazis diese angezündet. Nur durch Zufall ist niemand in den Flammen umgekommen (siehe AIB Nr. 91).

Im Waiblinger Stadtteil Ameisenbühl sollen in einem ehemaligen Büro- und Lagergebäude 75 Flüchtlinge untergebracht werden. Die Anwohner laufen jetzt Sturm gegen diese Entscheidung. Sie befürchten Vergewaltigungen, Überfälle und einen Anstieg von Rauschgifthandel in dem Stadtteil.
Nur wenige Kilometer entfernt haben Anwohner in Fellbach-Oeffingen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen geklagt. Das Verwaltungsgericht Mannheim hat dieser Klage entsprochen, weil die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung angefochten wurde. Die Stadt wähnte sich auf der sicheren Seite, weil in dem Haus schon früher Jugendliche untergebracht waren. Unverständnis hat das Urteil nicht nur bei der Stadtverwaltung hervorgerufen, die schon 68 Flüchtlinge in dem Haus untergebracht hat, sondern auch bei antirassistischen Gruppen im Kreis.

In Kirchheim (Landkreis Esslingen) ist eine Flüchtlingsunterkunft seit letztem Frühjahr Ziel von Neonazis aus Esslingen und Göppingen. Sie verteilten immer wieder hetzende Flugblätter in dem Ort.

Auch im Kreis Ludwigsburg kam es zu Protesten aus der Bevölkerung. In der Stadt Sachsenheim hat die Stadtverwaltung Flüchtlinge in Containern untergebracht. Nachdem sich herausstellte, dass sie in einem fast unbewohnbaren Zustand waren, suchte die Stadt eine neue Unterkunft. Im Ortsteil Hohenhaslach baut die Stadt nun eine neue Unterkunft für 36 Flüchtlinge. Dieses Vorhaben stößt auf massive Ablehnung bei der Bevölkerung. Ihre Argumente unterscheiden sich von den anderen Anti-Flüchtlingsinitiativen. Da das Gelände mitten in den Weinbergen liegt, fürchten sie, die Flüchtlinge könnten durch das versprühte Pflanzenschutzmittel krank werden oder ein Kind unter einen Traktor kommen könnte.

Es ist fast egal, wohin man im Großraum Stuttgart schaut. Nahezu überall wehren sich Bürger_innen gegen die neu geplanten Flüchtlingsunterkünfte. Es ist völlig egal, dass Baden-Württemberg in den letzten Jahren seinen gesetzlichen Verpflichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen nicht nachgekommen ist. Der Rassismus versteckt sich hinter angeblich nachvollziehbaren Argumenten, die aber nur bedeuten: Die Flüchtlinge sollen nicht in unserer Nähe leben. Wo ist völlig egal. Es ist zu befürchten, dass neonazistische Gruppen diese Grundstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung in Zukunft für sich nutzen werden.

  • 1Brief zitiert in Kontext Nr. 8.1.2014