Skip to main content

Burschenschafter in Heidelberg vor Gericht

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD IL) (Gastbeitrag)
Einleitung

Ein Gericht verurteilt rechte Burschenschafter in Heidelberg wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung mit antisemitischem Hintergrund.

Patrik Bass Komplott
(Foto: Recherchegruppe „Stückgarten fräsen“, de.indymedia.org, CC BY-SA 3.0 DE)

Der ehemalige „identitäre“ Rapper„Komplott“ und Normanne Patrick Bass (mit Megaphon) und Luis S. (links daneben) bei einer Kundgebung der „Identitären Bewegung“ am 2. Juni 2018 in Solingen.

Am 8. Dezember 2022 verurteilte das Heidelberger Amtsgericht die drei Burschenschafter Luis S., Maximilian H. und Lukas K. wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu je acht Monaten Haft, die jeweils für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der vierte Beschuldigte André R. wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass die Männer gemeinschaftlich handelnd einen anderen Verbindungsstudenten antisemitisch beleidigt und mit Gürteln geschlagen haben; zwei der Angeklagten sollen zudem Münzen nach ihm geworfen haben. Zwei Beschuldigte waren zum Tatzeitpunkt noch 21 Jahre alt, also Heranwachsende. Deshalb fand das Verfahren vor dem Jugendgericht statt.

Anlass des Prozesses war der tätliche Angriff auf Phillipp S., einen Verbindungsstudenten mit einer jüdischen Großmutter, im August 2020 im Haus der Burschenschaft Normannia zu Heidelberg. Damals war es auf dem Stiftungsfest der Normannia zu der antisemitischen Attacke gegenden Angehörigen der „Alten Leipziger Landsmannschaft Afrania zu Heidelberg“ gekommen. Die Angeklagten sollen zusammen mit anderen den Gast der Feier wegen seiner jüdischen Großmutter mit Gürteln geschlagen und antisemitisch beschimpft haben. Unter Schmährufen wie „Drecksjude“ und „Judensau“ sollen zudem Münzen auf den Verbindungsstudenten geworfen worden sein. Nachdem der Vorfall durch die Antifaschistische Initiative Heidelberg öffentlich gemacht wurde, lösten die so genannten Alten Herren die „Aktivitas“ der Normannia auf. In den folgenden Tagen und Wochen traten immer mehr Details zur Tatnacht und zu den Aktivitäten der Burschenschaft ans Licht.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hatte in der Folge gegen insgesamt zehn Personen aus verschiedenen Burschenschaften ermittelt. Gegen sechs Beschuldigte waren im Mai 2021 Strafbefehle erlassen worden. Dagegen hatten fünf Personen Einspruch eingelegt. Ein zunächst Angeklagter hatte seinen Einspruch später zurückgezogen und damit den Strafbefehl akzeptiert. Die Angeklagten Luis S. und André R. gehörten zum Tatzeitpunkt der Normannia an. Maximilian H. und Lukas K. waren Mitglieder der „Kölner Burschenschaft Germania“. Sowohl der Heidelberger S. als auch der Kölner H. engagierten sich in der Vergangenheit im Kontext der „Identitären Bewegung“ (IB).

Vertreten wurden die vier Beschuldigen von Anwälten, die sich unter anderem durch die Verteidigung von Vertreter*innen der (extremen) Rechten einen Namen gemacht haben. Wie die Angeklagten entstammen auch sie dem rechten Burschenschaftsmilieu. Zwei der Anwälte, Dr. Matthias Brauer und Max Bartusch, gehören der „Greifswalder Burschenschaft Rugia“ an. Brauer, Namensgeber der Kanzlei, ist zudem Mitglied der berüchtigten „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“. In seiner Kanzlei arbeitet auch einer der am Tatabend anwesenden Normannen: Der ehemalige „identitäre“ Rapper und Normanne Patrick Bass (alias „Komplott“) soll in der Tatnacht im Haus der Normannia in seinen Geburtstag gefeiert haben. Er ist als Mitglied der "Burschenschaft Germania Marburg" sowie durch seine Aktivitäten bei der „Identitären Bewegung“ (IB) bekannt.

Ein weiterer Verteidiger, Rechtsanwalt Andreas Schoemaker aus Essen, gehört ebenfalls zur Bonner Burschenschaft der Raczeks. Er verteidigte unter anderem Andreas Kalbitz nach dessen Rauswurf aus der AfD im Rechtsstreit gegen die Partei. Schoemaker vertrat die Normannia nach den Vorfällen 2020 auch gegenüber der Presse.

Der Geschädigte wie auch ein weiterer Zeuge machten bereits am ersten Prozesstag Erinnerungslücken geltend. Sie konnten sich angeblich nicht mehr erinnern, wer die Schläge ausgeführt hatte. Bei der polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tatnacht hatten beide noch konkrete Personen namentlich erwähnt.

Auch die meisten geladenen Zeug*innen, fast alle aus dem Dunstkreis der Normannia, trugen eher wenig bis nichts zur Aufklärung der Tatbeteiligung bei. (Angebliche) Gedächtnislücken durch zu hohen Alkoholkonsum oder der Zeitraum von zwei Jahren zwischen Tat und Prozess: Niemand wollte etwas konkretes mitbekommen haben, alle waren in der Tatnacht zu betrunken oder in einem anderen Raum des Burschenschaftshauses. Demgegenüber versuchten die Zeug*innen eher, die Angeklagten zu entlasten, wobei sie sich zum Teil in Widersprüche verstrickten. Besonders stach dabei der damalige Vorsitzende der „Alten Herren“, Gunnar H. hervor. Obwohl dieser erst gegen 22 Uhr zur Feier gekommen sein will, erinnerte sich der Normanne bereits ab 0 Uhr an fast nichts mehr. Ein durchaus passender Zufall, ereignete sich der antisemitische Angriff doch erst gegen 1 Uhr.

Ein Moment, der im Gerichtssaal für Unruhe sorgte, war die Verlesung von Auszügen der Chatnachrichten, die sich die Zeugin Larissa G. und der Beschuldigte Luis S. hin- und hergeschickt hatten. Eine davon war das Bild eines Wehrmachtssoldaten mit Maschinengewehr, das mit „Lehnt 1400 Asylanträge pro Sekunde ab“ betitelt war. Die 23-jährige G. muss möglicherweise auch mit einem Verfahren wegen Falschaussage rechnen. Die Zeugin Rochelle L. verstrickte sich beim Versuch, ihren Freund André R. zu entlasten, so stark in Widersprüche, dass auch sie mit einem juristischen Nachspiel rechnen dürfte.

Ein weiterer Zeuge, Kilian S., der als Sprecher der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative Kurpfalz“ bekannt wurde und zur Tatzeit ebenfalls der Normannia angehörte, mauerte dermaßen hartnäckig und gleichzeitig widersprüchlich, dass der Staatsanwalt ein Verfahren wegen Falschaussage einleitete.

Die Vernehmung des ehemaligen Alt­herrenvereinsvorsitzenden der Normannia Egon M., ein CDU-Politiker, Polizeihauptkommissar a. D. und Aktivist der „Deutschen Polizeigewerkschaft“, war ebenso wenig ergiebig. Augenscheinlich  interessierte sich dieser eher weniger für die Aufklärung des Sachverhalts, sondern sorgte sich mehr um den Ruf seiner Verbindung. Der mittlerweile ausgetretene M. gab sogar den Beschluss des Normannia-Convents wieder, demzufolge die Verantwortlichen keine Details erfahren wollten, um nicht als Zeugen aussagen zu müssen.

Insgesamt bot das Verfahren viele Einblicke in eine Parallelwelt, die geprägt ist von Männlichkeitskult, Ritualen, Korpsgeist, Alkohol und Gewalt. Wehrmacht-Memes und antisemitische Alltagssprache stellen hierbei nur die Spitze einer (extrem) rechten Gemeinschaft dar, die auch nach der Auflösung der Aktivitas ihre Netzwerke aufrechterhält. Klar ist: Die damaligen Aktiven der Normannia pflegen auch nach dem Vorfall ihre Kontakte zu anderen Studentenverbindungen und Burschenschaften.

Die „Mauer des Schweigens“, auf welche die polizeilichen Ermittler*innen geprallt sind, hat das Nachweisen konkreter Tatbeteiligungen erschwert. Die Richterin ging in ihrer Urteilsbegründung davon aus, dass es im Vorfeld des Prozesses Absprachen zwischen den Burschenschaftern gegeben hatte, um Schaden von der Normannia abzuwenden. Dieser Korpsgeist, der sich über alles hinwegsetze, habe es verhindert, den Tathergang umfassend zu klären, betonte sie.

Der Antisemitismusskandal hat der Burschenschaft Normannia schwer zugesetzt, auch wenn bereits seit Jahrzehnten bekannt ist, dass die Verbindung in der (extremen) Rechten gut vernetzt ist. Das Spektrum der Kontakte einzelner (teilweise ehemaliger) Normannen reicht von der AfD über die „Identitären“ und die NPD bis hin zur „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ und zu den Kreisen deer „Hammerskins“. Nach der Auflösung der Aktivitas, heftigen internen Auseinandersetzungen sowie mehr als einem Dutzend Austritten „Alter Herren“ ist die Verbindung nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Mehreren Vertretern vom äußersten rechten Rand, falls diese Bezeichnung hier überhaupt Sinn machen kann, wurde der Austritt nahegelegt, um das Image der Normannia aufzupolieren. So wurde beispielsweise der saarländische AfD-Landesvorsitzende Christian Wirth vom Generalconvent im Oktober 2021 zum Austritt aufgefordert. Der Bundestagsabgeordnete ist nebenbei Mitglied der „Burschenschaft Ghibellinia Saarbrücken“, von der in der Tatnacht ebenfalls „Bundesbrüder“ Gäste des Stiftungsfestes waren.

Die Burschenschaft Normannia befindet sich seit über zwei Jahren in einer schweren Identitätskrise. Auch wenn es aktuell Anzeichen für Bestrebungen gibt, wieder eine Aktivitas in Heidelberg aufzubauen, wird dieses Unterfangen für die Altherrenschaft mit ihrem Altersdurchschnitt von über 70 Jahren nicht einfach.