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Bürgerwehren als Mobilisierungsort für den Bürgerkrieg: Gruppe S.

Miro Dittrich
Einleitung

Am 14. Februar 2020 wurden nach Razzien an 13 Orten in sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-­Pfalz und Sachsen-Anhalt) zwölf Männer zwischen 31 und 60 Jahren festgenommen. Zahlreiche Waffen wurden siche­r­gestellt, neben einer schussbereiten 9-Millimeter-­Pistole auch eine sogenannte Slam-Shotgun und 100 Schuss Munition, eine Armbrust, Messer, Dolche, Morgensterne, Sprengstoff und selbstgebaute Handgranaten. Am nächsten Tag erließen Ermittlungsrichter Haftbefehle gegen vier mutmaßliche Haupttäter mit dem Vorwurf, eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet und sich an ihr beteiligt zu haben, und gegen acht weitere wegen Verdachts der Unterstützung dieser Vereinigung.

Foto: Screenshot Facebook via Antifaschistische Aktion Hamm

Der Mitarbeiter der Polizei in NRW, Thorsten W., präsentierte sich so öffentlich in sozialen Medien.

Die als „Gruppe S.” geführte Zelle wurde im September 2019 in Baden-Württemberg gegründet. Neben einem vorwiegend virtuellen Kontakt gab es mindestens drei Treffen.
Der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Werner S., der bei den Behörden als rechtsextremer Gefährder geführt wird, soll diese koordiniert haben, teils mit der Unterstützung von Tony E. aus Niedersachsen. Beim Gründungstreffen am 28. September 2019 in Alfdorf in der Nähe von Stuttgart besprach die Gruppe den Umsturz der politischen Ordnung und verständigte sich über die Finanzierung. Der mutmaßliche Anführer soll seine scharfe 9-Millimeter-Pistole präsentiert haben. Dies könnte ein Mitglied der Gruppe dazu veranlasst haben, die Polizei über deren Aktivitäten zu informieren.

Auf dem letzten Treffen am 7. und 8. Februar in Minden wurden die Pläne konkreter. Werner S. schrieb vor dem Treffen, man wolle hier den „Krieg” besprechen, wer dies nicht verkrafte, habe dort nichts verloren. Am Treffen selbst soll der Anführer angekündigt haben, man solle Muslime in fünf oder sechs Moscheen in mehreren Bundesländern mit Waffen angreifen. Laut Bundesanwaltschaft wurden auch Mordanschläge auf „Schwarz­afrikaner” und Politiker geplant, namentlich Robert Habeck und Anton Hofreiter. Auch „Feindeslisten“ mit tausenden ­Namen und Adressen angeblicher Antifa-Aktivist_innen sollen besprochen worden sein. Hier handelt es sich wohl um die seit Jahren in der Szene verbreitete gehackte Kundenliste des „Impact Mailorder“.

Nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft sei es Ziel der Anschläge gewesen, einen Bürgerkrieg auslösen zu wollen. Werner S. rechnete mit einer Gegenreaktion von Muslimen nach Anschlägen auf Moscheen. Dies würde einen „Dominoeffekt“ bewirken. Dieses Motiv ist keinesfalls neu in der Szene. Schon der Neonazi-Gruppierung „Revolution Chemnitz” wird vorgeworfen, durch terroristische Taten einen Bürgerkrieg auslösen zu wollen. Auch wenn diese beiden Gruppen scheinbar keine Verbindungen zum internationalen Rechtsterrorismus haben, findet sich hier eine Gemeinsamkeit: die Idee des Accelerationism. Die AnhängerInnen dieser Idee wollen den aus ihrer Sicht bevorstehenden Zusammenbruch der offenen Gesellschaft durch Gewalttaten und Chaos beschleunigen.

Digitale Spuren

Durch eine Auswertung von Profilen in sozialen Medien zeichnet sich ein klares Bild der Gruppe ab. Sie setzt sich aus einer Mischung von "Reichsbürger"-Ideologie, Geschichtsrevisionismus, Holocaustleugnung, Interesse für Waffen und Kampfsport und Nationalismus zusammen. Motive der „Angst“ und „Sorge“ um Deutschland, die Familie und „die Kultur“, die Vorstellung einer Islamisierung und die damit einhergehende „Invasion” von „Wilden” prägen ihr Bedrohungsbild.

Auffällig ist die Verbindung zu sogenannten Bürgerwehren. So gehörten Steffen B. und Stefan K. aus Sachsen-Anhalt zu den regionalen Anführern der „Vikings Security Germania“, einer Abspaltung der „Soldiers of Odin“. Frank H. zählt zu einem der führenden Köpfe der „Wodans Erben Germanien“ in Bayern. Auch Thomas N. soll Teil dieser Gruppe gewesen sein. Tony E. war Administrator der Facebook-Gruppe „Freikorps Heimatschutz”.

Auch ein Germanen- und Wikingerkult fällt auf. Besonders sticht dabei ein Profil mit dem Namen des verhafteten Verwaltungsbeamten Thorsten W. der Polizei Nordrhein-Westfalen heraus, der mittlerweile vom Dienst suspendiert wurde. Er postet Bilder von sich, verkleidet als germanischer Krieger mit Schwert und Schild. Auf Facebook findet sich unter seinem Klarnamen auch sein germanischer Name. Unter diesem Namen mit demselben Gesicht als Profilbild gibt es auch ein Profil auf VKontakte. Dort teilt der Account Holocaustleugnungen, Hakenkreuze und Beiträge der „Waffen SS”. Dies würde passen, so fiel der Mitarbeiter der Polizei Hamm, zwischen 2013 und 2014 im Bereich „waffenrechtliche Erlaubnisse“ tätig, schon früher mit verfassungsfeindlichen Gedanken auf. Besonders brisant ist das von diesem VK-Profil geteilte Bild vom März 2018. Dort steht in altdeutscher Schrift: „Lieber Polizist, das da ist deine Dienstwaffe! Die ist nicht nur zum angucken da. Die soll uns und dich beschützen und deshalb benutze sie auch endlich! Wenn du das nicht willst und kannst, gib sie uns, wir werden sie mit Sicherheit gegen jedes Gesindel einsetzten!” Hier scheint ein Mitarbeiter der Polizei jahrelang aus seiner (extrem) rechten Gesinnung keinen Hehl gemacht zu haben.

Für eine Gruppe die verdächtigt wird, Terrorakte verüben zu wollen, ist es auffällig, dass die meisten Mitglieder nicht auf kleinen alternativen Plattformen mit Pseudonymen unterwegs waren. Sie schrieben unter Klarnamen und mit Profilbild justiziable Beiträge auf Facebook, viele waren dort sogar miteinander befreundet. Da sich zudem ein Mitglied der Gruppe beim Verfassungsschutz meldete, können diese Verhaftungen nur schwer als Zeichen einer großen Kurskorrektur der Sicherheits­apparate verstanden werden, die extreme Rechte jetzt genauer zu beobachten.