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Der Fall Michael Krause

Einleitung

Am Mittag des 25. Mai 2008 kontrollierten zwei Polizisten in Bayreuth eine Person, die offenbar gerade damit beschäftigt war, an einem Fahrrad einzelne Teile abzubauen und zu stehlen. Dabei handelte es sich um den 54-jährigen Michael Krause, der zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren ohne festen Wohnsitz mit dem Fahrrad in Deutschland unterwegs war. Bei der Kontrolle wies er sich mit einem bereits abgelaufenen deutschen Reisepass aus, weshalb ihm die vorläufige Festnahme und eine Durchsuchung angekündigt wurde. Daraufhin versuchte Krause zu fliehen. Bis dahin kein besonders dramatischer Kriminallfall. Doch Krause zog plötzlich eine Pistole und eröffnete sofort das Feuer auf die beiden Polizisten. Ein Polizist wurde durch Krause verletzt, der andere erwiderte die Schüsse. Obwohl Krause von sechs Schüssen getroffen wurde, konnte er sich vom unmittelbaren Ort des Geschehens entfernen, bevor er sich schließlich selbst erschoss. Wer war dieser Michael Krause und was trieb ihn zu diesem Schusswechsel? Eine erstaunlicherweise kaum (öffentlich) aufgearbeitete Frage - immerhin verstand sich Krause als politisch und hatte eine Vergangenheit in neonazistischen Kreisen.

Bild: polizei.bayern.de - Fahndungsbild | tageszeitung München

Das ehemalige JN-Mitglied Michael Krause legte zahlreiche Waffendepots an.

Politischer Hintergrund

Die Sicherheitsbehörden behandelten den Mordversuch von Anfang an als eine unpolitische Tat. Anderen Spuren wurde nicht weiter nachgegangen. Der deutlichste Hinweis fand sich in den Archiven der ostdeutschen Sicherheitsbehörden. Demnach war Krause als organisierter Neonazi der West-Berliner Szene identifiziert worden. In einer dezentral geführten Kartei über „NPD-Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)“ war durch eine Abteilung der Bezirksverwaltung Berlin eine Karteikarte zu Michael Krause angelegt worden. Darauf ist vermerkt, dass Krause in der NPD-Jugend organisiert gewesen sei. Die Westberliner JN galt in den 1970er Jahren als eng vernetzt mit neonazistischen Terror-Cliquen.

Noch Jahrzehnte später gab es politisch geprägte Delikte in Krauses polizeilicher Vita. Im Dezember 2006 zeigten Polizeibeamte in Wels (Österreich) Krause nach einer Polizeikontrolle wegen „aggressivem Verhalten“ an. Er hatte in diesem Zusammenhang auch „Parolen vermutlich politischer Art“ gerufen. Die Staatsanwaltschaft Coburg ermittelte im Jahr 2007 gegen Krause wegen „Beleidigung mit politischem Hintergrund“. Bei der Staatsanwaltschaft Zwickau wurde im selben Jahr ein Ermittlungsverfahren wegen „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ geführt. Er hatte auf der Kraftfahrzeugzulassungsstelle in Plauen „Heil Hitler“ skandiert, als es ihm nicht gelang, seinen PKW kostenlos abzumelden. Ebenfalls im Jahr 2007 stieg Krause in einen Bus der Berliner SPD, der linke Aktivist_innen zu Protesten gegen die jährliche Sicherheitskonferenz in München transportierte. Da Krause während der Fahrt mit „rechten“ Äußerungen provozierte, wurde er in München aus dem Bus geworfen und die Rückfahrt wurde ihm verwehrt. Darüber war Krause so empört, dass er in München Anzeige gegen die Bus-OrganisatorInnen stellte.

In einer von Michael Krause im August 2006 verfassten „öffentlichen Strafanzeige“ gegen diverse Beamte, mit denen er Ärger hatte, finden sich auch Äußerungen, die an „Reichsbürger“-Rhetorik erinnern, wie auch die Bundestags Fraktion von "DIE LINKE" festellte.1 So sprach er von „den letzten Monaten in der BRD-Organisation“. Zu seinen Streitereien mit diversen Ämtern erklärte er: „Vorliegender Fall ist natürlich mehr als eine persönliche Angelegenheit. Er ist eingebettet und Teil eines Stromes geschichtlichen Prozesses in welchem die Kräfte des Unheiles genauso versuchen ihre Substanz zur Wirkung zu bringen, wie jene des Heiles. Mag Mancher Heute dieses lesen - sich morgen entsinnen - und handeln.“2

Österreichische Polizeibeamte, die bei ihm im Dezember 2006 diverse Äxte, Messer und eine selbst gebaute Gaspistole mit 4mm Stahlkugel-Geschossen beschlagnahmt hatten, zeigte er in der Sprache rechter Wutbürger an: „Willkür, Machtmissbrauch und Gewalt, sowie menschen- und wahrheitsverachtende Lüge, das ist die moralisch, geistige und psychische Krankheit solcher Subjekte.“

Untergrund oder Obdachlosigkeit?

Über die weitere Vergangenheit von Krause ist den Ermittlern wenig bekannt geworden. Er hatte bis 1985 als Betonbauer gearbeitet und in „geordneten Verhältnissen gelebt“. Doch dann war er - für sein bürgerliches Umfeld vollkommen überraschend - plötzlich untergetaucht. Seitdem wechselte er häufig seinen Lebensmittelpunkt und hielt sich immer nur kurze Zeit an verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich auf. Ab 1992 tauchte er vermehrt in Bayern auf und wurde ab Anfang 2006 mehrfach in Oberfranken kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt bewegte er sich offenbar vor allem per Fahrrad durch die Region.

Ein plötzliches „Untertauchen“ kann sicherlich verschiedene Gründe haben. Bekannt ist, dass Krause mehrfach in psychatrischen Einrichtungen untergebracht war. Doch in Verbindung mit seiner massiven Bewaffnung und seiner politischen Einstellung ist auch die Planung von terroristischen Anschlägen eine naheliegende Schlussfolgerung. Michael Krause hinterließ den Ermittlern für diese Annahme noch weitere eindeutige Spuren. Auf von ihm selbst geschriebenen Notizzetteln hatte er die Adressen „prominenter Persönlichkeiten“, u.a. des österreichischen Bundespräsidenten, vermerkt. Auf der Liste sollen vor allem Politiker_innen, Polizist_innen, Richter_innen und Beamt_innen gestanden haben, von denen Krause sich verfolgt gefühlt haben soll.

Außerdem fanden die Ermittler fast vierzig handgezeichnete Landkarten bei ihm, auf denen die Lage von diversen Erddepots verzeichnet war. Auf der Rückseite der Lagekarten hatte Krause Informationen über deren brisanten Inhalt (Handgranaten, Bomben, Zünder) notiert. Die Ortsangaben waren von Krause mithilfe eines Zahlencodes verschlüsselt worden. Diversen Spezialist_innen der Polizei und der Geheimdienste war es nicht möglich, Krauses Codierung der Ortsangaben zu dechiffrieren. Erst 2009 gelang es einem Polizisten, die Lage eines Depots zu erkennen und den Code somit zu entschlüsseln. In der Folgezeit konnten die meisten Erddepots und deren Inhalt sichergestellt werden. Die deponierten Objekte lassen sich eher dem Bereich des Terrorismus als der „Selbstversorgung“ zuordnen.

Im Veldensteiner Forst (Bayern) fanden sich u.a. Patronen, Schwarzpulver, Zünder und gestohlene Fahrzeug-Kennzeichen. In Münchenreuth (Bayern), Wallengrün/Leitlitz (Thüringen) und in Spielmes (Sachsen) wurden Handgranaten ausgegraben. In Schlegel/Neundorf (Thüringen) lagerten 1,6 Liter Sprengstoff und eine 1kg-Bombe. Weiterer Sprengstoff und „Sprengbehälter“ wurden in sieben weiteren Depots in Thüringen, Bayern und Sachsen gefunden. Hinzu kamen Dynamit-Schnur (Gutenfürst/Sachsen) und Zeitzünder (Bischofsgrün/Bayern). Ermittler des bayerischen LKA stellten fast bewundernd fest, dass die Handgranaten „handwerklich sehr sauber und exakt ausgeführt“ waren. Der Aufbau und die Wirkungsweise entsprachen demnach „industriell gefertigten, militärischen Handgranaten“.

Déjà-vu der Waffen-Depots

Die Waffendepots bieten Anlass für weitere Nachforschungen. Wie konnte sich Krause alleine und ohne eigenes Einkommen zwischen den weit entfernten Depots hin- und her bewegen und das Material transportieren? Warum legt ein Einzeltäter so viele Depots in einem so großen Radius an? Ein Zufall erscheint unwahrscheinlich. Die Verteilung lässt eher auf einen militärisch-strategischen Hintergrund schließen. Die Depots lagen in einer Nord-Süd-Achse über die Bundesländer Bayern, Thüringen, Sachsen und Brandenburg verteilt. Der Schwerpunkt der Depots befand sich im Länderdreieck Thüringen/Sachsen/Franken. Zwei Depots waren in Österreich (Wels und Terffens) angelegt worden.

Waffenverstecke in Wäldern werden in der Forschung zur Geschichte des Rechtsterrorismus vor allem mit dem „Gladio“-Netzwerk in Verbindung gebracht. Unter dem Begriff „Gladio“ oder „Stay Behind“ agierten während des Kalten Krieges durch NATO-Geheimdienste aufgebaute antikommunistische Gruppierungen, die im Fall einer kommunistischen Besetzung oder Regierungsübernahme bewaffnete Aktionen durchführen sollten.3  Im Oktober 1981 wurden in der Lüneburger Heide Erddepots mit 156kg Sprengstoff, 230 Sprengköpfen und 258 Handgranaten gefunden. Diese hatte u.a. der frühere NPD-Funktionär Heinz Lembke angelegt. Er nahm sich im Gefängnis das Leben, ohne über die Herkunft der Waffen auszusagen. In einem Depot soll auch ein Fingerabdruck des früheren JN-Funktionärs Peter Naumann gefunden worden sein. Dieser übergab 1995 noch dreizehn weitere Waffendepots an die Polizei.

Offene Fragen

Der Fall „Michael Krause“ zog weder größere Ermittlungen noch eine breitere öffentliche Thematisierung  nach sich. Die Ermittlungen wegen versuchten Mordes an einem Polizeibeamten wurden noch im gleichen Jahr von der Staatsanwaltschaft in Bayreuth wegen Tod des Beschuldigten eingestellt. Es haben sich laut der Einschätzung eines Oberstaatsanwaltes von Ende 2011, „abgesehen von dem Vorfall in Plauen, keinerlei Hinweise auf Kontakte des Krause zu rechtsradikalen Kreisen ergeben“. Ein leitender Polizeioberrat des Polizeipräsidium Oberfranken argumentierte im selben Zeitraum ähnlich: „Letzten Endes ergaben sich als Ermittlungsergebnis der KPI Bayreuth seinerzeit keinerlei Hinweise, dass Krause Kontakte zu einer rechtsextremistischen Organisation hatte.

Das rechter Terror eher eine Frage der Motivation ist und auch durch „Einzeltäter“ ausgeübt werden kann, schien den Ermittlern nicht bekannt gewesen zu sein. Zumindest wurde nichts über Ermittlungen gegen mögliche Terror-Netzwerke um Krause bekannt. Keine größere Sonderkommission wurde gebildet, um offenen Fragen nachzugehen. Wie kamen zwei Pistolen der Marke „Česká“ in Krauses Besitz? Wofür waren der Sprengstoff und die Zeitzünder in den Depots geplant? Woher bezog Krause den Sprengstoff? Die Waffe, mit der Krause die Polizisten beschoss wurde 1985 bei einem Diebstahl in Itzehoe entwendet. Wie kam sie in Krauses Besitz? Was wurde aus den anderen gestohlenen Waffen? Was liegt noch in den mindestens fünf unentdeckten Depots? Das unentdeckte Depot Nr. 36 „Berlin - Kronprinzessinenweg“ soll u.a. „Flugblätter“ enthalten haben. Welchen Inhalt haben diese? Wovon lebte Krause im Untergrund? Laut den Eintragungen in seinem Reisepass war Krause Ende 2001/Anfang 2002 in Australien. Wie ist er dahin gekommen und wovon wurde der Aufenthalt bezahlt? Hatte er seinen Pass vielleicht verborgt? An wen? War Krause wirklich ein Einzelgänger? Was trieb er an seinen Aufenthaltsorten in Berlin, in der Region Hannover, in Leipzig, in Dresden und in Plauen?

Ohne Antworten

Laut einem Bericht der „Frankenpost“ stand zumindest die Frage nach der Bomben-Herstellung bei einigen Ermittlern zeitweilig im Raum: „Bei den Ermittlern warf die professionelle Bauweise einige Fragen auf, die bislang noch nicht geklärt werden konnten. Beispielsweise weiß man nicht, woher der Täter seine technischen Kenntnisse bezog und wo er die Munition gefertigt hatte. Eine Tätigkeit des Mannes bei Bundeswehr oder NVA schloss der oberfränkische Poli­zeivizepräsident Wolfgang Sommer dabei genauso aus wie einen Einsatz bei einer Fremden­legion. Allerdings könne das Material unmöglich im Freien ohne Werkstatt hergestellt worden sein, zumal alles fein säuberlich schwarz lackiert war.4  Ob hierauf eine Antwort gefunden werden konnte, blieb unklar.

Allerdings wurde bekannt gegeben, was offensichtlich nicht sein durfte: „Als Ergebnis der Ermittlungen steht fest, dass das Handeln von Michael K. weder einen politischen noch ein terroristischen Hintergrund hatte.“5  Diese Version griffen auch andere Medien bereitwillig auf. „Die Ermittler gehen davon aus, dass Krause keine Komplizen hatte und sein Handeln nicht politisch oder terroristisch motiviert war“, beruhigte die Nachrichten-Homepage „InFranken“ ihre Leserschaft.6  Für Terror-Ermittlungen wurde dementsprechend kein Anlass gesehen. „Die Prüfung des Generalbundesanwalts hat keine Anhaltspunkte für eine in seine Zuständigkeit fallende Straftat erbracht“, teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die LINKE) mit.

Besonders nachdenklich stimmt im Fall Krause auch ein dubioser DNA-Fund, der zeitweilig eine direkte Spur zur NSU-Mordserie legte. Im Jahr 2009 wurden im Zuge der Ermittlung der „BAO Bosporus“ auch die DNA von Krause sowie dessen Munition mit der Tatmunition in der Česká-Mordserie verglichen. „Krause würde hervorragend in unser Einzeltäterprofil“ passen, hatte ein Ermittler zuvor festgestellt. Hierbei ergab sich eine geringe Übereinstimmung mit einer „DNA-Mischspur“ auf dem Unterhemd von dem NSU-Mordopfer Enver Simsek. Die „BAO Bosporus“ beauftragte daraufhin das Institut für Rechtsmedizin in München mit einem Direktvergleich der DNA von Krause mit der „DNA-Mischspur“. Im Ergebnis wird der „BAO Bosporus“ im November 2009 mitgeteilt, dass Krause nicht die Hauptkomponente der Mischspur sei und er nicht beweiskräftig als Spurensetzer in Frage käme.

Ausweislich der kriminaltechnischen Untersuchungen soll es auch „keine belastenden Anhaltspunkte“ dafür gegeben haben, dass die NSU-Bomben und Krauses Sprengsätze baugleich gewesen sein könnten. Das Zündmittel zur Nagelbombe des NSU bestand allerdings aus einem selbst gefertigten Glühbrückenzünder auf der Basis von Glühbirnen. Diese Art des Zünderaufbaus fanden die Ermittler auch in den vorbereiteten Sprengbehältern in einigen Depots von Krause vor.1

Entpolitisierung

Vermutlich wurde Michael Krause im Zuge polizeilicher Ermittlungen immer wieder in die Kategorie psychisch kranker Querulant und Waffennarr eingeordnet. Aus den Kreisen der BKA-Ermittlungsgruppe „BAO ST Trio, RegEA Bayern“ zum NSU-Terror, die 2012 noch immer unter dem zweifelhaften Namen „Bosporus“ auftrat, hieß es abschließend zu Krause: „Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass Krause aufgrund seiner paranoiden Psychose ‚aufgerüstet‘ hat, um sich verteidigen zu können. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die Hassgefühle seinerseits gegen türkische oder griechische Staatsangehörige belegen würden.

Die Einordnung als auch politisch oder rassistisch motiviert handelnder Täter war hierbei scheinbar nicht im Horizont der Ermittler aufgetaucht. In diesem Sinne wurden auch Krauses politische Auseinandersetzungen im Bus nach München im Nachhinein entpolitisiert. Krause sei laut Polizei-Angaben nur wegen des günstigen Fahrpreises mit dem Bus gefahren. Noch deutlicher wurde die polizeiliche Entpolitisierung bei einem Mordversuch am 25. August 2001. Michael Krause griff damals in Hildesheim einen „dunkelhäutigen Mann“ mit den Worten „Neger, was telefonierst du!“ an. Im Verlauf der Auseinandersetzung versuchte Krause, eine mitgeführte Pistole aus der Tasche zu ziehen, wobei diese zu Boden fiel und von einem Zeugen an sich genommen werden konnte. Krause wurde daraufhin jedoch nicht von Staatsschutzbeamten vernommen, sondern noch am selben Tag in eine Psychiatrie eingewiesen, wo er eine „paranoide Psychose“ attestiert bekam. Er hatte erklärt, dass er sich von „Schwarzen“ verfolgt fühle. Wäre seine Pistole nicht runtergefallen, hätte er „in Selbstverteidigungsabsicht“ geschossen. Von der Annahme eines politischen oder rassistischen Mordversuches wurde nichts bekannt. Dass die Pistole von Krause ein Modell „Česká CZ“ war, seit den NSU-Morden einem Symbol für das Nichterkennen von Neonaziterror, passt da ins Bild. Die Waffe wurde mittlerweile durch das LKA Niedersachsen vernichtet. Das Verfahren wurde noch im selben Jahr von der Staatsanwaltschaft Hildesheim eingestellt.