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Antisemitismus auf Plakaten

Elfriede Müller (Gastbeitrag)
Einleitung

Dieser Beitrag thematisiert Plakate, die aus meiner Sicht antisemitisch sind oder antisemitische Assoziationen wecken, also in diesem Sinne »missverstanden« werden können. Krassesten Ausdruck fand Antizionismus bei einem Plakat, auf dem Zionismus und Faschismus eine Wesensgleichheit unterstellt wird. Es wird suggeriert, Nazis und israelische Staatsgründer hätten bei der Vertreibung der Palästinenser zusammengearbeitet. Im folgenden wird Antisemitismus als eigenständige Ideologie erläutert und Plakate aus der radikalen Linken auf antisemitische Stereotypen untersucht.

Diverse Plakate und Aufkleber aus der Linken waren antisemitisch oder weckten antisemitische Assoziationen.

Allerdings gehe ich davon aus, dass die bürgerliche Gesellschaftsordnung strukturell Antisemitismus reproduziert. Auch eine Linke, die auf diesem Boden agiert, ist nicht automatisch frei von antisemitischen Stereotypen. Denn da auch die radikalste Linke Teil des gesellschaftlichen Ganzen ist, kann sie aus dem Teufelskreis nur raus, wenn sie die Kritik, die sie an der Gesellschaft formuliert, ebenso auf sich selbst anwendet. Dass dies zuweilen versäumt wurde, drückt sich in der Wahl von Bildern aus, die die herrschende Ideologie reproduzieren und Anschlussflächen für rechte, antisemitische Positionen bieten können, anstatt sie zu kritisieren. Das zu ändern, erfordert für die Zukunft nicht nur eine »bessere Linke«, sondern auch bessere Plakate.

Verkürzte Kapitalismuskritik

Obgleich Marx im Vorwort zu »Das Kapital« klar und eindeutig präzisierte, dass Kapitalismus nicht gleich Kapitalist bedeutet, findet sich diese Personifizierung bei den unterschiedlichsten Bewegungen und Themen wieder. Diese verkürzende Kapitalismusinterpretation ist falsch. Abstrakte Verhältnisse lassen sich nicht auf einzelne Individuen verkürzen, auch wenn die Versuchung manchmal groß sein mag, die schwierigen Verhältnisse auf einen Punkt zu bringen. Es versteht sich von selbst, dass soziale Verhältnisse von Menschen gemacht werden und auch verändert werden können. Doch ist der Kapitalismus nicht dadurch abzuschaffen, dass man seine Zirkulationssphäre mit abstoßenden Persönlichkeiten bebildert und damit die Illusion erweckt, das Verschwinden dieser Personen würde die Verhältnisse bereits zum Tanzen bringen.

Das Kapitalismusverständnis sowohl der traditionellen als auch der Neuen Linken und der autonomen Bewegungen enthielt Anschlussflächen zu antisemitischen Denkfiguren. Zentral dabei ist eine spontane Assoziation von Juden mit Kapitalismus, Kosmopolitismus und Abstraktheit; anders formuliert: Juden leben »von fremder Arbeit« und beherrschen in einer Art weltweiten Verschwörung die Presse und das Finanzkapital. Diese Vorstellungen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der wissenschaftlichen rassistischen und antisemitischen Diskurse, in dem Klischeebild des fetten hässlichen, Zigarre rauchenden Kapitalisten mit einer den Juden zugeschriebenen Physiognomie wie einer langen krummen Nase und einem disproportionierten Körper visualisiert.

Außerdem erschienen so die »Juden« als eine durch Abstammung vereinte Gruppe, die sich physisch von anderen Menschen unterscheidet. Als körperliche Merkmale werden die das ganze Gesicht beherrschende krumme Hakennase, blinzelnde Augen, engstehende Zähne und Mangel an Harmonie genannt. In dieser Form wird der Antisemitismus in Karikaturen und Propaganda bildlich reproduziert. Wenn in linken Plakaten auf antisemitische Stereotypen zurückgegriffen wird, scheint es sich in den meisten Fällen um einen unreflektierten und unbewussten Rückgriff auf drastische und bekannte Bilder zu handeln und keine antisemitische Propaganda, wie wir sie eigentlich nur beim Antizionismus finden. Das scheint mir allerdings ein beunruhigender Hinweis dafür zu sein, wie tief verankert und abrufbar antisemitische Stereotypen im Alltagsbewusstsein sind. Das möchte ich an einigen ausgewählten Plakaten illustrieren.

Auf einem Plakat, das zur Solidarität mit El Salvador aufruft, hat ein Uncle Sam Gesichtszüge wie auf einem Stürmer-Plakat: Hakennase, triefende Augen. Dazu zieht er die Fäden de militaristischen Marionette, die das salvadorianische Volk geißelt. Aber schon erhebt sich der blutige Arm, um die Fäden, die den Militär mit dem internationalen Imperialismus verbinden, durchzuschneiden. Die der jüdischen Physiognomie zugeschriebene Hakennase gibt es schon sehr lange, ihr historischer Ursprung ist nicht genau zu bestimmen. Relevant wurde sie vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts während der Biologisierung rassistischer und antisemitischer Diskurse. Die Geste des Durchschneidens korrespondiert mit dem Titel »El Salvador wird siegen«.

Wieso El Salvador und nicht die Guerilla FMLN? Die Widersprüche werden hier auf den US-Imperialismus mit »jüdischem Antlitz« und ein von ihm ausgebeutetes Land reduziert. Auch innerhalb El Salvadors gibt es soziale und politische Auseinandersetzungen, Klassen, linke und rechte Überzeugungen. Es gibt keine homogenen Gesellschaften. Bei einem Aufruf zum 8. März, dem internationalen Frauentag, sitzen vier männliche Gestalten auf einer Weltkugel und krallen sich daran fest. Zwei davon entsprechen ziemlich genau dem Klischee des jüdischen Kapitalisten. Der erste trägt einen Uncle-Sam-Hut und besitzt die berühmte Hakennase, die zweite Gestalt trägt einen Dollarhut, was auf die Zirkulationssphäre verweist. »Wir müssen begreifen wo der Feind steht« legt nahe, dass die AktivistInnen bereits wissen, wie der Feind aussieht.

Ein traditionell antisemitisches Motiv weist ein Anti-AKW-Plakat auf: Bis auf die Türme des AKW und die verdeckte Nase ist alles stilecht und erinnert an den Einband einer französischen Ausgabe der antisemitischen «Protokolle der Weisen von Zion«. Es ist schwierig, abstrakte Verhältnisse in Bilder zu fassen. Jedoch können vereinfachende Bilder, die den Kapitalismus nicht als ein soziales oder prozessuales Verhältnis, als eine dialektische Einheit von Politik und  Ökonomie, von Produktion und Reproduktion begreifen, falsche Assoziationen hervorrufen. Wenn man diese Bilder umkehrt, dann drängt sich die Illusion auf, dass, wenn diese Figuren, die alle eher für Macht als für kapitalistische Vergesellschaftung stehen, von der Bildfläche verschwänden, die Welt eine bessere wäre. Selbst wenn das im Einzelfall wie eine Erleichterung erscheinen mag, ruft ein unreflektierter Populismus unter Umständen Bündnispartner herbei, die in einem fundamentalen Widerspruch zu eben dem Ziel einer »besseren Welt« stehen.

Die »jüdische Weltverschwörung«

Die vermeintlich »jüdische Weltverschwörung« ist mehr als eine Steigerungsform der Personalisierung von Herrschaft. Sie dient als Welterklärungsmodell und ist ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen Antisemitismus und Rassismus. Der Antisemitismus sieht die vorhandene oder nicht vorhandene jüdische Bevölkerung als allmächtig, während die durch Rassismus ausgegrenzten Menschen als machtlos, schwächer und dümmer eingeschätzt werden. Die »jüdische Weltverschwörung« ist gewissermaßen die Mutter aller Verschwörungen. Dieses Stereotyp findet sich auch auf Plakaten, meistens jedoch in abgewandelter Form. Manchmal sind es sogar positiv konnotierte Figuren, die sich über den Globus ausbreiten, als Aufforderung, die Erde aus den Angeln zu heben. Meines Erachtens steht die Weltkugel dabei für einen Anspruch, sich sowohl die Welt anzueignen, als auch für ein Welterklärungsmodell bzw. eine Weltanschauung, eine subjektive und metaphysische Vision der Welt. Diese Aufnahme der Weltkugel als ein Symbol muss keinesfalls immer antisemitisch konnotiert sein. Sie tendiert dann dazu, wenn eine vermeintlich jüdische Physiognomie oder den Juden zugeschriebene Eigenschaften mit einem Zugriff auf die Welt zusammengebracht werden.

Der Antizionismus

Wenn man noch einmal die siebziger und achtziger Jahre der internationalistischen Solidarität Revue passieren lässt, so spielte Palästina darin nicht die Hauptrolle.  Die Lateinamerikasolidarität oder die Anti-Apartheid-Bewegung waren stärker und umfassten auch linksliberale Kreise. Dennoch sollte die politische Bedeutung der antizionistisch motivierten Palästina-Solidarität nicht gering veranschlagt werden. Insbesondere in den achtziger Jahren existierten Nahost-Gruppen, in denen viele Autonome mitarbeiteten. Ihre Solidarität mit den Palästinensern formulierte sich unter dem Begriff eines bedingungslosen Antizionismus. Eine erste Erschütterung dieser Solidarität mit Palästina unter dem Banner des Antizionismus äußerte sich im Zusammenhang mit der Entführung eines Flugzeuges nach Entebbe durch die PFLP, die von zwei deutschen Angehörigen der Revolutionären Zellen unterstützt wurde.

In dem Verlauf dieser »Aktion« wurden die israelischen Fluggäste von den anderen Passagieren getrennt und als Geiseln genommen. Es sollte 15 Jahre dauern, bevor eine Gruppe der Revolutionären Zellen und »Gefangene aus dem Widerstand« dazu in der Lage waren, diese Form eines »linken Antizionismus« zu kritisieren. Im Jahre 1982 wurde der Staat Israel im Zusammenhang mit den während der Libanon-Invasion begangenen Massakern von einigen Nahost Gruppen mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. Die Palästina Solidarität reproduzierte zum Teil völkisch-nationalistische Töne und brachte als antiimperialistischer Antizionismus ein Plakat auf die Welt, das nur als Unterstellung einer Wesensgleichheit von Zionismus und Faschismus verstanden werden kann: Hier wird der israelische Premierminister Begin gemeinsam mit Hitler unter der Aussage abgebildet »Wir wollen Faschismus«.

Allerdings soll hier keinesfalls bestritten werden, dass eine Solidarität mit den Palästinensern gegen die Militärdiktatur in den von Israel besetzten Gebieten und mit dem Protest der Israelis palästinensischer Herkunft gegen ihre Diskriminierung eine Notwendigkeit des linken Internationalismus darstellt. Problematisch wird es dann, wenn diese Solidarität nationalistische und völkische Töne annimmt. In der Nationalcharta der PLO von 1968 heißt es: »Die palästinensische Identität ist ein echtes, essentielles und angeborenes Charakteristikum; sie wird von den Eltern auf die Kinder übertragen.« Sieht man die schriftlichen Verlautbarungen der deutschen Solidaritätsbewegung zu dieser bemerkenswerten Stellungnahme durch, so findet man kaum eine Spur einer Kritik an diesem unbezweifelbar völkisch aufgeladenen palästinensischen Befreiungsnationalismus. Die Gefahr einer »Kauf-nicht-bei-Juden-Stimmung« besteht bei dem Plakat, das die berühmtberüchtigt gewordene Hafenstraßen-Parole zeigt, in der der Staat Israel in Anführungsstrichen genannt wird.

1989 bezeichnete die Autonome Nahostgruppe aus Hamburg den Zionismus als: »Feind aller Menschen«.1 Dabei kann man von »dem Zionismus« nicht sprechen, weil es innerhalb dieser Nationalbewegung immer die unterschiedlichsten Strömungen gab. Insoweit sich dann der Zionismus bewaffnete, tat er das, was jeder andere Nationalismus auf der Welt zur gewalttätigen Durchsetzung seiner Ziele auch tat. Wieso ausgerechnet die jüdische im Unterschied beispielsweise zur irischen Nationalbewegung zu einem »Feind aller Menschen« werden konnte, bleibt ein Rätsel, das nur jene Nahostgruppe aus Hamburg lösen könnte, wenn ihr Blick nicht von antisemitischen Stereotypen getrübt gewesen wäre.

Jedenfalls sollte es keine linke Angelegenheit sein, den einen Nationalismus durch den anderen zu bekämpfen. Der Antizionismus mutierte im Verlaufe der siebziger und achtziger Jahre zu einem Befreiungsnationalismus. Damit gewann er fast wieder den Charakter einer Weltanschauung. Es wird in Kategorien von guten und schlechten Völkern - statt politischer Positionen – gedacht und plakatiert. Ein Plakat zum »Tag des Bodens« kann in hiesigen Breitengraden an eine Blut- und Boden-Propaganda erinnern, die bei Linken eher Abscheu hervorrufen sollte. Jener »Tag des Bodens« erinnerte ursprünglich an eine Demonstration von palästinensischen Bauern, die durch israelische Militärs von ihrem Ackerland vertrieben werden sollten. Daraus aber einen »Beweis« machen zu wollen, dass es sich bei den Palästinensern im Gegensatz zu den Juden um ein richtiges Volk handelt, das über Folklore und Traditionen verfügt, kann die Assoziation aufdrängen, dass das bodenständige Leben der Palästinenser der positive Gegensatz zu der wurzellosen abstrakten und kosmopolitischen Tradition sei, die der Antisemitismus dem Judentum immer vorgeworfen hat.

Um den Antisemitismus in der Gesellschaft und innerhalb der eigenen Reihen zu erkennen und zu bekämpfen, bedarf es einer grundlegend antinationalistischen Haltung. Eine antinationalistische Haltung verweigert sich dem binären Denken, das einen Hauptwiderspruch zwischen personifiziertem Kapital und dem gut verwurzelten Volk zu erkennen vermeint. Antinationalismus ist die Voraussetzung, falsche Kapitalismuskritik von rechts und links zu erkennen und Emanzipation jenseits von Nation, Staat und Volk zu denken. Eine Garantie dafür stellt der Antinationalismus leider auch nicht dar. Doch mit Garantien verhält es sich wie mit den konkreten Gebrauchsanleitungen: im kritischen Denken sind sie einfach nicht zu haben.

Elfriede Müller lebt in Berlin und betreibt seit über zwanzig Jahren Theorie und Praxis in der radikalen Linken und seit 1997 in der jour fixe initiative Berlin. Der Artikel ist in verkürzter Form aus dem Beitrag »...das auschwitz nicht noch einmal sei. Antisemitismus auf Plakaten? Plakate gegen Antisemitismus!« aus dem Buch »Vorwärts bis zum nieder mit-30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegunge«" entnommen. Herausgegeben von HKS 13. Assoziation A. ISBN 3-935936-05-2.

  • 1Autonome Nahostgruppe Hamburg/Gruppe Arbeiterpolitik: zionismus, Faschismus, Kollektivschuld, Hamburg 1989