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Dänemark: Staatlicher Rassismus vor Gericht

Einleitung

Ab dem 2. September 2021 wird sich die ehemalige „Ministerin fuer Auslaender og Integration“ in Dänemark, Inger Støj­berg, vor Gericht verantworten müssen. Im Jahr 2016 gab Støjberg per Pressemitteilung die Anordnung, minderjährig Verheiratete in den dänischen Asyllagern konsequent zu trennen. Dies ohne eine vorherige Einzelfallprüfung vorzunehmen, wie es die internationalen Konventionen vorschreiben. Nach mehreren Anhörungen und einem Untersuchungsauschuss fand sich schlussendlich eine parlamentarische Mehrheit, um ein sogenanntes Reichsgerichtsverfahren gegen Støjberg in die Wege zu leiten.

Bild: Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Foto: Dragan Tatic; CC BY 2.0

Inger Støj­berg und der damalige österreichische Außenminister Sebastian Kurz 2016 in Wien.

Der Beschluss, Støjberg vor das Reichsgericht zu stellen, hat eine historische Dimensionen und schlägt im politischen Dänemark hohe Wellen. Es ist erst das sechste Mal in der Geschichte des Landes, dass diese Gerichtsbarkeit einberufen wird und eine Parlamentarierin sich davor verantworten muss. In den vergangenen 100 Jahren ist das jetzige Reichsgerichtsverfahren sogar erst der zweite Fall.

Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist eine Pressemitteilung, die Støjberg im Jahr 2016 verschicken ließ. In dieser Pressemitteilung wurde die sofortige Trennung aller Ehepaare unter den Asylsuchenden angeordnet, in denen ein Part unter 18 Jahren ist. Støjberg, die zu einer absoluten Hardlinerin in Migrations- und Integrationsfragen geworden ist, wollte auch diese Gelegenheit nutzen, um einen weiteren Punktgewinn im „Kulturkampf von Rechts“ zu erreichen. Sie präsentierte sich einerseits als eine kompromisslose Verfechterin von Frauen und Kinderrechten, während sogenannte Kinderbräute als Teil „fremder Kulturen“ prinzipiell entmündigt und abgelehnt werden. Kritiker_innen dieser Anordnung wurden deshalb auch sogleich als Anhänger_innen der „Kinderbräutekultur“ diskreditiert.

In ihrem politischen Eifer sah Støjberg davon ab, eine vorherige Einzelfallprüfung vorzunehmen. Eine Prozedur, welche durch die internationalen Konventionen vorgeschrieben ist. Ein Fehler, der auch Støj­bergs Ministerium unterlaufen sein könnte. Bei genaueren Untersuchungen stellte sich jedoch heraus, dass Støjberg mündlich auf die Gesetzeswidrigkeitkeit ihrer Anweisung hingewiesen wurde. Der dringende Verdacht ist daher vielmehr,  dass eine dänische Ministerin ganz bewusst eine illegale Anordnung in Auftrag gegeben hat. Støjberg versuchte in ihrer Verteidigung die Pressemitteilung deutlich abzuschwächen.

Sie argumentierte, dass diese nicht als Anordnung, sondern lediglich als Empfehlung zu verstehen gewesen sei. Eine Darstellung, der verschiedene Involvierte klar widersprechen, darunter die Vizevorsitzende der Ausländerbehörde, Lene Vejrum. Ihrem Veständnis nach sollte man: “der Pressemitteilung folgen. Und es sollten keine Ausnahmen gemacht werden.“1 Eine Untersuchungskommission, die sogenannte Anweisungskommission, wurde ins Leben gerufen. Diese Kommission, welche von Støjberg konsequent als „Kinderbrautkommission“ tituliert wurde, empfahl schließlich die Einrichtung eines Reichsgerichtes. Es stellte sich heraus, dass Støjbergs Fehlverhalten nicht allein in dem wahrscheinlichen Rechtsbruch liegt. Es wurde außerdem deutlich, dass sie auch in den insgesamt fünf parlamentarischen Anhörungen, in denen sie Rede und Antwort zum Thema stehen musste, mehrfach das Parlament angelogen hatte. Zum Beispiel erklärte sie, dass nicht nur sie, sondern auch ihre juristischen Experten die Anweisung als gesetzeskonform erklärt hatten. Nur  elf Tage später räumte sie bei der nächsten Anhörung das genaue Gegenteil ein. Die Beamten hätten sie mündlich deutlich auf die wahrscheinliche Gesetzeswidrigkeit dieser Anweisung hingewiesen.2

Die nationalkonservativen und rassistischen „Law and Order“-Parteien „Dänische Volkspartei“ und „Die neuen Bürgerlichen“ sprangen für Støjberg in die Bresche. Sie sehen das Verfahren als politisch motiviert  an und in dem wahrscheinlichen Gesetzesbruch Støjbergs kein Problem. Støjbergs ehemalige Partei „Venstre“ und die Sozialdemokraten taten sich schwer, aber im Endeffekt stimmten die meisten Parlamentarier_innen für das Verfahren und sicherten so die notwendige politische Mehrheit.

Die Kritik an Støjbergs Vorgehen ist massiv und endete mit ihrem Rücktritt als Vizevorsitzende und schlussendlich auch mit dem Austritt aus der Partei. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass eine vergleichsweise „kleine Geschichte“, die Støj­berg nur noch etwas höher auf der Hardliner Skala platzieren sollte, zumindest vorerst für ihren Abgang aus der Politik gesorgt hat. In Dänemark muss man aber mehr auf dem Kerbholz haben als eine gesetzeswidrige Anordnung und eine tief rassistische Integrationspolitik, um politisch zur Person non grata zu werden. Insbesondere die rassistische „Dänische Volkspartei“, die momentan eine historische Krise durchläuft, wirbt um Støjberg und würde sie mit Kusshand in ihren Reihen aufnehmen.

Støjbergs Agieren hatte wenig mit Fürsorge zu tun, war dafür aber um so mehr politisch motiviert. Das weitere Schicksal der betroffenen Personenen war Støjberg herzlich egal. Das „Rote Kreuz“ wies auf Folgewirkungen wie Selbstmordversuchen, Selbstverletzungen und Depression en bei vielen zwangs-getrennten Paaren hin. Støjberg hält weiterhin daran fest, dass die konsequente Trennung ohne Einzelfallprüfung die richtige Strategie war.2

Auch ihre Reaktion auf den Beschluss des Reichsgerichtes macht ihre wirkliche Motivation dahinter deutlich. Ihre Fehler stellt sie als notwendiges Übel dar, um die minderjährigen Mädchen zu retten. Von jeder Selbstkritik befreit präsentiert sie sich immer wieder gern als die Retterin der Betroffenen und Verfechterin von Kinder- und Frauenrechten. Welchen Stellenwert das Thema Feminismus, wenn es nicht an Einwanderung und Islam gekoppelt ist, für sie sonst einnimmt, wurde im November 2020 deutlich. In der bisher letzten „MeToo“-Debatte in Dänemark, in deren Folge mehrere führende Politiker ihren Hut nahmen, warnte Støjberg vor feministischer Rachelust, juristischer Unsicherheit der Männer und konstatierte, dass sie „in den jetzigen Zeiten kein Mann sein möchte.“3

Wer sich durch das Verfahren eine Aufarbeitung oder sogar eine Abkehr der rassistischen Integrationspolitik der letzten Jahre in Dänemark erhofft hatte, wird bitter enttäuscht.
Die Sozialdemokraten machten von Anfang an deutlich, dass der Grund für das Verfahren für sie allein in den juristischen Verfehlungen Støjbergs liegt.4 Auf politischer Ebene stimmt man mit ihrem Kurs überein.

Von der Furcht getrieben, die Zustimmung zum Verfahren gegen Støjberg könnte als ein „weich werden“ in der harten Migrationspolitik gedeutet werden, überbieten „Venstre“ und Sozialdemokraten sich in Vorschlägen, den Druck auf Migrant_innen weiter zu erhöhen. Støj­bergs ehemalige Partei „Venstre“ will Gesinnungstests bei der Vergabe von Staatsbürgerschaften einführen. Die Sozialdemokraten geben eine „Null Asylsuchende-Agenda“ als politisches Ziel aus und  starten Abschiebungen nach Syrien. Man fordert Corona Zwangstests für Stadtteile mit hoher Infektionsrate und hohem Anteil mit Menschen mit Migrationshintergrund und sucht aktiv nach Ländern außerhalb der EU, welche die Asylanträge an Dänemark abfertigen (das heißt ablehnen) können.

Selbst der Vorschlag der „Dänischen Volkspartei“, die Religionszugehörigkeit von Asylsuchenden künftig im Pass zu registrieren, gilt als „interessant“. Der sozialdemokratische Integrationsminister Mattias Tesfaye sorgt mit dem aktuellsten Gesetzesentwurf für Furore. Der Entwurf sieht vor, die Trennung von minderjährig verheirateten Asylsuchendenpaaren zum Verwaltungsakt zu degradieren. Die Einzelfallprüfung braucht somit nicht mehr vorgenommen zu werden und internationale Konventionen werden umgangen. Die Praxis, für die Støjberg sich verantworten muss, soll also fortan legalisiert werden.  Die dänischen Sozialdemokraten zeigen  damit einmal mehr, wo sie sich mittlerweile politisch verorten.

Mit anderen Worten: Außer einer persönlichen Genugtuung für die vielen Gegner_innen Støjbergs wird aus dem Verfahren nichts für progressive Menschen herauskommen. Dänemark wird seinen Weg  einer massiven ausländerfeindlichen und rassistischen Politik konsequent weitergehen.

  • 1https://solidaritet.dk: Instrukskommission: Støjberg handlede “klart ulovligt” von Morten Hammeken, 14.12.2020.
  • 2 a b ekstrabladet.dk: Inger Støjberg er fuld af løgn von Randahl Fink Isaksen, 19.5.2020.
  • 3Genstart, DR nyheder, 19.11.2020
  • 4www.information.dk: Rigsret mod Støjberg: Adskillelsen af asylpar var politisk rigtig, men juridisk forkert, mener S, V og K von Ulrik Dahlin, 28.1.2021