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„White Man March“

Einleitung

Neonazistische Allianzen in Großbritannien

Seit Monaten in sozialen Netzwerken angekündigt, fand am 21. März 2015 der „White Man March“ (WMM) im britischen Newcastle upon Tyne statt. Obwohl dem Aufruf nur knapp 100 Neonazis folgten, scheint sich in Großbritannien eine neue neonazistische Allianz zu bilden.

Anders als bei Demonstrationen der „English Defence League“ (EDL) waren die OrganisatorInnen bestrebt, ein klar rassistisches und neonazistisches Bild zu vermitteln und die Ideologie der „Überlegenheit der weißen Rasse“ zu propagieren. Waren es zu Beginn die islamophoben Sprechchöre der EDL, setzten sich später Slogans wie „Hitler was right“ oder „White Power“ durch, was von den VeranstalterInnen als Erfolg bewertet wurde.

Der „White Man March“ (WMM) ist Teil einer globalen aber marginalen Kampagne, deren ProtagonistInnen in rassistischen Verbänden wie der „Creativity Alliance“ in den USA zu finden sind. Diese riefen schon 2014 zu einem globalen Aktionstag unter dem Label WMM auf, zu dem es nur wenig Resonanz gab. Die Losung „Diversität: Ein Codewort für Mord und Totschlag an der weißen Bevölkerung“ ist der ideologische Kern und im Grunde die höchst mögliche Intensivierung des Rassismus. Nicht der „Volkstod“ ist ausschlaggebend, sondern die Angst vor der „Vermischung der Rassen“ bzw. dem „Aussterben der weißen Rasse“. Es scheint, als würden David Lanes „14 Words“1 eine Renaissance erleben.

„National Action“ — von der Uni auf die Straße

Maßgeblich verantwortlich für den WMM in England ist die seit Mitte 2013 agierende Gruppe „National Action“ (NA). Enttäuscht von etablierten extrem rechten Parteien wie der „British Nati­onal Front“ (BNP), unvereinbar mit der „israel-solidarischen“ Ausrichtung der EDL und enttäuscht von den „nicht schlagkräftigen“ Verbänden „Blood & Honour“ (B&H) und „National Front“ (NF) setzt sich die Gruppe aus jungen frustrierten AktivistInnen der genannten Organisationen zusammen. Es war ein langer Weg durch rechte Verbände inklusive physischer Auseinandersetzungen2 , bis die NA eine Basis vorweisen konnte.

Deren Gründer Benjamin Raymond und Alex Davies, beide Anfang 20, lernten sich in sozialen Netzwerken kennen, diskutierten über den Stand der Bewegung und kamen zur Einsicht, dass es der britischen Rechten an Schwung und „Reinheit“ fehle. Raymond, ein rechter Intektueller, war bereits vor der NA federführend in der „Integralist Party“, die sich an der französischen „Action française“ orientierte3 . Der ideologische Ursprung des gescheiterten Philosophie-Studenten Alex Davies ist in neu-rechten Diskussions-Zirkeln wie dem „London Forum“ und „New Right“ zu finden. Auch Ansätze des „Nationalen Anarchismus“ beeinflussten die Beiden. Blickt man auf die Website der NA, trifft man dort auf national-revolutionäres Gehabe und auf historischen Nationalsozialismus, verpackt im modernen Gewand der Popkultur: Bilder Hitlers mit Sonnenbrille, in der Hand eine Pistole, darüber der Spruch: „der Sommer ist da“.

Virtueller Hass und Kampf um die Straße

Die Aktivitäten der NA begannen 2013 mit einem Blog samt Manifest. Universitäten und studentische Räume sollten Rekrutierungsfeld werden, allerdings ohne Erfolg. Es folgten vereinzelte Kundgebungen und Demonstrationen, wobei die Gruppe mit 20 Mitgliedern noch recht marginal wirkte. Das mediale Interesse an der NA wuchs erst durch ihren provokanten Aktionismus. Neben Transparent- und Flugblattaktionen äußerte sich die Gruppe zum ersten Mal im April 2014, als sie auf einer Kundgebung vor der Nelson Mandela Statue in London rassistische Banner in Solidarität mit den Buren (den Kolonialisten in Südafrika) präsentierten, den Hitlergruß zeigten und der Statue eine Bana­ne in die Hand klemmten.

Auch die Twitter-Hetze des NA-Aktivisten Garron Helm, der rund 20 antisemitische Nachrichten an die jüdische Abgeordnete Luciana Berger schickte4 , erfuhr eine breite Öffentlichkeit. Die folgende Repression gegen ihn und weitere NA-AktivistInnen hatte die Konsequenz, dass sich NA nach innen Märtyer schaffen konnte, indem sie Garron Helm als politischen Gefangenen stilisierte. Gleich­zeitig war es das Startsignal für den militanten und offen antisemitischen Kurs der Gruppe.

Wir sind wie die BNP, nur radikaler“, sagte Benjamin Raymond auf einer Kundgebung in Liverpool im letzten Jahr. Und tatsächlich scheint die einst virtuelle Idee einer neuen britischen Rechten fernab des Establishments aufgegangen zu sein. Das propagierte, avantgardistisch progressive Bild ist dabei auch ein Produkt dieser Zeit. Überall in Euro­pa kriselt es in den alten, rechten Strukturen und neue Gruppierungen formieren sich. Einem Elite-Anspruch folgend werden nützliche Ideen progressiver Subkulturen adaptiert. Deutlich beeinflusst von den Ablegern der „Autonomen Nationalisten“ in Osteuropa propagiert auch NA den „Straight Edge“-Lifestyle5 . Die Idee des „gesunden Volkskörpers“ findet ihre Umsetzung in der körperlichen Ertüchtigung ganz nach dem Vorbild russischer Neonazis um das Kampfsport-Label „White Rex“.

Auf dem „Sigurd Outlaw Camp“ 6 im August 2014 in Wales war laut Recherchen von dem antifaschistischen Magazin „Searchlight“ auch deren Macher, Denis Nikitin (Денис Никитин), beteiligt, der zusammen mit AktivistInnen der NA Kampfsport und den Umgang mit Messern trainierte. In diesem Jahr will die NA sogar ein eigenes „Hatecamp“ in Schottland organisieren.

Eine neue Allianz

Die NA füllt die Lücke, die bisher weder EDL, die NF, noch die BNP besetzen konnten. Sie ist eine authentische Jugendorganisation wie es die „YouthBNP“ nie hätte sein können, denn NA agiert eigenmächtig, ohne sich von irgendwem für ihr Handeln autorisieren zu lassen.  

Dass sie dadurch nicht nur an Mitgliedern gewinnt, sondern auch polarisiert, war zuletzt in Newcastle zu beobachten. Die AktivistInnen riefen dazu auf, zum WMM „nicht-spalterische“ Fahnen mitzubringen. Ein klarer Seitenhieb an BNP und EDL. Tatsächlich vereinten sie damit die noch verbliebenen „rein“ neonazistischen Kräfte Englands. Ohne treibende Kräfte wie BNP waren diese jahre­lang nur Randgestalten, was sich jetzt durch diese neue Allianz ändern könnte.      

Das „British Movement“ (BM) und nahe­stehende Strukturen wie „Blood & Honour“ erschienen ebenso zum WMM, wie der briti­sche Ableger von „Narodowe Odrodzenie Polski“ (NOP, dt.: „Nationale Wiedergeburt Polens“). Auch Teile der EDL-Abspaltung „North East Infidels“ sowie Mitglieder der „Misantrophic Division England“ (MD) waren anwesend. Letztere versteht sich als internationale Organisation zur Unterstützung des ukrainischen extrem rechten Полк Азов (Regiment Azow), stellte ihren führenden Kopf, Chris Livingstone, als Redner auf und brachte zum WMM den Italiener Francesco „Stan“ Saverio Fontana mit, der selbst Teil des Полк Азов (Regiment Azow) war.

Ergebnisse des Aufmarsches waren nicht nur eine breite mediale Öffentlichkeit, sondern auch sechs Festnahmen. Grund waren Hass-Reden sowie das Verbrennen von Flaggen, wie die der LGBT-Bewegung7 und der Israels. Unter den Festgenommenen waren auch der NA-Aktivist Garron Helm — der auf der Veranstaltung mit Rufen wie „Hitler hatte recht“ auffiel — sowie NA-Kader und Redner Ashley Bell. Auch Michael Woodbridge musste die Nacht im Gefängnis verbringen. Ihn dürfte NA-Gründer Alex Davies noch aus Zirkeln des „London Forum“ kennen. Der ehemalige Lehrer, Holocaust-Leugner und Anhänger der „Creativity Alliance“ ist Ideengeber und Veteran der Neu-Rechten in England. Ein Aufkleber mit dem Spruch „Hitler hatte recht“, den er an ein Lenin-Gedenkbild geklebt hatte, brachte ihm schon Ende der 70er Jahre eine Haftstrafe in der DDR ein.

Es scheint sich also eine neue rechte Allianz in England zu etablieren. Besonders durch Kräfte wie die NA und deren Aktionismus im Feld des „puren“ Neonazismus fühlt sich die extreme Rechte - sei sie auch noch so marginal - animiert, Teil einer neuen Front zu sein. Was jahrelang brach lag und stagnierte erfährt einen Aufwind fernab des Miefs der alten Parteien, der subkulturellen Welt von B&H und des Hooliganismus der EDL. Gleichzeitig schließt diese neue Front die alten Strukturen nicht aus, sondern bietet eine neue Plattform und schlägt die Brücke zwischen Universität und Pub. Die Quantität der Gruppe ist dabei nicht entscheidend, die „Reinheit der Idee“ ist ausschlaggebend. Wie nachhaltig solche Bestrebungen sind, wird die Zeit zeigen, doch die Fanatiker der NA sind sich sicher, dass 2015 „ein weiteres Jahr des Blutbads“ und ein „noch schrecklicheres Jahr für ZOG8 werden wird.

  • 1Das Glaubensbekenntnis „We must secure the existence of our people and a future for white children“ stammt von dem us-amerikanischen Neonazi David Lane, der Mitglied der neonazistischen Terrororganisation „The Order“ war.
  • 2Der Konflikt zwischen EDL und NA eskalierte bei einer Demonstration der EDL im September 2014 in Rotherdam, weil von EDL-AnhängerInnen Israel-Flaggen gezeigt wurden
  • 3Action française ist eine 1899 gegründete extrem rechte Bewegung, eine nationalistische Reaktion auf linke Bestrebungen in Frankreich
  • 4siehe „Hope not Hate“ Nr. 16 „A campaign of hate“
  • 5Aus der Hardcore-Musik-Bewegung der 1980er Jahre entstandener Ansatz, seinen eigenen Körper nicht zu vergiften, d.h. auf Rauchen, Trinken und Drogen zu verzichten
  • 6‘Sigurd’ war ein Pseudonym von Anders Breivik.
  • 7LGBT, Kürzel für „Lesbian Gay Bisexual Trans“
  • 8Neonazi-Kürzel für „Zionist Occupied Goverment“, dt. „zionistisch okkupierte Regierung“