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Der Fall "Nordkreuz": Warum Sicherheitsbehörden keine Sicherheit für alle schaffen

Bündnis „Ihr seid keine Sicherheit“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Todesdrohungen und Gewaltfantasien, die Verharmlosung des Nationalsozialismus und menschenverachtende Witze über Geflüchtete oder Jüd*innen: Quer durch die Bundesrepublik wurden in den vergangenen Jahren rechte Chatgruppen aufgedeckt, die das Ausmaß von rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden deutlich machten. Für internationale Schlagzeilen sorgten die Enthüllungen um das sogenannte Hannibal-Netzwerk im Jahr 2017. Deutschlandweit organisiert, bereiteten sich mindestens 150 Personen offenbar darauf vor, am sogenannten Tag X politische Gegner*innen zu töten. Auch die regionale Chatgruppe Nordkreuz aus dem Raum Mecklenburg-Vorpommern war involviert.

Anti Nordkreuz Demonstration
(Foto: Joana Georgi)

Konsequenzen für die Nordkreuzler blieben weitestgehend aus. Organisator Marko Groß ist nach einer halbjährigen U-Haftstrafe auf Bewährung wieder auf freiem Fuß, die Verfahren gegen andere Mitglieder haben zu keinen weiteren Verurteilungen geführt. Vor allem im Fall von Marko Groß war die Beweislage dabei eigentlich erdrückend, doch Komplizen in den Sicherheitsbehörden und das Schweriner Landgericht verhinderten offenbar ein härteres Urteil. Warum wurde das politische Motiv ausgeklammert? Warum gab es keine Ermittlungen wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, wie sie momentan gegen linke Strukturen durchgeführt werden? Warum wurden letztlich nur Verstöße gegen Waffengesetze von Einzelpersonen verhandelt? Auch das ausgemachte infrastrukturelle Rückgrat der Gruppe, der Schießstand „Großer Bockhorst“ in Güstrow, existiert weiter. Zwar wird mittlerweile gegen Betreiber Frank Thiel ermittelt, doch wieder wird deutlich: Auf den deutschen Staat ist bei der Überwachung, Aufklärung und Verurteilung rechter Netzwerke kein Verlass.

Äußere Logik von Sicherheitsbehörden

Trotz der Wut über die ungenutzten rechtstaatlichen Möglichkeiten, Nordkreuz effektiv zu sanktionieren, haben wir nichts anderes erwartet. Sicherheitsbehörden haben die zentrale Funktion, Staat und Eigentum zu schützen. Reiche vor Armen, Deutsche vor Nichtdeutschen, Weiße vor Schwarzen, Gesunde vor Kranken, die Mitte vor Extremisten. In dieser Aufzählung wird deutlich, wie der Staat das Eigene, also Deutschsein, normiert. Wer nicht zu den Eigenen gehört, wird kriminalisiert. Wer sich seine Miete nicht (mehr) leisten kann, wird gekündigt und geräumt. Wer im Supermarkt klaut, bekommt Ladenverbot und Geldstrafe. Wer die nicht zahlen kann, landet im Knast. Wer keinen Aufenthaltsstatus hat, wird abgeschoben. Wer psychisch krank und verhaltensauffällig ist, wird wehrlos gemacht und in ärztliche Behandlung übergeben. Wer Schwarz ist, wird auch ohne Anhaltspunkte kriminalisiert. Während sie gegenüber den Eigenen reagieren und Nachsicht walten lassen, agieren sie gegenüber den Anderen eskalierend und mit aller Härte. Die Konstruktion der Eigenen teilen sich Sicherheitsbehörden mit Neofaschisten. Gerade das macht sie in deren Augen so attraktiv, während es die Anderen abschreckt.

Innere Logik von Sicherheitsbehörden

Das nach außen gelebte Verständnis von Autorität spiegelt sich in den Behörden auch in der nach innen gelebten Cop Culture. Sicherheitsbehörden sind zwar straff hierarchisch organisiert, jede*r Cop erhält Rang und Platz. Vor allem eint Cops aber die Idee einer Gefahrengemeinschaft. Schließlich rücken die exekutiven Sicherheitsbehörden in ihrer Wahrnehmung häufig in größter Gefahr für das eigene Leben aus. So werden rechtstaatlichen Aufgabe gezwungenermaßen zu moralischen. Die Eigenschaften, die das Erfüllen dieser Aufgaben erfordert, sind klassisch männlich und orientieren sich an dem Bild des Kriegers. Solidarität gilt vor allem der Gefahrengemeinschaft und den Eigenen in der Gesellschaft.

Ihr seid keine Sicherheit

Polizei und Co. können keine Sicherheit für alle schaffen und sollen das auch überhaupt nicht. Für uns vom Bündnis „Ihr seid keine Sicherheit“ ist deswegen klar: Wir müssen die Polizei und Co. abschaffen. In unserem einjährigen Bestehen haben wir viel Arbeit in die Vernetzung von polizeikritischen Gruppen und Einzelpersonen in Berlin gesteckt. Denn polizeikritische Stimmen gibt es viele, nicht erst seit der Black Lives Matter-Bewegung. Trotzdem nimmt die Kritik an der Polizei in den verschiedenen Arbeiten vieler Gruppen eine Randposition ein. Wir wollen das ändern, unser Wissen und Kräfte bündeln.

Doch der Weg zur Abschaffung der Polizei ist lang. Immer wieder hören wir: Wer, wenn nicht die Polizei, kann meine Sicherheit garantieren? Diesen gesellschaftlich dominierenden Sicherheitsbegriff müssen wir aufbrechen und die bereits gestartete Diskursverschiebung ausdehnen. Segregation und Repression sind keine Lösung, wir brauchen soziale Lösungen für soziale Probleme. Uns kann niemand erzählen, dass ein rassistischer Mord mit einer langen Haftstrafe für den Mörder gelöst ist. Sanktion und Knast schützt den Großteil unserer Gesellschaft davor uns damit auseinanderzusetzen, wie es überhaupt zu dieser Tat gekommen ist. Sie lenken auch den Blick weg vom Schmerz der Hinterbliebenen, denen durch eine Haftstrafe keine Gerechtigkeit widerfährt. Wir fragen uns: Wie gelangen wir wirklich zu Sicherheit und Gerechtigkeit?

Rückblick auf den Aktionstag in Güstrow

Nordkreuz ist ein lokales Beispiel dafür, wie unauflösbar rechte Netzwerke mit Sicherheitsbehörden verstrickt sind. Sie organisieren sich dazu nicht nur privat, sondern nutzen Sicherheitsbehörden wie die Polizeihochschule in Güstrow, um sich zu professionellen Kämpfern ausbilden zu lassen und sich zu vernetzen. In erster Linie wollten wir aber skandalisieren, dass die Nordkreuzler personell und infrastrukturell dort weitermachen, wo sie durch das Auffliegen des Hannibal-Netzwerks und den daraus entstandenen Gerichtsverfahren kurz ins Stocken geraten sind.

Verschiedene Strömungen arbeiten daran, Güstrow zu einer rechten Hochburg auszubauen. Eine Gruppe gewaltbereiter Neonazis lässt es sich nicht nehmen, jede noch so kleine Jugendantifa-Demo einzuschüchtern und einzelnen Jugendlichen in den verwinkelten Straßen der Altstadt aufzulauern. „Der III. Weg“ hat sich in Güstrow angesiedelt und Holger Arppe, in der AfD für zu radikal befunden, will ein rechtes Zentrum in der Stadt gründen.

Die aktive Güstrower Zivilgesellschaft kostet es Kraft und Mut, sich dem entgegenzustellen. Deswegen haben wir zu einem Aktionstag in Güstrow am 16. Juli 2022 aufgerufen. Wir wollten die Güstrower*innen abholen und uns solidarisch an ihre Seite stellen. Wir müssen uns eingestehen, dass das nicht in jeder Hinsicht gelungen ist, obwohl 500-600 Antifaschist*innen nach Güstrow gekommen sind. Im Vorhinein haben wir viel Wert daraufgelegt, uns mit der Güstrower Zivilgesellschaft auszutauschen und gemeinsam auf den Aktionstag hinzuarbeiten. Mit den wenigen Akteur*innen, die wir vor Ort ausmachen konnten, hat das gut geklappt. Es wurde begrüßt, dass der antifaschistische Kampf in Güstrow über die Grenzen der Stadt hinaus sichtbar wird.

Wenige Wochen vor der Aktion erreichten uns aber stärkere Bedenken von lokalen und regionalen Akteur*innen. Wir hätten viele Akteur*innen nicht miteinbezogen. Warum jetzt, warum Güstrow? In der Luft lag der Vorwurf, die Berliner Antifa trifft sich zu einer Auswärtsfahrt und Selbstbespaßung. Es wurden Ängste geäußert. Rückt Güstrow so noch mehr auf das Radar von Faschisten? Wer schützt uns, wenn ihr wieder nach Berlin gefahren seid? Müssen wir Güstrower*innen am Ende für die Aktion bezahlen? Wird das mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zur Polizei beschädigt?

Trotz des Versuchs die Risse zu kitten, schlug sich das Misstrauen auch im Bild des Aktionstags nieder. Nur ein Teil der lokalen Akteur*innen beteiligte sich, mobilisiert wurde letztlich vor allem überregional. Nichtsdestotrotz waren die beteiligten lokalen Akteur*innen begeistert und hielten starke, emotionale Redebeiträge. Für uns spiegelt sich darin jedoch eine der großen, altbekannten Herausforderungen antifaschistischer Aktionen im ländlichen Raum wider. Wie bewahren wir uns unsere Radikalität, ohne die Bedürfnisse der lokalen Zivilbevölkerung zu übergehen?

Für uns liegt die Antwort in der Kommunikation. Dabei müssen wir kontinuierliche Arbeit leisten, um nachhaltige Strukturen aufzubauen. Wir müssen unsere Kontakte pflegen, auch außerhalb von konkreten Aktionen. Wir müssen lokale Aktionen supporten und eine Präsenz aufbauen, um den Neonazis das Gefühl langfristig nehmen, dass sie dort einfach mal machen können. Denn am Ende bleibt uns nur eins: Ob Land oder Stadt - Seite an Seite, alle zusammen gegen den Faschismus.