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Auf Kosten von Menschenleben

Einleitung

Frontex-Operation Triton statt Seenotrettung

Die Seenotrettungsoperation Mare Nostrum soll Ende des Jahres auslaufen. Anstatt endlich eine europäische Seenotrettung zu lancieren, setzt die EU auf Frontex — diejenige europäische Agentur, die für den „Schutz“ der Außengrenzen zuständig ist, nicht für den Schutz oder die Rettung von Menschenleben. Selbst Frontex wird nicht müde zu betonen: Der zentrale Fokus von Frontex-Operationen ist Grenzkontrolle, keine Seenotrettung.

Bild: flickr.com/Rasande Tsykar/CC BY-NC 4.0

Heuchlerisches Gedenken: Jahrestag der Katastrophe vor Lampedusa

Zum Jahrestag der Schiffskatastrophe vor Lampedusa, bei der am 3. Oktober 2013 über 360 Bootsflüchtlinge ums Leben gekommen waren, stand der Beschluss bereits fest. Mare Nostrum, die militärisch-humanitäre Rettungsoperation Italiens, wird noch in diesem Jahr auslaufen. Der Grund dafür: Die europäischen Regierungen weigern sich nach wie vor strikt, die Kosten für eine Europäisierung der Operation zu übernehmen. Zwar reiste der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, persönlich nach Lampedusa, um der Toten von damals zu gedenken. Möglicherweise erinnerte er sich dort auch an seine Worte vom Vorjahr, als er vor den aufgebahrten Särgen seine Betroffenheit bekundete: Lampedusa müsse ein Wendepunkt für die europäische Flüchtlingspolitik sein. Eine Wende, die nicht eintrat. Die Pressekonferenz zum Jahrestag auf Lampedusa wurde daher von Protesten von Menschenrechtsaktivist_innen und lokalen Gruppierungen begleitet. Die Nachricht in Richtung EU war deutlich: Der Opfer von damals zu gedenken, während weitere Todesfälle stillschweigend hingenommen werden, ist nicht nur heuchlerisch, sondern schlicht ein Skandal. Die weit über 3.000 Todesfälle im zentralen Mittelmeer allein im Jahr 2014 haben in der EU zu keinem Umdenken geführt.

Keine Solidarität: Nein zur Europäisierung von Mare Nostrum

Durch die italienische Operation Mare Nostrum konnten seit Oktober 2013 bereits über 150.000 Menschen im zentralen Mittelmeer gerettet werden. Trotz der Rettungseinsätze sind gleichzeitig allein in den Sommermonaten weit über 2.500 Bootsflüchtlinge ums Leben gekommen. Mare Nostrum verfolgte außerdem das Ziel Schlepper festzunehmen, Wissen über Migrations- und Fluchtrouten zu akkumulieren und Boote sicherzustellen und hatte damit von Beginn an keinen ausschließlich humanitären Fokus. Nach mehrmaliger Ankündigung soll die Operation nun im Dezember dieses Jahres eingestellt werden, wie der italienische Innenminister Angelino Alfano öffentlich bestätigte. Die europäischen Regierungen hatten sich strikt geweigert, Mittel zur Verfügung zu stellen, um Mare Nostrum in eine europäische Seenotrettung zu überführen: Am 8. Juli hatten die EU-Innenminister das Anliegen der italienischen Regierung ein für alle Mal ausgeschlagen. Ein deutliches und zynisches Signal: Rund 9 Millionen Euro pro Monat waren den europäischen Regierungen zu viel, um Zehntausende von Menschenleben zu retten. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière meinte sogar, Mare Nostrum habe sich als „Brücke nach Europa“ herausgestellt, das könne „nicht auf Dauer so sein“. Die Operation ermutige Migran­t_innen und Flüchtlinge geradezu, die Überfahrt zu wagen, so der Vorwurf. Der Druck aus Rom verhallte in Brüssel jedoch nicht vollkommen: Ende August sicherte die damalige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ihrem italienischen Kollegen zu, dass eine Frontex-Operation eingesetzt werden solle.  Arbeitstitel „Frontex Plus“.

Die geplante Ablösung von Mare Nostrum durch eine Frontex-Operation lässt Schlimmes befürchten: Statt mehr Seenotrettung droht ein starker Fokus auf Grenzkontrolle und Abwehr. Frontex selber räumt bei jeder Gelegenheit ein, dass ein „Ersetzen“ von Mare Nostrum durch die Agentur aus verschiedensten Gründen nicht möglich sein wird: Die Finanzierung der Operation Triton — wie sie nun in bekannter Frontex-Tradition heißt, nach der Operationen die Namen von griechischen Gottheiten tragen — liegt deutlich unter den für die italienische Operation ausgegebenen Mitteln. Nach Angaben von Frontex belaufen sich die Kosten auf rund 2,8 Millionen Euro monatlich. Damit stehen deutlich weniger Ressourcen an Personal und Material zur Verfügung. Am 1. November 2014 startete der neue Einsatz der Agentur mit einem technischen Arsenal von zwei Flugzeugen, einem Helikopter und sieben Schiffen (zwei davon hochseetauglich).  Insgesamt sind derzeit 65 Personen im Einsatz. Die EU-Kommission bestätigte, dass 21 Mitgliedstaaten ihre Unterstützung zugesagt hätten. Auch die deutsche Regierung gab an, sich an der Operation mit Bundespolizist_innen und einem Hubschrauber zu beteiligen.

Zusätzlich soll das Einsatzgebiet massiv verkleinert werden. Während Mare Nostrum bis in die libyschen Gewässer Rettungsaktionen vornahm, die knapp 160 Seemeilen von Lampedusa entfernt sind, soll Triton nur die leicht angepassten Einsatzgebiete der vorherigen Operationen Hermes und Aeneas nahe der italienischen Küste abdecken. Die Patrouillen werden damit nur noch bis rund 30 Seemeilen vor der italienischen Küste und vor Lampedusa reichen. Klar ist: Eine Verkleinerung der Operation wird dramatische Konsequenzen haben: Noch mehr Tote sind die absehbare Folge.

Frontex: Fokus auf Grenzkontrollen — kein Mandat zur Seenotrettung

Doch abgesehen von geringeren zur Verfügung stehenden Ressourcen und der drastischen Verkleinerung des Einsatzgebietes, entspricht Seenotrettung keineswegs dem Mandat von Frontex. Frontex-Interimsdirektor Gil Arias bestätigte bereits bei seiner Präsentation der neuen Operation vor dem Europaparlament am 4. September: „Weder die Mission, noch die Ressourcen erlauben ein Ersetzen“. Es bestehe ein „fundamentaler Unterschied“ zwischen Triton und Mare Nostrum. Während letztere eine „Such- und Rettungsoperation“ sei, fokussiere Triton auf „Grenzkontrollen“.  In Interviews und Anfragen bestätigten Frontex-Beamte dies wiederholt. Einschätzungen, die keinen Zweifel daran lassen, dass mit der Joint Operation Triton die Todeszahlen weiter steigen werden.

Obwohl auch die Grenzagentur in den vergangenen Jahren ihre Verlautbarungen vermehrt mit humanitären Argumenten unterlegt hat, ist sie in diesem Punkt klar: Das Mandat von Frontex besteht im sogenannten „integrierten Grenzmanagement“, Such- und Rettungsoperationen sind hingegen nicht Teil ihres Repertoires — Rettung kann höchstens in Einzelfällen Nebeneffekt von Grenzkontrollpatrouillen sein. Wie bei anderen Vorstößen auf EU-Ebene — beispielsweise dem Grenzüberwachungssystem Eurosur — wiederholt die EU stumpf den scheinheiligen Trugschluss: Mehr Kontrolle rette mehr Menschenleben. Was sich jedoch stets gezeigt hat: Je engmaschiger das Überwachungsnetz, je massiver die Kontrollen, desto gefährlicher und tödlicher die Flucht- und Migrationsrouten.

Leben retten — Wege öffnen!

Frontex ist keine Seenotrettungsagentur. Nur eine zivile europäische Seenotrettung kann akut zur Rettung von Menschenleben beitragen. An dieser Forderung gilt es weiter festzuhalten, auch wenn alle Signale aus Brüssel in eine andere Richtung weisen. Kurzfristig muss Mare Nostrum weitergeführt, verstärkt und vor allem von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten voll finanziert werden. Begleitend zu einer umfangreichen Seenotrettungsoperation ist ein innereuropäischer Solidarmechanismus notwendig. Flüchtlinge, die zum Beispiel in Italien, Malta oder Griechenland ankommen, müssen die Möglichkeit erhalten, in andere EU-Mitgliedstaaten legal weiterzureisen. Insbesondere in Fällen, in denen Familienbindungen oder Community-Netzwerke in bestimmten Ländern bestehen.

Für die Tausenden von Schutzsuchenden und Migrant_innen, die vor den Toren Europas ums Leben kommen, trägt Europa Verantwortung. Statt Rettungsoperationen als „eine Art Beihilfe für die Vermögen von Menschenhändlern“ und „Brücke nach Europa“ zu diffamieren, muss diese Verantwortung endlich wahrgenommen werden. Aktivist_innen haben nun über das transnationale Netzwerk „Watch the Med“ eine Notrufnummer für Bootsflüchtlinge in Seenot veröffentlicht, um bei verweigerter oder verzögerter Seenotrettung zu intervenieren.  Was Initiativen wie diese, Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsinitiativen auf beiden Seiten des Mittelmeeres fordern, muss endlich zu einem tatsächlichen Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik führen: Öffnet gefahrenfreie Wege nach Europa! Denn das Sterben an den EU-Außengrenzen kann letztlich nur durch die Öffnung legaler Wege für Schutzsuchende beendet werden. Mit der Frontex-Operation Triton geht Europa einen Schritt weiter in die entgegengesetzte Richtung und hält für einmal mehr an ihrer Strategie der Abwehr fest — auf Kosten von Menschenleben.