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Arbeit, Bewegung, Geschichte: Zeitschrift für historische Studien

Die Zeitschrift „Arbeit. Bewegung.Geschichte“ widmet sich in zwei Ausgaben im Schwerpunkt dem  Thema „Antifa“. Der Begriff „Zeitschrift“ ist hierbei irreführend. Eher handelt es sich um jeweils um die 300 Seiten starke Bücher mit zahlreichen Aufsätzen und Buchrezensionen. Eine wahre Fundgrube an sorgfältig recherchierten Artikeln und ein guter Überblick über den aktuellen Forschungsstand. In beiden Bänden werden 35 (!) Bücher aus den Themengebieten Widerstand, Arbeiterbewegung und Geschichte sorgfältig in Rezensionen besprochen, kommentiert und eingeordnet.

Aber: Neben den vielen Beiträgen zu heute weitgehend unbekannten Aspekten der Geschichte des Antifaschismus gibt es viele weitere Themen, die das Lesen lohnen. Seien es Ausstellungsrezensionen, Konferenz- oder Tagungsberichte – wer seinen Horizont zu vielen unterschiedlichen Aspekten vergangener linker Organisierung erweitern möchte, ist hier richtig aufgehoben. Im folgenden werden daher nur einzelne Themen stichpunktartig hervorgehoben – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne, dass diese Rezension ein vollständiges Lesen ersetzen könnte.

In der Ausgabe 2/2022 lautet der Schwerpunkt „Der ursprüngliche Antifaschismus“ - d.h. verschiedene Aspekte antifaschistischer Bewegung bis zum Jahr 1945. In Ausgabe 3/2022 geht es dagegen um den Antifaschismus seit 1945. Der Fokus liegt in beiden Bänden auf Deutschland und (in gereingem Maße) Europa. Berichte über antifaschistische Organisierung außerhalb Europas – gerade in der Kombination bzw. auch in der Widersprüchlichkeit antikolonialer Kämpfe, findet sich leider nicht.

Themen wie die antifaschistische Bewegung in Griechenland in den 1920er Jahren, die kleine und bis heute weitgehend unbekannte antifaschistischen „Rote Studentengruppe“, kommunistisch und antifaschistische Trauerkultur bei Beerdigungen von ermordeten Genossen, der kurze Zeit starke antifaschistische und demokratisierende Einfluss der Labour-Partei in Großbritannien und die Leben von Nicolaas Rost und Eugen Ernst bilden die Schwerpunkte des ersten Bandes.

Erstaunlich, dass die „Rote Studentengruppe“, auch wenn diese mit nur wenigen hundert Mitgliedern reichsweit während der Weimarer Republik sehr klein war, bis heute eher unbekannt ist – obwohl sie doch prominente Mitglieder hatte! Die spätere Zeit-­Chefredakteurin Marion Gräfin Dönhoff bemerkte: „Mich zog es zu den Roten, weil nur sie den Kampf gegen die Nazis ernsthaft und kompromisslos führten“ – und meinte damit ihr Engagement bei der „Roten Studentengruppe“. Auch Wolfgang Abendroth, Klaus Gysi und Golo Mann gehörten in den 1920er Jahren der RSK an. In seltenen Fotos von Demonstrationen und aus Lebenserinnerungen ehemaliger Mitglieder fällt auf, wie „modern“ und nah uns die Gruppe heute noch ist: Männer und Frauen gleichberechtigt, die Kleidung eher salopp und ohne die damals übliche militärische Uniformierung, akzeptierte hetero- und homosexuelle Beziehungen innerhalb der Gruppe – ein Milieu, dass viele heute vielleicht erst wieder mit den 68ern erwartet hätten. Der Frauenanteil und der Anteil jüdischer Studierender war höher als in anderen Studentenorganisationen, die Mischung aus Theorie und praktischem Kampf gegen den erstarkenden Faschismus machte den Reiz aus und die Gruppe wurde für die Mitglieder nicht nur politisch- sondern auch persönliche Heimat.

Im zweiten Band werden die Organisation „Die Falken“ 1945-1959, die Verwendung des Begriffs „Faschismus“ als Analyse­instrument in den frühen 1960er Jahren in der BRD, Antifa und Feminismus in den letzten 30 Jahren, Rassismus und Antifaschismus in der Punk- und Skinheadszene Tschechiens und der Slowakei, Auseinandersetzung mit dem Neonazismus in der autonomen Männergruppenszene der 1990er Jahre und das Dąbrowski-Batallion im Spanischen Bürgerkrieg, behandelt. Aber auch eine kritische Würdigung der Ausstellung des Peng!-Kollektivs mit dem Titel „Antifa – Mythos und Wahrheit“ in Chemnitz findet sich.

Interessant zu lesen ist u.a., dass neben der bis heutige existierenden „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) mit nach 1945 ca. 300.000 Mitgliedern auch konkurrierende Verbände nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurden – wie z.B. die „Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten“ „AvS“ oder der Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN) – welcher der CDU nahe stand. D.h. schon bald setzte sich die Spaltung in Ost- und West, die unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten aber auch unterschiedliche politische Auffassungen, z.B. zur Wiederbewaffnung, auch unter den ehemals Verfolgten weiter fort.

Anders dagegen die Entwicklung in der DDR. Während in Westdeutschland die VVN als „kommunistisch“ unterwandert galt und teilweise sogar verboten wurde, oder bis heute vom Verfassungsschutz überwacht wird, verstand sich die DDR als „antifaschistisch“. Und gerade deshalb wurde die VVN dort bereits 1953 aufgelöst und das Gedenken an den Widerstand in staatliche Hände gelegt. Aber, oder vielleicht auch gerade deswegen: Rassismus und Antisemitismus verschwanden nicht einfach 1945 aus der DDR. Hierauf aufmerksam zu machen blieb den linken Oppositionellen und den ersten DDR-Antifa-Gruppen ab den 1980er Jahren überlassen, die eng von der Staatssicherheit beobachtet wurden.

Auch der Artikel „Das Verhältnis von Antifa und Feminismus in Ostdeutschland. Praktische Beispiele aus 30 Jahren Organisierung“ ist lohnenswert, da hier nicht nur die Erfahrungen von weiblichen Antifas bzw. antifaschistischen Feministinnen u.a. anhand von Interviews hervortreten, sondern auch die Unterschiede zwischen Ost- und West Fantifas in den 1990er Jahren beleuchtet werden. Während z.B. in westdeutschen Antifastrukturen seit den 1980er Jahren eine starke separate Frauen­orga­ni­sierung existierte, welche eigene Plena und Blöcke auf Demonstrationen hatte, spielte dies in den 1990er Jahren in Ostdeutschen Antifa-Strukturen weniger eine Rolle. Während es so z.B. in Westdeutschland 1993 ca. 25 feministische Antifa-­Gruppen gegeben hat, wurden Debatten um Sexismus und Geschlechterverhältnisse bei vielen ostdeutschen weiblichen Antifas anders geführt. Teils, so Aktivistinnen, weil man „andere Probleme hatte“, wie z.B. der Abwehrkampf gegen Neonazis, teils aber auch, weil man immer gemischtgeschlecht­lich organisiert gewesen war und keine längere Tradition von getrenntgeschlechtlicher Organisierung hatte.

Auch die Ausstellungsrezension „Tuntenhaus Forellenhof 1990: Der kurze Sommer des schwulen Kommunismus“ über eine Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin im Sommer 2022 ist bemerkenswert. Anhand einer rekonstruierten WG-Küche in der ehemals besetzten Mainzer Straße wurde die Lebenswelt schwul/queeren Hausbesetzeszene und ein Stück der radikal queeren Stadtgeschichte eindrucksvoll und ungewöhnlich präsentiert. Telefonlisten für Notfallketten bei Neonazi-Angriffen, vollgestapelte WG-Küchentische und Flugblätter im Schnippellayout – die Aufbruchstimmung der 1990er Jahre, aber auch die Bedrohung der Basenball-Schlägerjahre und die Melancholie welche durch die Räumung der „Mainzer“ spürbar ist, wurde in nur diesem einen rekonstruierten Raum spürbar und ein Stück weit erlebbar.

Wer beide Bände aufmerksam studiert wird feststellen, dass „Antifa“ kein  „Oberbegriff für verschiedene, im Regelfall eher locker strukturierte, ephemere autonome Strömungen der linken bis linksextremen Szene“ ist, wie es auf Wikipedia heißt. Vielmehr ist und war „Antifa“ eine breite und länderübergreifende Bewegung unterschiedlicher Akteure – und Antifaschismus war eben nicht zu allen Zeiten dasselbe. „Antifa“ war und ist immer mehr als „nur“ der Kampf gegen Nazis. Das Eintreten für eine gerechtere Gesellschaft, die Verteidigung von Menschen- und Bürgerrechten waren und sind immer existentieller Teil von antifaschistischen Bewegungen gewesen. Dies wird beim Lesen beider Bände sehr deutlich.

Die vielen Facetten antifaschistischer Arbeit und Organisierung wird greifbarer, und auch das tiefe und von vielen Menschen mitgestaltete historische Fundament auf dem heutige und zukünftige antifaschistische Akteure mit Stolz stehen können.

Wer einen schnellen Überblick über das Themengebiet „Antifa“ haben möchte, sollte besser zu dem Buch von Mirja Keller: „Antifa. Geschichte und Organisierung“ aus dem Jahr 2018 greifen.
Wer aber tiefer in das Thema einsteigen möchte und sich bislang eher unbekannten antifaschistischen Organisierungsansätzen in- und außerhalb Deutschlands zuwenden möchte, ist mit diesen Bänden gut beraten!

Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung e.V.
Arbeit, Bewegung, Geschichte:
Zeitschrift für historische Studien
21. Jahrgang – Heft 2022/II
21. Jahrgang – Heft 2022/III
Metropol-Verlag Berlin
www.arbeit-bewegung-geschichte.de