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Das „Skrewdriver“-Konzert in Brandenburg

Einleitung

Kurz nach der sogenannten „Wende“ wird ein Konzert der britischen Rechtsrock-Band „Skrewdriver“ in Ostdeutschland zu einem international wirksamen Mythos der Rechtsrockszene.

Foto: Dietmar Gust

Rechte Skinheads in einer Cottbuser Disko im Mai 1991.

Die Messerstecher von Cottbus

Das Land verändert sich, auch Kriegsflüchtlinge sind gekommen. Viele Bürger haben deshalb Sorgen, und diese Sorgen gehören ernst genommen. Also: Bürgerdia­log. Schauplatz: Cottbus, Plattenbaubezirk Sachsendorf. Die „Ausländerfrage“ bewegt die Leute. „Auch die Neonazis haben ihre Meinung“, sagt ein Bürger, „und ich achte diese Meinung.“ Der Cottbuser Bürgermeister zeigt Empathie: „Ich verstehe sie ja!“, ist sein häufigster Satz bei der Veranstaltung. Am gleichen Abend zieht eine Gruppe Neonazis los und attackiert das Flüchtlingsheim in Cottbus-Schmellwitz. Brandenburgs Ministerpräsident verurteilt den Überfall am nächsten Tag mit folgenden Worten: „Ganz Ostdeutschland wird in schädlichen Misskredit gebracht.“

Es ist der Frühherbst 1991 in Südbrandenburg. 40 Kilometer entfernt toben Ende September die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda – Hunderte beteiligen sich. Auch in Cottbus ist rassistische Gewalt an der Tagesordnung. Genauso wie die „Ausländer“ stehen alternative Jugendliche und ihre Treffpunkte im Fokus der Neonazischläger.

In diesen Tagen kursieren Einladungsflyer in der rechten Skinheadszene: „Skrew­driver“ kommen nach Ostdeutschland. Zum ersten Jahrestag der deutschen „Wiedervereinigung“, also am 3. Oktober 1991, soll die Band um den „Blood & Honour“-Gründer Ian Stuart Donaldson in Werben, einem wenige Kilometer von Cottbus entfernten Dorf, spielen. Die „Deutsche Alternative“ (DA) lädt ein, eine später verbotene Neonazi-­Kleinpartei aus dem Spektrum des damals prominenten Neonazi-Anführers Michael Kühnen, die in Cottbus laut Medienberichten 300 Mitglieder hat. Es ist klar, dass dies ein Großevent wird. Die regelrecht explodierende, neonazistische Jugendkultur in Ostdeutschland lebt Gewalt und Provokation und sie beginnt, sich zu organisieren. RechtsRock liefert den Soundtrack zu diesem Lebensgefühl und die ostdeutschen Neonazi-Jugendlichen dürsten nach Konzerten mit den Stars der Szene. Die Polizei bereitet einen Großeinsatz vor. Begründung des Innenministers: Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass diese Veranstaltung auch das linke Spektrum mobilisiert und es zu Zusammenstößen kommt“.

„Skrewdriver“ reisen von einem Konzert in Saarbrücken nach Cottbus an und werden im Jugendklub „Sandow“ begrüßt. Der städtische Klub ist über Jahre Szenetreffpunkt und Schauplatz zahlreicher kleinerer Neonazikonzerte: „akzeptierende Jugendarbeit“ heißt das staatliche Umarmungskonzept.1 Am Abend vor dem „Skrewdriver“-Konzert ziehen britische und deutsche Neonazis betrunken und mit Knüppeln bewaffnet durch die Stadt. Am alternativen Jugendklub „Gladhouse“, der wenige Tage zuvor schon einmal attackiert wurde, randalieren die Rechten und sprühen mit Tränengas. Was dann genau geschieht, wird nie gerichtsfest geklärt. Fest steht: Ein langhaariger 20-jähriger Deutscher wird gegen 21 Uhr im Bereich der Stadtpromenade durch Messerstiche in den Rücken aus der Gruppe der Neonazis lebensgefährlich verletzt. Das Messer soll laut den späteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der „Skrewdriver“-Gitarrist Stephen Calladine, Spitzname „Stigger“, in der Hand gehabt haben.

Acht Personen, sieben Briten und ein Deutscher, werden verhaftet, darunter auch Ian Stuart Donaldson und seine Freundin Diane C. Die beiden letztgenannten werden einige Stunden später wegen fehlenden Tatverdachts freigelassen. Die anderen Verhafteten sagen in einer ersten Vernehmung gegenüber dem Ermittlungsrichter aus, sie hätten ihr Opfer angegriffen, weil sie ihn für einen „linken Intellektuellen“ gehalten hätten.

Das geplante Konzert findet am nächsten Tag trotzdem statt. Um die 1000 Neonazi-Skinheads kommen nach Werben in den Landgasthof „Stern“, es ist ein Stelldichein der ostdeutschen Neonazi-Militanten. Bei Vorkontrollen beschlagnahmt die Polizei zahlreiche Waffen. Sonst greift sie nicht ein, trotz zahlreicher „Sieg Heil“-Rufe. Die Neonazis prügeln sich mangels anderer Zielobjekte untereinander: „Während des ganzen Gigs gab es kleinere Boxereien, sogar die Renees schlugen sich“, wird in „Oi! Deutsches Echo“, berichtet. Zunächst spielen mit „Radikahl“, „Tonstörung“ und „Störkraft“ drei der damals bekanntesten deutschen RechtsRockbands. Schließlich tritt Ian Stuart Donaldson auf. Mit „Störkraft“-Musikern als Ersatz für seine inhaftierten Bandkollegen spielt er einige „Skrew­driver“-Songs und fordert die Freilassung der insgesamt sechs tatverdächtigen Neonazis. Von Donaldsons Ansagen angestachelt belagern laut Szeneberichten noch in der gleichen Nacht 300 Skinheads die Cottbuser Polizeiwache, um die Gefangenen freizupressen. In der Lokalpresse ist davon nichts zu lesen. Stattdessen wird berichtet, dass Neonazis versucht hätten, zwei Flüchtlingsheime anzugreifen. Der Landrat hingegen zeigt sich erfreut: Es habe rund um das Konzert „keine Ausschreitungen“ gegeben.

Ian Stuart Donaldson nimmt zurück in Großbritannien umgehend eine Solidaritätsplatte für seine Bandkollegen auf. „Jus­tice for the Cottbus Six“, fordert der Titel­track. Tatsächlich sind alle Inhaftierten gegen Zahlung von Kautionen noch im Novem­ber wieder auf freiem Fuß. Der ab 1993 geführte Prozess verläuft im Sand. Nur drei der Angeklagten erscheinen überhaupt vor Gericht. Immer wieder werden die Verhandlungen vertagt, das Verfahren schließlich sang- und klanglos eingestellt. Die fast tödliche Messerattacke bleibt ungesühnt. Der Nimbus der Durchsetzungskraft und Unantastbarkeit der Neonazis wird so noch gestärkt.

Die Ereignisse um das Cottbuser Konzert gehören zu den Gründungsmythen der ostdeutschen RechtsRockszene. Es war eines der ersten großen Neonazi-Konzerte in den neuen Bundesländern. Ein Jahr später wurden die Teilnehmerzahlen noch übertroffen, als Ian Stuart Donaldson für eine Neuauflage des Wiedervereinigungskonzerts in Massen bei Finsterwalde in die Region zurückkehrte. Die Stars des Rechts­Rocks, den meisten der ostdeutschen Neonazi-Jugendlichen bis dahin nur durch Audiokassetten-Raubkopien bekannt, konnten hautnah erlebt werden.

Ereignisse wie diese wurden zur Inspiration für ostdeutsche Neonazis, selbst musikalisch aktiv zu werden. In Cottbus gründete sich 1992 „Frontalkraft“ – bis heute eine der wichtigsten aktiven Bands bundesweit. Die Aura der Gewalttätigkeit machte den RechtsRock für seine Fans nur noch attraktiver. Subkultur und Politik, Rassismus und Gewalt waren untrennbar verknüpft. Das „Blood & Honour“-Netzwerk, das Ian Stuart Donaldson bei seinen Deutschlandaufenthalten aus Großbritannien importierte, ist trotz Verbots im Jahr 2000 immer noch aktiv. Schon oft ist beschrieben worden, wie „Blood & Honour“ für den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ den Rahmen lieferte und Unterstützungsarbeit leistete.

Das „Cottbus 6“-Album und ein Videomitschnitt haben zu der Mythisierung des Konzertes 1991 beigetragen. Cottbus ist in der RechtsRockszene auch deswegen international bis heute ein klingender Begriff. „Skrewdriver“-Sänger Ian Stuart Donaldson, 1993 bei einem Autounfall verstorben, ist eine Kultfigur des RechtsRock, ihm sind zahlreiche Erinnerungstexte aus der RechtsRockszene gewidmet.

Die Cottbuser Ereignisse dürfen dort nicht fehlen. Wie bei popkulturellen Narrationen nicht unüblich, sind die Details verschwommen und widersprüchlich – besonders in Hinsicht auf den Messerangriff. In der Ian-Stuart-Donaldson-Biografie „Diamonds in the Dust“ wird geschildert, dass die „Cottbus 6“ völlig anlasslos und unschuldig von der Polizei verhaftet worden seien. Der deutsch-britische Neonazi Magnus Waggeg berichtete hingegen, dass es sich um Notwehr gegen den Angriff einer „kommunistischen Bande“ gehandelt habe. In „Ian Stuart Nazi Rockstar“ wird wiederum freimütig eingeräumt, dass die Neonazis einen „Youth Club“ angegriffen hätten. Der „Frontalkraft“-Sänger Sten Söhndel feierte in einem Interview Jahre später die Messerstecherei und stellt sie als rassistischen Gewaltakt dar: Die Briten hätten sich durch „dunkelhäutige Bananenpflücker“ provoziert gefühlt und darum „geschliffenen englischen Stahl“ zum Einsatz gebracht. Am Mythos wird beständig weitergestrickt. Er kann sogar noch wirksamer werden, je mehr Zeit vergeht und je mehr Platz für Gerüchte und Legenden gelassen wird. Das weiß auch der damalige Hauptverdächtige Stephen Calladine. 2018 meldete er sich vielsagend-nichtssagend in einem neu erschienenen „Skrewdriver“-Fanbuch zu Wort: „Die, die damals dabei waren, wissen, was passiert ist.“

(Der Artikel basiert auf den Schilderungen im Buch „Rechtsrock. Aufstieg und Wandel neonazistischer Jugendkultur am Beispiel Brandenburgs“, erschienen im Mai 2019 im Be.bra-Verlag. Herausgegeben von Gideon Botsch, Jan Raabe, Christoph Schulze; 22 Euro.)

  • 1Zu den Mitorganisatoren des Konzertes gehörte laut eines Fanzineberichtes „Tattoo-Andy“. Andreas Muschik, schon zu DDR-Zeiten Neonazi-Skinhead, war zeitweise als Sozialarbeiter rund um den Jugendklub Sandow tätig. Später war er Anführer der „Hells Angels“ in der Stadt und ist bis heute als Tätowierer tätig. Zur Kritik der „akzeptierenden Jugendarbeit“ erschienen frühzeitig Texte im Anitifaschistischen Infoblatt (AIB), die auch die Situation in Cottbus berücksichtigten. Vgl. "Jugendarbeit mit Rechten. Rechte Jugendarbeit?", AIB Nr. 21 (März/April 1993), S. 11-18. "Cottbus: Mitarbeiter von Jugendhilfe e.V. verurteilt", AIB Nr. 24 (Oktober/November 1993), S. 25.