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Antifa in Bewegung?

Einleitung

»Antifa, wie weiter?« lautete der Titel eines AIB-Artikels zu »Rückblicken und Ausblicken« auf die antifaschistische Bewegung im Frühjahr 2000. Angesichts des wenige Monate später ausbrechenden »Aufstands der Anständigen« und dessen Folgen auf die Antifabewegung sowie angesichts der herrschenden Zustände, der Selbstauflösung der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) im vergangenen Jahr und des kaum noch handlungsfähigen Bundesweiten Antifa-Treffens (BAT) stellt sich diese Frage dringender denn je. Im folgenden wollen wir einige Thesen zum Stand der Bewegung zur Diskussion stellen - in der Hoffung, damit eine Diskussion über die Perspektiven antifaschistischer Praxis anzuregen. Dieser Artikel ist der Auftakt für eine Serie, die im AIB Nr. 57 mit einem Artikel zum BAT fortgesetzt werden soll. Im Folgenden beschränken wir uns auf die Entwicklungen in den letzten zwei Jahren.

Der »Aufstand der Anständigen« traf die Antifa-Bewegung weitgehend unvorbereitet und in einer Situation, in der viele Gruppen und EinzelaktivistInnen mit der alltäglichen Arbeit schon überfordert waren. Als unmittelbare Reaktion auf den »anständigen Sommer« zeichneten sich mehrere Tendenzen ab: Die einen versuchten, mit möglichst viel Rechercheinformationen und Medienarbeit das gesteigerte Interesse von JournalistInnen zu bedienen. Das hatte scheinbar zunächst durchaus Vorteile: Einerseits konnte man das Definitionsmonopol staatlicher Sicherheitsbehörden in Bezug auf Rechtsextremismus lokal und auch überregional erfolgreich in Frage stellen. Einige Gruppen konnten sich als kompetente Ansprechpartner für JournalistInnen etablieren.

Damit einher ging jedoch oft eine Anpassung an die Mechanismen des Medienbetriebs, der nach immer exklusiveren Informationen und immer ungewöhnlicheren »Fällen« verlangt. Viele ehrenamtlich arbeitende Antifa-Initiativen gerieten dabei an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Hinzu kommt, dass eigene politische Inhalte und Positionen beim reinen Informationszufüttern für bürgerliche Medien oft kaum vermittelbar sind und dass nicht alles »Anfüttern« auch eingebettet in eigene politische Strategien ist. Die zweite Tendenz ist um einiges fataler für die Antifa-Bewegung. Nämlich die Bereitschaft vieler antifaschistischer Gruppen, die Lippenbekenntnisse zu »Zivilcourage« und staatliche Maßnahmen gegen Rechts, vor allem im Bereich der Repression, mit antifaschistischem Engagement zu verwechseln.

Aus der Erkenntnis heraus, dass Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus aus der gesellschaftlichen Mitte kommen und sowohl PolitikerInnen als auch Sicherheitsbehörden im Zweifel »den Feind in diesem Land« immer noch von Links wittern, hätte eigentlich allen klar sein können, dass ein nahezu erleichtertes »Abdeligieren« des Kampfs gegen Rechts an staatliche Organe bestenfalls eine Selbsttäuschung bedeutet. Schlimmstenfalls stellt es eine Kapitulation vor der eigenen Verantwortung dar. Eine dritte Tendenz besteht darin, aus Angst um die eigene (Verbal)-Radikalität und in Abgrenzung zum Zivilgesellschafts-Einheitsbrei unter dem Label »Antifa« eine Antifa-Bewegung ohne Anti-Nazi-Aktivitäten zu propagieren. Die vierte Tendenz, die sich mit den Nachwehen des »anständigen Sommers« abzeichnete, war und ist, auf den zunächst mit ICE-Geschwindigkeit anrollenden Zug der Zivilgesellschaft aufzuspringen und zumindestens für die eigene Initiative einen Teil vom Kuchen der staatlichen Förderung zu sichern. Mit der Entscheidung der Bundesregierung, das sogenannte CIVITAS-Programm einzurichten, begann eine Entwicklung, die die antifaschistische Bewegung nachhaltig verändert hat.

Die CIVITAS-Sackgasse

Schlechtes Geld stinkt nicht, wenn man es im eigenen Sinn einsetzen kann, lautete das Motto, mit dem viele Initiativen in den neuen Bundesländern Anträge beim CIVITAS-Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellten. Tatsächlich führt das Programm, das ausschließlich Initiativen und Vereine in den fünf neuen Bundesländern und in Berlin fördert, zu einem ganz neuen Ost-West-Gefälle innerhalb der Antifa-Bewegung. Unabhängige Antifa-Initiativen in den alten Bundesländern waren und sind von dem staatlichen Geldsegen beinahe vollständig abgekoppelt. Die meisten arbeiten unter den Bedingungen der 90er Jahre: Kaum eigene Büros, ständiger Geldmangel, geringe gesellschaftliche Akzeptanz und Außenwirkung.

Demgegenüber fanden sich viele antifaschistische Initiativen im Osten vor einem völlig anderen Dilemma wieder. Auf der Suche nach »zivilgesellschaftlichen AnsprechpartnerInnen«, die im Osten nach wie vor noch dünner gesät sind als im Westen, begannen Medien und ums Image ihrer Standorte besorgte KommunalpolitikerInnen, auf die bis dato als »NestbeschmutzerInnen« ausgegrenzten Antifas zuzugehen. Viele Antifa-Gruppen sahen darin vor allem neue Möglichkeiten - der Einflussnahme auf kommunale Politik, Freiräume für alternative und nichtrechte Jugendkulturen zu schaffen und der Hegemonie der extremen Rechten effektiver entgegen treten zu können. Aus antifaschistischen Zusammenhängen wurden eingetragene Vereine, denn nur so bekommt man Zugang zu institutionellen und staatlichen Fördertöpfen wie CIVITAS und ETIMON.

Plötzlich schienen eigenes politisches Engagement und die individuelle Existenzsicherung kompatibel. Doch der damit einhergehende Professionalisierungsschub und die Verlockungen der Zivilgesellschaft haben neben vielen positiven Effekten für die Antifa-Bewegung vor allem in ländlichen Regionen auch eine Reihe von negativen Folgen: In dem Bemühen, sich den Politikformen der Zivilgesellschaft anzupassen, haben sich viele CIVITAS-Projekte, die als antifaschistische Initiativen begannen, vom potenziellen Nachwuchs immer mehr entfernt. Anstatt die Energien für den Aufbau der eigenen antifaschistischen Strukturen einzusetzen, macht man/frau LehrerInnenfortbildungen. Oder sitzt in Bündnissen, die den Zusatz »gegen Rechts« längst eingetauscht haben gegen das Label »gegen Extremismus und Gewalt« und berät KommunalpolitikerInnen, deren Bereitschaft, sich auf die Seite der Opfer rechten Terrors zu stellen, in dem Maße abgenommen hat, wie der öffentliche Druck nachlässt.

Der Backlash

Knapp zwei Jahre nach dem »anständigen Aufstand« lässt sich vor allem eins feststellen: Engagement gegen Rechts und Rassismus ist für weite Teile der Medien und PolitikerInnen längst wieder unsexy geworden. Sowohl CIVITAS-geförderte Projekte als auch unabhängige antifaschistische Initiativen sehen sich mit einem Backlash auf allen Ebenen konfrontiert: Die Sicherheitsbehörden haben die Gegenoffensive eingeläutet und versuchen, ihre Definitionsmacht in Sachen »Extremismus« um jeden Preis zurückzuerobern. Die Ministerialbürokratie, der die vielen, im Rahmen von CIVITAS geförderten, wuseligen Projekte von Anfang an suspekt waren, sichert sich in Wahlkampfzeiten nach allen Seiten ab und bereitet sich insgeheim auf einen CDU/CSU-Regierungswechsel vor.

Das bedeutet beispielsweise, dass in diesem Jahr Projekte, die sich »antifaschistisch« nennen, keine Chance mehr auf eine Förderung durch CIVITAS haben. Gefördert werden stattdessen - wesentlich angeschoben durch die Stiftung Demokratische Jugend, die gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung die Projekte betreuen soll - immer mehr »unpolitische Projekte« und die großen Wohlfahrtsverbände, die so nach dem Ende von AgAG1 ihre Konzepte der akzeptierenden Glatzenpflege auf Staatskosten durch die Hintertür weiter betreiben. Das CIVITAS-Programm verkommt zu einem Feigenblatt der rotgrünen Regierung, die ohnehin kein Interesse daran hatte, ihre schärfsten KritikerInnen auch noch finanziell zu fördern - dies jedoch mangels zivilgesellschaftlicher Alternativen im ersten Jahr von CIVITAS tun musste.

Besonders bitter ist diese Entwicklung für die wenigen verbliebenen explizit parteiischen Projekte zur Unterstützung von Opfern rassistischer und rechter Gewalt, die durch CIVITAS gefördert werden. Ihnen droht - nachdem sie gerade ein knappes Jahr Zeit hatten, um Strukturen aufzubauen - für das kommende Jahr die Streichung von Sach- und Personalkosten. Dies ist verbunden mit der Aufforderung, sich um Ko-Finanzierung durch die Länder zu kümmern. Eine absurde Forderung angesichts der politischen Verhältnisse vor Ort und angesichts leerer Kassen, die das Scheitern der Opferprojekte ganz bewusst einkalkuliert.

Was im Falle eines Wahlsiegs von CDU/CSU mit CIVITAS geschehen wird, kann man derzeit in Sachsen-Anhalt sehen: Dort hat die neue CDU/FDP-Koalitionsregierung als eine der ersten Amtshandlungen dem Verein Miteinander e.V. ab 2003 jegliche Landesförderung gestrichen. Im Fall eines Wahlsiegs von Rot-Grün sind die Aussichten unwesentlich besser: Dann wird sich der Trend hin zur Förderung unpolitischer »Trommelprojekte gegen Rechts« fortsetzen. Bislang haben sich unabhängige AntifaschistInnen mit öffentlicher Kritik an CIVITAS-geförderten Projekten sehr zurückgehalten. Zum einen, weil sie als BündnispartnerInnen angesehen wurden und werden. Zum anderen, weil es in Zeiten, in denen konservative Kräfte zur Gegenoffensive übergehen, nicht sonderlich opportun scheint, öffentlich über als falsch erachtete Konzepte zu streiten.

Wir haben uns entschieden, dieses Schweigen im Fall des »Mobilen Beratungsteams (MBT) für Demokratieentwicklung und Extremismusverhütung« der Evangelischen Akademie Mecklenburg-Vorpommern zu brechen. Nach Aussagen von Betroffenen hat sich ein Mitarbeiter dieses MBTs bis zu seinem Arbeitsantritt beim MBT vor allem als freiwilliger Hilfspolizist in Leipzig durch willkürliche, von rassistischen Kriterien geprägte Kontrollen und Vernehmungen von AsylbewerberInnen aus arabischen Ländern profiliert. Ein derartiges Verhalten ist untragbar. Davon abgesehen haben die meisten MBTs - bis auf wenige Ausnahmen - wenig bis gar nichts zur Stärkung einer antifaschistischen Gegenkultur beigetragen, sondern sind als Imageberater für Kommunen oftmals aktiv daran beteiligt, außerparlamentarische Initiativen linker Jugendlicher bestenfalls auf den Boden des Parlamentarismus zu führen und sie schlimmstenfalls als »zu links« zu diskreditieren.

Unvorbereitete Antifas

Der rechte Rollback auf allen Ebenen trifft viele unabhängige Antifas unvorbereitet. Die Streicheleinheiten der Zivilgesellschaft haben vielerorts dazu verleitet, Strukturen offen zu legen, die nicht an die Öffentlichkeit gehören und Sicherheitsaspekte bei der eigenen Arbeit zu vernachlässigen. Aber auch der Zusammenbruch einer überregionalen Organisierung hat die Antifabewegung dramatisch geschwächt. Unzählige Internetseiten, subjektive, alle Sicherheitskritieren und Ideen von Kollektivität außer Acht lassende Aktionsbeschreibungen z.B. bei Indymedia sind ein schlechter Ersatz für gemeinsame, überregionale Diskussionen, Analysen und durchdachte Kampagnen. Bei aller Kritik an der AA/BO und dem BAT halten wir eine persönliche, an Strukturen und Gruppen orientierte Vernetzung von unabhängigen AntifaschistInnen für überlebensnotwendig und begrüßen jegliche Ansätze für regionale und bundeslandweite Vernetzungen ausdrücklich.

Damit einhergehen muss eine genaue Analyse bisheriger Bündnisarbeit. Als AIB haben wir in den letzten fünf Jahren zu denjenigen gehört, für die das Engagement unabhängiger Antifas in breiten gesellschaftlichen Bündnissen eine Voraussetzung antifaschistischer Arbeit darstellte. Grundsätzlich gibt es keinen Anlaß, von dieser Position abzurücken. Wir halten es aber für dringend notwendig, in diesen Bündnissen ein eigenes politisches Profil zu bewahren und immer wieder zu reflektieren, wann die eigene Schmerzgrenze überschritten ist. Die Attraktivität und Stärke einer unabhängigen linksradikalen Antifabewegung kann nur dann bewahrt werden, wenn wir unsere Inhalte authentisch vermitteln und ein antifaschistische Selbstverständnis und eine Praxis haben, die selbstbewußt genug sind, auf eigene Aktionsformen wie militanten Selbstschutz zu bestehen.

Eine weitere Säule antifaschistischer Politik ist in den letzten Jahren die Bildungsarbeit mit allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen geworden Grundsätzlich halten wir dies für sinnvoll, plädieren aber für eine Veränderung des Schwerpunkts: Anstatt nach dem Gießkannenprinzip das Wissen der eigenen Projekte zu verschleudern, sollte die Priorität in der Weiterbildung, Schulung und Stärkung eigener Strukturen und interessierter Jugendgruppen liegen. Das bringt weniger Geld und Prestige, erhöht aber nachhaltig die Handlungsfähigkeit einer antifaschistischen Bewegung, die sich in den letzten drei Jahrzehnten - wie viele andere linksradikale Bewegungen auch - alters-, organisations- und schwerpunktmäßig stark ausdifferenziert hat. Eine Antifa-Bewegung, die diese Differenzen - zwischen 16jährigen Punks in Magdeburg-Olvenstedt und 40jährigen Politologen in Berlin - aushält, konstruktiv um Erfahrungen, Analysen, Strategien und Ziele streitet und zu ihren subkulturellen Wurzeln und ihrer breiten Palette von Aktionsformen und Handlungsmöglichkeiten steht, kann sich selbstbewusst den Herausforderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen stellen.

  • 1AgAG steht für »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt«. Siehe AIB # 21. März/April 1993