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Bewaffnete Brandstifter aus Hohenlohe

Prozessgruppe Heilbronn
Einleitung

In der Nacht auf den 20. Januar 2017 brannten in der Bahnhofstraße in Neuenstein im Hohenlohekreis (Baden-Württemberg) zwei Häuser. Die Rohbauten, zu denen die Feuerwehr um 2.35 Uhr eilte, gehörten zu einem Komplex von sechs Häusern, die als Unterkünfte für Geflüchtete gebaut worden waren. Gezielt wurde an den Sockeln beider Gebäude die Außenfassade in Brand gesetzt. Nach nur einem Tag kam die Polizei den Tätern auf die Schliche.

Wolfgang Kullik (links) und Steve Marcel Denner (rechts) bei einer Kundgebung von „Hohenlohe wacht auf“ in Öhringen am 7. November 2015.

Beamte nahmen den 33-jährigen Werkzeugmechaniker Wolfgang Kullik aus Neuenstein fest, der sein Handy am Tatort verloren hatte. Bei der Durchsuchung seines Hauses stießen die Ermittler auf zahlreiche Neonazidevotionalien: Neben einem Hitler-Portrait, einem Horst Wessel-T-Shirt und einem Gürtel mit Hakenkreuzschnalle hortete Kullik indizierte Musikalben von Bands wie „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ und „Landser“. Die Polizisten beschlagnahmten außerdem zwei umgebaute Skorpion-Maschinenpistolen des Typs 61 Browning und zwei Kisten mit diversen Schusswaffen, mehr als 1.500 Schuss Munition, einen Schalldämpfer und eine Vorrichtung zur Laser-Zielbeleuchtung. Bereits in seiner ersten Vernehmung gestand Kullik den Brandanschlag und nannte seinen Mittäter, den ebenfalls in Neuenstein wohnenden 24-jährigen Steve Marcel Denner. Bei ihm fanden die Ermittler einen Vorderlader mit Schwarzpulver und Munition. Nach einem viertägigen Prozess vor dem Heilbronner Landgericht wurden die beiden am 9. November 2017 deshalb nicht nur wegen Brandstiftung, sondern auch wegen Verstoßes gegen das Waffen- bzw. Kriegswaffengesetz zu mehr­jährigen Haftstrafen verurteilt. Wolfgang Kullik muss für vier Jahre und zehn Monate und Steve Denner für vier Jahre und sieben Monate ins Gefängnis.

Gemeinsam aktiv bei „Hohenlohe wacht auf“

Wie im Verlauf des Prozesses deutlich wurde, gehörten die beiden Brandstifter zu einem rechten Freundeskreis, der sich um die im Herbst 2015 gegründete rassistische Initiative „Hohenlohe wacht auf“ gruppiert hatte. Nach einer ersten, nicht angemeldeten Protestaktion gegen die Aufnahme Geflüchteter am 10. Oktober 2015 hatte „Hohenlohe wacht auf“ einen regelrechten Kundgebungsmarathon in Öhringen begonnen, um gegen „Invasoren“ und den „Austausch des deutschen Volkes“ zu demonstrieren. Zeitweise nahmen an den meist zweiwöchentlich statt findenden Aktionen bis zu 300 Menschen teil, darunter „besorgte“ Hohenloher Bürger, NPD/JN-Aktivisten, russlandtreue Verschwörungstheoretiker, nationalistische Rocker und Mitglieder des „Bundes für Gotterkenntnis“ der „Ludendorffer“. Mit Auftritten bundesweit bekannter Redner schaffte es „Hohenlohe wacht auf“ in dieser Phase, zum Anziehungspunkt für die extreme Rechte im nördlichen Württemberg zu werden und die „PEGIDA“-Welle in die Provinz zu tragen. Neben dem Heilbronner Isl­amhasser Karl Michael Merkle alias „Mic­hael Mannheimer“ griffen in Öhringen der PEGIDA-Aktivist Curd Schumacher und die damals noch in Bayern wohnende rechte Aktivistin Ester Seitz zum Mikrofon. Von Beginn an dabei: Wolfgang Kullik, der zunächst als Ordner und später als Kassenwart der Gruppe fungierte, die sich in einem „Orga-Team“ strukturierte.

Auch sein späterer Mittäter Steve Denner war an den Kundgebungen von „Hohenlohe wacht auf“ beteiligt. Er half beim Aufbauen der Bühne, wurde Teil des „Orga­Teams“ und sprang zeitweise als Anmelder ein. Steve Denner erklärte im Prozess, er habe zu Kullik aufgeschaut. Der sei ihm wie ein „Abbild eines deutschen Mannes“ erschienen: „drei Kinder, stark, stolz.“ Kullik versuchte vor dem Landgericht, seine Verbundenheit mit der Neonaziszene zu verschleiern. Er sei kein „Ausländerhasser“ oder für die Abschaffung des Asylrechts, sondern habe aufgrund der „unkontrollierten Masseneinwanderung“ Angst um seine Familie gehabt. Es sei ihm um Protest gegen die Asylpolitik der Regierung gegangen, erklärte Kullik. Allerdings tauchte Kullik schon in den 2000er Jahren als rechter Skinhead mit Bomberjacke und Springerstiefeln auf Neonazi-Demonstrationen im Südwesten auf. So marschierte er z.B. am 9. April 2005 bei einem von „Freien Kameradschaften“ und der NPD organisierten Aufmarsch unter dem Motto „Schluß mit der Ausplünderung des Deutschen Volkes! Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“ in Schwäbisch Hall mit.

Nationalsozialisten kiffen nicht

Nachdem die Kundgebungen von „Hohenlohe wacht auf“ deutlich an Resonanz verloren und die TeilnehmerInnenzahl zu wünschen übrig ließ, kam es innerhalb der Gruppe zu Unstimmigkeiten. Einzelne hätten das Zepter an sich reißen wollen, sagte Steve Denner im Prozess aus. Als Folge verließen fünf Personen den Zusammenschluss, darunter die beiden späteren Brandstifter. Anstatt sich an den samstäglichen Kundgebungen gegen die „Überfremdung“ zu beteiligen, zu denen nur noch 15 oder 20 Teilnehmer kamen, entwickelte die Hohenloher Clique eigene Rituale. Im Keller von Steve Denner fanden regelmäßig Parties mit rechtem Habitus und reichlich Alkoholkonsum statt. Bilder dokumen­tieren, wie dort mit Waffen posiert und der Hitlergruß gezeigt wird. Die Neonazis begannen außerdem, eigene Aktionen zu planen und sich in WhatsApp-Gruppen wie „Block hat Bock“ auszutauschen. Am 9. Oktober 2016 hängten sie ein „Lügenpresse“­-Banner an das Gebäude der Lokalzeitung und beklebten das Öhringer Ortsschild mit den Parolen „Bitte flüchten Sie weiter! Hier gibt es nichts zu wohnen! Refugees not welcome!“.

Der Hohenloher Freundeskreis fuhr auch gemeinsam auf Rechtsrock-Konzerte. Denner und Kullik nahmen gemeinsam mit weiteren Personen aus der Region an dem konspirativ organisierten Neonazikonzert im Schweizer Städtchen Unterwasser am 15. Oktober 2016 teil, bei dem 5.000 Neonazis ungestört feiern konnten. Auch beim „Rock gegen Überfremdung“ in Thüringen und einem Konzert in Nordrhein­ Westfalen waren die Hohenloher Aktivisten mit von der Partie. Die neonazistische Gedankenwelt des Freundeskreises schlug sich außerdem im Alltag nieder. So schrieb Steve Denner seiner Kameradin Melanie M., die ebenfalls das Orga-Team von „Hohenlohe wacht auf“ verlassen hatte, eine Geburtstagskarte mit dem Text „Heil Hitler, Melanie! Alles Gute!“. M. hatte wie Kullik und Denner zunächst die Kundgebungen in Öhringen mitorganisiert und war AntifaschistInnen aufgefallen, als sie eine junge Gegendemonstrantin bis vor die Haustüre verfolgte und bedrohte. Als es im Prozess um interne Chatverläufe ging, in denen sich Denner mit Melanie M. zum Kiffen verabreden wollte, erklärte der Angeklagte dem Richter, er habe inzwischen damit aufgehört. Kullik habe ihm nahegelegt: „Echte Nationalsozialisten kiffen nicht.“

Waffen für den Ernstfall

Die Hohenloher Neonazi-Clique rüstete außerdem auf. Gemeinsam mit seinen Bekannten Maximilian M. und Jan Eduard K. kaufte Wolfgang Kullik im Herbst 2015 auf der Hausmesse von Transarms in Worms zwei Dekorationsmaschinenpistolen des Typs Skorpion. In der Garage von Jan Eduard K. bauten sie die Maschinenpistolen zu scharfen Waffen um — unter einem Wandschild mit der Aufschrift „Kauft nicht beim Juden“. Danach testeten sie die beiden Schusswaffen und selbst gebaute Schalldämpfer in der Garage und auf einem Feld. „Ich war schon immer technikinteressiert“, rechtfertigte der Sportschütze Jan Eduard K. bei einem gesonderten Prozess im August dieses Jahres den Waffenumbau. Schon mit 14 Jahren habe er seine erste Pistole gebaut. Jan Eduard K., der auch an Kundgebungen von „Hohenlohe wacht auf“ teilnahm, wurde in dem gesonderten Verfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt.

Auf die Schliche war die Polizei ihm erst im Rahmen der Ermittlungen wegen der Neuensteiner Brandstiftung gekommen. Weil der Boden zu stark gefroren war, um die Waffen zu verbuddeln, hatte Kullik die umgebauten Maschinenpistolen am 7. Januar 2017 zusammen mit weiteren Revolvern und Gewehren in einer Kiste in seinem Keller versteckt. In einem Kästchen bewahrte er den Schlüssel für die Waffenkiste auf. „Für den Ernstfall“, wie Kullik bei einer Polizeivernehmung sagte. Was genau er damit meinte, konnte er allerdings nicht erklären. Der Waffenbastler Jan Eduard K. äußerte sich präziser: Für ihn sei der „Ernstfall“ ein „Bür­gerkrieg“ oder „der Einmarsch von Erdogan in Deutschland“.

Genau solche Schreckensszenarien benutzt „Hohenlohe wacht auf“ bis heute, um in Öhringen gegen Geflüchtete zu hetzen. Auch wenn die Justiz jetzt durch Zufall eine kleine Zelle von Waffenbauern und Brandstiftern ausheben konnte, tummeln sich in der Region weiterhin Neonazis und Rassisten. Ein weiterer Brandanschlag auf eine Hohenloher Geflüchtetenunterkunft ist bis heute ungeklärt. Am 17. November 2016  war im von Neuenstein keine zehn Kilometer entfernten Pfedelbach eine geplante Unterkunft in Flammen aufgegangen. Anfang Dezember erklärte das LKA die Auflösung der Ermittlungsgruppe. Auch eine Belohnung in Höhe von 15.000 Euro hatten die Ermittlungen nicht weitergebracht.