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Bundesrepublik Deutschland - lebensgefährlich für Flüchtlinge

ARI Berlin (Gastbeitrag)
Einleitung

Gefährlich schon der Weg bis an die Grenzen dieses Landes; gefährlich erst recht die Einreise eingepfercht in abgedichteten Zwischendecken in LKWs, tödlich der Weg in Sommerbekleidung durch den tierverschneiten Wald über die tschechisch-bayerische Grenze, gefährlich und für viele tödlich die Durchquerung von Oder und Neiße. Gefährlich und oft genug unmöglich die Einreise über den Flughafen Frankfurt. Gefährlich, weil die Menschen im Transitbereich des Flughafens aufgrund des Horrors der Unterbringungsbedingungen schlichtweg verrückt werden. Gefährlich nicht nur der Weg auf den Straßen, weil Rassisten meinen, alle Menschen zusammenschlagen zu müssen, die nicht in ihr arisches Konzept passen, gefährlich auch das Leben in Sammellagern und Wohnheimen, Angriffspunkte für den rassistischen Mob und Arbeitsplätze für schlampige ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen.

Symbolbild. Foto: Christian Ditsch

Zermürbend die teilweise jahrelange Warterei bis zur Entscheidung über den Asylantrages. Zerstörend die Gewißheit, daß alle rechtlichen Möglichkeiten auf ein irgendwie geartetes Bleiberecht ausgeschöpft sind. Dramatisch die Situation, wenn der Ausreisetermin überschritten wird und die Flüchtlinge als Illegalisierte jederzeit mit Denunziation oder Festnahme rechnen müssen.

Gefährlich dann der Abschiebeknast: Gefangenschaft, Psychoterror und Ausweglosigkeit. Und nackte Gewalt und Willkür durch Polizei-Beamte bei den Abschiebungen. Obwohl viele der Flüchtlinge an Händen und Füßen gefesselt sind, wird auf sie eingedroschen, werden sie gewürgt, gemartert, werden ihnen die Knochen gebrochen. Und dann die Auslieferung an das Land, aus dem die Flüchtlinge fliehen mußten, um Hunger, Krieg oder Verfolgung zu entkommen. Hier erfolgt die direkte Übergabe durch BRD-Schergen an die Schergen des anderen Landes, die Verhaftung, die Folter, die Verurteilung. Das Netz der Abschottung durch Schließung der Grenzen, eine ausgetüftelte Gesetzgebung, eine knallharte, militärische Umsetzung - die geballte Macht des institutionellen Rassimus, dazu die propagandistische Begleitung durch Medien und Politik, Öl ins Feuer des traditionellen, ungetrübten Rassismus der biederen Volksseele, dieses Gesamtkonzept der BRD zum Thema »Asylrecht« gibt keinem Flüchtling eine Chance, in dieser Gesellschaft würdig zu leben und führt bei sehr vielen Flüchtlingen zur psychischen und physischen Zerstörung.

In dem Heft »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« werden diese gefährlichen und oft tödlichen Situationen, anhand von 845 Einzelbeispielen dokumentiert. Von 1993 bis 1998 starben mindestens 90 Menschen auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen. 162 Flüchtlinge verletzten sich zum Teil erheblich. Allein 67 Personen starben an den deutschen Ost-Grenzen. 64 Menschen begingen wegen der drohenden Abschiebung Selbstmord. Mindestens 121 Flüchtlinge versuchten, sich zu töten und überlebten z.T. schwer verletzt. Während der Abschiebungen starben vier Flüchtlinge, 58 Flüchtlinge wurden verletzt. Abgeschoben in ihre Herkunftsländer, kamen sechs Flüchtlinge zu Tode, mindestens 212 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert. Mindestens  15 Menschen verschwanden spurlos. Neun Flüchtlinge starben durch Polizeigewalt in der BRD, mindestens 49 wurden verletzt. Bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte starben nach unseren Recherchen mindestens 42 Menschen; mindestens 369 wurden z.T. erheblich verletzt.

Beispiele aus dem Heft

21. Januar 97: Düsseldorf. Es ist der dritte Versuch, die 27jährige Tina Thoualy, abgelehnte Asylbewerberin von der Elfenbeinküste, abzuschieben. Bei den ersten beiden Versuchen hatten sich die Piloten jeweils geweigert, die sich wehrende Frau mitzunehmen. Auch jetzt wehrt sich Tina Thoualy entsprechend ihrer wenigen Möglichkeiten. Ihre Beine sind umwickelt, die Hände sind auf dem Rücken mit Stahlhandschellen gefesselt. Zwei Beamte und eine Beamtin des BGS versuchen, Tina Thoualy auf dem Flugzeugsitz mit dem Sicherheitsgurt zu fixieren. Sie windet sich und ruft halblaut »Hilfe, Hilfe!«. Die Beamtin drückt ihr das Kissen einer Kopfstütze in den Mund, so daß sie keine Luft mehr bekommt; sie gerät in Panik. Der neben ihr sitzende Beamte verbiegt ihr die auf dem Rücken mit Handschellen gefesselte rechte Hand dermaßen nach oben, daß mehrere Knochen brechen. Tina Thoualy wird für sechs Wochen in ein Krankenhaus eingeliefert.

10. Juli 97: Bei Guben wird Halina Halim tot aus der Neiße geborgen. Sie ist 54 Jahre alt und stammt aus Afghanistan. Im Kleid der Toten werden zwei Gebetsbücher (Koran) und eingenähter Schmuck gefunden. Die Frau war auf dem Weg zu ihrem Sohn, der als Asylbewerber in Chemnitz lebt. Von ihrer 10jährigen Tochter, die sie begleitete, fehlt  jede Spur. Es wird vermutet, daß auch sie die Durchquerung des Grenzflusses nicht überlebte.

28. Februar 98: Das Dorf Liskoshan im umkämpften Drenica-Gebiet im Kosovo wird von serbischen Sondereinheiten umstellt und überfallen. Der 70jährige, im Dezember abgeschobene Kosovo-Albaner Muhamet Islami Gjeli (Gjelaj) wird hingerichtet. Ihm wird mit der Axt des Hauses (ein wichtiges häusliches Symbol) der Kopf gespalten. Auch sein 37jähriger Sohn, Naser Islami Gjeli (Gjelaj), der vor einigen Monaten aus der BRD abgeschoben worden war, fällt dem Massaker zum Opfer. Er wird von Serben erschossen. Vater und Sohn galten beim serbischen Innenministerium sowie auch beim deutschen Auswärtigen Amt als »Terroristen«. Weitere zwölf Menschen aus dem Dorf, alle männlichen Mitglieder einer Großfamilie, werden ebenfalls ermordet.

18. August 98: Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main, Gebäude 182. Der 23jährige Flüchtling Tarik T. aus Algerien versucht, sich mit seinem eigenen Gürtel zu erwürgen. Andere Flüchtlinge halten ihn sofort fest und versuchen, den Gürtel abzustreifen. Er kommt in die psychiatrische Klinik und versucht dort am nächsten Tag erneut, sich umzubringen. Sein Aufenthalt in der Psychiatrie unter BGS-Bewachung hält an. Kurz danach findet ein erneuter Selbstmordversuch statt.

(Die Dokumentation ist zu beziehen bei der Antirassistischen Initiative aus Berlin)