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Alte Liebe rostet nicht

Björn Resener
Einleitung

Es war sehr frisch und nieselte am Morgen des 9. Februar 2009 in Rom. Den jungen Faschisten, die vor dem Wandbild mit dem Keltenkreuz eine Ehrenwache hielten, schien das jedoch nichts auszumachen. Sie störten sich vielmehr an den Journalisten, die in die Viale Libia gekommen waren. Schnell trat ein kräftig gebauter Mittvierziger an diese heran und erklärte, dass keinerlei Aufnahmen vom Gedenken gemacht werden dürften. 

Roms Bürgermeister Giovanni Alemanno mit Liliana di Nella, der Mutter des verstorbenen Neonazis Paolo di Nella am 9. Februar 2009 in Rom.

Der Mann, der sich nicht vorstellte und unverzüglich Rückendeckung von einem halben Dutzend junger Schläger bekam, heisst Luca Malcotti. Er war Repräsentant der Alleanza Nazionale (AN) und ehemaliges Ratsmitglied im Campidoglio, dem römischen Abgeordnetenhaus, eine Person also, die der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig sein sollte. Doch auch der für die Kundgebung verantwortliche Einsatzleiter der Polizei kümmerte sich nicht um die Pressefreiheit. Er vermutete, dass viele Teilnehmer die Volljährigkeit noch nicht erreicht haben, weswegen sie vor Kameras zu schützen seien, während sie Blumen und Kränze vor dem riesigen Schriftzug niederlegen.

»Paolo vive« steht dort geschrieben. Eine Hommage an Paolo di Nella, den Aktivisten der neofaschistischen MSI1 Jugendorganisation Fronte della Gioventù, der 1983 nach einer Auseinandersetzung mit Unbekannten verstarb. Neben den Schriftzug wurde ein Keltenkreuz gemalt, von einem Schild mit Kerbe umrahmt, wie es bei den Wappen der Waffen-SS Verbände üblich war.

Im »Afrikanischen Viertel« Roms, dessen Straßen nach den ehemaligen, afrikanischen Kolonien Italiens benannt sind, ist das Wandbild nicht der einzige Gedenkort für den neofaschistischen  »Märtyrer«. In einem Park, unweit der Kundgebung, ist sogar eine Straße nach ihm benannt.

Dort, vor dem Straßenschild der Viale Paolo di Nella, das sich auf einem kleinen Hügel befindet, hatten festlich gekleidete Polizisten einen Kranz aufgestellt. »Bürgermeister von Rom« stand auf der Schleife. Sie war der Vorbote seines gut inszenierten Auftrittes. Allzu eindeutige Szenen, wie einen Monat zuvor, beim Gedenken für die »Märtyrer« von Acca Larentia, sollten dieses Mal nicht passieren. Sich inmitten von hunderten, den »römischen Gruß« zeigenden Neofaschisten wiederzufinden, die Scherpe des Stadtherren um den Torso gebunden, brachte Giovanni Alemanno doch ein wenig in Verlegenheit. Gegen elf Uhr Vormittags traf er also am Ort des Geschehens ein und wurde von Liliana di Nella, der Mutter des Verstorbenen, empfangen. Hier durften Aufnahmen gemacht werden und ein halbes dutzend Kameramänner fotografierten die Umarmungen und Beileidsbekundungen für den vor 26 Jahren verstorbenen Paolo. Die Herzlichkeit war nicht gespielt, denn der heutige Bürgermeister war mit dem Toten befreundet. Eine »solide und private« Freundschaft soll es laut Alemanno gewesen sein, die ihn bis heute dazu bewegt, den Keltenkreuz-Anhänger des Verstorbenen um den Hals zu tragen.

Die beiden Freunde verband aber auch das gemeinsame Engagement in der neofaschistischen Fronte della Gioventù, das nicht selten gewalttätige Züge annahm. Schon 1981 wurde Alemanno erstmals verhaftet. Ihm und einigen seiner Kameraden wurde vorgeworfen, einen Studenten mit Eisenstangen krankenhausreif geschlagen zu haben. Ein Jahr später bekam er eine Anzeige, weil er einen Brandsatz gegen die Botschaft der Sowjetunion geworfen haben soll. Und selbst noch 1989 wurde er bei Aktionen gegen den Besuch des amerikanischen Präsidenten noch einmal festgenommen.

Seiner Karriere haben die Gewalt und die acht Monate Gefängnis, die er nach dem Angriff auf die sowjetische Botschaft absitzen musste, keineswegs geschadet. Von 1988 bis 1991 war er Vorsitzender der Fronte della Gioventù. 1990 wurde er für die MSI in den Regionalrat von Lazio gewählt. Und als Alemanno 1994 die Umbenennung der MSI in Alleanza Nazionale mitmachte, die die italienische Rechte vom Image der Mussolini-Nostalgiker befreien sollte, wurde er noch im selben Jahr ins italienische Abgeordnetenhaus gewählt.

Schon 1992 hatte er Isabella Rauti geheitratet, die Tochter des MSI-Gründers Pino Rauti, der auch die Ordine Nuovo aus der Taufe hob, die in den 1960er Jahren in tödliche Bombenanschläge verstrickt war.

So änderte sich an Alemannos politischer Linie auch nach der Umbenennung der MSI nichts. Die Rechtsterroristen der »bleiernen Jahre«2 versuchte er auch weiterhin in die Parteistrukturen einzubinden. Als er 2001 in der zweiten Regierung Berlusconi zum Agrarminister wurde, machte er beispielsweise Giuseppe Dimitri zu seinem Berater.

1978 gründete dieser zusammen mit Gabriele Adinolfi (siehe AIB 79: »Neofaschistischer Vormarsch«) und Roberto Fiore3 , die sich antikapitalistisch gebende, neofaschistische Terza Posizione. Gleichzeitig war er bei den Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR), einer rechtsterroristischen Parallelstruktur, auf deren Konto mindestens 33 Morde und der bis heute nicht restlos aufgeklärte Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna gehen, bei dem 85 Menschen starben. Als 2006 auch Dimitri bei einem Autounfall starb, erwiesen ihm nicht nur alte Kameraden wie Adinolfi die letzte Ehre. Auch Alemanno war einer der Sargträger.

Doch Dimitri sollte nicht der letzte Protagonist der außerparlamentarischen Rechten sein, dem Alemanno Posten und Ämter verschafft. So wurde beispielsweise Antonio Lucarelli zum Chefsekretär des neuen Bürgermeisters. Dieser war in den 1990er Jahren Aktivist bei der klerikalfaschistischen Forza Nuova. Zwischen Juli 1998 und September 1999 beteiligte Lucarelli sich zudem an der ersten neofaschistischen Hausbesetzung in Rom, dem Spazio Libero Portaperta. Und noch bis 2004 war er Pressesprecher von Base Autonoma, dem in Rom weiter bestehenden Ableger des gleichnamigen, elf Jahre zuvor aufgelösten, neonazistischen Netzwerks.

Movimento Politico, die römische Sektion dieses Netzwerks sorgte Anfang der 1990er Jahre mit dem Kleben von gelben David-Sternen auf die Geschäfte von Juden für Aufsehen. Damit hatten sie sich nicht nur den militanten Arm der jüdischen Gemeinde Roms zu Gegnern gemacht, der ihr Lokal zerstörte, sondern auch das Gesetz. Mit dem 1993 in Kraft tretenden Mancino-Gesetz, das das Anstiften zu rassistischer Gewalt und Diskriminierung verurteilt, wurden fast alle Sektionen von Base Autonoma verboten. Einzig die Veneto Fronte Skinheads (VFS)4 konnten sich dem Verbot entziehen, andere umgingen es durch Umbenennung.

Auch Lucarelli war bei der bürgermeisterlichen Gedenkzeremonie für Paolo di Nella vor Ort. Und im letzten Moment tauchte wieder Malcotti auf. Eine Hand voll junger Faschisten, allesamt Anhänger der AN-Jugendorganisation Azione Giovani hatte er aus der Viale Libia mitgebracht. Sehen und gesehen werden. Ein weiteres Stelldichein der etablierten, neofaschistischen Rechten in der italienischen Hauptstadt.

Mit der Ende März erfolgten Vereinigung von Alleanza Nazionale, der Berlusconi Partei Forza Italia und einigen Kleinstparteien zum Popolo della Libertà, ist die neofaschistische Rechte jetzt ganz offiziell Teil der stärksten Partei Italiens. Und ihre Rolle ist keineswegs Marginal. Giovanni Alemanno zählt nach Gianfranco Fini und natürlich Silvio Berlusconi zu ihren Hauptakteuren. Und auch Luca Malcotti hat als römischer Vize-Koordinator der neuen rechten Einheitspartei einen wichtigen Posten bekommen.

  • 1Movimento Sociale Italiano – 1946 gegründete Sammlungspartei der italienischen Faschisten
  • 2Gemeint sind die vom bewaffneten Kampf und Staatsterrorismus gekennzeichneten späten 60er und 70er Jahre
  • 3Gründer und Vorsitzender von Forza Nuova, die gute Kontakte zur NPD unterhalten
  • 4Anmerkung der Redaktion: Der Vorsitzende der VFS, Giordano Caracino, soll nach Informationen aus Sicherheitskreisen zeitweilig eine persönliche Freundschaft zu dem deutschen Neonazi-Funktionär Ralf Wohlleben gehabt haben. Dieser war einer der Organisatoren der jährlich stattfindenden Neonazi-Veranstaltung "Fest der Völker" in Jena.