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„Wir wollten doch mal Männlichkeit abschaffen...“

"Prinzessin Lillifee" und "Hannah Montana" (Gastbeitrag)
Einleitung

Kritisch-solidarische Fragen an das Schwerpunktthema des "Antifaschistischen Infoblattes" (AIB) zu (fragiler) "Männlichkeit als rechtes Mobilisierungspotential".

Fragile Männlichkeit als rechtes Mobilisierungspotenzial

Spätestens seit Beginn der 1990er-Jahre waren feministische Interventionen in antifaschistischen Zusammenhängen kaum noch zu überhören: Quotierte Redelisten und Emo-Runden, die Gründungen von F*antifa-Gruppen und das Outing von Neonazi-Frauen sind nur einige Beispiele von Praktiken, die aus der Notwendigkeit einer feministischen Perspektive entstanden. Eine konsequente Auseinandersetzung mit patriarchaler Gewalt in antifaschistischer und linker Organisierung bleibt auch heute – im Jahr 2023 – unabdingbar. Dies zeigen nicht nur die zahlreichen Gewaltvorfälle der letzten Jahre innerhalb „der“ Szene, sondern – und das vielleicht noch viel deutlicher – der erschreckende und oftmals fahrlässige Umgang damit.

Umso mehr erfreut es unser feministisches Herz, wenn sich antifaschistische Publikationen wie das AIB mit Geschlechterdynamiken auseinandersetzen. Gleichzeitig wirft das aktuelle Schwerpunktthema „Fragile Männlichkeit als rechtes Mobilisierungspotenzial“ Fragen auf: Was meint fragile Männlichkeit? Ist diese sogenannte fragile Männlichkeit besonders anfällig für rechte Mobilisierung? Welche Männlichkeit ist aber nicht fragil? Wie ist die Verbindung zu rechter Mobilisierung? Und was war noch mal mit der Gesellschaft? Anhand dieser Fragen möchten wir kritisch-solidarisch ein paar Gedanken formulieren, die darauf abzielen, feministische Theorieproduktion als Teil f*antifaschistischer Praxis ernst zu nehmen.

Maßgeblich der australischen Soziologin Raewyn Connell (u.a. 1995) ist es zu verdanken, dass nicht nur in der Geschlechterforschung, sondern auch in breiten Teilen der linken Szene weniger von Männern und vielmehr von Männlichkeiten gesprochen wird. Zum einen wird hiermit ausgedrückt, dass eine Binnenhierarchie zwischen Männlichkeiten besteht – denken wir etwa an Männlichkeiten, deren Konstruktion auch durch rassistische Zuschreibungen, Klassenzugehörigkeit, Begehrens- und Sexualitätsstrukturen, geschlechtliches Selbstverständnis geprägt ist. Zum anderen ermöglicht die Verschiebung von Subjekten – Männer – zu Positionen im Geschlechterverhältnis – Männlichkeiten – eine Flexibilisierung und ein Loslösen von den konkreten Menschen zu einer abstrakteren Analyse. Somit ist beispielsweise kein Mann durch und durch in jeder Situation hegemonial männlich.

Das Sprechen von Männlichkeiten nimmt aber mitunter etwas absurde Formen und Spezifizierungen an. Wenn eine fragile Männlichkeit mit Connell in Abgrenzung zu einer hegemonialen Männlichkeit gedacht wird, wären folglich insbesondere Schwarze, working-class, schwule und trans*Männlichkeiten gefährdet rechts zu werden. Das ist aber offensichtlich falsch! Denn einerseits steht dies im ideologischen Kontrast zu extrem rechten Weltbildern, was allerdings die Personen, die diese Männlichkeiten verkörpern, nicht von vornherein vor extrem rechten Einstellungen bewahrt. Andererseits deckt es sich nicht ansatzweise mit Analysen von Tätern beispielsweise antifeministischer Terrorakte, um die zerstörerischste Form von Weiblichkeitsabwehr zu nennen.

Eben diese Abwehr wird in der Diskussion oft vergessen: Die „patriarchale Dividende“ besagt nach Connell, dass Männlichkeiten in welcher Form auch immer vom Patriarchat profitieren. Jede Männlichkeit stellt sich grundsätzlich in der Abgrenzung und Abwehr von Weiblichkeiten her. Ergänzend gilt diese Abgrenzung und Abwehr auch gegen Nicht-Binaritäten. Wenn wir also von Männlichkeiten sprechen, sprechen wir immer auch von Hierarchien erstens unter Männlichkeiten und zweitens grundsätzlich gegenüber Weiblichkeiten und Nicht-Binaritäten.

Bleiben wir beim antifeministischen Terror: Sind also etwa Breivik, Rodger und Co. die Prototypen einer fragilen Männlichkeit? Ist es gerade die Incel-Szene, über die wir sprechen, also über diese Typen, die sich selbst als hässlich verstehen, den Großteil ihres Lebens vor dem Rechner verbringen und die Schuld an ihrem sogenannten unfreiwilligen Zölibat den Frauen geben, die viel zu oberflächlich seien, um mit ihnen Sex zu haben? Aber wie passt das mit all den anderen Neonazis zusammen, die – ob im Anzug oder im „Thor-Steinar“-Hoodie – vor männlicher Dominanz nur so strotzen? Werden sie einfach über ihre nicht-fragile, also beständige Männlichkeit mobilisiert?

Aus diesen Fragen ergibt sich: Wenn es eine fragile Männlichkeit gibt, gibt es auch eine nicht-fragile. Doch spätestens, wenn wir uns von den abstrakten Männlichkeiten auf die Ebene der männlichen Subjektkonstitution, also der konkreten Mann-Werdung, bewegen, stellt sich die Frage: Welche männliche Subjektwerdung ist nicht von Brüchen und Konflikten geprägt? Ist nicht der Kern von Männlichkeit ihre Fragilität, ihre Konflikthaftigkeit, ihre Dominanz gegenüber anderen Männlichkeiten und allen Weiblichkeiten (und Nicht-Binaritäten), die aber immer wieder hergestellt werden muss und deshalb konstitutiv, also von Grund auf krisenhaft ist? Psychoanalytisch ausgedrückt: Heterosexuelle Männer befinden sich in einem dauerhaften Dilemma, da sie einerseits Frauen gerade in der Sexualität begehren und brauchen, aber diese Sexualität ihnen andererseits ihre Abhängigkeit vor Augen führt, weshalb sie den Ursprung dieser Abhängigkeit (Frauen) gleichzeitig zerstören wollen (für den deutschsprachigen Raum v.a. Pohl 2004).

Die argentinisch-brasilianische Anthropologin und Feministin Rita L. Segato (u.a. 2021) zeigt unter anderem, wie schon die Gründungsmythen verschiedener Gesellschaften diesen Mechanismus beschreiben. So ist es die Frau, die das Wissen und die (Reproduktions-)Macht innehat (etwa Eva, die den Apfel vom Baum der Erkenntnis besitzt), von welcher der Mann abhängig ist (Verführung) und die letztlich bestraft oder vernichtet wird (Verbannung aus dem Paradies zwar nicht durch Adam, aber durch einen männlichen Gott). Doch auch wem psychoanalytische und symbolische Ansätze suspekt sind, findet in einer Fülle anderer feministischer und/oder dekolonialer Überlegungen ähnliche Ergebnisse: Das in der Moderne geschaffene Bild eines autonomen, männlichen Subjekts ist eine Illusion, aber nach wie vor wirkmächtig. Die konstante Herstellung dieser Autonomie und das konstante Scheitern dieser Herstellung – Menschsein heißt immer auch Verletzlichsein – gipfelt in der Ablehnung bis hin zur Vernichtung des vermeintlich anderen, seien es FLINTA oder aufgrund verschiedener Herrschaftssysteme dominierte Männer.

Dieses (männliche) Dilemma kann die andauernde Allgegenwärtigkeit von Gewalt an femininen, feminisierten und dissidenten Körpern quer durch die Gesellschaft erklären. Die in den letzten Jahren deutlich zunehmenden Analysen zu Antifeminismus im Rechtsextremismus (Kováts / Põim 2015, Lang / Peters 2018, AK Fe.In 2019, Blum 2019, Haas 2020, Hümmler 2021) machen deutlich, dass rechte Akteuer:innen über Antifeminismus affektiv, thematisch und personell mobilisieren. Insofern ist Antifeminismus als Element rechter Ideologie zu verstehen.

Darüber hinaus beobachten wir die Inszenierung einer bedrohten und vermeintlich zu verteidigenden Männlichkeit, wie zuletzt im Kontext von Silvester 2022/23. Diese Inszenierung wird gerade von antifeministischen Akteur:innen immer wieder aufs Neue vorangetrieben. Wenn es mit der Bezeichnung fragile Männlichkeit also um dieses selbsterfundene Szenario geht, können wir mitunter damit etwas anfangen.

Doch machen Antifeminismus, (Hetero-)Sexismus, fragile und beständige Männlichkeiten weder vor der Gesamtgesellschaft, noch vor der Linken Halt. Auch hier wird etwa patriarchale Gewalt viel zu wenig ernst genommen. Mit der Spezifizierung von fragiler Männlichkeit verhält es sich, so unsere Vermutung, ähnlich wie mit der sogenannten toxischen Männlichkeit – das Augenmerk liegt zu stark auf einzelnen Männern oder männlichem Verhalten und zu wenig auf Strukturen, die zu einer bestimmten (Geschlechter-)Ordnung führen und durch gesellschaftliche Normen, Gesetze, Diskurse, et cetera gestützt werden.

Auch lässt sich etwas bissig die Frage stellen, welche Funktion die ständige Betonung einer „toxischen (oder prekären, fragilen, ...) Männlichkeit“ erfüllt, also ob es nicht auch darum geht, Dominanz, Gewalt und all das Unschöne, was Männlichkeit anhaftet, von sich selbst wegzuschieben. Anhand der Fülle von Transpis gegen „toxische Männlichkeit“ (O-Ton) zum 8. März 2022, stellte eine Genossin letzthin die entscheidende Frage: „Was ist hier eigentlich passiert? Wir wollten doch mal Männlichkeit abschaffen...“ Na klar geht es hierbei nicht um die einzelnen Subjekte – nicht Männer sollen abgeschafft werden, sondern die Attribute, die Männlichkeit im Subjektivierungsprozess begleiten und besonders die ihr eingeschriebene Weiblichkeitsabwehr.

Daran anschließend stellt sich diese Frage auch an die AIB-Redaktion, deren Auseinandersetzung mit Geschlechterdynamiken im Rechtsextremismus – und das ist bedauerlicherweise nach wie vor keine Selbstverständlichkeit – wir außerordentlich schätzen: Warum heißt dieser Schwerpunkt nicht einfach Männlichkeit als rechtes Mobilisierungspotenzial?

Zum Weiterlesen:

• AK Fe.In (2019): Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt. Berlin: Verbrecher Verlag.
• Blum, Rebekka (2019): Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Hamburg: Marta Press.
• Connell, R.W. (1995): Masculinities. Cambridge: Polity Press.
• Haas, Julia (2020): „Anständige Mädchen“ und „selbstbewusste Rebellinnen“. Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen. Hamburg: Marta Press.
• Hümmler, Lilian (2021): Wenn Rechte reden. Die Bibliothek des Konservatismus als (extrem) rechter Thinktank. Hamburg: Marta Press.
• Kováts, Eszter, und Maari Põim (2015): Gender as Symbolic Glue. The Position and Role of Conservative and Far Right Parties in the Anti-Gender Mobilizations in Europe. Budapest: FEPS. (https://library.fes.de/pdf-files/bueros/budapest/11382.pdf)
• Lang, Juliane und Ulrich Peters (2018): Antifeminismus in Bewegung - Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press.
• Pohl, Rolf (2004): Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen. Hannover: Offizin-Verlag.
• Segato, Rita Laura (2021): Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg. Wien/Berlin: Mandelbaum.