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Back to the roots... Wunsiedel und Halbe

Einleitung

Anfang der neunziger Jahre gab es nur wenige regelmäßige und überregional bedeutende Aufmärsche der bundesdeutschen Neonazi-Szene, die damit auch zu regelmäßigen »Highlights« der antifaschistischen Bewegung wurden. Dazu zählten traditionell die jährlichen »Rudolf-Heß-Gedenkmärsche« am 17. August in Wunsiedel und das sogenannte Heldengedenken in Halbe am »Volkstrauertag«. Nachdem beide Ereignisse bedingt durch staatliche Repression, antifaschistischen Widerstand und interne Umbrüche in der Neonazi-Szene aus den Terminkalendern der Neonazis und der Antifas verschwanden, scheinen sie nun ihr Come Back zu erleben.

Neonazis marschieren am 17. November 1991 mit Fahnen und Trommeln auf den Friedhof in Halbe (Brandenburg).

Come Back I – Wunsiedel

Dem Hamburger Neonazi-Kader Jürgen Rieger gelang es im vergangenen Jahr überraschender Weise den ersten, offiziellen und gerichtlich genehmigten »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« seit 1990 in Wunsiedel durchzusetzen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sah keine »konkreten Tatsachen für eine Gefahrenprognose mit dem Ergebnis, dass es zu Straftaten speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen kommen« würde. Trotz relativ kurzfristiger Mobilisierung zogen 1.000 Neonazis durch den bayerischen Ort Wunsiedel, in dem der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß beerdigt ist. Jürgen Rieger meldete vorsichtshalber gleich bis in das Jahr 2010 »Rudolf-Heß-Gedenkmärsche« in Wunsiedel an. Bereits nach dem Tod von Rudolf Heß 1987 belagerten trotz Versammlungsverbot hunderte Neonazis die Grabstätte von Rudolf Heß in Wunsiedel. Die Aktivisten der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front erkannten rasch die Chancen des zukünftigen Wallfahrtsortes. So kündigte der damalige Neonazi-Führer Michael Kühnen 1988 an, dass Wunsiedel in Zukunft nicht mehr zur Ruhe kommen werde. Im selben Jahr setzte Jürgen Rieger einen Heß-Marsch mit 120 Neonazis in Wunsiedel vor Gericht durch und übernahm anschließend alljährlich den Rechtstreit.

Ein Jahr später folgten 250 Neonazis dem Marsch durch Wunsiedel. Nach der »Wiedervereinigung« 1990 erreichte die Teilnehmerzahl mit 1.000 Neonazis durch die Beteiligung ostdeutscher Neonazigruppen eine neue Qualität. 1991 musste der Heß-Marsch wegen eines Versammlungsverbotes allerdings nach Bayreuth verlegt werden. Hier standen den 2.000 Neonazis dann mindestens ebenso viele AntifaschistInnen gegenüber, welche den Aufmarsch jedoch nicht verhindern konnten. Seitdem entwickelten sich die Heß-Märsche zu einem jährlich »Katz und Maus« – Spiel quer durch die BRD und das angrenzende Ausland mit sinkender Beteiligung, bis sie schließlich einschliefen. Die breite, relativ spontane Beteiligung der bundesdeutschen Neonazi-Szene am Aufmarsch im vergangenen Jahr belegt jedoch, dass sich die Kader und Aktivisten der »Freien Kameradschaften« über die Bedeutung regelmäßiger und kontinuierlicher Massenmobilisierung wieder bewusst geworden sind - insbesondere zum diesjährigen 15. Todestag von Heß.

Come Back II – Halbe

Für den 17. November 2002 haben Christian Worch und das Freie Info Telefon-Norddeutschland einen Trauermarsch in Halbe unter dem Motto »Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten!« angekündigt. In Halbe fand 1945 eine der letzten Kesselschlachten des II. Weltkrieges statt. Der Soldatenfriedhof in der Gemeinde Halbe (45 km südöstlich von Berlin) gilt mit 22.000 begrabenen deutschen und russischen Soldaten als einer der größten Soldatenfriedhöfe in Deutschland. Schon zu DDR-Zeiten verbrachten ostdeutsche Neonazis ihre Wochenenden damit, in der Gegend um Halbe nach Waffen und alten Orden zu buddeln. Am Volkstrauertag 1990 trat die in Ostdeutschland boomende und organisatorisch gestärkte Neonazi-Szene erstmalig im großen Stil auf, um den »Helden der Waffen-SS« zu huldigen. Die Vorbereitung hatte der Berliner Ableger der Deutschen Kulturgemeinschaft (DKG), später in Berliner Kulturgemeinschaft Preußen (BKP) umbenannt, in Zusammenarbeit mit den Jungen Nationaldemokraten übernommen. Anwesend waren sämtliche Neonazi-Gruppierungen aus der Region Berlin und Brandenburg und die Wiking-Jugend (WJ).

Ein Jahr später reisten bereits mehr als 600 Alt- und Neo-Nazis aus ganz Deutschland an, um ihre »Heldenehrung« mit Trommelwirbel und Fackelschein zu zelebrieren. Für damalige Verhältnisse war dies eine relativ hohe Teilnehmerzahl. Ursula Schaffer, die Anmelderin des Aufmarsches, wurde bei der Vorbereitung und Durchführung der Neonazi-Veranstaltung von Kader der Wiking-Jugend und der Nationalistischen Front (NF) unterstützt. Die Teilnehmer entstammten auch in jenem Jahr aus allen Lagern der extremen Rechten. Der Ordner-Dienst der Veranstaltung wurde 1991 durch den West-Berliner Neonazi-Kader Reinhard Golibersuch eingewiesen. Dieser hat sich mittlerweile als Geschäftsführer des NPD-KV-Spreewald in Freidorf bei Halbe niedergelassen und ist hier an dem Aufbau regionaler Neonazi-Strukturen beteiligt. Nachdem sich der Aufmarsch in Halbe bereits nach einem Jahr zu der zentralen Veranstaltung der organisierten Neonazi-Szene in Berlin und Brandenburg entwickelt hatte, drohte Halbe 1992 zu einer bundesweit zentralen Aktion zu werden.

Daher mobilisierte das Antifaschistische Info Blatt zusammen mit dem »Antifaschistischem Bündnis gegen den Aufmarsch in Halbe« zu einer antifaschistischen Kundgebung vor Ort. Die Polizei, die die Jahre zuvor zugesehen hatte wie verbotene Symbole zuhauf durch die Gegend getragen wurden, verbot daraufhin den Aufmarsch. Die Neonazis wichen auf kleinere Ersatzkundgebungen in der Umgebung aus, nachdem ihre angemieteten Versammlungslokale beschädigt bzw. angezündet worden waren. Auch die Antifa-Kundgebung war verboten worden. In der Verbotsverfügung wurde u.a. aufgeführt: »Das ‘Antifa-Infoblatt’ (...) veröffentlichte gegen den ‘Aufmarsch von Halbe’ Fotos der Organisatoren.« Trotzdem versammelten sich 400 AntifaschistInnen zu einer Protestkundgebung im nahegelegenen Königs-Wusterhausen. Auch in den folgenden Jahre kam es zu Verboten, und nur kleinere Neonazigrüppchen verirrten sich nach Halbe. Ob es Worch und den norddeutschen »Freien Kameradschaften« gelingt an die Erfolge der BKP anzuknüpfen, wird sich zeigen.

To be continued

Aufgrund der zahlreichen Neonazi-Aufmärsche, die jedes Wochenende irgendwo in Deutschland stattfinden, sollte sich die antifaschistische Bewegung genau überlegen, welche tatsächlich eine bundesweite Relevanz als Kristallisationspunkte für die extreme Rechte haben. Hierbei wäre die antifaschistische Bewegung gut beraten, aus den Erfahrungen, Fehlern und Erfolgen des letzen Jahrzehntes zu lernen. Fest steht, dass die regionalen Antifa-Strukturen mit dem Problem solcher Neonazi-Events nicht allein gelassen werden dürfen.