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Der Anschlag von Bologna

Einleitung

Am 2. August 1980 explodierten zwei Koffer mit Bomben in einer Bahnhofswarte­halle und rissen vor allem Urlauber in den Tod. Bei dem Anschlag starben 85 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Das Attentat von Bologna ist bis heute der schwerste Terroranschlag in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Explosion zerstörte einen Großteil des Hauptgebäudes und beschädigte den Zug Ancona-Chiasso, der auf Gleis 1 wartete. Das Dach des Wartesaals brach über den Fahrgästen zusammen, was die Zahl der Todesopfer massiv erhöhte. Die Stadt war auf eine solch massive Katastrophe nicht vorbereitet. Es standen nicht genügend Rettungswagen zur Verfügung, so dass Busse und Taxis zum Transport der Verletzten in die Krankenhäuser eingesetzt werden mussten. Die beschädigten Gebäudeteile wurden wiederaufgebaut, der Fußboden und ein tiefer Riss in der Wand wurden jedoch als Mahnmal an den Anschlag unverändert gelassen. Außerdem ist die Bahnhofsuhr seit damals auf 10.25 Uhr gestellt, der genauen Uhrzeit der Explosion.

Foto: Public Domain via welt.de

Das Attentat lässt das Land bis heute nicht los. Erst 15 Jahre nach dem Anschlag wurden eine Frau und ein Mann, beide Mitglieder der neofaschistischen Terrorgruppe „Nuclei Armati Rivoluzionari“ (NAR), der „Bewaffneten Revolutionären Zellen“, für die Tat verurteilt. Für Hinterbliebene der Opfer sowie einen guten Teil der italienischen Öffentlichkeit steht allerdings fest, dass für den Anschlag zwar die Bombenleger, nicht aber die Hintermänner verurteilt worden sind. Denn schon kurz nach dem Attentat wurde offensichtlich, dass italienische Geheimdienste die Ermittlungen sabotierten und es Verbindungen zwischen ihnen und den Neofaschisten gab. Auch passte der Anschlag in die Strategie jenes gut vernetzten Zirkels von Personen, die mit allen Mitteln versuchten, die – für ein westeuropäisches Land außer­gewöhnlich starke – Kommunistische Partei zu schwächen und von einer Regierungs­beteiligung fernzuhalten. Ein weiteres Ziel war es, die ebenfalls starke außerparlamentarische Linke zu diskreditieren und zu kriminalisieren.

Im Rahmen dieser „Strategie der Spannung“ wurden Terroranschläge unter falscher Flagge inszeniert, die der politischen Linken in die Schuhe geschoben wurden. Ausgeführt wurden diese mörderischen Attentate meist von Neofaschisten. So wurde permanent die kommunistische Gefahr an die Wand gemalt und ein Klima der Angst erzeugt, indem Rufe nach einem „starken Mann“, der für Ruhe und Ordnung sorgt, unüberhörbar wurden. Einem Klima, von dem die politische Rechte profitierte und in dem der Boden für einen Militärputsch bereitet wurde. Tatsächlich stand Italien in jenen Jahren kurz vor einem Coup. Der Bahnhof von Bologna war von dieser Sichtweise aus ein ideales Ziel, wurde die Stadt 1980 doch von Kommunisten und Kommunistinnen regiert.

Ein Mastermind dieser Strategie war der Chef der Freimaurerloge „Propaganda Due“ (P2), Licio Gelli. Laut den Aussagen von Libero Mancuso, einem der ermittelnden Staatsanwälte, hat Gelli auch die Fäden hinter dem Anschlag auf den Bahnhof in Bologna gezogen. Es gelang ihm jedoch durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen. Gemeinsam mit zwei Agenten des italienischen Geheimdienstes wurde er lediglich wegen Behinderung der Ermittlungsarbeiten verurteilt.

Der 2015 verstorbene Gelli war die Schlüsselfigur mehrerer politischer Skandale, die Italien in der Nachkriegszeit schwer belastet hatten. Während des Faschismus meldete sich der 1919 geborene Gelli als Freiwilliger für die „Schwarzhemden“ – eine Miliz, die vom faschistischen Diktator Benito Mussolini nach Spanien geschickt wurde, um an der Seite Francisco Francos im Bürgerkrieg zu kämpfen. Später wurde Gelli Verbindungsoffizier der Schwarzhemden zu Nazideutschland mit Kontakten zu Hermann Göring. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Gelli für die US-amerikanische CIA.

Im Jahr 1981 entdeckte man bei einer Hausdurchsuchung seiner Villa in Arezzo eine Liste mit Namen zahlreicher Militäroffiziere, Mafiosi, Bankiers, Politiker und Personen des öffentlichen Lebens die sich in der Geheimloge P2 engagierten. Darunter waren die Namen von mehr als 900 Politikern und Industriellen, unter anderem des späteren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi sowie des Oberhaupts des ehemaligen Königshauses, Viktor Emanuel von Savoyen. Die Entdeckung der Liste führte zu einem nationalen Skandal, weil zahlreiche Ämter der italienischen Republik mit Gefolgsleuten Gellis besetzt waren. Laut Staatsanwalt Mancuso hatte die P2 die italienischen Geheimdienste fest in ihrer Hand.

Am diesjährigen Jahrestag des Anschlags von Bologna kündigte der italienische ­Ministerpräsident Mario Draghi an, bisher unter Verschluss gehaltene Akten zu Gladio, der P2-Loge und mit ihnen verwobene Organisationen und Personen freizugeben. Damit könnte Licht in die Vorgänge jener Jahre kommen – bis jetzt sind aber keine Erkenntnisse aufgetaucht.

Gelli spielte auch eine zentrale Rolle bei „Gladio“, einer nach dem Kurzschwert der Römer benannten, von CIA und Nato aufgebauten Geheimarmee, deren Existenz erst 1990 publik wurde. Gladio war Teil eines militärischen Widerstandsnetzes, das ab Ende der 1940er-Jahre für eine Invasion des Warschauer Paktes in den Nato-Ländern, aber auch den neutralen Staaten Finnland, Österreich, Schweden und Schweiz eingerichtet wurde. Die Agenten dieser Einheiten werden als „Stay Behind“-­bezeichnet, da sie im Invasionsfall zurückbleiben und hinter der Front Sabo­tageakte begehen, Informationen per Funk durchgeben oder abgeschossene Pilo­ten sowie Agenten durchschleusen sollten.

Bis jetzt gibt es keine handfesten Belege dafür das Nato-Strukturen in Attentate in Italien beteiligt waren. Allerdings haben italienische Geheimdienste eigene Strukturen aufgebaut, die eng mit neofaschistischen Terrorgruppen zusammenarbeiteten.

Gladio & Stay Behind

In West-Deutschland und Österreich wurden auch ehemalige Hitlerjugend- und SS-Männer als „Stay Behind“-Agenten von den Amerikanern angeheuert. Antikommunismus und Erfahrung im Umgang mit Waffen und Sprengstoff reichten als Befähigung aus. Im Kalten Krieg galt die Maxime: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Im damaligen West-Deutschland wurde ein vom US-Geheimdienst CIA aufgebautes Stay-Behind-Netzwerk“ Anfang der 1950er Jahre enttarnt, nachdem von der Gruppe angelegte Erddepots, in denen Waffen, Verbandszeug und Dokumente ­lagerten, zufällig entdeckt wurden.

Der aus ehemaligen SS-Männern gebildete „Technische Dienst des Bundes Deutscher Jugend“ (BDJ-TD), hatte Listen mit unliebsamen Politikern angelegt, die sie im Kriegsfall „kaltstellen“ wollte. Nachdem die Gruppe aufflog, behinderte die damalige Regierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) die Aufklärung und ließ zu, dass die ehemaligen SS-Männer flüchten konnten. Gleichzeitig ließen us-amerikanische Stellen Beweismittel verschwinden. Nach der Enttarnung übernahm die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, die noch existierenden Stay-Behind-Netze. Mit der italienischen Partnerorganisation Gladio wurden gemeinsame Übungen durchgeführt.1

Antikommunistische Netzwerke in Österreich

1996 wurde durch eine Recherche des „Boston Globe“ bekannt, dass die Amerikaner in den 1950er-Jahren auch in Österreich Waffenlager angelegt hatten. Nachdem die US-Botschafterin der damaligen Regierung eine Liste der Standorte übergab, wurden schließlich 65 Depots gefunden, die mit Pistolen, Gewehren, Maschinengewehren und Panzerabwehrgranaten befüllt waren. Weitere vier Lager waren leergeräumt bzw. schon Jahre zuvor zufällig entdeckt worden. Zusätzlich meldeten sich Zeitzeugen zu Wort und bestätigen, dass diese Waffenlager für „Stay Behind“-Agenten vorgesehen waren.

Neben einem Kreis ehemaliger SS-Männer, war der sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionär und ehemalige KZ-Häftling Franz Olah der zentrale Ansprechpartner der Amerikaner. Seine Stunde kam, als die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) im Jahr 1950 zu großen Streikaktionen aufrief, nachdem die Preise für Lebensmittel drastisch erhöht wurden. Olah war mit seinen Leuten von der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft zur Stelle, um den Streik zu brechen. Sie lieferten sich mit Streikenden heftige Auseinandersetzungen und konnte die Bewegung rasch einbremsen. Olahs Männern wurden dafür mit Holzprügeln bewaffnet, die von den Amerikanern bezahlt wurden. Der Streik, der bis heute von reaktionären Kreisen in Österreich fälschlicherweise als „Kommunistenputsch“ bezeichnet wird, war jedoch erfolgreich - die Streikenden setzten teilweise merkliche Lohnerhöhungen durch.

In den folgenden Jahren ließ Olah Waffenlager anlegen und Funksender errichten und er war zur Stelle, wenn es galt stramm antikommunistische Projekte zu fördern. Die Gelder kamen aus den USA. So unterstützte Olah die Kronen Zeitung mit einer geheimen finanziellen Starthilfe. Das Blatt ist bis heute die auflagenstärkste Tageszeitung Österreichs und spielt innen­politisch eine gewichtige Rolle. 1963 wurde Olah schließlich Innenminister. Nachdem jedoch bekannt wurde, dass er der FPÖ eine Million Schilling zuschanzte, zog seine Partei die Notbremse. 1964 warf in die SPÖ raus und er wurde als Innenminister abgesetzt.

Ein Jahr später, gründete Olah 1965 die „Demokratische Fortschrittliche Partei“ (DFP). Die Partei konnte aber nur bei den Wahlen in Wien punkten und versank nach einigen Jahren wieder in der Bedeutungslosigkeit. Im Umfeld der DFP waren jedoch Rechtextreme zu finden. Darunter eine der schillerndsten Persönlichkeiten der österreichischen Szene: Herbert Fritz. Dieser war unter anderen in der 1988 verbotenen österreichischen NDP federführend tätig und engagierte sich in Sachen Holo­caust-Leugnung. Im Jahr 2018 trat Fritz beim neonazistischen Verein Gedächtnisstätte in Thüringen auf, im Sommer 2021 war er bei einer Demon­stration der „Identitären“ in Wien mit dabei.

Für einen Rechtsextremen ungewöhnlich sind seine Kontakte zur kurdischen PKK, deren Kampf er seit Jahren publizistisch unterstützt. Auch existiert ein Foto, das Fritz gemeinsam mit PKK-Gründer Abdullah Öcalan zeigt. Diese Kontakte sorgen in der österreichischen kurdischen Community für Diskussionen.

Parallel zu Olah bauten die Amerikaner Ende der 1940er Jahre ein „Stay Behind­-Netz mit ehemaligen SS-Männern in Öster­reich auf. Ansprechpartner der Amerikaner war Herbert Fritz der zuvor ganz oben in der NS-Hierarchie stand. Als Leiter des Nachrichtendienstes der SS in Wien trat er 1942 der Waffen-SS bei, wurde bald engster Mitarbeiter Ernst Kaltenbrunners, des Chefs des allmächtigen Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Kaltenbrunner machte Höttl zum Spionagechef für den Südosten. Kurz vor Kriegsende kooperierte Höttl mit dem US-Geheimdienst „Counter Intelligence Corps“ CIC, dem Vorläufer der CIA.

Der CIC sperrte ihn zunächst ein und transferierte ihn zum Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, wo er sich als Zeuge der Anklage zu Verfügung stellte. Höttl sagte aus, dass ihm Adolf Eichmann, den er von Wien her kannte und der für die Transporte von Juden in verschiedene Vernichtungslager zuständig war, erzählte, dass er „sechs Millionen Juden in den Tod geschickt habe“. Kaltenbrunner wurde 1946 in Nürnberg hingerichtet. Danach arbeitete Höttl für den US-Geheimdienst und durfte auch Gelder verteilen.

Die Amerikaner ware von der Angst getrieben, die KPÖ könnte in Österreich putschen, nachdem 1948 die Kommunisten in Ungarn und der Tschechoslowakei die Macht übernommen hatten. Um dies zu verhindern, kamen den US-Amerikanern Leute wie Höttl gerade recht. Sie spionierten die KPÖ aus, kümmerten sich um die Waffenlager und rekrutierten Agenten. Mit dabei war auch die beiden SS-Männer Karl Kowarik und Erich Kernmayr, der ehemalige Pressechef von Wiens Gauleiter Josef Bürckel. Das Trio war auch an der Gründung des VdU (Verband der Unabhängigen) beteiligt, dem Vorläufer der 1956 gegründeten FPÖ. Sie besorgten Geld und wichtige Kontakte.

Offiziell brach der US-Geheimdienst 1950 mit Höttl, nachdem er belanglose oder falsche Informationen geliefert hatte. Sein Umfeld wechselte zur Organisation Gehlen bzw. zum BND. Dort trafen sie auf weitere ehemalige SS-Männer, die nach 1945 wesentlich für den Aufbau und Erhalt rechtsextremer Strukturen in Österreich und Deutschland waren.

So arbeitete der spätere FPÖ-Generalsekretär Kowarik für den deutschen Geheimdienst, ebenso wie Erich Kernmayr, Chefredakteur der Deutschen Soldaten-Zeitung, der außerdem für die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e. V. (HIAG)“ tätig war. Einer SS-Veteranenvereinigung, die an ihrer politischen Ausrichtung wenig Zweifel gelassen hat. Das Netzwerk der HIAG war ein zentraler Pfeiler der neonazistischen Szene in Deutschland und pflegte Kontakte zu den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, die sich hierdurch Wähler- und Wählerinnenstimmen erhofften. Erst in den 1980er Jahren gingen diese auf Distanz: CDU-Bundestagsabgeordnete beendeten ihre Mitarbeit; die SPD beschloss die Unvereinbarkeit, da die HIAG „dazu beiträgt, nationalsozialistisches Gedankengut zu vertreten bzw. zu verharmlosen“.

Für die HIAG war an führender Stelle auch der österreichische BND-Mann Lothar Greil tätig. Er lieferte dem BND jahrlange Informationen über die österreichische Politik, insbesondere über die FPÖ und ihr Umfeld. Zu der Gruppe österreichischer BND-Agenten mit SS-Vergangenheit zählte auch Wilhelm Landig, der für den Nazi-Geheimdienst arbeitete. Landig war auch Anführer der „Österreichischen Sozialen Bewegung“. Die Orga­­nisation war Teil der Europäischen Sozialbewegung (ESB), die sich am 12. Mai 1951 im schwedischen Malmö sammelte.

Nebenbei arbeitet Landig als Romanschreiber. So hat er sich den Mythos der sogenannten „Reichsflugscheiben“ mit ausgedacht. Jenen Nazi-Ufos, denen der Film „Iron Sky“ ein Denkmal setzte.  Landigs vor Antisemitismus triefende Roman-Trilogie „Götzen gegen Thule“ (1971), „Wolfszeit für Thule“ (1980) und „Rebellen für Thule - Das Erbe von Atlantis“ (1991), erzählen davon, dass ein esoterischer Kreis innerhalb der SS, die „Schwarze Sonne“, in die Antarktis mit Geheimtechnologie entkommen ist. Dort wo auch die Insel „Thule“ liegen soll, haben sie einen unterirdischen Stützpunkt angelegt, von dem aus sie den Kampf gegen die Weltverschwörung des „Berges Zion“ für ein neues Reich weiterführen. Neben U-Booten und modernen Kampfflugzeugen, verfüge die SS auch über die 4000 Stundenkilometer schnellen „V7-Reichsflugscheiben“, nicht zum Einsatz gekommene „Wunderwaffen“ der Nazis. Verlegt wurde Landigs Buch „Rebellen für Thule – Das Erbe von Atlantis“ von Helmuth Kowarik, dem Sohn von Karl Kowarik.

Nach eigenen Angaben arbeitete Landig selbst an der Entwicklung der Nazi-Ufos mit. Beweise dafür gibt es keine. Ebenso wie es weder technische noch historische Belege für deren Existenz überhaupt gibt. Wie jedes gute Märchen hat auch diese Erzählung einen wahren Kern. Die Nazis versuchten fieberhaft mit technisch innovativen „Wunderwaffen“, wie der ersten ballistischen Rakete V2, elektrisch betriebene U-Boote oder dem ersten Düsenjäger, ihren Untergang zu verzögern.

Die Nachkriegsnetze ehemaliger SS-­Männer waren in Österreich und Deutschland wesentlich für den Aufbau extrem rechter Strukturen. Diese Rolle des BND wurde dabei bisher kaum erforscht. Ebenso wie die „Stay Behind“ Netze in Deutschland und Österreich.

  • 1Die Organisation wurde Anfang der 1990 Jahre abgewickelt. Ein Überblick über das Treiben der „Stay Behind“ Netze findet sich in dem 2015 erschienenen Buch „Die Partisanen der Nato“, von Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll.