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Alles »Stumpfe« steht im Sturm. Die NPD nach dem Verbotsantrag

V.l.n.r. Horst Mahler, Franz Schönhuber und Udo Voigt bei einer Pressekonferenz "Ja zu Deutschland - Ja zur NPD" im September 2000.

Mit mehr als dreißigjähriger Verspätung soll die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) nun verboten werden. Das langwierige Verfahren hätte der Öffentlichkeit bereits vor Jahren erspart werden können. In der ersten Hälfte der 90iger Jahre schuldete die NPD der Bundesrepublik mehrere Millionen DM. Diese stammten aus Vorauszahlungen auf zu erwartende Wahlkampfkosten- rückerstattung. Hätte Rita Süssmuth, damals Bundestagspräsidentin und Verantwortliche für die staatliche Parteienfinanzierung, auf einer sofortigen Rückzahlung der Schulden bestanden, wäre die NPD ohne Aufsehen als Konkursmasse untergegangen. Außer einer Handvoll Parteifunktionäre hätte wohl kaum jemand ernsthaft Notiz davon genommen. Seitdem hat die NPD jedoch einen Format-Wechsel vollzogen. Ihr Stellenwert für die deutsche NS-Szene hat wieder zugenommen. Ein Verbot würde größere Veränderungen in diesem Spektrum nach sich ziehen.

Geburtsstunden einer Nachfolgeorganisation

Um die Wirkung einschätzen zu können, ist ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der NPD notwendig, auf ihr Selbstverständnis und die Position, die sie im NS-Spektrum einnimmt. In ihrer besten Zeit um 1969 hatte die Partei 28.000 Mitglieder. Im gleichen Jahr verfehlte sie mit 4,3 Prozent nur knapp den Einzug in den Bundestag. Ein Misserfolg, der ihr bis heute anhängt, aber auch ein Ergebnis, das über Jahrzehnte das Selbstverständnis von »der nationalen Wahlpartei« mit alleinigem Führungsanspruch geprägt hat. Die Geschichte der NPD ist sowohl Spiegelbild als auch immer wiederkehrender Ausgangspunkt für die Misere deutscher Nachkriegs-Nazis.

Ihr großes Trauma besteht in der reellen politischen Bedeutungslosigkeit durch die fehlende parlamentarische Verankerung. Der Ruf nach parlamentarisch-politischem Erfolg durch die »Einigung rechter Kräfte« ist darum älter als die NPD. Nach dem 1952 erfolgten Verbot der 10.000 Mitglieder starken »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) und der Selbstauflösung der »Deutschen Reichspartei« (DRP) wurde 1964 die NPD gegründet. Sie wurde als Wahlpartei des neofaschistischen Rands konzipiert, sollte jedoch auch breitere Kreise ansprechen. Seitdem hat die Partei die Rolle einer konstanten, legalen Organisation und repräsentiert die Hoffnung, parlamentarisch irgendwann wieder mitspielen zu können.

Aus »Raider« wurde »Twix«

Das Spektrum des offenen Neonazismus, welches sich heute in »Freien Kameradschaften« formiert, hatte in den 70iger Jahren seine Geburtsstunde in der NPD. Von der Partei enttäuschte Kreise gründeten offen auftretende Nazi-Gruppen wie etwa die »illegale NSDAP« oder die »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten« (ANS/NA) um Michael Kühnen. Im Gegensatz zur NPD setzten diese sogenannten »Neo-Nazis« auf den Aufbau einer NS-Bewegung, die ohne den parlamentarischen Umweg der NS-Ideologie zum Durchbruch verhelfen will.

Aus Sorge, den Anschluss zu verpassen, begann die NPD ab 1991 auf das offene NS-Spektrum zuzugehen. Ihr jetziger Vorsitzender Udo Voigt und sein Vorgänger Günter Deckert proklamierten den Wandel von der »Wahlpartei« zur »Kampfpartei«. Der Inhalt blieb nahezu gleich, durch die Konzeptänderung wurde jedoch mehr Wert auf Aktionen mit erlebnispädagogischem Charakter gelegt, etwa in Form von Aufmärschen, etwa in Form von Aufmärschen, als auf langweilige Debatten über Abstimmungsformalien. Zulauf gibt es vor allem unter Jugendlichen.

Nach den Verboten der FAP, der NF und anderer Organisationen fanden viele Kader den Weg zur NPD. Mit Großveranstaltungen wie dem »Tag des Nationalen Widerstandes« 1998 und 2000 versuchte sie, sich an die Spitze der »NS-Bewegung« zu setzen. Eingefangen hat sich die NPD so einen Konflikt, der bereits vor dem Verbotsantrag abzusehen war und heute unter Repressionsdruck kaum mehr zu überbrücken ist. Einerseits muss sie sich in der Öffentlichkeit als Organisation darstellen, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, und andererseits möglichst »radikal« erscheinen, um nicht den wiedergewonnenen NS-Anhang zu verlieren. Dieses Dilemma prägt die Reaktionen auf das drohende Verbot sowohl innerparteilich als auch von außen durch die »Neo«-Nazi Szene.

Mit gespaltener Zunge

Für den 25. November 2000 mobilisierte die NPD unter dem Slogan »Argumente statt Verbote« zu einem Aufmarsch nach Berlin. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung in der NS-Szene. Nach Verlautbarungen der NPD-Parteizeitung »Deutsche Stimme« hatte der Kreis um das »Norddeutsche Aktionsbüro« des Hamburgers Christian Worch »viele Kameraden für einen bewußten Boykott der Veranstaltung angesprochen«. Die NPD sollte »allein im Regen stehen« gelassen werden, um  ihr »einmal die Grenzen« aufzuzeigen. Der Parteivorsitzende Udo Voigt stellte daraufhin fest, dass sich »in stürmischen Zeiten die Spreu vom Weizen trenne und nunmehr ein Trennstrich zu jenen gezogen werden müsse, die nicht gewillt sind, persönliche Interessen in den Hintergrund zu stellen und die NPD offensichtlich nur zu instrumentalisieren suchten.«

Gleichzeitig wollten es sich die Nationaldemokraten aber auch nicht mit ihrem Umfeld verderben. In einem Artikel unter der Überschrift »Gemeinsam kämpfen«1 wurde Frank Schwerdt, Mitglied des NPD-Parteivorstands zitiert: »So richtig es ist, dass die Partei Bewegung braucht, so braucht die Bewegung auch eine Partei.« Schwerdt ehemals an führender Stelle bei den »Die Nationalen e.V.« aktiv, gilt als Integrationsfigur der NPD für die »Freien Kameradschaften«. Seine Position ist charakteristischfür den Teil der »Neo«-Nazi-Szene, der in der Wahlpartei einen wesentlichen Faktor für die politische Arbeit sieht.

»NPD-Verbot? Na und!« - Die »Revolutionäre Plattform«  

Unter dem Namen »Revolutionäre Plattform« (RPF) organisiert ein Kern von NS-Kadern diesen Flügel innerhalb der NPD. Steffen Hupka, einst Führungskader der verbotenen »Nationalistischen Front« und ehemaliger NPD-Schulungsleiter, trat als Sprecher der RPF auf. »Wir brauchen eine große Organisation, die zentral und bundesweit tätig sein kann, um effektiv arbeiten zu können – aus rein pragmatischen und logistischen Gründen. Jede andere Interessengruppe organisiert sich auch in Vereinen und Parteien«2 , fasste er die Position des offenen NS-Flügels innerhalb der NPD zusammen.

Hupka, der schon von 1980 bis 1983 als »Junger Nationaldemokrat« seine politische Sozialisierung in der NPD erfahren hatte, sollte aus der Partei ausgeschlossen werden. Ein Grund war die Veröffentlichung seiner ehemaligen Führungsposition in der NF, denn als Verbotsgrund wird u. a. angeführt, dass ehemalige Kader von verbotenen Neonazi-Gruppen in der NPD Ämter innehaben. Zudem offenbarte das Auftreten der RPF mit Sprüchen wie »NPD-Verbot? Na und!«3 ihr instrumentelles Verhältnis zur NPD. Ein Teil der NPD-Basis trug den Ausschluss jedoch nicht mit.

So beantragten die Kreisverbände Wismar und Nordmecklenburg die Neuwahl des Parteivorstands »(...) aufgrund seines Fehlverhaltens in der Verbotsdiskussion und des andauernden Fehlverhaltens in der Verbotsdiskussion«.4 In der Bundespartei war der Ausschluss Hupkas letztendlich nicht durchsetzbar. Problem der NPD-Führung ist jetzt, die verschiedenen Flügel zusammenzuhalten. Bisher gelang dies zumeist. So konnte die Demonstration am 25. November nach der Auseinandersetzung gemeinsam durchgeführt werden.

»Organisierter Wille braucht keine Partei«

Dies ist das Credo der »Freien Nationalisten«. »Innerhalb der NPD ist kein Platz für die Freien Nationalisten« ließ Worch verlauten. Zu wenig würde die Partei die herrschenden Bedingungenangreifen, und zu sehr hätte sie sich dem Zeitgeist angepasst. »Der Verbotsschiss scheint manchem Parteifunktionär bereits in die Hose gerutscht zu sein«, äußerte er nach der Reaktion des Parteivorstands, anlässlich der Verbotsdebatte keine Aufmärsche mehr durchzuführen. Aus taktischen Überlegungen bedient sich die Führungsclique um die Hamburger Christian Worch und Thomas Wulff aber selbstverständlich auch der NPD. So übernahmen die »Freien Nationalisten« am 11. November 2000 den schlewig-holsteinischen Landesverband der NPD.

Auf dem Landesparteitag in Tönning wurde der langjährige Vorsitzende Ingo Stawitz und der Landesvorstand abgewählt. Als Landesvorsitzender wurde Jürgen G., als Stellvertreter der wegen mehrerer Gewaltdelikte vorbestraften Peter Borchert und Jörn Lemke aus dem Kreis der »Freien Nationalisten« gewählt. Dem »reaktionären Treiben endlich ein deutlicher Schlag versetzt« und Stawitz von den »revolutionären Kräften abgesetzt« erklärte das »Aktionsbüro Norddeutschland«. Zwar rief der NPD-Bundesvorstand daraufhin den »organisatorischen Notstand« aus, suspendierte den neuen Landesvorstand und übergab dem als Parteisoldat bekannten Schäfer die Führung. Bei den durch die Anfechtung notwendigen Neuwahlen setzte sich mit Peter Borchert jedoch wieder ein Vertreter der »Freien Kameradschaften« durch.

Was wie ein Gerangel um Pöstchen aussieht, sind im Vorfeld des NPD-Verbots die ersten Stellungskämpfe der NS-Szene für die Zeit danach. Vertreter der »Freien« besetzen jetzt Strukturen der NPD. Im Verbotsfall besteht so die Möglichkeit, die Anhängerschaft in geordneten Bahnen in neue Strukturen zu überführen. Dabei interessiert es Worch auch nicht, wenn der Parteivorstand das Demonstrationsverbot wieder aufhebt. Er nutzt die Situation, um die Strukturen der »Freien« zu stärken. Die Situation in Norddeutschland ist exemplarisch.

Vorbereitungen für die Zeit nach dem Verbot

Auch in der NPD bereitet man sich auf die Zeit nach dem Verbot vor. »Wir werden uns nicht einfach auf die Schlachtbank führen lassen«, gibt Udo Voigt als Parole für das Verbotsverfahren aus. Der sächsische Landesverband gab bereits im August 2000 an die unterstellten Gliederungen die Weisung aus, sich wie folgt vorzubereiten: Alles potentiell belastende Material solle ausgelagert werden. Hierzu sei jeder Kreisverband aufgefordert, eine Art »Prioritätenliste« aufzustellen, aus der hervorgehe, welche Personen und Objekte als besonders gefährdet gelten. Ebenfalls solle der Landesverband und die »Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft« in Riesa intensiv daran arbeiten, das Parteivermögen auszulagern und somit vor einem staatlichen Zugriff zu sichern.

Durch den geplanten Verkauf z. B. des Schulungszentrums in Ehningen (Angebotspreis 2,1 Millionen) will die Partei Immobilienwerte flüssig machen. Darüberhinaus soll eine Struktur geschaffen werden, die nach Beginn der erwarteten »Verfolgungswelle« arbeitsfähig ist. Dabei geht es um einiges. Der NPD Rechenschaftsbericht von 1998 weist Einnahmen von knapp 4 Millionen D-Mark aus. Davon sind mehr als 2,5 Millionen Spenden. 587.116 D-Mark kommen aus der staatlichen Parteienförderung. Dank des erhöhten Spendenaufkommens erwartet die Partei für dieses Jahr von staatlicher Seite sogar eine Förderung von 1,16 Millionen. In Sachen Finanzierung, Geld und Parteispenden scheint die Partei in jüngster Vergangenheit dazugelernt zu haben. So spendete Erwin Kemna aus Ladeberg 1997 der Partei 23.550 DM.

Auffällig dabei: der Name Kemna trug für denselben Rechenschaftsbericht als Vorstandsmitglied Verantwortung. Als Auffangstruktur käme der vom Parteivorstand Ende Juni 2000 auf einer Geheimsitzung5 gegründete Schweizer Ableger infrage. Auch vor Ort werden bereits regionale Auffangstrukturen gebildet. Exemplarisch auch hierein Beispiel aus dem Landesverband Sachsen. In Dresden wurde ein formal unabhängiger »NPD«- Ordnerdienst gegründet, der auf einer Neonazi-Demonstration am 4. November in Berlin bereits als »Freie Kräfte Sachsens – Sektion Dresden« auftrat.

Was kommt, was bleibt?

Bis zur staatlichen Auflösung der NPD, die vor allem vom politischen Opportunitäts-Prinzip abhängt, wird die Partei versuchen, sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Eine so erzeugte »jetzt erst recht Stimmung« mit einhergehendem Solidarisierungseffekt bietet gute Voraussetzungen für eine Neugründung. Die Verbote von 23 »rechtsextremen« Organisationen seit 1980 haben ein Erstarken des Neofaschismus nicht verhindern können. Die Kader der verbotenen Gruppierungen waren regelmäßig nahezu ungehindert von staatlicher Repression in der Lage, Auffangstrukturen zu bilden.

»Neo«-Nazi Gruppen, wie die »Freien Kameradschaften« sind so einig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Auch bieten sie eine Reihe von geschulten Kadern, die in der Lage wären, organisatorische Aufgaben in einer neugegründeten NS-Wahlpartei zu übernehmen. Ein tatsächlicher Ersatz für die NPD wird so schnell nicht zu schaffen sein. Eine Option könnte aber im verstärkten Engagement für das »Bündnis Rechts« liegen. Das ursprünglich lokale Lübecker Bündnis hat inzwischen Landesverbände in Hamburg, Bayern, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg gegründet. In diesen arbeiten schon jetzt »Freie Kameraden« und NPD’ler zusammen.
 

  • 1Deutsche Stimme, Nr. 12/00; 1/01; Riesa; S.11
  • 2Junge Freiheit; Nr. 47/00; 17.11.00; Berlin
  • 3Rundbrief der Revolutionären Plattform, Nr. 2/00, S.5
  • 4Drucksache 5, S.1, Sachanträge zum außerordentlichen NPD Bundesparteitag
  • 5Der Spiegel; Nr. 32/2000; Hamburg; S.27