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Back in the Days - HipHop der 1990er Jahre

Einleitung

Wir haben mit einigen Künstler_innen einen Blick zurückgeworfen und mit ihnen über ihre Wege zur Musik, über ihre Kämpfe und Erfahrungen und über das Hier und Jetzt gesprochen. Einige Antwortfragmente findet ihr hier, die Langfassungen der Interviews könnt ihr in unserem Extraheft nachlesen. Dieser kann gegen Portokosten bei uns bestellt werden.

Wir sprachen u.a. mit Adé Bantu über seinen Weg zur Musik, das Großwerden in Deutschland und die politische Dimension von HipHop.

Adé Bantu ist ein deutsch-nigerianischer Musiker, Musikproduzent und Aktivist. 2001 wurde Bantu mit seinem Projekt „Brothers Keepers“ und der Single „Adriano (Letzte Warnung)“ bekannt.

Murat Güngör ist Lehrer, Autor und Mitbegründer des antirassistischen Netzwerkes „Kanak Attak“. Als Rapper („DJ Mahmut & Murat G.“) und Labelmanager war er zwischen 1990 und 1999 musikalisch aktiv.

Hannes Loh ist Lehrer, Autor und Journalist. Mit seiner Band „Anarchist Acade­my“ war er zwischen 1986 und 1998 musikalisch aktiv.

Chaoze One ist Rapper und Autor des Hörbuchs: "Spielverderber - Mein Leben zwischen Rap und Antifa".

AIB: Wie war dein Weg zum Hip-Hop und wie hast du die damalige Zeit politisch wahrgenommen?

Adé Bantu: Ich habe das Buch „Farbe bekennen“1 gelesen. Ein Buch, wo es um Afrodeutsche Geschichte geht und es fällt mir wie Schuppen von den Augen und ich kann auf einmal Punkte verknüpfen. Schnell habe ich dann meine Stimme im HipHop gefunden, denn HipHop war politisch - insbesondere Gruppen wie „Public Enemy“, „N.W.A“ oder „Ice-T“. Das waren Leute, die den Rassismus in Amerika thematisiert haben. Und dann gab es das „Black Consciousness Movement“, Leute wie „A Tribe Called Quest“, „Jungle Brothers“ aus den 1990er.  (…) Und auf einmal konnte ich Parallelen ziehen. Insbesondere „Public Enemy“ haben mich geprägt. Die Geschichten konnte ich auf einmal nachvollziehen und sie auf meine erlebte Realität in Deutschland übertragen. Ich habe dann angefangen mit meiner Gruppe „Exponential Enjoyment“ Songs zu schreiben. Und schnell haben wir dann Themen, die um Rassismus gingen, angepackt. (...) Ich wurde durch HipHop und natürlich durch Reggae-Musik politisiert, die ich auch gehört habe - Leute wie Mutabaruka, Peter Tosh und so weiter und so fort.

Hannes Loh: Ich war sonst nie im Jugendzentrum, weil mein Freundeskreis da nicht war. Ich bin dann aber hingegangen, weil dort HipHop Parties waren. Da waren dann die Leute, die nicht bei mir auf dem Gymnasium waren, sondern viele Leute aus meiner Nachbarschaft, mit denen ich sonst gar nichts zu tun hatte, die einen Migrationshintergrund hatten - die hatten türkische oder kurdische Wurzeln - und mit denen habe ich dann plötzlich eine Leidenschaft für eine gemeinsame globale Kultur geteilt. Das war für mich so ein einschneidendes Erlebnis, weil ich gemerkt habe: So krass, dieser gymnasiale Freundeskreis ist einfach nur eine Welt und nicht die ganze Welt. Von da an hat mich das immer begleitet und auch die Erfahrung, dass HipHop eine Kultur ist, die Menschen zusammenbringt, wo plötzlich Status, Klasse, Herkunft nicht mehr so relevant sind, sondern man sich eher darüber austauscht, was kannst du, was machst du usw.

Murat Güngör: Bei mir waren die Anfänge auch so wie bei Hannes, also Anfang der 1980er Jahre, aber erstmal auf der ästhetischen Ebene. Es gab bei mir zwei Bezugspunkte. Das eine war die „Rocksteady Crew“, also wo es um Breakdance geht, wo es um Tanzen geht - ich glaube ich habe das bei „Wetten, dass...?“ zum ersten Mal gesehen – und das hat mich unglaublich beeindruckt, was überhaupt möglich ist, was man mit dem Körper machen kann und gleichzeitig diese Form der neuen Musik. Das war unglaublich inspirierend für mich.  Ein weiteres Ereignis war „The Message“ von Grandmaster Flash - und da war der Kontakt nur über den Fernseher, dass ich da so eine andere Kultur kennenlerne, die mich unglaublich fasziniert. Aber der Unterschied zu „Rocksteady Crew“ und „The Message“ war einfach, dass ich mitbekommen habe, dass es auch um eine andere soziale Realität geht. Das wurde mir bei dem Video „The Message“ klar, dass Hip­Hop auch etwas aussagen möchte, eine Haltung hat und ein Stück weit auch eine andere soziale Realität verkörpert, von der ich mich angezogen gefühlt habe. Wo ich für mich auch ein Stück weit Stärke daraus gezogen habe ist, dass man, auch wenn man aus einer anderen sozialen Realität kommt, damit selbstbewusst umgehen kann und das thematisieren kann. Dass man das in eine lyrische Form pressen kann und unglaublich cool dabei sein kann. Das gefiel mir sehr gut. (…) Dann gab es Anfang der 1990er Jahre bahnbrechende Songs, die uns dahingehend beeinflusst haben, auch mit der Sprache zu experimentieren. Ich meine, dazwischen gab es auch die rassistischen Anschläge in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen usw., die uns natürlich auch inhaltlich geformt haben. Es gab Songs von „King Size Terror“ die sich ganz explizit gegen Nazis gerichtet haben - mit „Defol Dazlak“ (Karakan) komplett auf Türkisch. Das hat uns angefixt. Das hat uns dahingehend auch inspiriert, auch auf Türkisch zu rappen, als wir gesehen haben: Das geht, das kann man machen, auch diese Sprache eignet sich dafür, als HipHop-Sprache wahrgenommen zu werden und auch als eine Form von Selbstaneignung und von Selbstbewusstsein.

Chaoze One: Ich entdeckte das, was ich heute Rap bzw. HipHop nennen würde über eine Soli-Kassette einer Antifa Gruppe (...) Ich bin dann los und hab mir die Alben der Crews von dem Tape gekauft (...) Ein anderer, bis heute prägender Berührungspunkt war der Film „La Haine“ von Mathieu Kassovitz, der in den Pariser Banlieues spielt und bei dem die HipHop Kultur ebenfalls eine große Rolle spielt. Ich schätze ich war etwa 17 oder 18 als ich den Film gesehen habe. Als Said „Baise la police“ auf ein Polizeifahrzeug taggt hatte ich natürlich riesige Freude, und der DJ, der „KRS One“ und Edith Piaf ineinander mixt und seine Boxen aus dem Fenster ins Viertel dreht, der Look der Protagonist_innen, das war schon alles sehr faszinierend für mich. (...) 2000 hatte ich dann die ersten paar Songs geschrieben, der erste hieß „Der Panther“ und erzählte von der Angst und der Hilflosigkeit, aber auch von der Wut die ich in mir trug, nicht zuletzt über einen rassistischen Brandanschlag, der in Ludwigshafen verübt wurde. Was ich immer wieder witzig finde - anders als meine späteren Konzerte, die ich überwiegend in JuZes und AZs gespielt habe, war durch die lokalen Connections mein erstes Konzert eine waschechte HipHop-Jam mit dem entsprechenden Publikum. Und ich kann es nicht anders sagen: Ich wurde mega wertschätzend aufgenommen da. Obwohl das natürlich noch alles nicht so dolle war mit Skills und Flows. Aber die Crowd fühlte sich über die Message ziemlich abgeholt.

AIB: Die 1990er Jahre, die rechte Gewalt der Nachwendejahre, die Baseballschlägerjahre ...

Adé Bantu: Es war eine sehr angespannte Stimmung, teilweise sind wir auch Skinheads und solchen Leuten begegnet. Das heißt die körperliche Bedrohung war allgegenwärtig. Der institutionelle Rassismus war allgegenwärtig - und dann der alltägliche Rassismus - das heißt auf verschiedenen Ebenen. Man bewegte sich in so einem Minenfeld und man musste sich mit verbundenen Augen dadurch bringen. Es war sehr, sehr schwer für mich. Und ich glaube, das hat sich auch in den Texten reflektiert, die ich geschrieben habe. Ich erinnere mich, einer der ersten Texte, die ich mit „Exponential Enjoyment“ für das Album „Chop Or Quench!“ geschrieben habe, da habe ich den Fall von Joao Manuel Diogio thematisiert, einer der ersten Opfer von rassistischen Terroranschlägen in Deutschland: Ein aus Mosambik stammender Mann, in der ehemaligen DDR, der aus einer S-Bahn geworfen wurde und dabei ums Leben gekommen ist. Das hat mich zutiefst berührt. Dadurch sind auch Platten wie „From Hoyerswerda to Rostock“ mit „Weep Not Child“ entstanden und andere Songs, die letztendlich zu dem geführt haben, was wir dann mit „Brothers Keepers“ gemacht haben. Das sind quasi so die Vorgeschichten. Man findet langsam seine Stimme. Man wird sicherer in dem wie man auftritt, als Gruppe, als Rapper. Deine Politik findet eine festere Verankerung, weil du überträgst nicht nur die amerikanischen Verhältnisse auf Deutschland, du findest auch nicht nur Parallelen, sondern beispielsweise durch das Buch „Farbe bekennen“ oder ISD - „Ini­tiative Schwarze Deutsche“ eine Verankerung, die auch deine Realität widerspiegelt. Und das sind kleine Einflüsse, die dir Kraft geben, mehr das zum Ausdruck zu bringen, was du gerade in deinem Alltag erlebst oder was dich halt als Deutscher mit schwarzer Hautfarbe beschäftigt.

Murat Güngör: Also für mich war das der absolute Wendepunkt (...) das hätte auch ich sein können (...), dass man selbst das Objekt von Rassismus wird, das hat uns dahingehend auch geformt. (...) Wir wollten uns wehren, wir wollten auf uns aufmerksam machen, wir wollten uns dagegen widersetzen, wir wollten die Auseinandersetzung suchen. Das war der Reflex, dass auch in einem HipHop-Song zu spiegeln und zu sagen: Wir lassen uns das nicht gefallen. Wir sind keine Opfer, wir sind Subjekte unseres persönlichen Handelns und unserer Auseinandersetzungen. Das war eine politische Haltung, die wir auch in diesen Songs stark gemacht haben.

Hannes Loh: Das hat dazu geführt, dass auch andere Bands sich politisiert haben, dass eine Szene, eine Oldschool-Szene, die eigentlich eher unpolitisch war oder sich für übergeordnete gesellschaftliche Fragen nicht so interessiert hat, sich dann doch positioniert hat. Einfach aus der Tatsache heraus, dass viele Menschen selbst von Rassismus betroffen waren (...) und da haben eben auch die Leute gesprochen die betroffen waren. Bei „Advanced Chemistry“ waren es zwei afrodeutsche Stimmen (Torch: Frederik Hahn, Linguist: Kofi Yakpo) und Toni-L (Toni Landomini), dessen Eltern als sogenannte Gastarbeiter aus Italien gekommen sind. Und das war schon ein sehr sehr starkes Signal.

Chaoze One: Was die politische Wahrnehmung angeht, war das ein ziemlich heftiger Bewusstseinsprozess für mich. Ich saß schon 1992 mit gerade mal elf vor den Nachrichten im TV und habe meine geschockte Familie dazu noch in Erinnerung. Lichtenhagen, Mölln, Solingen, das hatte ich alles mitgeschnitten, mehr oder weniger bewusst. Mitte der 1990er gab es dann Schändungen von jüdischen Friedhöfen in der Region, wo ich lebte, und mein großer Bruder wurde auf einem Weinfest von Nazis überfallen. Die Fenster des Neustadter Dönerladens wurden mit einer Akaba, einer automatischen Maschinenpistole zerschossen (...) Politik hieß für mich also vor allem erstmal: Gegen Nazis sein und sich gegen Nazis verteidigen. Ungefähr 1996/1997 beschloss ich also, mich in einer Antifa-Gruppe zu organisieren. Und dort kam dann auch ein wenig später der Rap ins Spiel.

AIB: Wo steht HipHop heute?

Adé Bantu: HipHop in Deutschland war immer eine Stimme der Marginalisierten. Was passiert ist - und das sieht man, wenn man die Kultur auch rückblickend betrachtet - am Anfang waren es viele Kids, die wirklich keinen Platz in der Mainstream-Deutschen-Gesellschaft hatten. Leute, die wirklich marginalisiert waren, insbesondere auf Grund ihrer angeblichen „Herkunft“. Viele von denen haben sich im HipHop, im Tanz, im Graffiti, im Rap wiedergefunden und haben ihre kleinen Communities gebildet. Die waren immer inklusiv, sie haben nie jemanden ausgeschlossen. Hauptsache du hattest Interesse. Es ging nicht nur um Skills, sondern „hey, komm dazu“ auch wenn du kein besonderer Writer, oder Rapper oder Breaker bist. Einfach die Tatsache, dass du diese Kultur cool findest und dich damit identifizierst, ja, dann gehörst du halt dazu. Und viele von denen haben auch auf verschiedenen Sprachen gerappt. (...)
Jetzt haben wir eine Situation, wo die Marginalisierten wieder die Oberhand haben, aber sie kennen die Vorgeschichte nicht. Es entsteht eine Identifizierung mit einer Gangsterkultur, die nicht der Realität entspricht und die einfach eine 1 zu 1 Übernahme ist von dem, was sie auf MTV sehen oder in irgendwelchen komischen „YouTube“-Videos. Aber sie haben letztendlich keine Kraft und sie haben keine Power, weil sie nicht empowert dadurch sind, dass sie die Gangster mimen oder sonst was. (...). Was können sie wirklich gesellschaftlich verändern und wo liegt auch die Connection zu Gruppen wie den antifaschistischen Gruppierungen oder halt in die ganze Antirassismus-Bewegung und so weiter? Also da ist glaube ich einfach ein Dialog notwendig – ein Mentorship. (...) HipHop ist Community, es geht um Gesellschaft, es geht um Gemeinschaft. (...) Wieso gibt es wieder einen Generationsbruch, wie kann es sein, dass Leute mir sagen, Adé du musst wieder „Brothers Keepers“ 2021 machen? Dann sage ich, es ist nicht mein Job. Rassismus ist nicht mein Lebensthema.

Murat Güngör: Also ich würde das jetzt nicht einfach alles nur abbügeln als zu kommerziell und ohne Haltung.  Das fände ich zu einfach. Denn es gibt unglaubliche Songs, die auch mit wenigen Botschaften, die jetzt nicht so plakativ sind, ganz viel ausdrücken - dadurch wieder politisch sind, weil sie eine Haltung, auch ein Selbstbewusstsein transportieren, ob das jetzt „Capital Bra“ ist oder „Haftbefehl“ oder „Xatar“, die mit wenigen Wörtern auch etwas ausdrücken können, wo vielleicht andere einen ganzen Song drüber geschrieben haben.
Hannes Loh: Ich finde interessant zu schauen, wie denn die Reaktion aus dem Straßen- oder Gangsterrap ist, wo es einfach einen hohen Anteil von Künstlern gibt, die selbst Migrations- oder Fluchterfahrung mitbringen und wo z.B. durch Hanau auch Betroffenheit da ist. (...) Also ich finde es schon interessant, dass da so eine organisierte Reaktion mit der Marktmacht und der Macht der sozialen Medien, die viele erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler haben, ausgeblieben ist. (...) Ich würde mir schon wünschen, dass die Themen „Race und Class“ sichtbarer werden. In einigen Bereichen gibt es das ja, dass da im Mainstream mehr drüber nachgedacht wird und ich fände es total spannend, wenn das an ein paar Stellen aufgegriffen würde.

Chaoze One: Es gibt ein Prinzip, dass über allem zu stehen scheint und das ist die Verwertungslogik. Die steht über Ökologie, über Menschenleben, über sozialen Fragen, das alles fällt hinten runter. In seiner globalisierten Form ist das ganze so unfassbar überkomplex, dass rechte Ideologien leichtes Spiel haben, weil sie nun mal krass komplexitätsreduzierend funktionieren. (...). Und dann sehe ich noch anderes: Ich sehe Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren und verstanden haben, dass das nicht geht, ohne Bündnisse zu schließen mit denen, die wir zu Expert_innen für Rassismus gemacht haben, also Menschen die als migrantisch erzählt werden. Ich sehe Rollenklischees, die aufbrechen, ich sehe Gendersternchen, die nicht mehr nur im linken Plenum diskutiert werden (...). Ah, ja, den HipHop hab ich nicht vergessen. Aber der steht eben da wo wir alle stehen und verhandelt diese Themen im Rap.

  • 11986 erschien das Buches „Farbe bekennen“. Herausgegeben wurde es von den Schwarzen deutschen Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen May Ayim (damals Opitz) und Katharina Oguntoye sowie der weißen deutschen Verlegerin Dagmar Schultz als bis dahin erste umfassende Veröffentlichung zu Schwarzer deutscher Geschichte.