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Antifaschistische Kaffeefahrten in Sachsen

Antifaschist*innen aus Sachsen (Gastbeitrag)
Einleitung

Der folgende Text ist von Einzelpersonen geschrieben, die im Herbst 2022 zusammen mit weiteren 
Mitstreiter*innen zwei antifaschistische Kaffeefahrten organisiert haben. Es ist kein gemeinsamer
Auswertungstext aller Beteiligten.

Kundgebung in Sichtnähe zur RechtsRock-Location „Alter Gasthof“ in Torgau OT Staupitz

Gefunden hatten wir uns im Zuge der solidarischen Begleitung im Antifa Ost-­Verfahren. Einige Überlegungen waren, dass wir uns nicht nur mit der Repression und solidarischen Aktionen vor Gericht und Knästen beschäftigen wollten, sondern auch mit dem, was im Verfahren und in den Medien verhandelt wird: Antifaschismus. Die Motivation entsprang aus dem Bedürnis aus der Lethargie herauszukommen. Wir wollten rechten Strukturen wieder auf die Füßen treten und den Betroffenen von Repression zeigen, dass es weiterhin Antifaschist*innen in Sachsen gibt, die etwas gegen rechte Strukturen unternehmen.

Planung

Einige erinnerten sich an „antifaschistische Kaffeefahrten“ vielerorts in den 2000er Jahren (AIB Nr. 58 und Nr. 94), wobei diese jedoch so lange zurück liegen, dass Überlieferungen nicht mehr zutreffend sind. Orte, die wir ansteuern wollten, gab es viele.

Zwei Touren sind es dann geworden, eine im Raum Leipzig und eine in der Region Chemnitz. Dass wir unsere Idee in den jeweiligen Orten im Vorfeld mit den lokalen Antifaschist*innen oder zivilgesellschaftlichen Akteur*innen absprechen müssen, stand außer Frage. Dies stellte sich im voraus als Hürde heraus, da die Netzwerke in den vergangenen Jahren eher weniger geworden waren. Hinzu kam die Diskussion, die seit vielen Jahren nicht aufgelöst werden kann: Kann eine Veranstaltung zu rechten Strukturen durchgeführt werden, entgegen vereinzelter Stimmen von Vorort, die das nicht gut finden? Wer entscheidet überhaupt, ob in einem Ort eine antifaschistische Kaffeefahrt halt machen kann?

Die zweite Tour sollte daher auch einen Austausch mit Antifaschist*innen ermöglichen, Netzwerke stärken und Projekte und Orte vorstellen, die sie vielleicht nicht kennen.

Zur Bewerbung nutzten wir bestehende Plattformen wie Indymedia und knack.news sowie die Social-Media-Präsenz von Unterstützer*innen. An den Tagen der Fahrten veröffentlichten wir darüber Updates von den Kundgebungen und den Geschehnissen, sowie Redebeiträge.

Die Nutzung dieser Plattformen lief gut, war jedoch punktuell anstrengend, wenn etwa Indymedia nicht zu erreichen war. Hier hätte sich vielleicht ein eigener Blog angeboten. Eine Chance wurde eventuell beim Thema Pressearbeit vertan, jedoch lag hier auch keinerlei Fokus unsererseits.

Zu optimistisch waren wir bei der Beteiligung an den Fahrten. Dachten wir, es sei realistisch in Sachsen zwei Busse voll zu bekommen, die sich über die üblichen Netzwerke mobilisieren lassen, wurden wir hier eines besseren belehrt. Entgegen unserer eigentlichen Überlegung, mussten wir unser Vorhaben im Vorfeld öffentlich bewerben und gingen am Ende jeweils mit nur einem Bus auf Tour. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Genoss*innen des Solibus e.V. aus Berlin!

Auch auf Repression hatten wir uns eingestellt und bekamen dahingehend Unterstützung vom Ermittlungsausschuss. Über mögliche Angriffe von Neonazis hatten wir uns im Vorfeld ebenfalls abgestimmt. Zudem gab es eine – leider erst sehr kurzfristig organisierte – Awareness-Struktur. Damit es auch eine richtige „Kaffeefahrt“ wird, wurden einige Kuchen gebacken und Getränke waren ebenso an Bord. Für die Teilnehmer*innen wurde eine kleine Broschüre gefertigt, die mit Hintergrundinformationen zu den Orten, Redebeiträgen, Texten und einem Quiz bestückt war.

Die Fahrten

Die erste Tour fand am 22. Oktober 2022 im Raum Leipzig statt. In Taucha, direkt bei Leipzig, wurde während des ersten Halts auf einen der Täter des rassistisch motivierten Mordes an Kamal K. am 24. Oktober 2010 in Leipzig1 hingewiesen: dem Polizisten-Sohn Daniel K., der in den letzten Monaten vermehrt nicht-rechte Veranstaltungen störte. Desweiteren wurde auf ein in Taucha ansässiges Kampfsport-Gym eingegangen, das seit einiger Zeit von Neonazi-­Hooligans um Benjamin Brinsa betrieben wird. Von dieser Kundgebung an begleitete uns die Polizei, wobei es auch Phasen gab, in denen offensichtliche Einsatzfahrzeuge nicht zu sehen waren.

Von Taucha aus ging es weiter nach Torgau-Staupitz. Dort befindet sich mit dem „Alten Gasthof“ einer der wichtigsten Orte des bundesweiten RechtsRock-Geschehens2 . Am Wochenende unserer Fahrt fand dort gleich an zwei Tagen ein Konzert statt. Erstmalig überhaupt gab es eine antifaschistische Kundgebung in dem Ort. Antifaschist*innen nutzten die Zeit und verteilten vor Ort eigens für die Fahrt erstellte Flyer. Auf der Kundgebung war es von Seiten der Behörden untersagt worden, konkrete Namen im Zusammenhang mit der Neonazi-Immobilie zu nennen. Ein paar rechte Zaungäste fanden sich währenddessen ein, zu Störungen kam es jedoch nicht.

In Wurzen, knapp 30 km südlich von Torgau-Staupitz, erfolgte der nächste Halt, in der Nähe der Immobilie des bekannten extrem rechten Stadtrates und Hooligans Benjamin Brinsa. Informiert wurde über die rechten Strukturen vor Ort der letzten 30 Jahre. Zudem wurde den Betroffenen rechten Terrors zugehört, indem ein Beitrag des NSU-Tribunals in Chemnitz von 2019 abgespielt wurde. Auch hier erschienen am Rande der Kundgebung Neonazis, diesmal aus der lokalen Struktur der „Jungen Nationalisten“. Auf jene wurde passenderweise in einem Redebeitrag eingegangen, denn sie hatten im Antifa Ost-Verfahren in Dresden gegen dort Angeklagte ausgesagt.

Abermals südlich, nach Leisnig, ging es weiter, genauer in den Ortsteil Naunhof. Hier haben sich in den letzten Jahren vermehrt völkische Siedler*innen niedergelassen. Mit einem Stopp vor einem dieser Landsitze informierten die Antifaschist*innen die Nachbarschaft über die neonationalsozialistischen Bestrebungen.

Die Tour endete schließlich in Geithain, wo auf den Neonazi-Kader Manuel Kruppe (geb. Tripp) eingegangen wurde, der auch als Nebenklage-Anwalt der Neonazis im Antifa-Ost-Verfahren in Dresden involviert ist. Am Ende entstand vor Ort noch ein Foto in Solidarität mit den feministischen Protesten im Iran. Parallel dazu fand in Berlin eine Demonstration mit über 100.000 Teilnehmer*innen statt.

Die zweite Kaffeefahrt führte uns am 29. Oktober 2022 von Chemnitz aus zuerst nach Niederbobritzsch bei Freiberg in die Nähe der Gaststätte „Goldener Löwe“. Die Lokalität wird von AfD bis PEGIDA für Netzwerktreffen genutzt. Auch hier wurde wieder über rechte Strukturen in Form völkischer Siedler*innen vor Ort informiert.

Zweite Station des Tages waren die Gedenkbäume in Zwickau, die für alle vom NSU Ermordeten gepflanzt wurden. Alle Taten begann der NSU aus Sachsen heraus, das Kerntrio lebte in Chemnitz und Zwickau und war umgeben von einem Netzwerk an Unterstützer*innen3 . Strukturen, die bis heute aktiv und präsent sind. Verlesen wurden drei Redebeiträge über das Leben als Antifaschist*in in Zwickau, den NSU und die Neonazi-Partei „Der III. Weg“, sowie über den jüngst geleakten „NSU-­Geheim­bericht“4 . Vor Ort fiel auf, dass der einzig geschmückte Gedenkbaum der für die vom NSU getötete Polizistin war.

Danach ging es ins erzgebirgische Schwarzenberg in die Räume des Hausprojekts „Unanbeatbar“. Hier gab es zwei Vorträge der lokalen Gruppe „Spektrum 360°“. Einer zur Geschichte des Hauses, der Hausdurchsuchung der Polizei im April und der Demonstration im August 2022. Der zweite Vortrag gab Einblicke in die rechten Strukturen im Erzgebirge. Abschließend entstand noch ein Soli-Bild, mit dem für die Kundgebung in Gedenken an die Ermordeten des NSU am 5. November 2022 in Zwickau mobilisiert wurde.

Ausblick

Unser Ziel, wieder antifaschistische Akzente in Sachsen zu setzen und Neonazis in ihren Wohlfühlzonen aufzusuchen, haben wir erreicht. Jene Neonazis, die seit Jahren die Strukturen für rechte Gewalt und dauerhafte Straßenpräsenz bilden. Wir wollten von der Stadt wieder ins Hinterland fahren, zu Orten, in denen wir zum Teil selbst noch nicht waren und wo es bisher keine antifaschistischen Aktivitäten gab. Wir wollten lokale, linke Strukturen stärken, wieder zueinander finden und in einen Austausch treten. Zufrieden blicken wir auf die Fahrten zurück und planen bereits weitere. Wir würden uns freuen, wenn das Konzept „antifaschistische Kaffeefahrt“ Nachahmer*innen findet, nicht nur in Sachsen.