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Budapest: Für einen internationalen Antifaschismus!

„NS-Verherrlichung stoppen” (Gastbeitrag)
Einleitung

Der Widerstand gegen ein jährliches Neonazi-Großevent in Budapest wächst. Einen Aufruf antifaschistischer Aktivist*innen, sich gemeinsam über nationale Grenzen hinweg zu organisieren, haben Antifaschist*innen zum Anlass genommen, die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“ wiederzubeleben.

Foto: Presseservice Wien

Auf historischen Marschwegen können Neonazis den erfolglosen Ausbruch vom Februar 1945 in „historischen Uniformen“ nachstellen -„Führerbild“ und Stempelsammlung inklusive.

Das Kardiogramm, welches einen Herz­stillstand abbildet, ist vielen Antifaschis­t*innen aus den Mobilisierungen gegen die Heß-Aufmärsche zu Beginn der 2000er Jahre in Erinnerung geblieben. Es steht für das vorzeitige Ableben von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, der 1987 durch einen erfolgreichen Suizid ein letztes Mal das Heft in die Hand nahm. Die Stärke der 2001 ins Leben gerufenen Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen” war neben der erfolg­reichen Mobilisierung gegen die Neonazi-­Aufmärsche eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Mythen, die ihren Ursprung in der Propaganda alter Nazis haben und bis heute in breite gesellschaftliche Teile hineinwirken. Dazu gehört die Erzählung der Stadt Dresden als Opfer des „alliierten Bombenterrors”, der Mythos der „sauberen Wehrmacht”, die zu rechten Heldengedenken wie in Halbe (Brandenburg) führten ebenso wie die Erzählung des „Friedensfliegers Heß” und seiner angeblichen Ermordung durch die Alliierten.

Zumindest in Deutschland war es seit dem Ende der Neonazi-Großaufmärsche in Dresden, verschiedener "Heldengedenken" wie in Halbe oder dem Opfermythos um das „Rheinwiesenlager” in Remagen dank vielfältiger antifaschistischer Interventionen ruhiger geworden und der mobilisierende Effekt von Aktionen mit NS-Bezug hatte abgenommen. Dies lag neben dem Widerstand auf der Straße auch an staatlichen Maßnahmen wie dem sogenannten Wunsiedel-Urteil, das ein Verbot von Aufmärschen mit NS-Bezug zumindest rechtlich möglich machte.

Dass Antifaschist*innen gut beraten sind, nicht auf staatliche Verbote zu hoffen, haben die Heß-Aufmärsche 2017 in Berlin-Spandau und 2018 durch Berlin-­Friedrichshain und Berlin-­Lichtenberg gezeigt. Als die Neonaziszene im Jahr 2017 bundesweit mobilisierte, um 30 Jahre nach dessen Tod ein Revival der Heß-Aufmärsche zu initiieren, fing der Puls vergessener Nazimythen wieder zu schlagen an. Antifaschist*innen sind seitdem wieder mehr gefordert, sich mit der Verherrlichung des Nationalsozialismus inhalt­lich wie praktisch auseinanderzusetzen.

Vernetzung von Neonazis in Europa

Im Windschatten der in allen europäischen Ländern stärker werdenden autoritären rechten Parteien und Bewegungen haben sich in den letzten Jahren neofaschistische Bewegungen etabliert. Ihren Schwerpunkt haben sie in Osteuropa, insbesondere in den Ländern, die während des Zweiten Weltkrieges aktiv mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet haben. Dort finden jährlich internationale Neonazi-Großveranstaltungen mit international angereisten Mitgliedern der extremen Rechten statt, auf denen Kriegsverbrecher und Massenmörder des Nationalsozialismus gefeiert und geehrt werden.

Neben dem Gedenken an lettische Kollaborateure und Angehörige der Waffen-SS in Riga (Lettland) sind auch der „Lukov-Marsch“ in Sofia (Bulgarien) und der „Tag der Ehre” in Budapest (Ungarn) fester Bestandteil im jährlichen Eventkalender von Neonazis aus ganz Europa. Strukturen wie „Blood  &Honour“, „Hammerskins“ sowie als Parteien getarnte Kameradschaftsstrukturen von „Der III. Weg“ und „Die Rechte“ aus Deutschland beteiligen sich jedes Jahr an diesen Events. Der dortige kontinuierliche internationale Austausch und das gewonnene Selbstbewusstsein finden auch in Deutschland in einer Neuauflage neonazistischer Aufmärsche mit klaren NS-Bezug ihren Ausdruck.

Für deutsche Neonazis sind diese internationalen Veranstaltungen von besonderer Bedeutung, denn dort können sie in aller Öffentlichkeit zu den Leitbildern, Parolen, Losungen und Symbolen des NS-Regimes stehen. Seit 1997 versammeln sich jährlich tausende Neonazis aus ganz Europa im Februar zum sogenannten „Tag der Ehre“ in Budapest. International angereisten mili­tanten Rechten wird dort eine Art Gedenkwoche bestehend aus Demonstrationen, RechtsRock, NS-Folklore und Leistungssport geboten (Vgl. AIB Nr. 122). In diesem Jahr kamen etwa 500 TeilnehmerInnen in den Városmajor-Park in Budapest. Im Anschluss an die dortige „Gedenkstunde“ folgt noch eine Art „Wehrsport-Übung“. Auf den bis zu 60 Kilometer langen Marschwegen nach Szomor stellen die Teilnehmenden den „Ausbruch“ der eingekesselten NS-Soldaten vom Februar 1945 nach. Dieses Gedenkformat wird als Wanderung durch die Buda-Hügel in „historischen Uniformen“ auch im offiziellen Verzeichnis touristischer Führungen gelistet. Laut Presseberichten gibt es dafür sogar staatliche Zuschüsse. Dass Neonazis die „Wanderung“ nutzen, um NS-Insignien zur Schau zu stellen, stört da nicht. Weil ihnen für das Zeigen von NS-Symbolen keine Strafe droht, können sie sich offen zu erkennen geben.

Zur Erinnerung: 1945 wurde erfolglos versucht, aus einem Kessel der Roten Armee zu entkommen. Angesichts der vorrückenden Roten Armee igno­rierten die Angehörigen von Wehrmacht, Waffen-SS und kollaborierenden ungarischen Kampfverbänden den direkten Befehl zum Ausharren. Zur politischen Legendenbildung eignet sich diese militärische Niederlage eigentlich kaum. Deshalb wird seit 1997 kontinuierlich daran gearbeitet, die Fahnenflucht in einen Akt der Verteidigung Europas vor den vorrückenden Kommunisten umzudeuten.

Die ungarische Regierung ist eine der treibenden Kräfte des Geschichtsrevisionismus in Europa. So wirbt Premierminister Victor Orban unter anderem dafür, den realexistierenden Sozialismus mit dem Faschismus gleichzusetzen. Diese Gleichsetzung ermöglicht es den Staaten, die mit dem NS-Staat Deutschland vorsätzlich kollaboriert haben, sich zu Opfern gleich zweier Regime zu erklären. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Sozialdarwinismus findet deshalb nicht statt. Stattdessen werden LGBTIQ*, Rom*nja, Sinti*zze und Jüd*innen zu Sündenböcken gemacht und antisemitische, antiziganistische, sowie trans- und homofeindliche Rhetorik sind fester Bestandteil ungarischer Politik. So formt die Geschichtspolitik Ungarns die historischen und gesellschaftlichen Grundlagen für einen reaktionär-autoritären Staatsumbau und versucht diese auch auf europäischer Ebene zu etablieren. Es verwundert daher nicht, dass Victor Orbans Partei „Fidesz“ innerhalb der „Europäischen Volkspartei“ (EVP) dafür wirbt, das Bündnis nach rechts zu erweitern.

Die Neuauflage einer antifaschistischen Dauerkampagne

Seit einigen Jahren wächst der Widerstand gegen das jährliche Neonazi-Großevent in Budapest. Getragen von lokalen Antifaschist*innen, studentischen Aktivist*innen, Rom*nja, LGBTIQ*-Personen, subkulturellen Zusammenhängen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gibt es sichtbare und hörbare Gegenproteste. Einen Aufruf antifaschistischer Aktivist*innen aus Budapest, sich gemeinsam über nationale Grenzen hinweg zu organisieren, um der internationalen neonazistischen Mobilisierung effektiv entgegenzutreten, haben antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen daher zum Anlass genommen, die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen“ wiederzubeleben.

Die Kampagne hat sich zum Ziel gesetzt, widerständige Strukturen gegen das rechts-nationale Orban-­Regime in Ungarn zu unterstützen und ein lokales Gedenken an die Opfer des Nazi­-Regimes in Budapest auf die Beine zu stellen. Seit 2019 haben mehrere Vernetzungstreffen mit Genoss*innen aus Budapest und Sofia stattgefunden. Im Januar diesen Jahres luden die Berliner Gruppen PostKom, Antifa Westberlin, North East Antifa und die Berliner VVN/BdA Aktivist*innen aus Ungarn und Bulgarien nach Berlin ein, um mit ihnen über ihre Erfahrungen aus den Gegenprotesten zum „Tag der Ehre“ in Budapest und dem „Lukov-­Marsch“ in Sofia zu sprechen. Auf dem Kongress unter dem Motto „Sprete Fashizma” (Faschismus stoppen) wurde gemeinsam die Idee einer länderübergreifenden Vernetzung diskutiert und konkretisiert. Im Zentrum der gemeinsamen Idee steht seitdem die Organisierung einer internationalen antifaschistischen Gegenmobilisierung zum „Tag der Ehre“ im Februar 2021 in Budapest.

Die Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen” wird sich in erster Linie um die Vernetzung und den Austausch mit lokalen Aktivist*innen bemühen, aber auch über konkrete Aktionen gegen rechte Strukturen in Ungarn berichten. Sie setzt auf die internationale Solidarität und soll als Graswurzelkampagne Menschen unterschiedlicher politischer Herkunft verbinden und ihre Kämpfe vereinen, um eine dauerhafte internationale Vernetzung von unten zu ermöglichen. Gegenseitiges Vertrauen ist dafür die Grundlage. Durch die Zusammenarbeit von Rom*nja, LGBTIQ* und antifaschistischen Zusammenhängen und gemeinsam mit Gruppen aus Österreich, Tschechien, Polen und Bulgarien soll der gesellschaftliche Widerstand gegen Nazi-Glorifizierungen in Europa vernetzt, gestärkt und sichtbar gemacht werden und ein handlungsfähiges Netzwerk von Aktivist*innen über Landesgrenzen hinweg entstehen.

Interessierte Antifaschist*innen sind ausdrücklich eingeladen, sich an der Kampagne zu beteiligen.

nsverherrlichungstoppen.blogsport.eu
nsverherrlichungstoppen [at] riseup.net