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Antifeminismus – eigenständige Ideologie und Gegenbewegung zugleich

Mitglieder des femPI-Netzwerkes
Einleitung

Der Begriff Antifeminismus wird aktuell vermehrt verwendet. Wir freuen uns über die zunehmende Aufmerksamkeit und werben gleichzeitig für eine Schärfung des Begriffs und eine differenzierte Nutzung. Der Text ist der Versuch eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Praxis politischer Bildungsarbeit, Recherche und Aktivismus zu schlagen.1

Symbolfoto: flickr.com; Miquel González Page; CC BY-NC-ND 2.0

Die Analyse arbeitet mit der bildhaften Darstellung von Antifeminismus als Baum, dessen (Nähr)boden der Glaube an eine vermeintlich „natürliche“ Ordnung/ Ungleichheit bildet. (Symbolfoto: flickr.com; Miquel González Page; CC BY-NC-ND 2.0)

Am deutlichsten sichtbar werden antifeministische Bestrebungen in ihrer Gegnerschaft zu feministischen Prozessen und Forderungen. Häufig vernommen ist der Ausspruch: Antifeminismus gibt es, seit es Feminismus gibt! Doch Antifeminismus ist nicht nur Gegenbewegung zu feministischen Aufbrüchen und Emanzipationsbestrebungen, sondern auch eigenständige Ideologie. Wir verstehen Antifeminismus als eine Weltanschauung, „der es um die Gegnerschaft zu [...] Prozessen der gesellschaftspolitischen Liberalisierung und Entnormierung von Geschlechterverhältnissen geht sowie um die Aufrechterhaltung heteronormativer Herrschaftsverhältnisse“ (Lang/Fritzsche 2018: 340).

Mit dem Versuch einer Metapher möchten wir die komplexe Struktur und die Verschränkung verschiedener Phänomene, die sich unter dem Begriff Antifeminismus vereinen, thematisieren und greifbar machen.

Antifeminismus – eine bildhafte Darstellung

Im Verlauf unserer Diskussionen und Auseinandersetzung mit Antifeminismus aus verschiedenen Perspektiven und Zugängen – Wissenschaft, politische Bildungsarbeit, Aktivismus – entstand die bildhafte Darstellung von Antifeminismus als Baum, dessen (Nähr)boden der Glaube an eine vermeintlich „natürliche“ Ordnung/Ungleichheit bildet. Entlang der Kategorie Geschlecht erwächst der Stamm, der eine vermeintlich natürliche geschlechtliche Ordnung, das Patriarchat, ausdrückt. Hieraus entwickeln sich unterschiedliche, sich aber eindeutig aufeinander beziehende Ideologiefragmente, die auch eigenständig Ideologie sein können wie (Hetero)Sexismus, Misogynie/Frauenhass, Familismus1 , die Gegner_innnenschaft zu reproduktiver, sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung und Gerechtigkeit sowie Queer- und Transfeindlichkeit2 . Sie sind tragende Äste im Bild und können sich im historischen Kontext verändern. Doch sie alle erwachsen aus dem patriarchalen Herrschaftsverhältnis.

Die Abwertung von Frauen bspw. ist hierin bereits angelegt und nimmt im Ast „Frauenhass/Misogynie“ eine radikale und zugespitzte Form an. Auch verschwörungsideologische Elemente sind Bestandteil von antifeministischem Denken. So ist die Vorstellung „der“ Feminismus sei allmächtig, ein zentraler Ast. In Verbindung mit rassistischen und antisemitischen Diskursen wird „dem“ Feminismus zudem eine tragende Rolle in dem vermeintlich stattfindenden Bevölkerungsaustausch zugeschrieben.

Aus diesen tragenden Ästen formen sich feinere Verzweigungen, konkrete Handlungen, diese erkennen wir z.B. in Hate Speech, die sich oftmals gegen feministische und queere Personen richtet; Mobilisierungen und Proteste gegen Bildungspläne, die die Akzeptanz sexueller Vielfalt zum Ziel haben; der Kampf gegen die Umsetzung von geschlechtergerechter Sprache; das Blockieren und Verhindern rechtlicher Verbesserungen beispielsweise in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehe, Adoptionsrecht, Diskriminierungsschutz.

In ihrem Zusammenspiel bilden die verschiedenen Dimensionen das Dach des Baumes und bestimmen die Form und den Umfang der Baumkrone Antifeminismus. Jedes der genannten Phänomene kann dabei für sich stehen, die Baumkrone jedoch nicht ohne die tragenden Äste bestehen.

Antifeminismus, Sexismus und Misogynie/Frauenhass

Unter Misogynie bzw. Frauenhass verstehen wir eine grundsätzliche Abwertung von Frauen, ihm liegt ein essentialistisches Verständnis von Frauen als minderwertig zugrunde (AK Fein 2019: 29).  Männer gelten als überlegen und können in dieser Logik über das Verhalten und die Existenz von Frauen urteilen. Dies legitimiert auch vermeintlich die Bestrafung von Frauen mit Gewalt bis hin zu Femiziden.

(Hetero-)Sexismus hingegen beschreibt die Diskriminierung, Abwertung3 und Benachteiligung von Personen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts und/oder ihrer sexuellen Orientierung. Anschließend an Imke Schminckes (2018) Differenzierung der Begriffe betrachten wir Sexismus als Diskriminierungsform bzw. Diskriminierungspraxis, die sich direkt auf Personen bezieht und mit konkreten Handlungen verknüpft ist. Aber auch strukturelle Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts (z.B. pay gap) können als sexistisch bezeichnet werden. In einer nach wie vor patriarchal strukturierten Gesellschaft wird sexistisches Denken und Handeln im Laufe der Sozialisation internalisiert und begegnet uns alltäglich.

Sexismus wird daher weitaus häufiger als „normal“ oder weniger schlimm wahrgenommen. Misogynie/Frauenhass hingegen wird zwar weitgehend gesellschaftlich verurteilt, jedoch häufig nicht wahr- und somit nicht als eigenständige Tatmotivation der Täter ernstgenommen.

Misogynie/Frauenhass, (Hetero-)Sexismus und weitere Phänomene finden sich als Ideologiefragmente zusammen zu einer antifeministischen Ideologie. Antifeminismus vereint verschiedene Ideologien der Ungleichwertigkeit/Ungleichheit, die zusammen eine umfassende antifeministische Ideologie bilden. Jedes der Ideologiefragmente ist ein tragender Ast unter der Baumkrone Antifeminismus, kann jedoch auch unabhängig für sich existieren und wirken. So ist beispielsweise nicht jede sexistische Einstellung oder auch Handlungsweise zwangsläufig eine antifeministische, andersherum baut Antifeminismus auf Vorstellungen von (Hetero)Sexismus auf. Unter der Baumkrone Antifeminismus finden demnach verschiedene Phänomene ihren Platz bzw. durch sie wird Antifeminismus getragen.

Aufgrund ihrer gegenseitigen Bezüge und fließenden Grenzen laden die drei Begrifflichkeiten zwar zur synonymen Verwendung ein, analytisch betrachtet bewegen sie sich jedoch auf unterschiedlichen Ebenen. Antifeminismus als Ideologie fungiert als Dach/Baumkrone und richtet sich gegen feministische und gleichstellungspolitische Strukturen und strukturelle Veränderungen sowie gegen Personen, die stellvertretend für diese Strukturen stehen. Antifeminismus bildet dabei ein politisches Gesamtprogramm mit eigenem Agendasetting, in dem die verschiedenen Phänomene/tragenden Äste Platz finden. (Hetero-)Sexismus und Misogynie/Frauenhass sind Teil dieses Programms und werden teils auch als Werkzeuge im Kampf gegen feministische Strukturen verwandt. Sie bilden, in der Metapher gesprochen, die Äste und nicht die Krone.

Ohne Feminismus kein Antifeminismus?

In dem gezeichneten Bild verbleibend, halten wir die häufig geäußerte Überlegung „wenn ‚der‘ Feminismus sich mehr zurückhalte, würde auch der Antifeminismus abnehmen“ für falsch. An der ein oder anderen Stelle wäre der Baum möglicherweise karger, doch der Behauptung, der Baum würde ohne feministische Aktivitäten „natürlich verdorren“, müssen wir widersprechen. Solange die Wurzeln auf nährstoffreichen Boden treffen, hält sich der Baum am Leben. Wir verstehen Antifeminismus nicht als bloße Gegenbewegung zu feministischen Kämpfen, sondern als eigenständige Ideologie (vgl. Blum 2021).

Antifeminismus zu bekämpfen kann daher nur gelingen, wenn der Ideologie „natürlicher“ Ungleichheiten der Nährboden entzogen wird.

Literatur:

• AK Fe.In (2019): Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt, Berlin: Verbrecher Verlag.
• Becker, Julia C. (2014): Subtile Erscheinungsformen von Sexismus. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/178674/subtile-erscheinungsf….
• Blum, Rebekka (2021): Historische Kontinuitäten und Brüche im deutschen Antifeminismus. Online verfügbar unter: https://www.gender-blog.de/beitrag/antifeminismus-deutschland-kontinuit….
• Kiess, Johannes/Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2015): Was ist eine rechtsextreme Einstellung, und woraus besteht sie? Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/1…
• Lang, Juliane/Fritzsche, Christoph (2018): Backlash, neoreaktionäre Politiken oder Antifeminismus? Forschende Perspektiven auf aktuelle Debatten um Geschlecht. In: feministische studien, 36, Heft 2, S. 335–346.
• Notz, Gisela (2015): Kritik des Familismus: Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
• Schmincke, Imke (2018): Frauenfeindlich, sexistisch, antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/267942/frauen-feindlich-sexi…

  • 1Gisela Notz beschreibt Familismus als Ideologie, die die bürgerliche Kleinfamilie als Leitform betrachtet. Die Familie (Vater-Mutter-Kinder) ist in familistischen Gesellschaften der Dreh- und Angelpunkt aller sozialer Organisation. Im Privaten herrscht eine traditionelle Rollenverteilung (Notz 2015: 16).
  • 2Die Aufzählung der Ausprägungen bleibt notwendig unvollständig. Um im Bild zu bleiben: Mit der Zeit und politischen, wie gesellschaftlichen Entwicklungen erwachsen im Laufe der Jahre neue tragende Äste, andere werden wiederum morsch und verlieren ihre stützende Funktion.
  • 3Neben einer feindseligen Abwertung gibt es auch eine wohlwollende Form der Abwertung, indem z.B. Frauen als schwache, stets schutzbedürftige Personen betrachtet werden oder ihnen technische oder handwerkliche Kompetenzen grundsätzlich nicht zugetraut und deswegen ungefragt abgenommen werden (vgl. Becker 2014).