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Chile: Rechter Terror gegen Feminismus

Einleitung

Am 25. Juli 2018 waren 50.000 Feminist_innen und Befürworter_innen der legalen Abtreibung auf den Straßen von Santiago (Chile) unterwegs. Drei Frauen wurden bei dieser Demonstration von Gegendemonstranten der extremen Rechten niedergestochen.

Bild: Screenshot von facebook

Es war der englisch-spanischsprachige Internetblog „Black Rose / Rosa Negra“, der als einer der ersten auf die gewalttätigen Neonazi-Übergriffe auf Feminist_innen in Chile - die für eine freie und legale Abtreibung kämpfen - aufmerksam machte, die Kämpfe der feministischen Kollektive hervorhob und um Solidarität warb1 . Der attackierte Marsch erinnerte an den 5. Jahrestag einer Aktion, bei der Feminist_innen die katholische Kathedrale während einer Messe besetzten, die vom chilenischen Erzbischof zu Ehren von San Santiago mit Bischöfen, dem Bürgermeister und anderen anwesenden Regierungsbeamten geleitet wurde. Es war die erste feministische „Toma“ (Besetzung) und markierte einen Wendepunkt in der Bewegung, die sich seit 2013 zu einer Massenbewegung entwickelt und politische Räume und Debatten im ganzen Land beeinflusst hat.

Diese Bewegung hat ihre politischen Ziele in Lateinamerika zunehmend auf die Straße und in die Parlamente gebracht. Abtreibung war dort - mit Ausnahme von Kuba und Uruguay - kriminalisiert oder eingeschränkt, doch die Bewegung zur Reform der Gesetzgebungen wuchs stetig. Der Kongress in Argentinien stand knapp vor einer Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. In Uruguay wurde nach Jahren des Kampfes die Abtreibung vor der 12. Schwangerschaftswoche legalisiert. Chile hatte, bis vor kurzem zusammen mit El Salvador, die strengsten Abtreibungsgesetze. Eine Politik, die das postfaschistische Pinochet-Regime 1989 eingeführt hat.

Im August 2017 billigte der chilenische Kongress einen Gesetzentwurf, der Abtreibung unter drei Bedingungen erlaubt: wenn das Leben der Frau in Gefahr ist, wenn der Fötus nicht überleben kann, oder im Fall von Vergewaltigung für Mädchen unter 14 Jahren. Als Reaktion auf das Wachstum und die Auswirkungen der feministischen Bewegung wächst auch eine Gruppe extrem rechter, pro-patriarchaler Männer, die sich selbst als „sozial-patriotische“ Bewegung „Movimiento Social Patriota“ (MSP) bezeichnen. Diese offen nationalistische Organisation agiert unter anderem gegen eine „Legalisierung von Abtreibung“ und eine „Ideologie des Geschlechts“. Ihr Sprecher Pedro Pérez Kunstmann diffamiert Feminist_innen als „hembras“ im Sinne von „Weibchen“ (auf weibliche Tiere bezogen), die sterilisiert werden sollten. Auf seinem Twitter-Profil sieht er im szenetypischen antisemitischen Verschwörungsblick auf George Soros die Feminist_innen als „Die Töchter von #SOROS in Aktion2 . Mehrere hundert (männliche) Mitglieder und Anhänger dieser Organisation mobilisierten gegen den feministischen Marsch, einige blockierten die Route, bedeckten die Straße mit Tierblut und griffen Demonstrant_innen körperlich an, darunter auch drei Frauen, die mit Messern verletzt wurden. Die MSP hat jenseits ihrer virtuellen „Follower“ eine teils militante Präsenz in verschiedenen Regionen Chiles.

Die Recherchen von Jaime Morales in der Zeitschrift „Resumen“ über die Idiologie der MSP erinnern an europäische Formate der extremen Rechten: Mit medial inszenierten Aktionen haben sie es geschafft, sich und ihre rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Positionen bekannt zu machen. Diskursiv posieren sie als unterdrückte Minderheit und nutzen Verschwörungstheorien und „fake-news“, um ihre Position zu stützen3 .

Politisch sieht sich die Gruppe als Vertreter der (neo)faschistischen „Tercera Posición“, inspiriert von „CasaPound“ (Italien) und „Hogar Social“ (Spanien). Sie entstand Ende 2016 aus der lokalen „Identitären Aktion“ („Acción Identitaria“). Zu den ehemaligen Kämpfern der „Identitären Aktion“ Alan Contreras, Barbara Gonzalez und Gabriel Segovia Kunstmann stießen Alexander Cruz, Pedro Pérez Kunstmann (der erwähnte Pressesprecher der MSP) und weitere Protagonisten wie Javier Roa, vormals ein Aktivist der „Fuerza Nacional Identitaria“. Die Gründung des MSP habe sich aus den gemeinsamen Interessen einer „Männerszene“ zwischen „Montañistas y Otakus“ - zwischen Outdoorfreunden und (Internet)Nerds - ergeben. Sie verteidigen nicht nur ihre bedrohte „nationale Identität“, sondern in gleicher Weise ihre gefährdete Männlichkeit, die von einer „Geschlechterideologie“ unterdrückt werden würde.

In der Lokalpresse übernahm die MSP die Verantwortung für den „Gegenprotest“, leugnete aber die Beteiligung an den Messerstichen, die sie „Anarcho-Feminist_innen“ zuschrieb. Die Angreifer waren während der Attacke maskiert, eine der Frauen wurde am Bauch und zwei andere an den Beinen verletzt. Auch ein Polizist ist bei der Attacke verletzt worden. Es wurden keine Verdächtigen festgenommen und die antifeministischen GegendemonstrantInnen blieben unbehelligt. „Der Protest begann festlich, aber wir haben das Gefühl, die Stimmung kippte, als wir hörten, dass eine Gruppe von Extremisten Barrikaden errichtet und Tiereingeweide auf dem Boden verstreute“, berichtete Antonia Orellana, ein Mitglied des chilenischen Netzwerkes gegen Gewalt gegenüber Frauen und der linken „Frente Amplio“ der Zeitung „The Guardian“4 .

Das MSP kündigte in Folge der kritischen Berichterstattung an, Daten von denen zu sammeln, die sie „diffamiert und beleidigt“ hätten. Sie seien keine klassischen Neonazis, sondern eine „dritte“ politische Kraft mit angeblich 500 Mitgliedern. Vor dem negativen Medienecho hatten sie erklärt, sie seien gut trainiert und organisiert und hätten sich mit „Führern“ von Gebieten und Brigaden bestens aufgestellt. Allein „72 Männer“ seien ausgebildet worden, bevor sie am Tattag ihre „Gegenaktion“ durchführten, laut Kunstmann gegenüber der Zeitschrift „publimetro“ mit „Chefs“ für jeden „Sektor, Zone und Brigade5 .

Die Barrikaden in dem Sektor, in dem sie mit Plakaten standen, wären nicht durch sie in Brand gesetzt worden. Auch hätten sie den antifeministischen Gewaltaufruf nicht mit Messern umgesetzt, was eine „interne Überprüfung“ ergeben habe. Von juristischen Folgen hat man bisher auch nichts gehört.

Das MSP ist eine recht genaue Kopie seiner europäischen Vorbilder. Ihr militanter Politikstil, welcher zunimmt, wenn die eigenen Positionen als hegemonial wahrgenommen werden, ist da nur konsequent. In Chile ist für diesen Verstärkereffekt der Jurist und Politiker José Antonio Kast und seine Bewegung „Republikanische Aktion“ zu nennen. Nachdem die Regierung von Michelle Bachelet einige Reformen in Bezug auf das Abtreibungsrecht angekündigt hatte, hat sich ihr rechtlicher Nachfolger, Sebastian Piñera, bereits gegen weitere Reformen gestellt. Die angekündigten Reformen könnten von seiner Regierung wieder rückgängig gemacht werden. Die Koalition umfasst mehrere Personen, die eng mit der Pinochet-Diktatur verbunden sind. Extrem rechte Politiker wie Kast wollen das totale Verbot der Abtreibung mit einer neu gegründeten Bewegung - der „Republikanische Aktion“ - wiederherstellen. Die feministische Comedian- und Radiomoderatorin Natalia Valdebenito bringt die Lage auf den Punkt: „Wir wissen, dass es organisierte Gruppen gibt, die absichtlich den Protest stören und Schaden anrichten (…) aber die feministische Bewegung wird weitergehen“.